Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 34 / III / 2005

VELIA 2004: KURZBERICHT ZU DEN GRABUNGEN AM MAUERZUG A


Die Einrichtung des Archäologischen Parks von Velia hat in den letzten Jahren rasche Fortschritte gemacht und konnte in der ersten, auf die Akropolis und die Unterstadt bezogenen Phase weitgehend abgeschlossen werden [1]. Ein nächster Schritt sieht die Erschließen des Höhenrückens vor, auf dem der Mauerzug A der Stadtmauer verläuft. Dieser sowie die entlang von ihm angelegten Heiligtümer sollen konserviert und in passender Weise einem breiten Publikum präsentiert werden (Abb. 1). Für die dafür nötigen archäologischen Voruntersuchungen im Jahr 2004 wurde von der Soprintendenza Archeologica delle Province Salerno, Avellino e Benevento dankenswerterweise das Institut für Klassische Archäologie der Universität Wien eingeladen, das im Zuge eines dreijährigen Forschungsprojektes bereits seit 2001 an verschiedenen Stellen dieses Teils der Befestigung Grabungen durchgeführt hat [2].
Die Grabungen dauerten insgesamt vier Monate und fanden im Februar sowie von Mitte April bis Juli 2004 statt. Dabei wurde der Mauerzug A fast in seiner ganzen Länge von rund 700 m zumindest oberflächig geputzt, sodaß wesentliche Aufschlüsse über seine innere Struktur erzielt werden konnten. Für die Dokumentation der Befestigung sowie der anschließenden Heiligtümer wurden aus einem für das Tragen einer Digitalkamera adaptierten Modellhubschrauber Luftphotos aufgenommen (Abb. 2), die anschließend durch ebene Entzerrung mittels Paßpunkten ausgewertet wurden [3]. Die archäologische Interpretation dieser Bilder ist derzeit in Arbeit [4].

Neben diesen großflächigen Dokumentationsarbeiten wurden an verschiedenen Stellen des Höhenrückens Grabungen durchgeführt. Hier ist zunächst die bereits im Jahr 2002 untersuchte Eckbefestigung des sogenannten Castelluccio am höchsten Punkt der Stadt anzuführen [5] (Abb. 3). Durch die von A. Sokolicek durchgeführten Untersuchungen im April und Mai 2004 [6] konnten wesentliche neue Erkenntnisse zum Innenaufbau des Turmes erreicht werden; weiters ließ die Entdeckung eines komplexen Kanalsystems erkennen, daß das Bauwerk eine nicht unwesentliche Bedeutung für den Wasserhaushalt der Stadt gehabt hat. Ein Vorbericht über die Ergebnisse wird an anderer Stelle gegeben [7].
Die Arbeiten im Februar konzentrierten sich auf die sogenannte Terrasse I, den Hügel zwischen der Akropolis und dem Einschnitt der Porta Rosa [8]. Dabei konnte der Verlauf und die Chronologie der Stadtmauer an mehreren Stellen geklärt werden. Besonders interessant war der Schnitt 1/04 im östlichen Teil der Terrasse, der zeigte, daß die hellenistische Stadtmauer hier eine Art Bastion gebildet hat. Die Kurtine der früheren Perioden hingegen fehlt an dieser Stelle; für ihren Verlauf in der Mitte des Rückens gibt es Hinweise durch Felsabarbeitung, die jedoch nicht zwingend sind. Ein weiteres wichtiges Ergebnis dieser Grabung war die Freilegung des westlichen Teils des bereits 1978 teilweise ergrabenen spätarchaischen Antenhauses A. I. [9]. Dieses bestand in seiner ersten Phase aus einem annähernd quadratischen Raum mit nach Norden gerichteter Vorhalle. Die Arbeiten des Jahres 2004 schnitten neben diesem Haus eine weiteres Gebäude an und zeigten somit, daß das Antenhaus A.I. auf Terrasse I nicht isoliert stand, sondern daß wir mit einer relativ ausgedehnten spätarchaischen Bebauung rechnen können (Abb. 4: In der Bildmitte die Westwand von Raum 4, die Mauern im Vordergrund sowie die Polygonalmauer im Hintergrund gehören zu dem Gebäude mit den Polygonalmauern. Am linken Bildrand sind die Reste des Mauerzugs A zu erkennen.). In einer zweiten Phase wurde dieses neu entdeckte Haus vermutlich durch einen Hangrutsch teilweise zerstört und an seiner Stelle ein weiterer Raum (Raum 4) an das Antenhaus A.I. angebaut. Das Antenhaus A. I. wurde noch in der ersten Hälfte des 5.Jhs. v.Chr. aufgegeben und über dem früheren Raum 4 ein Gebäude errichtet, von dem wir nur die Ost- und die Westmauer kennen, nicht jedoch seine Nord-Süd-Erstreckung. Bei der Ostmauer handelt es sich um die seit 1964 bekannte Polygonalmauer, die zunächst für eine Terrassierungsmauer gehalten worden war. Dies stellte sich durch die jüngsten Grabungen als unrichtig heraus. Die Funktion des relativ großen Gebäudes bleibt unklar: eine Nutzung als Wohnhaus kann nicht ausgeschlossen werden, aber nach einigen Funden ist auch eine Zugehörigkeit zum sakralen Bereich vorstellbar, wenngleich nicht zu beweisen.
Im westlichen Bereich der Terrasse I liegt ein nach Aussage einer Stele dem Poseidon Asphaleios geweihtes Heiligtum [10]. Bereits im Jahr 2003 war der ältere Plan durch eine Neuvermessung des Bereichs korregiert worden [11]. 2004 wurde auf dieser Basis eine Maßskizze im Maßstab 1 : 100 angefertigt und im Nordostviertel des Heiligtums mehrere Schnitte angelegt. In diesen zeigte sich, daß das Heiligtum zweiphasig war, wobei die heute sichtbare U-förmige Anlage mit Hallen und Portiken an der Nord-, Ost- und Südseite nach dem verwendeten Steinmaterial (Konglomeratblöcke) in hellenistische Zeit datiert. Von dem Vorgängerbau konnten im untersuchten Bereich Mauerreste angeschnitten werden, die vielleicht ebenfalls zu einer Halle gehörten.
Den dritten Schwerpunkt stellte die Untersuchung der Terrasse des hellenistischen Tempels (Kultplatz 7, Abb. 5) sowie des anschließenden Turms A 6 von Mai bis Juli 2004 dar [12]. Auch bei diesem Kultplatz bildet die Stadtmauer gleichsam die Rückwand des Temenos, die von einer Halle begleitet wurde. Unmittelbar vor dem Turm A 6, dessen hellenistische Zeitstellung sich bei den Untersuchungen des Jahres 2004 bestätigte, liegen zwei Kultgebäude. Das südliche ist ein 11,80 x 7,5 m großer Antentempel, der in einer zweiten Bauphase nach Osten erweitert wurde und vermutlich als prostyler Tempel zu ergänzen ist. In seinem Osten liegt ein 2,40 x 1,30 m großer Altar sowie zwei Stelenbasen. Noch interessanter ist der nördlich von ihm liegende Kultbau, der sgn. Oikos, dessen Form und Ausdehnung bisher durch eine von Mario Napoli gepflanzte Pinie verunklart wurde. Da ihre Wurzeln die antike Substanz langsam, aber unaufhaltsam zerstörten, wurde sie 2004 mit aller gebotenen Vorsicht, aber auch mit großen Schwierigkeiten entfernt. Es zeigte sich, daß auch der Oikos über mehrere Bauphasen verfügte, von denen die älteste aus einer sehr schlecht erhaltenen, fast quadratischen Cella und einem deutlich seichteren Pronaos bestand. In der folgenden Phase wurde die Cella aufgegeben und das Gebäude dafür in zwei Schritten nach Osten erweitert. Die chronologische Einordnung beider Kultbauten stellt uns vor einige Probleme, da die erhaltenen Straten im Inneren relativ fundarm waren. Die Außenniveaus waren zum größten Teil bereits früher entfernt worden, sodaß es schwierig ist, die Relation zwischen Tempel und Oikos herzustellen. Zumindest für den Tempel läßt sich - wie schon bisher angenommen - von einer Erbauung in hellenistischer Zeit, vermutlich im 3.Jh. v.Chr. ausgehen. Die erste Phase des Oikos könnte nach der Art des Mauerwerks noch älter sein. Die Erweiterung des Tempels erfolgte gleichzeitig mit der Pflasterung des nördlichen Hofbereichs mit umgedreht verlegten Velia-Ziegeln. Mit der Auswertung der unter dem Niveau dieser Pflasterung geborgenen Keramikfunden wird 2005 begonnen. Da der Tempel in seiner letzten Phase im Inneren einen Boden aus opus signinum erhielt, kann am wahrscheinlichsten von einem Datum im 2.Jh. v.Chr. ausgegangen werden.
Nach Süden fand sich bisher keine Begrenzungsmauer des Heiligtums, wie wir dies von anderen Kultplätzen entlang des Mauerzugs A kennen. Es konnte aber eine in Ost-West-Richtung verlaufende, in den Fels eingetiefte Rinne festgestellt werden, die sich in mehreren Verzweigungen über die östliche Felsstufe hinauf auf die Zeusterrasse verfolgen läßt (Abb. 6). Ihre Funktion - Wasserrinne oder Fundamentgraben - war anfangs nicht ganz klar; auch ist nicht auszuschließen, daß verschiedene Rinnen unterschiedliche Funktionen hatten. Für die große, Ost-West-verlaufende Rinne an der Südseite des Kultplatzes läßt sich nun - in Übereinstimmung mit den Berichten älterer Ausgräber vom Fund großer Tonröhren für Wasser - feststellen, daß sie vermutlich tatsächlich als Wasserrinne gedient hatte. Besonders deutlich wird dies an einer Stelle südlich des Tempels, wo sich über dieser Rinne noch mehrere flache Abdeckungssteine in situ erhalten haben, wie wir sie auch von anderen Stellen der Stadt kennen. Im Bereich der Felsstufe zwischen Kultplatz 7 und Zeusterrasse konnten außerdem eine Reihe von Abarbeitungsspuren des Felsen beobachtet werden, die auf eine heute nicht mehr erhaltenen architektonischen Gestaltung hinweisen. Die Zeusterrasse und der westlich anschließende Kultbezirk wurden somit seit hellenistischer Zeit in der architektonischen Gestaltung als Einheit gesehen, die eine heute nur mehr in eingeschränktem Maß nachvollziehbare großzügige Anlage ergab, die zweifellos zu den bedeutenden Kultplätzen Velias gehörte.

[1] Vgl. dazu zuletzt G. Tocco Sciarelli, La realizzazione del Parco Archologico: strategia di ricerca e valorizzazione, in: G. Greco (Hrsg.), Elea-Velia. Le nuove ricerche. Atti del Convegno di Studi Napoli 14 dicembre 2001. Quaderni del Centro Studi Magna Grecia 1 (2003) 15-19.
[2] Mein Dank für diese Einladung sowie die jahrelange, großzügige Unterstützung geht an die Soprintendentin Dr. Giuliana Tocco sowie ihre MitarbeiterInnen, besonders Dr. Antonella Fiammenghi. Von österreichischer Seite wird das Projekt durch den FWF sowie die Universität Wien unterstützt.
Zu den Grabungen der letzten Jahre vgl. V. Gassner, Velia 2001 - Kurzbericht zu den Grabungen 2001,
Forum Archaeologiae 21/XII/2001; V. Gassner - A. Sokolicek - M. Trapichler, Velia 2002. Forschungen im Bereich des Castelluccio, Forum Archaeologiae 25/XII/2002; V. Gassner - A. Sokolicek - M. Trapichler, Die hellenistischen Stadtmauern von Elea: Die Ergebnisse der österreichischen Forschungen der Jahre 2000-2002, ÖJh 72, 2003, 67-95.
[3] Der Modellhubschrauber wurde im Rahmen einer Abschlußarbeit von Ch. Augustin und KollegInnen an der HTL für Flugtechnik (Eisenstadt), die Software von Institut für Photogrammetrie und Fernerkundung, TU Wien entwickelt. Die Durchführung der Arbeiten lag beim Vermessungsbüro G. Augustin (Innsbruck).
[4] Die Architektur der Stadtmauern wird von A. Sokolicek im Rahmen des erwähnten FWF-Projekts bearbeitet und soll im nächsten Band der Velia-Studien publiziert werden, die Auswertung der Heiligtümer wird von der Unterzeichneten durchgeführt.
[5] Zu den Forschungen des Jahres 2002 vgl. Anm. 2.
[6] 17.4.-16.5.2004.
[7] A. Sokolicek, Das Castelluccio von Velia, in: G. Wiplinger (Hrsg.), Akten der 12. Internationalen Konferenz zur Geschichte des Wassermanagements und des Wasserbaus "CVRA AQVARVM in EPHESUS", in Selçuk (Türkei) vom 2. - 10. Oktober 2004 (in Vorbereitung).
[8] Ein ausführlicher Vorbericht zu diesen Arbeiten wird für den nächsten Band der österreichischen Jahreshefte vorbereitet.
[9] C. Bencivenga, Resti di casa greca di età arcaica sull'acropoli di Velia, MEFRA 94, 1983, 417-448; eine zusammenfassende Neubeurteilung in L. Cicala, L'edilizia domestica tardo arcaica di Elea, Quaderni del Centro Studi Magna Grecia 2 (2003) 119-130.
[10] P.C. Sestieri, Velia, FA 4, 1949, 191-193, Nr. 1861; M. Guarducci, Divinità fauste nell'antica Velia, in: Velia e i Focei in Occidente, PP 21, 1966, 280-282; J. P. Morel, Observations sur les cultes de Velia, in: A. Hermary - H. Tréziny (Hrsg.), Les Cultes de cités phocéennes. Actes du colloque international Aix-en-Provence / Marseille 4-5 juin 1999, Etudes massaliètes 6 (2000) 33-49; zuletzt L. Vecchio, Le iscrizioni greche di Velia, Velia-Studien III = Archäologische Forschungen 10 (2003) 50-53 mit ausführlicher Bibliographie.
[11] Planabbildungen bei M. Napoli, Guida degli scavi di Velia (1972) 8; Bencivenga a.O. Abb. 5. Neuvermessung durch G. Augustin (Innsbruck).
[12] A. Maiuri, Prima ricognizione ed esplorazione maggio - settembre 1927, Campagne della Società Magna Grecia (1928) 22; Sestieri a. O. 193, P. Ebner, Divinità e templi di Velia, Apollo 3-4, 1963-64, 93-116=ders., Studi sul Cilento 1 (1996) 133-147.
Die Nummerierung der Kultplätze geht auf die Verf. zurück.

© Verena Gassner
e-mail: verena.gassner@univie.ac.at

This article should be cited like this: V. Gassner, Velia 2004: Kurzbericht zu den Grabungen am Mauerzug A, Forum Archaeologiae 34/III/2005 (http://farch.net).



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