Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 45 / XII / 2007

VELIA 2007 - DER KULTPLATZ 6

Im Rahmen der gemeinsam mit der Soprintendenza per i Beni Archeologici delle Province di Salerno, Benevento e Avellino durchgeführten Forschungs- und Restaurierungsarbeiten auf dem zentralen Höhenrücken von Velia hatte die Lehrgrabung 2007 des Instituts für Klassische Archäologie der Universität Wien diesmal den Kultplatz 6 zum Schwerpunkt [1]. Für die wie immer freundschaftliche und hilfsbereite Zusammenarbeit ist der Soprintendentin Dr. Giuliana Tocco-Sciarelli, in deren letzten Amtsmonaten diese Kampagne stattfand, ebenso wie ihrem Nachfolger, Dr. Angelo Ardovino, zu danken. Ihre Durchführung wäre nicht möglich gewesen ohne die freundschaftliche und selbstlose Hilfe der Verantwortlichen vor Ort, Dr. Antonella Fiammenghi, deren plötzlicher Tod für uns noch immer unfassbar ist und eine schmerzliche Lücke in die velinische Forschungslandschaft gerissen hat.

Der auf dem Höhenrücken von Velia zwischen dem Turm A 7 und dem sgn. hellenistischen Tempel (Kultplatz 7) situierte Kultplatz 6 ist bereits aus dem Plan von W. Schleuning von 1897 anhand von Mauerresten erkennbar und wurde 2004 bei umfassenden Reinigungsarbeiten (wieder)entdeckt und durch Luftaufnahmen dokumentiert [2] (Abb. 1). Wie die bisher bekannten Heiligtümer grenzte auch dieses unmittelbar an die Stadtmauer (Mauerzug A) an, wobei die verbreiterte Kurtine der zweiten Periode als Temenosmauer gegen Norden fungierte und damit eine Datierung nach 400 v.Chr. angab. Im Norden sowie im Süden befanden sich Hallen mit unterschiedlicher Breite, ein weiterer kleinerer Raum lag im Westen. Sie umschlossen einen Bereich von 14,30 x 7,4 m, dessen Osthälfte von einem fast quadratischen Raum (Raum 1) eingenommen wurde, der sich zu einem weniger tiefen Raum gleicher Breite (Raum 5) öffnete. Diese Raumanordnung legte die Vermutung nahe, daß es sich bei ihnen um Cella und Vorraum eines Sakralgebäudes handelte. Dieses wurde an drei Seiten von schmalen Korridoren umgeben, während im Osten ein mäßig großer Hof anschloß. Nach Osten hin wurde das in diese Richtung leicht ansteigende Gelände durch eine Terrassenmauer gegliedert. Im Westen und Süden waren weitere kleinere Räume erkennbar, deren Funktion ebenso unklar blieb wie die Frage, an welcher Seite wir uns den Eingang in dieses Heiligtum vorstellen können.

Die Grabungsaktivitäten des Jahres 2007 konzentrierten sich vor allem auf den Ostteil der Anlage mit dem Sakralbau (Abb. 2). Dabei zeigte sich rasch, daß hier ebenso wie in der Südhalle und im Hofbereich bereits früher Grabungen stattgefunden hatten, während im Nordteil erstmals für die Heiligtümer auf dem Höhenrücken die antike Zerstörungssituation der Anlage dokumentiert werden konnte. Aufgrund ihrer ähnlichen Steintechnik (zweischalige Mauern aus mittelgroßen Sandsteinblöcken) können die Nord- und die Südhalle sowie der Raum 1 mit einem 1,10 m breiten Eingang an der Westseite in die erste Phase der Anlage datiert werden. Im Osten von Raum 1 lag auf höherem Niveau ein weiterer Raum, von dem nur die West- sowie die Südmauer auf eine Länge von 4 m angeschnitten wurden, der jedoch vermutlich als mit dem Heiligtum gleichzeitig und mit diesem in Verbindung stehend zu sehen ist. Im Bereich unmittelbar westlich des nördlichen Korridors konnte unter dem Niveau von Raum 1 eine rinnenförmige Abarbeitung im Fels festgestellt werden, die vermutlich den Fundamentgraben einer nicht näher zu definierenden Vorgängerbebauung darstellte. Die absolutchronologische Einordnung der Phase 1 ist schwierig, da die Mauern direkt auf dem Felsen errichtet wurden. Eine obere zeitliche Grenze ist durch den Mauerzug A gegeben, der an dieser Stelle in die Zeit um 400 v.Chr. datiert. Der Steintechnik nach könnten sowohl das 4., vor allem aber das 3. Jh. dafür in Frage kommen.
In der zweiten Bauphase wurde der Bereich östlich von Raum 1 durch die Errichtung einer Terrassenmauer (US 112/07) neu gestaltet, für die der anstehende Fels massiv abgearbeitet wurde. Die Mauer selbst bestand aus großen, teilweise bossierten Konglomeratquadern, die mit Feldern aus kleinen Sandsteinen sowie teilweise auch aus Fragmenten von Veliaziegeln in Art der tecnica a scacchiera alternieren. Einen weiteren wichtigen Eingriff stellt die Erneuerung der Südmauer von Raum 1 dar, die offenbar nach Süden abgerutscht war, sodaß umfangreiche Sanierungsmaßnahmen nötig wurden. Aus diesem Grund wurde auch in der Südhalle der anstehende Fels weiter abgearbeitet bzw. natürliche Unebenheiten mit großformatigem Steinmaterial verfüllt und aufplaniert. Weiters wurde dem Raum 1 eine schmale Vorhalle (Raum 5) mit vermutlich zwei Säulen an den Ecken vorgeblendet, wodurch sich der Bautypus eines kleinen Antentempels ergab. Der Boden bestand in dieser zweiten Phase aus opus signinum über einer Art Rollierung aus hochkant gestellten kleinen Ziegeln, bei dem sich in Raum 5 noch ein Rautenmuster erkennen ließ. Die Korridore im Norden, Osten und Süden der Anlage wurde vermutlich spätestens in dieser Periode mit Ziegelplatten gepflastert, die sich an der Südseite mit Stellen aus hydraulischem Mörtel als Unterlage für eine Pflasterung mit kleinen Kieseln abwechselten.
Für die zweite Phase legen die Verwendung von Konglomeratstein sowie von opus signinum in Velia eine zeitliche Einordnung auf jeden Fall nach dem zweiten punischen Krieg nahe, doch dürfte sich diese Datierung nach einer vorläufigen Durchsicht des Keramikmaterial aus den Planierschichten im Südkorridor auf die Mitte des 2. Jhs. v.Chr. einengen lassen [3]. Weiters fanden sich im Bereich der Nordhalle Spuren, die auf eine Nutzung des Heiligtums noch in augusteischer Zeit hinweisen. In dieser Zeit könnte auch die Verlegung eines neuen weißen Mosaikfußbodens im Sacellum erfolgt sein.

Über dieser frührömischen Phase lag ein rund 0,10-0,20 m mächtiges Stratum aus dunklem, auffallend humosem Lehm, das darauf hinweist, daß der Bereich des Kultplatzes 6 längere Zeit nicht genutzt, sondern offensichtlich von Vegetation bedeckt war. Gleichzeitig dürfte auch der Verputz der Wände des kleinen Sacellums langsam abgeblättert sowie zumindest Teile des Daches eingestürzt sein, dessen Reste noch im nördlichen Korridor festgestellt wurden.
Über diesen mit der - temporären - Aufgabe des Platzes in Verbindung zu bringenden Straten wurde schließlich in der Nordhalle ein rechteckiges Mauergeviert mit einer Breite von 1,70 m und einer Ost-West-Erstreckung von mindestens 1,60 m an die Stadtmauer angebaut, für welches Bruchstücke von gebrannten Veliaziegeln in sekundärer Nutzung verwendet wurden (Abb. 3). An seiner Nordseite fanden sich mehrere Ziegelplatten, die in halbkreisförmiger bzw. polygonaler Form angeordnet waren und offensichtlich die Basis für ein nicht näher zu identifizierendes Objekt oder eine Tätigkeit darstellten. Auch dieser späte Einbau war - wie die gesamte Nordhalle - von einer massiven Versturzschicht bedeckt, die vor allem aus Dachziegeln, zu einem geringeren Teil auch aus Veliaziegeln bestand. In dieser fand sich eine annähernd viertelkreisförmige Vertiefung, die vermutlich mit Aufräumungsarbeiten nach dem Einsturz des Daches in Verbindung gebracht werden kann. Ein Teller aus afrikanischer Terra Sigillata der Hayes-Form 61A sowie zahlreiche Lampen der regionalen Produktion datieren diese Ereignisse in die zweite Hälfte des 4. oder an den Beginn des 5. Jhs. n.Chr. Die große Zahl von Lampen, von denen sich mindestens 20 Stück nachweisen ließen, sowie das Vorkommen von Räucherschalen läßt dabei wieder an eine Nutzung des Bereich im Rahmen eines Kultes denken.

[1] Die Grabungskampagne fand in der Zeit vom 1.4. - 14. 5. 2007 statt. TeilnehmerInnen waren neben der Berichterstatterin Mag. Dieta Svoboda (Grabung) sowie für die Lehrgrabung L. Bäumel, T. Bürge, H. Hartmann, D. Hörwarthner, P. Metzger und K. Preindl. Die Fundbearbeitung lag in den Händen von Dr. M. Trapichler und M. Ladurner. Die Vermessung, die auch eine Geländeaufnahme der Zeusterrasse miteinschloß, wurde von Dr. G. Augustin (Innsbruck) durchgeführt. Die Finanzierung erfolgte durch die Universität Wien, den FWF (Projekt Nr. 18682-G02) sowie die Soprintendenza per i Beni Archeologici delle Province di Salerno, Benevento e Avellino, welche die Arbeiterkosten übernahm.
Zu den bisherigen Arbeiten in den Heiligtümern vgl. V. Gassner, Velia 2004: Kurzbericht zu den Grabungen am Mauerzug A, Forum Archaeologiae 34/III/2005 (http://farch.net); V. Gassner, Velia 2005 - das Heiligtum der Naiskoi,
Forum Archaeologiae 37/XII/2005 (http://farch.net); V. Gassner, Elea/Velia, Terrasse I: Die spätarchaische Wohnbebauung und das sogenannte Heiligtum des Poseidon Asphaleios, ÖJh 74, 2005 (2006) 39-71; V. Gassner, Das Heiligtum der Naiskoi, in: P. Amann - M. Pedrazzi - H. Taeuber (Hrsg.), Italo - Tusco - Romana. Festschrift für Luciana Aigner-Foresti (2006) 233-244; V. Gassner, Doni votivi nei santuari di Elea: cippi, naiskoi e il loro contesto, in: G. Greco (Hrsg.), Doni agli dei. Il sistema dei doni votivi nei santuari. Seminario di studi Napoli 21 aprile 2006 (in Druck).
[2] Zur Numerierung der Kultplätze vgl. V. Gassner, Velia 2004: Kurzbericht zu den Grabungen am Mauerzug A, Forum Archaeologiae 34/III/2005 (http://farch.net).
[3] Für die Durchsicht und Bestimmung danke ich M. Trapichler.

© Verena Gassner
e-mail: verena.gassner@univie.ac.at


This article should be cited like this: V. Gassner, Velia 2007 - der Kultplatz 6, Forum Archaeologiae 45/XII/2007 (http://farch.net).



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