Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 69 / XII / 2013

AUFFORDERUNG ZUM TISCHGESPRÄCH
Die Bildsprache römischer Keramik

Bereits zum vierten Mal hat die Stadtarchäologie Wien die Möglichkeit, in den Räumen des Römermuseums [1] eine Ausstellung zu präsentieren. Unter dem Titel „Aufforderung zum Tischgespräch. Die Bildsprache römischer Keramik“ werden die Motive, mit der die reliefverzierte Sigillata geschmückt war, untersucht und ihre Funktion als möglicher Ausgangspunkt für launige Gespräche beleuchtet. Die Ausstellung ist noch bis 13. April 2014 zu sehen.
Terra Sigillata wurde gerne bei Tisch verwendet. Die Motive auf dem rot glänzenden Geschirr dienten wahrscheinlich nicht nur dekorativen Zwecken, sondern konnten, sofern der Betrachter über genügend Bildung verfügte, einen Ausgangspunkt für längere Geschichten bilden.
Am Beginn der Ausstellung [2] steht eine kurze Einführung zur Terra Sigillata (Abb. 1). Die unverzierten Varianten wurden auf der Töpferscheibe gedreht, während die in dieser Ausstellung gezeigten Stücke mit Hilfe einer Formschüssel hergestellt wurden. Beiden gemeinsam ist ein glänzender Überzug und der abschließende Brand in sauerstoffreicher Atmosphäre. Diese Keramikart ist für die historischen Wissenschaften besonders spannend. Dies liegt zum einen darin begründet, dass sich hier über die Stempel die Namen einzelner Handwerker unmittelbar erhalten haben. Zum anderen lässt sich der Zeitraum, in dem bestimmte Warentypen z.B. nach Wien importiert wurden, recht genau eingrenzen. Große Produktionszentren lagen im heutigen Italien, Frankreich und Deutschland.
Die in dieser Ausstellung gezeigten Sigillaten stammen ausschließlich aus den Beständen des Wien Museums bzw. aus den neueren Grabungen der Stadtarchäologie Wien. Es kann daher vorkommen, dass durchaus gängige Motive in dieser Ausstellung nicht gezeigt werden, weil sie entweder bisher in Wien nicht gefunden wurden oder in zu stark fragmentierter Form vorliegen.


Die schmückenden Reliefs lassen sich vier Themenkreisen zuordnen. Dies sind Götter- und Heldensagen und Motive, die auf „ Freizeitvergnügen“ in städtischen bzw. eher ländlichen Gegenden Bezug nehmen.
Der Göttervater Jupiter zeigt sich auf der Sigillata sowohl in seiner menschlichen Gestalt (Abb. 2) als auch in Form eines Adlers mit ausgebreiteten Flügeln. Beliebt waren aber auch Darstellungen, die von seinen außerehelichen Liebschaften erzählen wie z.B. die Entführung der Europa auf dem Rücken des Stieres (Abb. 3). Amüsant ist auch eine Szene, auf der ein wild mit den Flügeln schlagender Adler auf einem Busch sitzt. Links und rechts des Gewächses stehen zwei Amorfiguren (Abb. 4). Ob der Formschüsseldekorateur jene Stelle bei Lukian [3] im Sinn hatte, in der sich Zeus bei Eros beschwert, dass er, um bei Frauen Erfolg zu haben, sich nie in seiner wirklichen Gestalt zeigen kann, ist letztlich nicht beweisbar. Dagegen spricht die Verdopplung des Amor, welche vielleicht mit dem Wunsch nach einer symmetrischen Bildgestaltung erklärt werden könnte. Zeus scheint bei Lukian jedoch nicht in Gestalt eines Adlers gesprochen zu haben. Bei diesem Streitgespräch geht es aber hauptsächlich um das Thema der Verwandlung. Womöglich wählte der Dekorateur deshalb die Darstellung als Adler.


Apollo wiederum wird auf der Sigillata immer mit Kithara oder Lyra abgebildet. Häufig findet er sich gemeinsam mit Bacchus auf einem Gefäß (Abb. 5). Diesen erkennt man an dem Trinkgefäß, das er in der Hand hält, sowie an dem ihn begleitenden Leopard. Treten beide Götter gemeinsam auf, könnte man ein Gastmahl assoziieren, bei dem reichlich getrunken und auch musiziert wurde. Manchmal zeigt sich in einem der Hauptfelder auch ein Delphin, der mit Venus in Verbindung gebracht werden kann. Dann konnte der Betrachter auch an Erotisches denken.


Minerva ist immer vollständig zum Kampf gerüstet wiedergegeben, während Mars selten mehr bei sich trägt als Schwert oder Lanze und einen Mantel. Diana ist gut zu erkennen an ihrem kurzen, gegürteten Gewand und ihrem Bogen. Begleitet wird sie vom Faun oder einer Hirschkuh. Ikonographisch überraschend ist die Büste des Sol mit Strahlenkrone (Abb. 6), die an Münzbildnisse erinnert. Die Büste ruht auf zwei gekreuzten Füllhörnern, die nicht zu seinen typischen Attributen gehörten. Normalerweise hält der Gott maximal ein Füllhorn in der Hand [4].
Der zweite Themenkreis behandelt die Heldensagen. In den Beständen von Wien fanden sich bis jetzt nur Motive, die mit dem Leben und Wirken des Herkules zu tun haben. Beliebt war z.B. eine Szene aus der Zeit, als der Held noch ein Säugling war. Juno schickte ihm eines Nachts zwei Schlangen in sein Bett. Er erwachte und tötete beide mit bloßen Händen (Abb. 7). Auffallend ist, dass Herkules hier nicht als Säugling, sondern eindeutig in der Gestalt eines Erwachsenen auftritt. Möglicherweise kannte der Stempelschneider die Geschichte nur mehr unvollständig. Der Figurentyp entspricht aber eindeutig den überlieferten Darstellungen aus der Wandmalerei und von Lampen [5].
Von den zwölf kanonischen Taten gehörten offenbar die Tötung des nemeischen Löwen und das Überwinden der Hydra zu den beliebtesten. Auffallend ist, dass seine Gegner immer deutlich kleiner als er selbst wiedergegeben sind. Der Stempelschneider nahm durch diese Größenstaffelung den Ausgang des Kampfes bereits vorweg und stellte Herkules damit als Sieger dar. Besonders klar zeigt sich das bei seiner letzten Aufgabe, als Herkules den Auftrag bekommt, in die Unterwelt hinabzusteigen und den Kerberos zu holen. Erwartungsgemäß überwältigt er den mehrköpfigen Hund, legt ihm ein Halsband an und bringt ihn ans Tageslicht. Auf der Sigillata ist anscheinend eben jener Moment erfasst, in dem er den Kerberos hinaufführt (Abb. 8). Überraschend ist, dass dieses Untier nicht über die Größe eines mittleren Jagdhundes hinauskommt.


Die beiden weiteren Themenkreise beinhalten alle möglichen Freizeitvergnügungen. Die Römer kannten rund 200 Festtage, an denen nicht gearbeitet wurde. Frei von beruflichen Verpflichtungen zu sein, also Muße (lat. otium) zu haben, bedeutete aber nicht untätig zu sein. Vielmehr galt dieser Zustand als Grundvoraussetzung für den Kunstgenuss, die Beschäftigung mit Literatur und Wissenschaft sowie das Verfassen eigener Werke. Wer in der Stadt lebte, konnte den Circus, ein Theater oder ein öffentliches Bad besuchen. In der Sigillata finden sich immer wieder Darstellungen von Zwei- und Viergespannen. Auch die architektonischen Elemente, die die Rennbahn einrahmten, wie z.B. die Eingangstore, sind auf der Keramik dargestellt worden (Abb. 9). Besonders erfolgreiche Wagenlenker und ihre siegreichen Leitpferde waren sicher ein beliebtes Gesprächsthema.
Gladiatorenkämpfe wurden von Kaisern bzw. städtischen Beamten ausgerichtet. Den Reiz des Kampfes, der die virtus (Tapferkeit) des römischen Volkes feiern sollte, machte die unterschiedliche Bewaffnung aus. Im Anschluss wurde eine Tierhatz abgehalten. Gekämpft wurde mit Löwen, Bären, Wildschweinen und Hirschen. Darstellungen von Gladiatoren und Tierhatzszenen (Abb. 10) gehören nahezu während der gesamten Produktionszeit dieser Keramik zu den gängigsten Motiven und spiegeln die Beliebtheit dieses Freizeitvergnügens wider.
Ähnlich beliebt waren erotische Szenen, die deutlich machen, dass die Prostitution ein fester Bestandteil des urbanen und militärischen Lebens war. Ausgeübt wurde sie auf der Straße, bei Grabdenkmälern, in Gasthäusern und Bordellen.


Im ländlichen Umfeld waren Freizeitvergnügungen rar und beschränkten sich meist auf den Besuch von religiösen Festen. Die auf der Sigillata manchmal abgebildeten Silenmasken mögen den Betrachter an ein dem Bacchus gewidmetes Fest erinnert haben.

Abgerundet wird die Ausstellung durch zwei Audiomodule. Hier erhält der Besucher weitere Informationen zum Leben und Treiben der Götter sowie eine ausführliche Darstellung des Lebens des Herkules.

Ausstellung
Römermuseum
1010 Wien, Hoher Markt 3
Dienstag bis Sonntag und Feiertag, 9.00 Uhr bis 18.00 Uhr
24.12. und 31.12., 9.00 Uhr bis 14.00 Uhr
Geschlossen: 1.1., 1.5., 25.12.

Bibliographie - Auswahl
Terra Sigillata
D. Gabler, Zur frühen Terra Sigillata der Zivilsiedlung von Vindobona, Wiener Archäologische Studien 6 (Wien 2004) 101-161
G.B. Dannell, Samian Cups and Their Uses, R.J.A. Wilson, Romanitas. Essays on Roman Archaeology in Honour of Shepard Frere on the Occasion of his Ninetieth Birthday (Oxford 2006) 147-176
M. Kronberger, S. Radbauer, Siedlungschronologische Studien zu Vindobona. Die Terra-Sigillata-Funde aus dem Legionslager und der Lagervorstadt – Vorbericht zur Publikation, Fundort Wien 14, 2011, 218-224
D. Malfitana, Dalla tipologia all’iconologia. Nuovi percosi interpretativi nello studio delle ceramiche decorate a rilievo, D. Malfitana u.a. (Hrsg.) Old Pottery in a New Century. Innovating Perspectives on Roman Pottery Studies (Catania 2006) 87-103
F. Oswald, T.D. Pryce, An Introduction to the Study of Terra Sigillata (London 1920)
H. von Petrikovits, Sigillatafragen, Germania 26, 1942, 124-132
I. Weber-Hiden, Die reliefverzierte Terra Sigillata aus Vindobona, Wiener Archäologische Studien 1 (Wien 1996)
Freizeit
D. Bielefeld, Ikonographie und Bedeutung des „Trauben naschenden Hasen“, Sarkophag-Studien 1, G. Koch (Hrsg.), Akten des Symposiums „125 Jahre Sarkophag-Corpus“ (Mainz 1998) 7-19
M. Junkelmann, Das Spiel mit dem Tod. So kämpften Roms Gladiatoren, Zaberns Bildbände zur Archäologie (Mainz am Rhein 2000)
E. Stein-Hölkeskamp, Das römische Gastmahl. Eine Kulturgeschichte (München 2005)
J.P. Toner, Leisure and ancient Rome (Cambridge 1995)
Götter
E. Simon, Die Götter der Römer (München 1990)
P. Matern, Helios und Sol. Kulte und Ikonographie des griechischen und römischen Sonnengottes (Istanbul 2002)
Herkules
P. Boschert, Der Dodekathlos des Hercules auf Denkmälern des römischen Deutschland, Charybdis 13 (Münster 1996)
A. Blanshard, Hercules. A Heroic Life (London 2005)
St. Ritter, Hercules in der römischen Kunst von den Anfängen bis Augustus, Archäologie und Geschichte 5 (Heidelberg 1995) bes. 171-189

[1] Weitere Informationen: http://www.wienmuseum.at.
[2] Kuratorium: Sabine Jäger-Wersonig, Christine Ranseder (Stadtarchäologie Wien); Graphik und Gestaltung: Christine Ranseder (Stadtarchäologie Wien); Fotos: Sigrid Czeika, Christine Ranseder (Stadtarchäologie Wien), Silvia Radbauer. Die Nacherzählungen antiker Sagen und Mythen wurden gesprochen von Ingeborg Gaisbauer und Christine Ranseder (Stadtarchäologie Wien). Dank ergeht an: Michaela Kronberger, Marina Nußbaumer, Stefan Tunea (alle Wien Museum), Kristina Adler-Wölfl, Sigrid Czeika, Ingeborg Gaisbauer, Christine Ranseder (alle Stadtarchäologie Wien), Silvia Radbauer, Ana Margarida da Silva Monteiro Cosentini.
[3] Lukian, Göttergespräche II (Zeus‘ Beschwerde gegen Eros).
[4] P. Matern, Helios und Sol. Kulte und Ikonographie des griechischen und römischen Sonnengottes (Istanbul 2002) 101 Abb. 28 Kat. G 32; 114 Kat. M 151 (Lyrbe).
[5] F. Coarelli, Pompeji (München 2002) Abb. 302; 303; H. Menzel, Antike Lampen im Römisch-Germanischen Zentralmuseum zu Mainz (Mainz 1954) 32 Nr. 112; 31 Abb. 27, 4.

© Sabine Jäger-Wersonig
e-mail: sabine.jaeger-wersonig@stadtarchaeologie.at

This article should be cited like this: S. Jäger-Wersonig, Aufforderung zum Tischgespräch. Die Bildsprache römischer Keramik, Forum Archaeologiae 69/XII/2013 (http://farch.net).



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