Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 4 / VIII / 1997

DIE NEKROPOLEN VON EPHESOS
Ein Überblick



Viele soziale Strukturen weisen den Toten einen speziellen, für sie reservierten Raum zu; so auch in der Antike, wo Friedhöfe bzw. Begräbnisstätten meist außerhalb der Stadt bzw. des besiedelten Geländes angelegt wurden. Oft liegen sie entlang der Ausfallstraßen, wie wir es besonders gut im Falle von Rom aber auch von Athen verfolgen können. Die notwendige Maßnahme der Bestattung des Toten verbindet sich am Grab mit der Erinnerung der Hinterbliebenen und der Verehrung der Ahnen zu reichem Brauchtum und unterschiedlichen Glaubensvorstellungen; auch profanes Repräsentationsdenken darf nicht außer Acht gelassen werden.

Auf Grund der Praxis, die Toten außerhalb des besiedelten Gebietes zu bestatten, ist die Forschung in Nekropolen eng mit Fragen der Stadtentwicklung verbunden. Die Stätten der Toten der alten Siedlung am Fuße des Ayasoluk sind uns bisher nur in winzigen Auszügen bekannt, da an dieser Stelle der heutige Ort Selçuk liegt. Das älteste, bisher bekannte Grab ist das vor dem Tor der Verfolgung - am Eingang zur spätantiken, die Johanneskirche umschließenden Festung - aufgedeckte Grab aus dem 14. Jh. v.Chr., das reichlich Keramik barg[1]. Es gehörte wahrscheinlich zu einem auf dem Ayasoluk liegenden mykenische Stützpunkt[2].
Erst im Jahre 1996 wurde ein Grabkomplex aus archaischer und klassischer Zeit angeschnitten, der an der heutigen Ausfallstraße nach Norden liegt (Plan Nr. 154). Die dazu gehörende Siedlung ist unter dem heutigen Ort Selçuk anzunehmen. Außerdem sind bisher Felsnischen und Reste von Grabbauten an der Nordseite des Burgberges bekannt. Auch in den östlich von Selçuk liegenden Bergen wurden vielfach isoliert liegende Gräber bekannt[3].

Die Geschichte der Stadt, das Wachsen und Verlegen, bedingt, daß manche Nekropolen der älteren Siedlungen auf dem Areal der sich heute als Ephesos darstellenden hellenistischen/römischen Stadt liegen. Hier sind vor allem zwei Gräberbezirke zu nennen, die auf zwei Platzanlagen angeschnitten wurden: der sogenannte Staatsmarkt (Plan Nr. 20) und die Tetragonos Agora (Plan Nr. 61).
Abb. 1: Sandkerngefäße aus der Nekropole am sog. Staatsmarkt
Museum Selçuk
Unter dem im Tal zwischen den beiden Stadtbergen liegenden sogenannten Staatsmarkt (Plan Nr. 20) wurde in den Jahren 1965-1966 eine spätarchaische/frühklassische Nekropole der zweiten Hälfte des 6.Jhs. bzw. der ersten Hälfte des 5.Jhs. v.Chr. teilweise freigelegt (Abb. 1). Die Körpergräber, teilweise in Stein- oder Tonsarkophagen lagen südlich der gleichzeitig angeschnittenen Straße[4]. Die dazugehörende Siedlung konnte bisher noch nicht mit Sicherheit lokalisiert werden.
Aus der Nekropole auf der Tetragonos Agora (Plan Nr. 61), die zu dem von Strabon erwähnten Dorf Smyrna[5] gehören wird, das unmittelbar westlich, auf der anderen Seite der 1977-1979 angeschnittenen Straße anschließt, kennen wir inmitten eines Steinkreises stehende Steinsarkophage, die ursprünglich von einem Tumulus, einem Grabhügel, überdeckt waren. In diese bestehenden Grabanlagen wurden sekundär Ziegelplattengräber gesetzt. Die Grabbeigaben, besonders hervorzuheben eine Fikelluravase des letzten Viertel des 6. Jhs. v.Chr., geben einen Hinweis auf die Benutzungszeit dieser Nekropole[6].
Auch auf dem wenig südlich liegenden Vorplatz der Celsusbibliothek konnte 1982 wiederum die Straßentrasse und drei Gräber der archaischen Zeit festgestellt werden. Es liegen ein Ziegelplattengrab, ein Steinsarkophag und ein Tonsarkophag in unmittelbarer Nähe zueinander[7]. Der Belegungszeitraum ließ sich nicht näher als auf das 6.Jh. eingrenzen. Diese Gräber stehen wohl mit den Gräbern auf der Tetragonos Agora Verbindung.
Vereinzelt wurden noch weitere Gräber der vorhellenistischen Stadt im Einzugsgebiet des Embolos, des Tales zwischen den beiden Stadtbergen, bekannt. 1995 wurde im Rahmen einer Sondage unmittelbar östlich des sog. Traiansbrunnen eine völlige beraubte, aus dem Fels gearbeitete Grabkiste aufgedeckt[8]. Hoch auf dem gegenüberliegenden Hang, im Bereich der Südmauer des Hanghauses 2, konnten 1984 fünf in den Fels vertiefte und mit Ziegeln gedeckte, teilweise intakte Bestattungen freigelegt werden; die wenigen Beigaben erlauben eine Datierung ins 5.Jh.[9]. Bereits 1970 wurde im Westchalkidikum des Basilika auf dem sogenannten Staatsmarkt das Grab eines Mädchens ausgegraben, das in das dritte Viertel des 4.Jhs. zu datieren ist[10].
Die beiden größerflächig bekannten Nekropolen und die bisher vereinzelt erscheinenden Grablegungen dazwischen liegen, nach einer an ältere Überlegungen anknüpfenden Theorie von D. Knibbe, an bzw. im Einzugsgebiet derselben Straße, auf der eine Prozession zu Ehren der Artemis Ephesia, der Stadtgöttin von Ephesos, stattfand, die am Tempel begann und nach dem Besuch der Gräber, wieder dorthin, einmal rund um den Panayir dag führend, zurückkehrte[11]. Mit der Verlegung der Stadt durch Lysimachos mußte es zur Aufgabe der Nekropolen kommen, die Prozession aber bestand weiter. Sie fand durch die Stiftung von C. Vibius Salutaris - deren Urkunde am Theater angebracht die längste aller bisher in Ephesos gefundenen Inschriften darstellt - ab 104 n.Chr. in einer neuen und erweiterten Form statt[12].

Die Gräber der neuen Stadt des Lysimachos liegen nun vor den markant in der Landschaft erscheinenden Stadtgrenzen, dem Magnesischen Tor, am Hafen bzw. an den die Mole entlang führenden Straßen und östlich des Stadions; außerdem an den die Stadt umgebenden bzw. verlassenden Straßen.
Eine Ausnahme zu der eingangs erwähnten Regel, daß Gräber außerhalb des besiedelten Gebietes zu liegen haben, bilden Ehren- und Heroengräber, die häufig als Kenotaphe, als Monumente in Form eines Grabes, aber ohne Bestattung, an prominenten Stellen innerhalb einer Stadt errichtet wurden. In Ephesos entstehen vor allem an der Kuretenstraße, der Prachtstraße von Ephesos, seit dem späten 2. Jh. v.Chr. solche Ehrengräber an einer Nahtstelle des ephesischen Lebens: ein Heroon mit Bezug auf den mythischen Stadtgründers Androklos, Gräber für Wohltäter der Stadt, für Beamte und Priester [13]. Ebenso wird die Straße von Privatpersonen zu Ehren der Kaiser und zum Wohle der Stadt stetig repräsentativer ausgestaltet.

Besonders weitläufig liegen die Nekropolen auf den Abhängen des Panayir dag. Bereits in hellenistischer Zeit wird eine größere Zahl von Gräbern hier angelegt, deren Anzahl und oft auch die Dimension in römischer Zeit noch stetig zunehmen. Verschiedene Grabtypen liegen am Hang nebeneinander, oft von regelrechten "Gärten" umgeben: Grabhäuser - manchmal regelrechte Mausoleen, frei aufgestellte Sarkophage, aus dem Fels gearbeitete Ausnehmungen für Körperbestattungen oder einfache Erdgräber. Häufige Raubgräberei zerstört jedoch vieles, was teilweise über 2000 Jahre Bestand hatte[14].
Beliebt werden auch Begräbnisplätze entlang bzw. in der etwa um 200 n.Chr. von T. Flavius Damianus angelegten Halle, die sog. Damianusstoa (Plan Nr. 7), die bestehende Traditionen in Funktion und Trasse weiterführt[15]. Er errichtete die Stoa im Namen seiner Gattin Vedia Phaedrina, deren Geschlecht über mehrere Generationen in Ephesos bekannt ist, und wohl auch mit dem Geld dieser Familie. Die Halle entsteht im Schema einer Pfeilerhalle; die Pfeilerzwischenräume wurden für die Aufstellung von Sarkophagen und die Errichtung von Grabhäusern genutzt[16].
Abb. 2: Grabrelief des Palumbos
(Photo Th. Römer)
Ein im Zwickel dieser Halle mit der regulären Fahrstraße gelegener Gräberbezirk im Norden des Panayir dag wurde im Jahre 1993 angeschnitten; er zeichnet sich durch einfache Grabmauern aus, auf denen als Grabsteine Reliefs mit Gladiatorendarstellungen aufgestellt waren. Auf Grund der Reliefs und der Lage, etwa 500m östlich des Stadions, kann diese Stelle als Gladiatorenfriedhof angesprochen werden. Der Knochenbefund, in dem eine große Anzahl an verheilten, aber auch letalen Hieb- und Stichwunden festzustellen war, ergänzt diese Überlegungen[17].

Mit der Einführung des Christentums als Staatsreligion durch Theodosius I. (391) ändert sich auch die Begräbnispraxis. Es werden zwar manche Familiengrabstätten weiter belegt, aber ab dieser Zeit wird es besonders beliebt, in besonderer Nähe zum Mittelpunkt des Glaubens bestattet zu sein. Wir finden nun häufig Bestattungen bei oder auch innerhalb von Kirchen, wodurch sich die grundlegenden Änderung im Verhältnis zum Tod auch in der Bestattungspraxis deutlich manifestiert[18].
Allen voran ist hier die in der Südhalle des ehemaligen Olympieion entstandene Konzilskirche (Plan Nr. 95) des Jahres 431 zu nennen. In der bis zur Rückübersiedlung der Bevölkerung im 7. Jh. auf den Ayasoluk benutzten Kirche konnten viele wegen des neuen Glaubens überwiegend beigabenlose Gräber aufgedeckt werden[19].
Abb. 3: Marienkirche, Grab 76
(aus ÖJh 63, 1994, Grabungen 15)
Besonders reichhaltig wurde das sog. Sieben Schläfer-Coemeterium (Plan Nr. 8) belegt, an das sich die Legende der Passio jener sieben Männer knüpft, die sich zur Zeit der Decischen Christenverfolgung (249-251) in eine Höhle flüchteten und in der Regierungszeit des Theodosius II. (408-450) als Veranschaulichung für die Auferstehung des Fleisches wieder erweckt wurden. Dieses Martyrium fand auch als 18. Sure Eingang in den Koran. Gesamt wurden etwa 700 Grabstellen unterschiedlicher Form angelegt, in denen mehrfache Belegungen festgestellt wurden; außerdem wurde die eingebaute Kirche vielfach renoviert und erweitert[20].

Die Geschichte der Gräber ist ein Bereich im Rahmen der Archäologie, der es ermöglicht, punktuell Einblick in einen Teil des sozialen, religiösen und auch wirtschaftlichen Lebens zu nehmen. Abhängig von Glaubensvorstellungen und vom Verhältnis zum Tode wurde die Art der Bestattung gewählt: Die Körper wurden entweder in Sarkophagen aus Stein, Ton oder Holz beigesetzt oder nur in ein Tuch gewickelt vergraben oder verbrannt. Vor allem in römischer Zeit laufen Kremationen und Körperbestattungen parallel nebeneinander, zuvor überwiegen Körperbestattungen. Ebenso hängen die Anzahl und Gestaltung der Beigaben, die dem Toten in sein Grab mitgegeben bzw. mit ihm verbrannt wurden, nicht nur vom materiellen Vermögen des Verstorbenen bzw. seiner Familie ab, sondern wiederum von den Glaubensvorstellungen. Grabinschriften helfen Aufschlüsse über soziale Verhältnisse zu bekommen; Sterberaten im Zusammenhang mit Massengräbern oder Vielfachbestattungen gewähren Einblick in demographische und tlw. auch medizinische Verhältnisse.



[1] M. Baran – H. Gültekin, TürkArkDerg 13, 1964, 122ff.
[2] S. Erdemgil – M. Büyükkolanci, 13. Kazi Sonuçlari Toplantasi II (1991) 265ff.
[3] A. Bammer, Ephesos. Stadt an Fluß und Meer (1988) 100f. U. Muss, ÖJh Beibl. 64, 1995, 119f.
[4] G. Langmann, Eine spätarchaische Nekropole unter dem Staatsmarkt zu Ephesos, Beih. 1 ÖJh (1967) 104ff.
[5] Strabon Geogr. 14, 1, 21. Dieses im ausgehenden 8. Jh. angelegte Dorf muß durch die lysimachische Neugründung aufgegeben werden, ebenso die Nekropole, und der Agora der hellenistischen Stadt weichen. P. Scherrer, ÖJh 65, 1996, Grabungen 12.
[6] Zuletzt zusammenfassend D. Knibbe in: D. Knibbe – G. Langmann, Via Sacra Ephesiaca I, BerMatÖAI 3 (1993) 53.
[7] W. Jobst, ÖJh 54, 1983, Beibl. 171ff.
[8] H. Thür, ÖJh 65, 1996, Grabungen 14. W. Pietsch in: Via sacra ephesiaca III, BerMatÖAI 8 (1997) (im Druck).
[9] H. Vetters, AnzÖAW 123, 1986, 97.
[10] V. Mitsopoulos-Leon, ÖJh 50, 1972-1975, 252ff.
[11] D. Knibbe in: Knibbe – Langmann a.O. 9ff.
[12] IvE I a 27. Zusammenfassend zur Salutaris-Inschrift vgl. Knibbe in: Knibbe – Langmann a.O. 30ff.
[13] H. Thür in: H. Koester (Hrsg.), Ephesos. Metropolis of Asia (1995) 157ff. Dies., ÖJh 65, 1996, Grabungen 13ff.
[14] Die Erforschung einer antiken Nekropole bzw. eines Gräberfeldes kann vor allem im Falle der Bergung ungestörter - d.h. nicht antik oder modern beraubter oder teilweise zerstörter - Gräber wichtige chronologische Ansatzpunkte bieten. Die unmittelbare Vergesellschaftung von Funden verschiedener Gattungen eröffnet dem Archäologen - im Idealfall - einen punktuellen Einblick in die Verhältnisse zum Zeitpunkt des Todes des Bestatteten. Der Vergleich mit anderen Ensembles ermöglicht den Aufbau einer relativen Chronologie, die abschließend in die auf einer Jahreszählung basierende absolute Chronologie einzuhängen ist. Eine Störung der Befunde durch äußere Einflüsse minimiert deshalb die historische Aussagekraft gewaltig; dies trifft allerdings nicht nur auf Gräber, sondern auf jeden archäologischen Befund zu. Diese immer aktuelle Problematik formulierte neulich A. Herda im Anschluß an die Ausstellung der Sammlung Ortiz in Berlin; A. Herda, Homo Faber 1, 1 (1997) 31ff.
[15] Philostrat, De vit. soph. 2, 23. D. Knibbe in: Knibbe – Langmann a.O. 56f. J.T. Wood, Discoveries at Ephesus (repr. 1975) 117f.
[16] H. Thür in: Knibbe – Langmann a.O. 47ff. E. Trinkl ebda 36ff. W. Pietsch in: Via sacra ephesiaca III, BerMatÖAI 8 (1997) (im Druck). Zu den epigraphisch belegten Benennungen für Gräber vgl. Ç. Içten – H. Engelmann, ZPE 91, 1992, 289f.
[17] W. Pietsch – E. Trinkl in: Via sacra ephesiaca II, BerMatÖAI 7 (1995) 38. 42ff. S. Fabrizii-Reuer in: Via sacra ephesiaca III, BerMatÖAI 8 (1997) (im Druck).
[18] Die Kirchen entstehen häufig direkt über Gräbern oder Reliquiaren von für das Christentum wichtigen Persönlichkeiten; beispielsweise wurde in der Krypta der Johannesbasilika drei Gräber aufgedeckt. Zum christlichen Ephesos zusammenfassend R. Pillinger, MiChA 2, 1996, 39ff.
[19] St. Karwiese, ÖJh 64, 1995, Grabungen 8ff. Ders., ÖJh 66, 1997, Grabungen (im Druck). Zum Konzil ders., Groß ist die Artemis von Ephesos (1995) 135ff.
[20] F. Miltner, FiE IV 2. W. Jobst, ÖJh 50, 1972-1975, Beibl. 171ff.


© E. Trinkl



HOME

Keywords: Keramik, Ton, Brand, Porzellan, Fest, Wein, Terra sigillata, ceramics, Italy, Italien, red, black, clay, vessel, Ephesus, Friedhof, Skelett, Mord, Tod, Religion, Christen, Toter, cemetery, burial, tomb, christianity, skeleton, anthropology, Anthropologie