Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 69 / XII / 2013

FUNDORT WIEN 16, 2013
Der Jahresbericht der Stadtarchäologie Wien

Ein mittelalterlicher Abwasserkanal und sein aussagekräftiger Inhalt
In und vor den Häusern der Wiener Berufsfeuerwehr (Am Hof 7–10) fanden im Zuge von Umbauarbeiten in den Jahren 2007 bis 2009 ausführliche archäologische Untersuchungen durch die Stadtarchäologie Wien statt. Ein Teilbereich der reichhaltigen Befunde steht im Mittelpunkt des heurigen Jahresberichtes, ein nahezu vollständig erhaltener mittelalterlicher Abwasserkanal.
Der Platz Am Hof ist einer der geschichtsträchtigsten Orte Wiens, im Mittelalter muss etwa an seiner Südost-Seite der erste Herzogshof der Babenberger gelegen haben. Nordöstlich des Platzes befand sich das jüdische Viertel, welches bis zur Verfolgung und Vertreibung seiner Bewohner 1420/21 bestanden hatte und zu dem wohl auch das hier im Fokus stehende Grundstück Am Hof 10 (Abb. 1) zählte, auf dem heute das 1562 bis 1564 erbaute Bürgerliche Zeughaus steht. Soweit nachvollziehbar war die Parzelle im Mittelalter mit einem platz- bzw. straßenseitigen Haus ausgestattet und im Hofbereich, Richtung Tiefer Graben, zeigten sich Lehmböden, Reste einer Werkstatt und Entsorgungseinrichtungen wie Kanal und Latrinen. Ganz im Süden wurde eine Ost-West orientierte hochmittelalterliche Bruchsteinmauer aufgedeckt, die wahrscheinlich zum Nachbargrundstück gehörte. Unmittelbar nördlich und parallel dazu befand sich ein Abwasserkanal. Der 0,90m breite und 0,50m hohe, aus Ziegeln gemauerte Kanal konnte auf einer Länge von 5,80m dokumentiert werden. Er war von bis zu 0,60m großen Steinplatten abgedeckt, die nur ganz im Westen fehlten. Die Kanalsohle war ebenfalls mit Steinplatten gepflastert. Die Ziegel und die Keramik aus dem Bauhorizont sprechen für eine Errichtung des Kanals frühestens im 13.Jahrhundert. Eine Besonderheit stellt die erhalten gebliebene Kanalverfüllung mit vielen Fäkalienresten dar (Abb. 2), die offensichtlich zur Verstopfung und in der Folge zur Auflassung des Kanals wohl zu Beginn des 15. Jahrhunderts führten.


Der Nachweis der Eier von Spul-, Peitschen- und (Rinder?-)Bandwurm (Abb. 3) belegt eindeutig, dass im Kanal menschliche Exkremente entsorgt wurden. In diesen war wiederum eine große Anzahl an Weintraubenkernen (Abb. 4) festzustellen. Diese und andere, wohl auch über Kehricht oder Oberflächenwässer in den Kanal geratene Pflanzenreste deuten unter anderem auf ein vielfältiges Nahrungsspektrum der im Umfeld des Kanals lebenden Bevölkerung des 14. Jahrhunderts. Auch die aus den Tierknochenfunden anderer Befunde erschließbare, verhältnismäßig hochwertige Fleischqualität der für die Nahrungsversorgung geschlachteten Tiere lässt auf relativ wohlhabende Bewohner im Nahbereich des ehemaligen Herzogshofes schließen.


Aspern – ein geschichtsträchtiger Boden
Durch die seit einigen Jahren laufenden Erschließungsarbeiten für den neuen Stadtteil „Seestadt Aspern“ bot sich für die Stadtarchäologie Wien die einmalige Gelegenheit, größere zusammenhängende Flächen archäologisch zu untersuchen. Die vielfältigen neuen Erkenntnisse waren der Anlass, den bisherigen Forschungsstand über die früheste Besiedlungsgeschichte von Aspern von der Jungsteinzeit bis in die Frühgeschichte zusammenfassend darzustellen (Abb. 5-6). Dabei hat sich auch gezeigt, dass eine Aufarbeitung und Neubewertung der großen Menge an Altfunden, die vorwiegend in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts getätigt wurden, für die weitere Forschung unerlässlich ist.


Die römischen Ziegelöfen von Hernals – ein Highlight der Römerzeitforschung
Aufgrund des bisherigen Forschungsstandes war klar, dass der für einen Neubau vorgesehene Baugrund Steinergasse 16/Geblergasse 47 im Gebiet der ehemaligen römischen Legionsziegeleien liegt. Die archäologischen Untersuchungen erbrachten neben prähistorischen Siedlungsspuren vor allem die erhofften römerzeitlichen Befunde: Zwei nebeneinander errichtete Ziegelbrennöfen, von denen jeweils Arbeitsgrube, Schürkanal, Heizkammer, zum Teil die Lehmziegelfundamentierung der Brennkammer und indirekte Nachweise der Lochtenne dokumentiert werden konnten (Abb. 7-8). Weiter im Norden fanden sich Pfostengruben und Balkengräbchen, die wohl als Überreste einer Trockenhalle für die geformten, aber noch ungebrannten Ziegel zu interpretieren sind. Zwischen dem Holzbau und den Öfen lag eine Tret- oder Sumpfgrube. Auch das für Handwerksbetriebe unerlässliche Wasser konnte in Form eines Wasserleitungsgräbchens nachgewiesen werden. Anhand der in den Ofenanlagen verbauten gestempelten Ziegel der 13. und 14. Legion lässt sich die Errichtung der Strukturen an den Beginn des 2. Jahrhunderts n.Chr. setzen. Ziegel der nachfolgenden 10. Legion fanden sich nur in den Planier- und Verfüllhorizonten, so dass nicht sicher gesagt werden kann, ob bzw. wie lange die Anlagen weiter benutzt wurden. Es zeigte sich jedoch eine andere, unerwartete Nutzung der Bauten: Im Bereich des Schürkanals und des Heizraums eines Ofens befanden sich zwei mit Beigaben ausgestattete awarenzeitliche Gräber.


Fundort Wien. Berichte zur Archäologie 16/2013
Aufsätze
- Martin Mosser/Heike Krause/Ingeborg Gaisbauer mit Beiträgen von Ingeborg Gaisbauer, Kinga Tarcsay und Sigrid Czeika, Ein mittelalterlicher Abwasserkanal zwischen dem Wiener Herzogshof und dem jüdischen Viertel
- Andreas G. Heiss/Ursula Thanheiser, Aus den Augen, aus dem Sinn … – Die Pflanzenreste aus dem mittelalterlichen Abwasserkanal der Grabung Am Hof 10, Wien 1
- Herbert Auer/Horst Aspöck, Nachweis von Wurmeiern in einem mittelalterlichen Abwasserkanal der Grabung Am Hof 10, Wien 1
- Martin Penz, Die ur- und frühgeschichtliche Besiedlung in Aspern, Wien 22 – ein Überblick
- Christine Ranseder, Mittelbronze- und neuzeitliche Siedlungsbelege aus Wien 6, Wallgasse 15–17
- Sigrid Czeika, Mittelbronze- und neuzeitliche Tierreste aus Wien 6, Wallgasse 15–17
- René Edenhofer, Der vermeintliche Zeppelinlandeplatz am Flugfeld Aspern (Wien 22) – eine Kompensierscheibe für die Flugzeugnavigation

Tätigkeitsberichte
- Martin Mosser, Zwei römische Ziegelöfen in Wien 17, Steinergasse 16/Geblergasse 47
- Heike Krause, Löblbastion, Kurtine und angrenzende Häuser – eine archäologische Baubegleitung in Wien 1, Josef-Meinrad-Platz/Löwelstraße

Fundchronik – Grabungsberichte 2012
- Wien 1, Bognergasse/Seitzergasse/Am Hof/Heidenschuß/Naglergasse (M. Mosser)
- Wien 1, Burgring 5/Babenbergerstraße 2 (M. Mosser)
- Wien 1, Himmelpfortgasse 14–16 (M. Mosser)
- Wien 1, Hoher Markt/Lichtensteg/Bauernmarkt (M. Mosser)
- Wien 1, Josef-Meinrad-Platz/Löwelstraße (H. Krause/Ch. Öllerer)
- Wien 1, Oskar-Kokoschka-Platz 2 – Universität für angewandte Kunst (I. Gaisbauer/Ch. Öllerer)
- Wien 1, Zelinkagasse (I. Mader)
- Wien 3, Kreuzung Landstraßer Gürtel/Landstraßer Hauptstraße (I. Mader)
- Wien 11, Dreherstraße 23 (M. Schulz)
- Wien 13, Mariensteig 1 (Ch. Öllerer/K. Fischer Ausserer)
- Wien 15, Moeringgasse 10 (J. Groiß/Ch. Öllerer)
- Wien 17, Ottakringer Straße 10–22 (M. Mosser)
- Wien 17, Steinergasse 16/Geblergasse 47 (M. Mosser)
- Wien 19, Kahlenberg, Flur Wildgrube (H. Krause)
- Wien 22, Aspern – ehemaliges Flugfeld (M. Penz)

FWien 16/2013
Einzelpreis EUR 34,–. Abonnement-Preis EUR 25,60
ISBN 978-3-85161-107-6, ISSN 1561-4891
eBook (pdf-Format)
Gesamtpreis EUR 30,–. Einzelartikel EUR 2,40–13,–
ISBN 978-3-85161-108-3, ISSN 1561-4891
Schriftentausch: gertrud.gruber@stadtarchaeologie.at
Auslieferung/Vertrieb: Phoibos Verlag, Anzengrubergasse 16, 1050 Wien, Austria, E-Mail: office@phoibos.at, Web: www.phoibos.at


© Museen der Stadt Wien – Stadtarchäologie
e-mail: o@stadtarchaeologie.at

This article should be cited like this: Museen der Stadt Wien – Stadtarchäologie, Fundort Wien 16, 2013 – Der Jahresbericht der Stadtarchäologie Wien, Forum Archaeologiae 69/XII/2013 (http://farch.net).



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