Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 73 / XII / 2014

FUNDORT WIEN 17, 2014 – DER JAHRESBERICHT DER STADTARCHÄOLOGIE WIEN

Hernals – neueste Ergebnisse der archäologischen Forschung
Im Gebiet des 17. Wiener Gemeindebezirks boten sich bislang nur wenige Möglichkeiten, baustellenbedingte Bodeneingriffe archäologisch zu begleiten. Dementsprechend ist auch das Wissen um die historische Bebauung des Dorfes Hernals, die uns zwar über Bild- und Schriftquellen bekannt ist, die Situation im Mittelalter und der frühen Neuzeit belassen diese aber weitgehend im Dunkeln. Dass in der Römerzeit südlich des Alsbaches eine Ziegelproduktion angesiedelt war, lag aufgrund vereinzelter Aufschlüsse vor allem in den 1950er- und 1970er-Jahren nahe, aber erst die jüngst erfolgte komplette Freilegung zweier Ziegelbrennöfen auf dem Grundstück Steinergasse 16/Geblergasse 47 bestätigte eindrücklich den Standort der römischen Legionsziegelei in Hernals (siehe Forum Archaeologiae 70/III/2014 und 69/XII/2013) (Abb. 1).


Eine römische Weiheinschrift auf ungewöhnlichem Trägermaterial
Ein besonderes Fundobjekt aus der Verfüllung der Arbeitsgrube eines dieser Brennöfen ist ein reduzierend hellgrau gebranntes Ziegelbruchstück (erhaltene Länge 14 cm, erhaltenen Breite 18,5 cm, Dicke 6,5 cm) mit einer durch Ritzlinien gerahmten Inschrift (Abb. 2). Das nur fragmentarisch erhaltene Formular lässt sich als eine Weihung für Iuppiter Bussumarius (?) lesen. Der keltische Name Bussumar(i)us heißt übersetzt „der Großmundige“ oder „der Großlippige“. Die so benannte Gottheit wurde durch eine interpretatio Romana mit Iuppiter geglichen und hatte, so die ursprüngliche Annahme, ihren Ursprung in Galatien und gelangte von dort nach Dakien. Bislang waren entsprechende Weihungen auch nur aus Apulum bekannt.
Die Fundlage der Ziegelinschrift im militärischen Umfeld birgt jedoch Raum für eine abweichende Interpretation. Die Soldaten der legio XIII gemina, der militärischen Einheit, die für den Bau des Legionslagers von Poetovio nach Vindobona abkommandiert worden war, scheinen das verbindende Glied zu den Weihungen in Apulum, dem nachfolgenden Stationierungsort der Legion, gewesen zu sein. Es ist naheliegend, dass der Kult durch Angehörige der 13. Legion gepflegt wurde. Das Vorhandensein von Weihungen an Iuppiter Bussumarius an beiden Orten könnte also als Beleg dafür gesehen werden, dass der Kulttransfer durch die Legion, die zu den Dakerkriegen Traians von Vindobona nach Apulum abkommandiert wurde, erfolgt war.

Frühmittelalterliche Bestattungen in der aufgelassenen Ziegelei
Die Freilegung der römischen Ofenanlagen erbrachte eine weitere Überraschung. Diese wurden im Frühmittelalter sekundär als Grabstätte genutzt (Abb. 3). Im Bereich von Ofen 2 konnten drei Grablegen, zwei davon vollständig, dokumentiert werden. Sie sind ein Indiz dafür, dass im Wiener Raum noch bis ins erste Drittel des 9. Jahrhunderts eine Bevölkerung gelebt hat, deren Wurzeln in der materiellen Kultur der Spätawarenzeit verankert waren.
In Grab 1 (Abb. 4) befand sich ein weibliches Skelett in gestreckter Rückenlage mit Ohrringen, Perlenkette und reduzierend gebranntem Töpfchen als Beigaben. Die Leiche der 25 bis 35 Jahre alten Frau war im Brustbereich durch einen größeren Stein beschwert und in der rechten Augenhöhle befand sich ein ovaler Sandstein. Es handelte sich wohl um eine sogenannte Leichenversteinung, ein Bannritus gegen Wiedergänger.
Ein jugendlicher Mann (?) mit einem Sterbealter zwischen 15 und 17 Jahren wurde auch in gestreckter Rückenlage bestattet und, wie sich aus aufgefundenen Holzresten erschließen lässt, wohl in einen hölzernen Sarg gelegt (Grab 2). Als Beigaben dienten ihm ein Töpfchen, ein Holzeimer und ein ringförmiges Objekt aus einer Kupferlegierung.


Vom Spätmittelalter bis in die Neuzeit – Das Haus Hernalser Hauptstraße 6
Unweit der oben genannten Fundstelle, ermöglichte ein Hausum- bzw. Neubau auf dem Grundstück Jörgerstraße 47/Hernalser Hauptstraße 60–62 kleinräumige archäologische Untersuchungen. Die Befunde/Funde reichten zurück bis in das Spätmittelalter, insgesamt konnten drei Besiedelungshorizonte unterschieden werden. Die Baustrukturen der zweiten Phase wurden offensichtlich durch einen Brand zerstört, der aufgrund der Funde in die Zeit der Ersten Türkenbelagerung gesetzt werden kann und daher auch die historisch überlieferten Zerstörungen in Hernals bestätigt. Besondere Fundstücke aus diesem Zerstörungshorizont sind das Fragment eines eisernen Kästchenschlosses (Abb. 5) und eine Bronzeapplike in Form eines stilisierten Löwenkopfes (Abb. 6), die wohl Bestandteil eines Gürtels war.


Siedlungsaktivitäten im Süden Wiens
Eine auch schon seit den 1920er-Jahren bekannte, mehrere Kulturperioden umfassende archäologische Fundzone im Bereich der Csokorgasse (Simmering) befindet sich an der Stadtgrenze Wiens zu Schwechat. Bislang unerkannt bzw. nicht entsprechend beachtet wurden die spätneolithischen (kupferzeitlichen) Siedlungsfunde. Wie zeitgleiche Flachlandsiedlungen zeigen, ist von einer lockeren Streulage der Siedlungsobjekte auszugehen. Die Auswertung der Altfunde/-befunde zeigte, dass es sich einerseits um eine Grube aus der Frühphase der Badener Kultur (Boleráz-Gruppe) (Abb. 7) handelte und andererseits um mehrere glockenbecherzeitliche (endneolithische) Siedlungsgruben.
Die Neuaufnahme bzw. Neubewertung von in den Depots lagernden Funden rückte auch eine endneolithische Höhensiedlung am Eichkogel in Wien-Liesing wieder in den Fokus der Fachwelt und brachte in der Folge wertvolle Erkenntnisse zur Besiedelung (nicht nur) des Wiener Raumes.


Römische Keramik – Import und lokale Produktion
Das Fragment einer römischen Reibschüssel des Typs Dramont D2 (Abb. 8) – bestehend aus einem stark beanspruchbaren Werkstoff, dem opus doliare – wurde im Bereich der canabae legionis gefunden. Produkte dieser Art stammen aus Italien, sind aber relativ selten in den nördlichen Provinzen zu finden. Bei dem in Wien geborgenen mortarium ist eine Herkunft aus Mittelitalien anzunehmen. Diese Provenienz ist bisher einzigartig für eine in Wien geborgene Reibschüssel beziehungsweise konnte für andere Fundstücke eine entsprechende Herkunft noch nicht festgestellt werden.
Eine andere bemerkenswerte Keramikgruppe sind römische Gefäße mit spezieller Barbotineverzierung (Abb. 9). Diese Feinware zeichnet sich durch einen Dekor aus, welches aus entweder flächendeckend aufgesetzten tropfenförmigen Elementen oder zu einer Musterfolge angeordneten Elementen gleicher Form kombiniert mit Ratterdekor besteht. Der weitaus größte Teil dieser Gefäße wurde in Wien gefunden, alle anderen Fundorte liegen im weiteren Umfeld von Vindobona, im Nahbereich des norisch-pannonischen Limes. Dass es eine lokale Produktion in Vindobona gegeben hat, ist mit sehr großer Wahrscheinlichkeit anzunehmen. Die Vorbilder für diese Verzierungsform sind im vegetabilen Bereich zu suchen.


Fundort Wien. Berichte zur Archäologie 17/2014
Aufsätze
- Martin Mosser/Heike Krause mit einem Beitrag von Ingeborg Gaisbauer, Vom Valetudinarium über das Benefiziatenhaus der Salvatorkapelle zum Alten Rathaus – Die Grabungen in Wien 1, Wipplingerstraße 6–8
- Kristina Adler-Wölfl/Sylvia Sakl-Oberthaler mit Beiträgen von Heike Krause, Ingeborg Gaisbauer, Christine Ranseder, Kinga Tarcsay, Sigrid Czeika und Martin Mosser, Zur Geschichte des Hauses Wien 17, Hernalser Hauptstraße 62 – Bauliche Überreste des Spätmittelalters und der Neuzeit
- Martin Mosser/Bendeguz Tobias/Karin Wiltschke-Schrotta, Gräber des frühen 9. Jahrhunderts innerhalb der Legionsziegelei von Vindobona
- Martin Mosser/Theresia Pantzer, Eine Weiheinschrift für Iuppiter Bussumarius (?) aus Vindobona
- Ingeborg Gaisbauer, Vor der Stadt, aber nicht vorstädtisch – Die hochmittelalterlichen Befunde und Funde der Ausgrabung Wien 1, Neutorgasse
- Eleni Eleftheriadou, Römische Gefäßkeramik mit tropfenförmigem Barbotinedekor aus Vindobona
- Rita Chinelli/Christoph Öllerer, Eine italische Reibschüssel in Vindobona – ein bisher einzigartiges römerzeitliches Produkt in Wien
- Martin Penz, Spätneolithische Funde aus dem Bereich Wien 11, Csokorgasse
- Julia Bichler, Funde von einer endneolithischen Höhensiedlung am Eichkogel in Wien-Liesing

Tätigkeitsberichte
- Michaela Müller/Cyril Dworsky, Stadt, Land, Fluss: Archäologie als aufregende, vielfältige und lustige Herausforderung – eine Forschungswoche der KinderuniWien 2013

Fundchronik – Grabungsberichte 2013
- Wien 1, Am Hof 1–2/Bognergasse 4/Seitzergasse 1–3 (H. Krause/M. Mosser)
- Wien 1, Börseplatz 1 (I. Mader)
- Wien 1, Rabensteig 3 (C. Litschauer)
- Wien 1, Wipplingerstr. 6 (Altes Rathaus) (M. Mosser/H. Krause)
- Wien 9, vor Rooseveltplatz 2–3 (M. Mosser)
- Wien 10, Landgutgasse 38 (M. Schulz)
- Wien 17, Hernalser Hauptstr. 62 (K. Adler-Wölfl/S. Sakl-Oberthaler)
- Wien 22, Seestadt Aspern (M. Penz)

FWien 17/2014
Einzelpreis EUR 34,–. Abonnement-Preis EUR 25,60
ISBN 978-3-85161-118-2, ISSN 1561-4891
eBook (pdf-Format)
Gesamtpreis EUR 30,–. Einzelartikel EUR 1,80–12,40
ISBN 978-3-85161-119-9, ISSN 1561-4891
Schriftentausch: gertrud.mittermueller@stadtarchaeologie.at
Auslieferung/Vertrieb: Phoibos Verlag, Anzengrubergasse 16, 1050 Wien, Austria, E-Mail: office@phoibos.at, Web: www.phoibos.at

© Museen der Stadt Wien – Stadtarchäologie
e-mail: o@stadtarchaeologie.at

This article should be cited like this: Museen der Stadt Wien – Stadtarchäologie, Fundort Wien 17, 2014 – Der Jahresbericht der Stadtarchäologie Wien, Forum Archaeologiae 73/XII/2014 (http://farch.net).



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