Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 49 / XII / 2008

VELIA 2008 - DIE ZEUSTERRASSE

Im Jahr 2008 wurde als Abschluss des in diesem Jahr zu Ende gehenden Projekts zur Erforschung der Heiligtümer auf dem zentralen Höhenrücken von Velia der Kultplatz 8, die sogenannte Zeusterrasse, untersucht [1]. Bei der unmittelbar östlich auf den Kultplatz Nr. 7 folgenden Zeusterrasse handelt es sich - abgesehen von der Akropolis - um das größte bekannte Heiligtum in Velia, das gleichzeitig auch in der Reihe der bekannten Kultplätze das am weitesten östlich liegende darstellt [2]. Trotz ihrer unleugenbaren Monumentalität gehört die Zeusterrasse zu jenen Heiligtümern, deren Erforschung eine Vielfalt von Schwierigkeiten bietet. Hier ist in erster Linie anzuführen, dass der Platz abgesehen von der Terrassenmauer kaum eine architektonische Gestaltung aufweist und darüber hinaus jahrhundertelang von natürlichen Faktoren wie der Erosion in Mitleidenschaft gezogen wurde, sodass an vielen Stellen nur mehr der anstehende Fels zu beobachten ist. Weiters ist darauf hinzuweisen, dass die Zeusterrasse bereits in den 1920er und 1940er Jahre intensiv untersucht wurde, wodurch kaum mehr ungestörte Situationen zu erwarten waren.


Es handelt sich um eine große Terrasse (91x95m), die an der West-, Süd- und an der Ostseite durch unterschiedlich mächtige Stützmauern gebildet und im Norden durch den Mauerzug A der Stadtmauer begrenzt wird (Abb. 1). Als besonders auffallend wurde stets die Tatsache betrachtet, dass sie abgesehen von einem langgestreckten Altar von 25,20x6,85m an der Ostseite sowie einer nördlich davon liegenden Einfassung mit mindestens vier Cippen kaum eine architektonische Gestaltung zeigte und so als Heiligtum eine besondere Funktion ausgeübt haben muss, die gerne mit den αγοαι θεων verglichen wurde [3]. Bei den Grabungen von P. C. Sestieri fanden sich drei Cippen mit Weihungen an Zeus Ourios, Olympios Kairos und Pompaios, von denen jene des Zeus namensgebend für die Terrasse wurde.
Die Untersuchungen des Jahres 2008 schlossen die geodätische Gesamtaufnahme der Terrasse mit der photogrammetrischen Dokumentation der allerdings schon von A. Maiuri teilweise neu aufgebauten Terrassenmauer ab, konzentrierten sich sonst aber auf die Reinigung und Dokumentation der Westseite, die schließlich auch die Unterscheidung mehrere Bauphasen erlaubte, die allerdings mangels diagnostischer Funde nur in eine relative Abfolge gebracht, nicht jedoch absolutchronologisch eingeordnet werden konnten (Abb. 2).


Der Errichtung der großen Terrasse voraus ging eine frühere Nutzung, die sich nur durch in den Fels eingetiefte Fundamentrinnen erhalten hat, die vermutlich ebenfalls mit einer - älteren - Terrassierung zu verbinden sind (Phase 1). Sie könnte gleichzeitig mit einem aufwendigen Wasserleitungssystem angelegt worden sein, das schon von M. Napoli beschriebenen worden war und dessen Spuren sich mehrfach auf der Terrasse als Kanäle mit Resten einer Rohrleitung aus Keramik fanden. In der Felsrinne lagen in situ große Rohre, die jedoch nicht den üblichen kreisförmigem Querschnitt aufwiesen, sondern aus Rundziegeln lokaler Produktion mit halbkreisförmigen Querschnitt zusammengesetzt waren, die mit der gewölbten Seite nach oben direkt auf dem Felsen auflagen (Abb. 3). Diese Art der Leitung ist ungewöhnlich und bedarf zweifellos weiterer Untersuchungen. Eine Fortsetzung des Kanalsystems nach Osten bis zum Castelluccio und den dort bekannten Wasserrinnen scheint jedenfalls anzunehmen [4]. Nach Westen dürfte sich die Wasserleitung über die westliche Terrassenmauer hinaus fortgesetzt haben und sich hier in zwei in einem Abstand von rund 24m verlaufenden Wasserrinnen fortsetzen, von denen die nördliche gleichzeitig die Südbegrenzung von Kultplatz 7 darstellen könnte. Es bleibt derzeit unklar, ob diese Rinnen allgemein der Wasserversorgung der Stadt dienten oder auch eine besondere Rolle im Kultgeschehen hatten. Chronologisch kann diese Wasserleitung nach der - wahrscheinlichen - Verbindung mit dem Rinnensystem des Castelluccio vermutlich in die Jahre nach 400 v.Chr. gesetzt werden.


In der folgenden Phase 2 wurde die große, heute sichtbare Terrassenmauer errichtet, die aus einer Außenschale aus großen Sandsteinquadern unregelmäßigen Zuschnitts sowie einer rund 1,60m tiefen, mehrlagigen Hinterfüllung aus großen unbehauenen Sandsteinblöcken bestand. An der Südseite konnte die Terrasse durch eine relativ schmale Stiege betreten werden. Da die Verlängerung dieser Stiege direkt auf die Straße Nr. 5 der Oststadt treffen würde, wurde die Erbauung der Terrasse von F. Krinzinger und M. Pedrazzi zunächst mit der Anlage des rechtwinkeligen Straßensystems im Vignale in Verbindung gebracht und ins 5.Jh. v.Chr. datiert [5]. Da wir heute wissen, daß dieses Straßensystem in der Oststadt erst aus der Zeit knapp vor oder um die Mitte des 4.Jhs. v.Chr. stammt, würde sich damit auch die Datierung der Zeusterrasse verschieben. Da die großen Blöcke der Terrassenmauer aber auch eine gewisse Ähnlichkeit mit jenen der hellenistischen Phase des Castelluccios haben, wäre auch eine Datierung in die erste Hälfte des 3.Jhs. zu diskutieren, wo die große Terrasse auch typologisch gut verankert wäre. Wie die Untersuchungen des Jahres 2008 gezeigt haben, war die Terrassenmauer im Abschnitt zwischen den beiden erwähnten Wasserrinnen vermutlich relativ niedrig, da hier nur eine Geländestufe von nicht mehr als einem halben Meter zu überwinden war.
An der Westseite ließen sich auch die Neuerungen der folgenden Phase (Phase 3) erkennen. Damals wurden nach Westen an die Terrassenmauer zwei nur teilweise erhaltene Räume angebaut , die von der vermutlich weiter in Verwendung stehenden Terrassenmauer durch eine mit Ziegeln ausgekleidete Rinne getrennt wurde, die vermutlich nach Süden entwässerte. Eine Interpretation dieser Räume ist schwierig, da sich dafür kaum Anhaltspunkte bieten. Für eine - nicht unwahrscheinliche - Interpretation als Sakralgebäude, etwa in der Art des Oikos von Kultplatz 7 oder des kleinen Kultraums von Kultplatz 6, fehlen bis jetzt eindeutige Beweise. Für ihre absolutchronologische Einordnung gibt das Auftreten von Mauern in Schachbrett-Technik einen ersten Hinweis auf eine hellenistische Zeitstellung. Weiters findet die sekundäre Verwendung von Dachziegeln in der Fundamentierung Parallelen in Gebäuden der ersten Hälfte des 3.Jhs. v.Chr.
In der folgenden Phase 4 werden diese Räumlichkeiten offenbar wieder aufgegeben und eine neue Terassierung mit leicht abweichender Orientierung erbaut, für die Datierungshinweise völlig fehlen (Abb. 4).


Die Dokumentationskampagne des Jahres 2008 konnte somit einen aufgrund der schlechten Ausgangslage nur sehr beschränkten Einblick in die zweifellos komplexe Baugeschichte der großen Zeusterrasse geben und für die heute existierende Architektur einen Datierungsvorschlag in frühhellenistische Zeit zwischen der Mitte des 4.Jhs. und dem frühen 3.Jh. v.Chr. machen. Von besonderem Interesse war die Wiederentdeckung der schon von Napoli erwähnten, aber nicht dokumentierten Wasserleitungsrinnen, die auf ein wohldurchdachtes und großangelegtes System für die Wasserversorgung der Stadt hinweisen.

[1] Das Projekt wurde von der Universität Wien gemeinsam mit der Soprintendenza per i Beni Archeologici delle Province di Salerno, Benevento e Avellino durchgeführt. Unser Dank geht zuallererst an die zuständigen Soprintendenten, Dr. Mario Pagano und Dr. Maria Luisa Nava, für die Erlaubnis und Unterstützung der Arbeiten sowie an die zuständige Archäologin vor Ort, Dr. Giuseppina Bisogno und ihre Mitarbeiter, für praktische Hilfe und die wie stets freundschaftliche Arbeitsatmosphäre. Die Finanzierung erfolgte durch die Universität Wien und den FWF (Projekt Nr. 18682-G02).
Dauer der Grabung vom 7.-29.7.2008. Teilgenommen haben neben der V. Mag. Dieta Svoboda für die lokale Grabungsbetreuung, Dr. Gert Augustin für die Vermessung sowie Benedikt Grammer und Martin Gretscher (Uni Wien) als Praktikanten.
Zur Numerierung der Kultplätze vgl. V. Gassner, Velia 2004: Kurzbericht zu den Grabungen am Mauerzug A,
Forum Archaeologiae 34/III/2005. Zu den bisherigen Arbeiten in den Heiligtümern vgl. V. Gassner, Velia 2004: Kurzbericht zu den Grabungen am Mauerzug A, Forum Archaeologiae 34/III/2005; V. Gassner, Velia 2005 - das Heiligtum der Naiskoi, Forum Archaeologiae 37/XII/2005; V. Gassner, Velia 2006 - Die Grabungen auf der Terrasse I, Forum Archaeologiae 41/XII/2006; V. Gassner, Elea/Velia, Terrasse I: Die spätarchaische Wohnbebauung und das sogenannte Heiligtum des Poseidon Asphaleios, ÖJh 74, 2005 (2006) 39-71; V. Gassner, Das Heiligtum der Naiskoi, in: P. Amann - M. Pedrazzi - H. Taeuber (Hrsg.), Italo - Tusco - Romana. Festschrift für Luciana Aigner-Foresti (2006) 233-244; V. Gassner, Velia 2007 - der Kultplatz 6, Forum Archaeologiae 45/XII/2007; V. Gassner, Doni votivi nei santuari di Elea: cippi, naiskoi e il loro contesto, in: G. Greco (Hrsg.), Doni agli dei. Il sistema dei doni votivi nei santuari. Seminario di studi Napoli 21 aprile 2006 (Pozzuoli 2008) 141-160; D.F. Svoboda, Der Kultplatz 1 von Velia - Vorläufige Ergebnisse der Grabungen 2006, Forum Archaeologiae 46/III/2008.
[2] Zur Zeusterrasse vgl. A. Maiuri, Velia: prima ricognazione ed esplorazione, Campagne della società Magna Grecia (Roma 1928) 23-25, fig. 7-8; M. Pedrazzi, Die Zeusterrasse in Velia, unpubl. Dipl. Wien (1996); L. Vecchio, Le iscrizioni greche di Velia, Velia-Studien 3 (Wien 2003) 36-46; zuletzt G. Greco, Strutture e materiali del sacro ad Elea-Velia, in Velia. Atti XLV CSMG, Taranto-Ascea Marina, 21-25 settembre 2005 (Taranto 2006) 336-340.
[3] R. Martin, Recherche sur l'agora grecque (Paris 1951) 169-174.
[4] Vgl. zum Castelluccio V. Gassner - A. Sokolicek - M. Trapichler, Die hellenistischen Stadtmauern von Elea: Die Ergebnisse der österreichischen Forschungen der Jahre 2000-2002, ÖJh 72, 2003, 67-95. A. Sokolicek, Wasser und Mauern. Eine Quelle unter den Stadtmauern von Velia?, in: G. Wiplinger (Hrsg.), Atti del Convegno "Cura Aquarum", Selçuk 2004 (Wien 2007) 201-209.
[5] F. Krinzinger, Intorno alla pianta di Velia, in: G. Greco - F. Krinzinger (Hrsg.), Velia - Studi e ricerche (Modena 1994) 37; zu einem späteren Zeitpunkt hat Krinzinger auch eine hellenistische Datierung vorgeschlagen: F. Krinzinger in: EAA Suppl. 2 (1971-1994), 5 (1997) 969.
[6] Maße jeweils 5,80(?)x3,40m.

© Verena Gassner
e-mail: verena.gassner@univie.ac.at


This article should be cited like this: V. Gassner, Velia 2008 - die Zeusterrasse, Forum Archaeologiae 49/XII/2008 (http://farch.net).



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