Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 28 / IX / 2003

REKONSTRUKTION DES ANTIKEN GELÄNDES IN DER WIENER INNENSTADT

Initiative
Der Bereich des römischen Legionslagers von Vindobona und die es umgebende Vorstadt innerhalb des heutigen 1. Wiener Gemeindebezirks unterliegt seit der Römerzeit gewaltigen topographischen Veränderungen. So verlagerte sich die Abbruchkante zum ehemaligen Hauptarm der Donau - dem heutigen Donaukanal - beträchtlich, Geländeerhebungen wurden einplaniert sowie Flussläufe kanalisiert oder gar verlagert. Ein Desiderat der Vindobona-Forschung stellt daher seit längerem ein nach den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen erarbeitetes topographisches Modell dar, das eine ungefähre Vorstellung der Geländesituation widerspiegelt, wie sie sich den Menschen vor ca. 1800 Jahren präsentierte. Dieses digital erstellte dreidimensionale Modell soll die Grundlage für die Kartierung der in verschiedensten Forschungsprojekten erarbeiteten Daten zur Siedlungsstruktur bilden.
Erste Schritte erfolgten in Zusammenarbeit mit Studenten der Klassischen Archäologie der Universität Wien mit der Stadtarchäologie Wien im Rahmen der "Science Week" 2002 (Forum Archaologiae 24/IX/2002). Das Projekt, das in erster Linie Kartenwerke der Jahrhundertwende zur Vorlage hatte, umfasste hauptsächlich den Bereich des Legionslagers.
Die Initiative zum hier vorgestellten Projekt, das neben archäologischen Grundlagenforschungen Daten zur Verfügung hat, die von Eingriffen in die Geologie des Bearbeitungsgebietes stammen, ging von Rupert Gietl, Michaela Kronberger und Martin Mosser aus (vgl. auch ein ähnliches Projekt von U. Brandl und F. Diessenbacher in Xanten: Forum Archaologiae 25/XII/2002). Da die Durchführung allerdings nur über interdisziplinäre Zusammenarbeit möglich war, beteiligten sich auch die Geologin Sabine Grupe von der Firma DonauConsult Zottl & Erber (http://www.donauconsult.at/htm/donauconsult_f.htm) und die Geodäten Thomas Reiter und Andreas Zöchling von der MA 41 - Stadtvermessung. Weitere Hilfestellungen leisteten Lionel Dorffner von der MA 41 - Stadtvermessung, Christine Jawecki von der MA 29 - Baugrundkataster, Gerhard Küblbäck von DonauConsult Zottl & Erber, Reinhard Pohanka vom Historischen Museum der Stadt Wien sowie Sylvia Sakl-Oberthaler von der Stadtarchäologie Wien. Kurzfristiges Ziel war eine Präsentation der ersten Ergebnisse im Rahmen der Tagung "Computer and Archaeology" (CAA) "Enter the Past" im April 2003 (http://www.archaeologie-wien.at/caa2003/caa2003.htm).


Standort (Abb. 1)
Vindobona ist ein Ende des 1. Jahrhunderts n.Chr. gegründetes, typisches mittelkaiserzeitliches Legionslager der römischen Provinz Pannonien, am Donaulimes gelegen, mit der legio X gemina als Besatzung. Die neueren Forschungen wiesen allerdings auch römische Siedlungstätigkeit während des 1. Jahrhunderts nach. Eine historische und gesellschaftspolitische Zäsur erfolgte etwa ab dem letzten Drittel des 3. Jahrhunderts, als neben den Kriegswirren in weiten Teilen des römischen Reiches für Vindobona auch eine Überschwemmungskatastrophe nachweisbar ist, der im Nordteil in Form einer Hangrutschung etwa ein Drittel des gesamten Lagerareals zum Opfer fiel. Dies und die Verwaltungsreformen der spätrömischen Zeit führten zu grundlegenden Veränderungen in der Siedlungsstruktur: die das Lager umgebenden mittelkaiserzeitlichen canabae legionis werden aufgelassen und einplaniert. Die Zivilbevölkerung zieht sich, gemeinsam mit der verringerten militärischen Besatzung, in das befestigte, allerdings nun in der Fläche reduzierte Lagerareal zurück. In der Folge werden die früheren Siedlungsareale, vor allem an den Ausfallstraßen, zur Anlage von Körpergräberfeldern genutzt. Das Ende römischer Siedlungstätigkeit ist in der ersten Hälfte des 5. Jahrhunderts zu suchen (vgl. http://www.archaeologie-wien.at/ unter Römerzeit/Legionslager).

Ziele
Eine erste Vorgabe beschränkte sich darauf ein digitales Höhenmodell (DEM) im Bereich des Legionslagers und den canabae legionis von Vindobona zu erstellen, also innerhalb des 1. Wiener Gemeindebezirks ungefähr zwischen Schottenring im Westen und Wienfluss im Osten und Süden sowie dem südlichen Donauarm im Norden, der ungefähr dem heutigen Verlauf des Donaukanals entspricht. Weiters sollte der Versuch unternommen werden, die in diesem abgesteckten Gebiet während der Antike nachweisbaren Bach- und Flussläufe zu rekonstruieren. Mit Hilfe eines 3D-Studios (3DS) war zu Präsentationszwecken die dreidimensionale digitale Darstellung des Legionslagers Vindobona mit einem Rundflug als Film von ca. 30 Sekunden geplant. Für die weitere Zukunft ist an eine kontinuierliche räumliche und inhaltliche Erweiterung des von dieser Basis ausgehenden Modells gedacht, auch diesbezügliche Kontaktaufnahmen mit der benachbarten Carnuntum-Forschung sind bereits in die Wege geleitet (vgl. http://www.oeaw.ac.at/antike/institut/limesforschung/legionslager/legionslagerprojekt.html; als abgeschlossenes Multimediaprojekt zu Carnuntum siehe http://www.multimediaplan.at/carnuntum/).

Voraussetzungen
Die Voraussetzungen innerhalb einer relativ kurzen Zeit erfolgreiche Resultate zu erhalten waren vielversprechend. Von archäologischer Seite war die Aufarbeitung des Legionslagers und der canabae legionis von Vindobona so weit fortgeschritten, dass ausreichend Daten zu antiken Höhenniveaus bzw. zu bestimmten Geländeformationen zur Verfügung standen. Innerhalb des Legionslagers waren zudem die meisten Gebäude lokalisierbar.
Von Seiten der Geologie standen durch ein Projekt der Firma DonauConsult Zottl & Erber, das die Dokumentation der Grundwasser führenden Schichten in weiten Teilen Wiens zum Inhalt hatte, umfangreiche Daten zur Verfügung. Durch die Auswertung von im Lauf der letzten 100 Jahren angefertigten Bohrprofilen (MA 29 - Baugrundkataster), die auf Grund der bei den verschiedensten Bauvorhaben durchgeführten Probebohrungen umgezeichnet wurden, konnten einerseits zahlreiche Angaben zum anthropogenen Anschüttungsniveau, andererseits die Grenzen der Alluvialbereiche der Bach- und Flussläufe im 1. Bezirk herausgearbeitet werden. Die Alluviallinien geben dabei den Bereich an, innerhalb dessen ein Fluss oder ein Bach sein Bett in historischer Zeit verändert haben konnte.
Für das antike Geländemodell war der Ausgangspunkt zunächst das spätrömische Areal mit der Landschaftsformation nach der Überschwemmungskatastrophe des späten 3. Jahrhunderts, da diese Situation mit dem heutigen Erscheinungsbild der Stadt und somit dem aktuellen DEM der MA41 - Stadtvermessung am ehesten vergleichbar ist. In weiterer Folge sollen Geländeveränderungen, die sich bereits während der Antike zugetragen haben verstärkt berücksichtigt und dementsprechend dargestellt werden.


Ausführung
Die Bohrprofile der Innenstadt sind in einer relativ hohen Dichte vorhanden und konnten gut mit den archäologischen Werten in Relation gebracht werden. Für eine rasche Verortung der Daten und entsprechende optische Darstellbarkeit standen einerseits das digitale Geländemodell der Stadt Wien mit dem entsprechenden Programm zur Erstellung der Höhenlinien (SCOP), andererseits ein geografisches Informationssystem und ein 3D-Studio (3DS) zur Verfügung.


In diversen interdisziplinären Diskussionsprozessen mit Geologen, Flussbauingenieuren und Geodäten ergaben sich zahlreiche Erkenntnisse, aber auch neue Fragestellungen vor allem im Bezug auf das Lagergrabensystem, den antiken Verlauf des Ottakringer Baches, der westlich des Legionslagers im Bereich des heutigen Tiefen Graben in die Donau mündete, und des Wienflusses (antik: Acaunos), der das Siedlungsgebiet der canabae legionis südlich und östlich begrenzte (Abb. 2-3).


Das rekonstruierte Legionslager (Abb. 4) gibt in der Verortung der einzelnen Gebäude (principia, praetorium, Thermen, Tor-, Eck- und Zwischentürme sowie Kasernen und Sonderbauten) den aktuellen Forschungsstand wieder. Im Aufgehenden stützen sich die Erkenntnisse in erster Linie auf vergleichbare Lagerrekonstruktionen aus allen Teilen des römischen Reiches, detaillierte Studien mit entsprechender Darstellung einzelner Gebäude sind bei einer Weiterführung des Projektes geplant.

© Rupert Gietl, Michaela Kronberger, Martin Mosser
e-mail: ruppi@eudoramail.com
kronbergermichaela@hotmail.com
mos@gku.magwien.gv.at

This article will be quoted by R. Gietl - M. Kronberger - M. Mosser, Rekonstruktion des antiken Geländes in der Wiener Innenstadt, Forum Archaeologiae 28/IX/2003 (http://farch.net).



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