Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 77 / XII / 2015

DAS OSTTOR VON SIDE – EINE SACKGASSE IN DER SPÄTANTIKE

Das Osttor von Side gehört zu einem durchdachten Befestigungssystem, das aus einer Landmauer, einer Seemauer, dem Haupttor und dem Osttor besteht. Das Bauwerk wirkt zunächst sehr einheitlich und kompakt konzipiert, sodass die vom ersten Ausgräber Arif Müfid Mansel [1] festgesetzte Datierung in hellenistische Zeit von den nachfolgenden Forschern nie angezweifelt wurde [2].
Das Institut für Archäologie der Universität Graz führt seit 2011 in Side an der türkischen Südküste in der ehemaligen römischen Provinz Pamphylien Untersuchungen am östlichen Stadttor bzw. Osttor (Abb. 1) durch [3]. Im Rahmen von mehrwöchigen archäologischen Ausgrabungen wurden innerhalb und außerhalb des Tores insgesamt acht Sondagen angelegt, die Aufschluss über die Stratigraphie, Bauphasen und Struktur der Anlage geben sollen. Die Ergebnisse der Ausgrabungen ergaben, dass die von Mansel vorgeschlagene frühe Datierung für die sichtbare Toranlage nicht bestätigt werden kann, sondern mit einer Erbauungszeit ab frühestens augusteischer bis flavischer Zeit zu rechnen ist [4].
Die spätere Datierung in römische Zeit erfordert nun eine Neubetrachtung des gesamten Befestigungssystems von Side [5]. Es ist zu hinterfragen, ob die gesamte Befestigungsanlage mit Haupttor [6], Osttor und Landmauer bzw. Seemauer gleichzeitig geplant wurden und gleichzeitig entstanden sind. Mansel führte als Anlass für den Bau der Anlage immer den Frieden von Apameia 188 v.Chr. an [7]. Dieser historische Anlass ist allerdings mit dem archäologischen Befund aus dem Osttor von Side keinesfalls vereinbar. Ob der Bau der Anlage mit dem Wirken des Amyntas in Pamphylien zusammen hängt oder in Anlehnung an die Befestigungsanlagen der benachbarten pamphylischen Städte wie z.B. Perge oder Sillyon entstanden ist, soll im Rahmen bevorstehender Projektarbeiten behandelt und ausgeführt werden. Die geplante Vorlage des Grabungsbefundes und des Fundmaterials vom Osttor soll als Grundlage für weitere vertiefende Forschungen auch für die umliegenden Städte herangezogen werden können.

Die gesamte Toranlage umfasst eine Fläche von ca. 30x20 m (Abb. 2). Nach den bisher belegten Funden wie einem Bleisiegel des Phokas (603–608) und einer Münze des Heraklius Konstantinus II (652) [8] wurde es mindestens bis in das 7.Jh. n.Chr. mehrmals umgestaltet und auch unterschiedlich verwendet wie im Folgenden dargestellt werden soll.
Das Tor ist von Osten aus durch zwei mit einem Tonnengewölbe versehene Durchgänge zu betreten, die von zwei rechteckigen Türmen flankiert sind. Man gelangt in einen ca. 17x17 m großen Hof, von dem aus 3 weitere Durchgänge in das Stadtinnere führen. An den der Stadt zugekehrten Außenmauern des Hofes führen 2 Treppen zu den Wehrgängen bzw. zu einer Terrasse oder Attika (Abb. 2).

Auf Höhe der Mauerfundamente beginnt eine Sandschicht, in der sehr wenige Scherben gefunden wurden, darunter aber Fragmente von innen-bemalten Schälchen wie sie der sogenannten Colour Coated Ware zuzurechnen sind, und in das späte 2.Jh. v.Chr. datiert werden können [9]. Darüber folgt eine schotterige schmale Schicht, in der sich wenig Eastern Sigillata A sowie frühe Sigillata Cipriota [10], die in das späte 1.Jh. v.Chr. zu datieren sind, befinden. Auf diese Schicht folgt eine dunkelgraubraune Erdschicht mit Sigillata Cipriota (nach Atlante Form X59) aus dem 1.–2.Jh. n.Chr., sowie eine Schicht mit Wandmalereiresten, sogenannter Sagalassos Red Slip Ware [11] der Form 1B162/1 und 1B170 sowie Münzen aus dem 2.–3.Jh. n.Chr. Diese Schicht reicht exakt bis an die Oberkante des treppenartigen Vorsprungs der südlichen Hofmauer.
Darüber folgen mehrere Lagen von Schichten, die mit viel Keramik, Ziegel und Marmorplattenfragmenten verfüllt sind. In diesen Schichten wurden auch ca. 80 Münzen aus dem 4./5.Jh. n.Chr. gefunden. In den obersten Schichten fanden sich auch einige Münzen aus dem 6.Jh. n.Chr. sowie späte Late Roman D-Ware in großen Mengen.
Der stratigraphische Befund zeigte keine Abweichungen nach der vorerst überblicksmäßigen Auswertung der acht Sondagen und erlaubt eine dem Forschungsstand entsprechende Darstellung der Baugeschichte und Bauphasen des Tores: demnach wurde das Tor, d.h. der 17x17 m große Hof mit den drei Ausgängen und den beiden Türmen [12] in der ersten Phase errichtet. Wie der feldseitige Eingang gestaltet war, lässt sich erst nach Auswertung des diesjährigen Grabungsbefundes sagen. Ein offenes Hoftor ist aber auszuschließen [13], da sich in der Mitte des feldseitigen Eingangs unter dem sogenannten späteren Raum B Mauerstrukturen befanden, die der frühesten Bauphase zuzurechnen sind. Bis in das 3.Jh. n.Chr. dürfte es nach dem derzeitigen Forschungsstand keine weiteren Umbauten gegeben haben. Es ist davon auszugehen, dass die Triglyphenblöcke, von denen sich noch ein Stein in situ befindet, der ersten Bauphase zuzurechnen sind. Bei den Ausgrabungen beidseitig vor den Toreingängen kamen die Reste einer Straßenpflasterung zutage (Abb. 3).

Es kam in weiterer Folge zu einer Niveauerhöhung, die wohl auf massive Umbauarbeiten am Tor zurück zu führen ist. In dieser Phase wurde der gesamte östliche Eingangsbereich mit den Gewölben von Tor A und C und Kammer B und der darüber liegenden Terrasse neu errichtet. Außerdem wurde das Straßenniveau erhöht, das sich vor allem in einer Neupflasterung bzw. Neuausstattung der Straße am westlichen Zugang zur Stadt manifestierte (Abb. 3) [14]. Im Hof selbst konnten nur sehr vereinzelt Reste einer Pflasterung festgestellt werden, die auch zu dieser Ausbauphase im 4./5.Jh. n.Chr. zu zählen sind. Nach einer weiteren Niveauerhöhung von 0,60–0,70 m ist eine weitere Umbauphase bzw. Umnutzungsphase festzustellen. Schmale Mäuerchen aus kleineren Geröllen mit Mörtelbindung weisen auf kleinere Einbauten, größere, flache Steine als Auflager für Holzkonstruktionen und die Zumauerungen der Haupteingänge von Tor A und Tor C (Abb. 4) verbunden mit einer Ausgestaltung der Terrasse mit Mosaikfußböden und der Gewölbe mit Malereien sind eindeutige Hinweise für eine geänderte Nutzung der gesamten Anlage. Diese Phase kann sehr gut durch eine große Menge an repräsentativer Keramik in die erste Hälfte des 6.Jhs. n.Chr. datiert werden.

Bemerkenswert ist hier vor allem die Änderung in der Nutzung des Tores an sich, das offensichtlich konzipiert für einen öffentlichen Raum zu einem Bau für private Nutzung mutierte. Wie dieser Vorgang in Hinblick auf eine Änderung in der gesamten Stadtstruktur zu bewerten ist und welche Konsequenzen dadurch entstehen sind Teil eines für den FWF geplanten Projektantrages und soll in den nächsten Jahren gemeinsam mit dem Grabungsbefund vorgelegt werden.

Literatur
Gliwitzky 2010
Ch. Gliwitzky, Späte Blüte in Side und Perge. Die pamphylische Bauornamentik des 3. Jahrhunderts n. Chr. (Bern 2010)
Hayes 1985
J. W. Hayes, Sigillate Orientali, in Enciclopedia dell'arte antica classica e orientale. Atlante delle Forme Ceramiche II, Ceramica Fine Romana nel Bacino Mediterraneo (Tardo Ellenismo e Primo Impero), Rome, 1985, 1-95
Hayes 1991
J.W. Hayes, Paphos III. The Hellenistic and Roman pottery (Nicosia 1991)
Lohner-Urban 2013
U. Lohner-Urban, Side 2012: Die Ergebnisse der Grabungskampagne am Osttor, Forum Archaeologiae 66/III/2013 (http://farch.net)
Lohner-Urban 2014
U. Lohner-Urban, Das Osttor von Side – ein hellenistisches Prunktor?, Forum Archaeologiae 70/III/2014 (http://farch.net)
Lohner-Urban (im Druck)
U. Lohner-Urban, Das Osttor von Side − ein hellenistisches Tor?, in: B. Kainrath – G. Grabherr (Hrsg.), Akten des 15. Österreichischen Archäologentages in Innsbruck, IKARUS 9 (Innsbruck)
Lohner-Urban – Scherrer (im Druck)
U. Lohner-Urban – P. Scherrer, Hellenistische Prunktore – ein wissenschaftlicher Irrtum? Vorläufige Grabungsergebnisse vom Osttor von Side aus der Kampagne 2012, in: S. Frederiksen u. a. (Hrsg.), Focus on Fortifications. New Research on Fortifications in the Ancient Mediterranean and the Near East, Papers of the conference on the research of ancient fortifications at the Acropolis Museum in Athens, 6-9 December 2012, Fokus Fortifikation Studies 2, Monograph of the Danish Institute at Athens 18 (Oxford)
Lund 2002
J. Lund, The Ontogenesis of Cypriot Sigillata, ActaHyp 9, 2002, 185–223
Mansel 1956
A.M. Mansel, Bericht über die Ausgrabungen in Pamphylien in den Jahren 1946–1955, AA 1956, 1956, 34–120
Mansel 1968
A.M. Mansel, Osttor und Waffenreliefs von Side, AA 1968, 1968, 239–279
McNicoll 1997
A.W. McNicoll, Hellenistic fortifications from the Aegean to the Euphrates (Oxford 1997)
Meyza 2002
H. Meyza, Cypriot Sigillata and its hypothetical Predecessors, in F. Blondé et. al. (eds.), Céramiques hellénistiques et romaines. Productions et diffusion en Méditerranée orientale (Chypre, Égypte et côte syro-palestinienne), Actes du colloque tenu à la Maison de l'Orient méditerranéen Jean Pouilloux du 2 au 4 mars 2000 (Lyon 2002) 23–31
Nollé 1993
J. Nollé, Side im Altertum. Geschichte und Zeugnisse I (Inschriften griechischer Städte aus Kleinasien 43) (Bonn 1993)
Oransay 2014
A.B.S. Oransay, Side Kazılarından Ele geçen Hellenistik Dönem Seramikleri, in: Colloquium Anatolicum 13, 2014, 45–57
Peschlow 2010
U. Peschlow, Mauerbau in krisenloser Zeit? Zu spätantiken Stadtbefestigungen im südlichen Kleinasien: Der Fall Side, in: D. Kreikenbom u. a. (Hrsg.), Krise und Kult. Vorderer Orient und Nordafrika von Aurelian bis Justinian (Berlin, New York 2010) 61–108
Poblome 1999
J. Poblome, Sagalassos red slip ware. Typology and chronology, Studies in Eastern Mediterranean Archaeology II (Brepols 1999)
Winter 1971
F. Winter, Greek Fortifications (Toronto 1971)

[1] Mansel 1968, 239–240.
[2] Winter 1971, 191 Anm. 104; McNicoll 1997, 147–148; Nollé 1993, 8; Gliwitzky 2010, 123–131.
[3] Projektleitung: Ute Lohner-Urban und Peter Scherrer. Für die gute Zusammenarbeit und herzliche Einladung danken wir dem Grabungsleiter von Side Hüseyin Sabri Alanyalı und Feriştah Soykal Alanyalı von der Anadolu Üniversitesi Eskişehir.
[4] Über die Anfangsdatierung des Tores siehe: Lohner-Urban 2013; Lohner-Urban 2014; Lohner-Urban (im Druck). Die sorgfältige Aufarbeitung des stratifizierten Fundmaterials soll eine genauere Datierung der einzelnen Bauphasen erlauben. Das Fundmaterial wurde vorab nur oberflächlich bearbeitet. Die Münzen sind allerdings vollständig bearbeitet von Ahmet Tolga Tek, Anadolu Üniversitesi Eskişehir.
[5] Am Institut für Archäologie der Universität Graz wird von Matthias Grebien eine Dissertation über die Landmauer von Side verfasst. Bauhistorische Untersuchungen an der sogenannten Attius Philippus-Mauer werden von Katja Piesker, Berlin, im Rahmen eines von der Gerda-Henkel-Stiftung initiierten Projektes durchgeführt. Diese Mauer teilt die Stadt am Beginn der Felsnase bzw. an der engsten Stelle der Halbinsel in zwei Teile. Diese Mauer wurde von den meisten Forschern in das 4. bzw. 6.Jh. n.Chr. aufgrund einer Inschrift, die den Attius Philippus nennt, datiert. Nach freundlicher Auskunft von Katja Piesker sind dieser Mauer mindestens drei Bauphasen zuzuordnen. Bemerkenswert ist die erste Bauphase der Mauer, die aus einem annähernd pseudoisodomen Mauerwerk errichtet wurde (ausführlich dazu auch Peschlow 2010, 61–108). Sie könnte m. E. der frühesten Stadtmauer zuzurechnen sein (siehe: Lohner-Urban 2014, Lohner-Urban: im Druck).
[6] Arif Müfid Mansel hat 1949 Ausgrabungen am Haupttor durchgeführt und eine hellenistische Errichtungszeit befundet, mit einem Umbau bzw. Ausbau in hadrianischer Zeit (siehe: Mansel 1956, 34–120; zuletzt Gliwitzky 2010, 123–131). Neue Ausgrabungen am Haupttor durchzuführen gestaltet sich aufgrund der modernen Straßenführung schwierig; darüber hinaus wären wohl kaum ungestörte Schichten zu erwarten.
[7] Mansel 1968, 273–274.
[8] Für die Bearbeitung der Münzen ist Ahment Tolga Tek, Anadolu Üniversitesi Eskişehir, Türkei, zu danken.
[9] Hayes 1991, 26–27 Abb. 14; Oransay 2014, 45–56.
[10] Lund 2002, 185–223; Meyza 2002, 23–31; Hayes 1985, 9–47; Hayes 1985, 79–91.
[11] Poblome 1999, 306.
[12] Die beiden Türme weisen in ihrem heutigen Erhaltungszustand unterschiedliche Bauphasen auf, wobei Teile der unteren Mauerscharen der ersten Bauphase zuzuzählen sein werden.
[13] Ein offenes Hoftor wäre für diese Zeitstellung ab frühestens augusteischer Zeit ungewöhnlich. Siehe Lohner-Urban – Scherrer (im Druck).
[14] Auf und zwischen den Pflastersteinen wurde eine repräsentative Anzahl an Münzen gefunden, die in das 4./5.Jh. n.Chr. datieren. Auf der Straße bzw. im Schutt darüber befanden sich Kapitelle, die in das späte 2.Jh. n.Chr. datiert werden können und Fragmente von Säulenschäften.

© Ute Lohner-Urban
e-mail: ute.lohner@uni-graz.at

This article should be cited like this: U. Lohner-Urban, Das Osttor von Side – eine Sackgasse in der Spätantike, Forum Archaeologiae 77/XII/2015 (http://farch.net).



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