Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 25 / XII / 2002

MIT DEM FAHRSTUHL IN DIE RÖMERZEIT
Entwicklung eines dreidimensionalen Schichtenmodells der römerzeitlichen Landschaft um die Colonia Ulpia Traiana/Xanten (D)

Im Zuge des beabsichtigten Neubaus des Regionalmuseums Xanten wird gegenwärtig im Auftrag des Archäologischen Parks/Regionalmuseum Xanten und unter finanzieller Beteiligung des Ministeriums für Städtebau und Wohnen, Kultur und Sport des Landes Nordrhein-Westfalen von der Bürogemeinschaft asm in Wesel ein dreidimensionales computergeneriertes Schichtenmodell der römerzeitlichen Landschaft um die ehemalige Colonia Ulpia Traiana/Xanten, Kr. Wesel (D) (=CUT) entwickelt (Abb. 1). Die Leitung dieses für zwei Jahre angesetzten Projektes liegt bei der Hochschule Anhalt, Dessau, unter der Federführung von Prof. C. Diessenbacher.

Das Schichtenmodell soll in erster Linie die Veränderungen des Xantener Raumes im Laufe von knapp vier Jahrhunderten durch den Eingriff des Menschen darstellen.
Zur Veranschaulichung der Veränderungen in geographisch-naturräumlicher sowie siedlungsgeschichtlicher Hinsicht werden an das spätere Endprodukt folgende Anforderungen gestellt:

1. Vermittlung der sogenannten Unschärfe des Wissens, d.h. beim Betrachter sollte nicht der Eindruck entstehen: "So war es!", sondern "So könnte es gewesen sein!"
2. Vermittlung der "Dynamik der Forschung". Das Bild über die Vergangenheit ändert sich mit fortschreitender Forschung.
3. Eine Zeitreise soll dem Betrachter einen direkten Vergleich der fünf Epochen ermöglichen und so die Veränderungen anschaulich machen.
4. Weiterhin soll zu jedem Zeitpunkt die damalige mit der heutigen Situation vergleichbar sein.
5. Über markante Bereiche im darzustellenden Raum (CUT, Doppellegionslager Vetera castra bzw. Vetera (II), Ziegelei, Wasserleitung etc.) sollen weitergehende Informationen in Text- bzw. Bildform abrufbar sein.

Daneben soll aber auch Wert auf eine erste umfassende bildliche Darstellung der Besiedlung um die CUT gelegt werden. Vorgesehen ist, dass der spätere Nutzer mit Hilfe eines neuartigen Steuerungsmoduls diese Veränderungen im Landschaftsbild selbst nachvollziehen kann. Durch die Entwicklung einer Überblendtechnik wird er in die Lage versetzt werden, sowohl die jeweiligen Schichten untereinander als auch die ausgewählte Schicht mit der heutigen Situation vergleichen zu können. Um ihm auch gleichzeitig den Erkenntnisfortschritt innerhalb der Xantener Archäologie zu vermitteln, bedarf es der Visualisierung der sogenannten Unschärfe des Wissens (s.o.). Diese noch zu erarbeitende Visualisierung stellt nichts anderes als den Forschungsstand zur Archäologie Xantens zu einem bestimmten Zeitpunkt dar, den der zukünftige Besucher des Regionalmuseums abrufen kann.
Hierin manifestiert sich ein gewaltiger Vorteil dieser Visualisierungsform. Das Modell ist nie "fertig", da der Forschungsprozess kontinuierlich voranschreitet, wird auch das Modell bequem den jeweiligen Veränderungen innerhalb der aktuellen Forschung angepasst. Diese Vorgehensweise gewährleistet einen hohen Grad an Aktualität.


Das Schichtenmodell besteht aus fünf Schichten (Abb. 1). Ausgehend von einem vorher definierten 8x8 km großem Ausschnitt des Geländes sollen auf der jeweiligen Schicht die Topographie, die Vegetation sowie die historische Besiedlung samt Infrastruktur Berücksichtigung finden. Bei den Zeitvorgaben wird sich an lokalhistorischen Daten orientiert, d.h. die erste Schicht zeigt die Zeit um 60 n.Chr. (Legionslager Vetera castra [Abb. 2], sogenannte Vorcolonia-Siedlung unter der späteren CUT), die zweite zeigt die Situation um 90 (Legionslager Vetera (II), Beginn einer Orientierung der vorcoloniazeitlichen Bebauung am späteren coloniazeitlichen Straßenraster), die dritte Schicht stellt das Jahr 200 dar (CUT [Abb. 3], Töpfereizone unter dem späteren St. Viktor-Dom zu Xanten), während die vierte (um 330, spätantike Festung Tricensimae [Abb. 4]) und fünfte Schicht (um 500, fränkische Besiedlung, fränkisches Gräberfeld und cella memoriae unter heutigem Xantener Dom [Abb. 5]) in der Spätantike angesiedelt sind.

Aufgrund der vom Landesvermessungsamt Nordrhein-Westfalen gelieferten Höheninformationen wurde zunächst ein dreidimensionales Geländemodell der heutigen Situation angefertigt (Abb. 6). Das so entstandene Modell wurde anschließend durch Änderung des Rheinverlaufes und der Topographie des Fürstenberges an die damalige Situation angepasst (Abb. 7).
Im Laufe der Bearbeitung zeigte sich, dass selbst bei reduziertem Detaillierungsgrad die Datenmenge derart anwuchs, dass die verwendete handelsübliche Hard- und Software immer wieder an ihre Grenzen stieß. So wurde die Frage nach einer weitergehenden Abstraktion des Modells ohne Verlust an Informationsvermittlung ein immer wiederkehrendes Thema. Deshalb kam z.B. eine Modellierung der Vegetation mittels Darstellung einzelner Pflanzen nicht in Frage. Stattdessen wurde die Möglichkeit gewählt, durch geeignete Texturen den Eindruck der damaligen Flora zu erzeugen. Zur Erstellung der Texturen wurden geeignete Satellitenaufnahmen gescannt. Aus diesen Aufnahmen ließen sich mit Hilfe der Photoretusche die unterschiedlichen pflanzlichen Situationen extrahieren, vervielfältigen und in die Vegetationspläne einarbeiten. Die entstandenen Vegetationstexturen wurden dann auf die entsprechenden Schichtenmodelle ‚gemappt'.
Zur Rekonstruktion der römerzeitlichen Siedlungen wurden zunächst Grabungspläne gescannt, auf denen maßgetreu die Gebäude dreidimensional rekonstruiert werden konnten. Analog der Visualisierung der Vegetation wurden auch hier wieder spezielle Texturen für Mauer, Ziegel, Strohdach etc. angefertigt, die den Gebäuden einen realitätsnahen Eindruck gaben.
Die Modellierung der Siedlungen, Aquädukte und Straßen fand immer zunächst unabhängig vom Geländemodell auf ebener Fläche statt. Erst danach wurden die einzelnen Modelle durch Höhenverschiebung der jeweiligen Geländesituation angepasst. Hierbei traten Fragestellungen auf, mit denen sich die Archäologie bisher nicht auseinandergesetzt hatte. So lag das Legionslager Vetera castra am Südhang des Fürstenberges (Abb. 2+7). Durch diese Hanglage hatten z.B. die principia einen Höhenunterschied von sieben Metern zu überwinden. Weder die antiken Quellen noch die modernen Grabungsunterlagen lassen einen Schluss zu, wie die Römer beim Bau dieses Gebäudes den Höhenunterschied überwandten.
Ständige Begleiter der Rekonstruktionen sind sogenannte externe Kompetenzen, zu denen nicht nur Archäologen, sondern auch Geologen, Archäobotaniker und Architekten zählen. In einem eigens eingerichteten Forum im Internet werden zu verschiedenen strittigen Punkten hinsichtlich ihrer Beurteilung bzw. ihrer Darstellung im Modell intensive Diskussionen geführt. Dabei zeigen sich oftmals einander wiedersprechende Erkenntnisstände. Anlass zu Diskussionen gibt auch der in Bezug auf Rekonstruktionen nicht besonders stark ausgeprägte Mut der Archäologen. Dies führte in der Folgezeit zu vielen Iterationsschritten, wodurch die Erstellung des Landschaftsmodells weit mehr Zeit in Anspruch nahm, als ursprünglich vorgesehen.
Das Schichtenmodell soll in einem ersten Schritt auf der CeBIT 2003 in Hannover und dann im Rahmen der Ausstellung "Menschen - Zeiten - Räume. Archäologie in Deutschland" ab Mai 2003 in der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland in Bonn der Öffentlichkeit präsentiert werden.

Literatur (in Auswahl):
U. Brandl - C. Diessenbacher - A. Rieche, Colonia Ulpia Traiana - Ein multimediales Informationssystem zur Archäolgie der römischen Stadt, in: A. Rieche - B. Schneider (Hrsg.), Archäologie virtuell. Projekte, Entwicklungen, Tendenzen seit 1995, Schriften zur Bodendenkmalpflege in Nordrhein-Westfalen 6 (2002) 23-32.
N. Hanel, Vetera I. Die Funde aus den römischen Lagern auf dem Fürstenberg bei Xanten, Rheinische Ausgrabungen 35 (1995).
U. Heimberg - A. Rieche (Hrsg.), COLONIA ULPIA TRAIANA - Die römische Stadt. Planung, Architektur, Ausgrabung. Neubearb. von U. Grote, Führer und Schriften des Archäologischen Parks Xanten 182 (1998).
H.G. Horn (Hrsg.), Die Römer in Nordrhein-Westfalen (1982) 619-650 s.v. Xanten.
G. Precht - H.-J. Schalles (Hrsg.), Spurenlese. Beiträge zur Geschichte des Xantener Raumes (1989).
G. Precht - A. Rieche - H.-J. Schalles, COLONIA ULPIA TRAIANA - CORIOVALLUM. Die römischen Bäder (1989).
C.B. Rüger, Die spätrömische Großfestung in der CUT, BJb 179, 1979, 499-524.
H.-J. Schalles, Überlegungen zur Planung der Colonia Ulpia Traiana und ihrer öffentlichen Bauten im Spiegel städtischer Architektur des 2. Jhs. n.Chr., Xantener Berichte 6 (1995) 379-428.
Tatort CUT. Die Spur führt nach Xanten, Führer und Schriften des Archäologischen Parks Xanten 17 (1995).

© Ulrich Brandl, Frank Diessenbacher
e-mail: ubrandl@web.de
frank.diessenbacher@asm-wesel.de

This article will be quoted by U. Brandl - F. Diessenbacher, Mit dem Fahrstuhl in die Römerzeit - Entwicklung eines dreidimensionalen Schichtenmodells der römerzeitlichen Landschaft um die Colonia Ulpia Traiana/Xanten (D), Forum Archaeologiae 25/XII/2002 (http://farch.net).



HOME