Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 7 / VI / 1998

PORTRÄT EINES KAISERPRIESTERS
UND MÄZENS AUS EPHESOS



Abb. 1: Porträtkopf
Vor 10 Jahren wurde im Zentrum von Ephesos das Marmorporträt eines etwa 60-jährigen Mannes gefunden, der aufgrund seines Kopfschmuckes, eines Büstendiadems, als Priester des Kaiserkultes ausgewiesen ist (Abb. 1). Ungewöhnliche Fundumstände - das Marmorporträt war in einem vergrabenen Sarkophag innerhalb der Stadt deponiert - sprechen dafür, das Bildnis mit einer außergewöhnlichen antiken Persönlichkeit zu identifizieren, der das Vorrecht eines Ehrenbegräbnisses innerhalb der Stadtmauern aufgrund besonderer Verdienste für das Gemeinwohl zugebilligt worden war. Da das sorgfältig gearbeitete Porträt eine chronologische Bestimmung erlaubt, lassen sich auch die Lebensdaten der bestatteten Person eingrenzen. Damit rückte eine Suche nach einer historischen Person in den Bereich der Möglichkeiten.

Abb. 2: Sarkophag in Fundlage
Abb. 3: Sarkophag mit Deckel, Süd- und Ostseite

Im Rahmen der baugeschichtlichen Analyse der Grab- und Ehrenbauten des unteren Embolos [Plan Nr. 36] wurde auch der bauliche Kontext und die Umgebung des zwischen Hadrianstor und Oktogon gelegenen Heroons [Plan Nr. 48] untersucht. Da per Zufall bekannt war, daß westlich dieses Heroons ein Sarkophag, oder zumindest ein Sarkophagdeckel in der Erde dicht unter der Oberfläche verborgen war, wurde der Sarkophag im Rahmen einer Fundamentgrabung freigelegt und später gehoben[1] (Abb. 2 und 3). In dem nicht mehr original verschlossenen Sarkophag kam oben genannter Porträtkopf gemeinsam mit den Skelettresten eines älteren Mannes und eines Knaben zutage. Als die anthropologische Analyse ergab, daß Skelett und Porträt möglicherweise ein und derselben Person zuzuschreiben sind, war ein umfassender Fragenkomplex in einem weit gefaßten archäologischen, historischen und anthropologischen Kontext entstanden, der nunmehr in einer interdisziplinären Studie publiziert wurde, in der jeder Autor in einem selbständigen Teilbeitrag seinen speziellen Fachbereich abhandelte[2]: Die grundlegende Hauptarbeit leistete MARIA AURENHAMMER mit der Vorlage des Porträtkopfes und seiner stilistischen und damit auch zeitlichen Bestimmung[3], auf der der Identifikationsversuch aufbauen muß. Diese Analyse führte einerseits aufgrund der Formen der vier am Diadem erhaltenen Büsten und andererseits der stilistischen Einordnung der Wiedergabe der Haare und der Augen des Porträtierten in spättraianische bis frühhadrianische Zeit, d.h. die Jahre von 110 bis 130 n.Chr.

Der aufgrund der unvollständigen Quellenlage noch immer nicht befriedigend erhellten Problematik des städtischen und provinzialen Kaiserkultes und ihrer Priester, deren Insignie eine Büstenkrone ist, hat sich PETER SCHERRER ausführlich angenommen[4]. Das überraschende Ergebnis EGON REUER’s aus der anthropologischen Untersuchung[5] warf in erster Linie die Frage nach einer historischen Persönlichkeit, darüber hinaus aber auch die Frage nach der Lokalisierung des originalen Aufstellungsortes von Sarkophag und Statue auf. Die Bestimmung und zeitliche Einordnung der Keramik durch ULRIKE OUTSCHAR[6] trug den aussagekräftigen zeitlichen Rahmen für das Vergraben des Sarkophags an dieser Stelle und die Deponierung der Skulpturenteile bei. STEFAN KARWIESE stellte einen Beitrag über einen neuen Münzfund aus dem Stadion und dessen möglichen Kontext mit der gesuchten historischen Person zur Verfügung[7]. Der Verfasserin oblag es, die Grabungsdokumentation und das Halbfertigfabrikat des Girlandensarkophages vorzulegen, die ungewöhnliche Fundsituation darzulegen, sowie einen Standort für das Ehrengrab zu beleuchten[8]. Die konkrete Personensuche führte PETER SCHERRER durch[9], sie focusiert auf Ti. Claudius Aristion, einen aus zahlreichen Quellen bekannten Ephesier, der nach Meinung des Autorenteams[10] die Voraussetzungen für die gesuchte historische Persönlichkeit am besten erfüllt.

Das Porträt und der Girlandensarkophag, wurden - wie der Grabungsbefund eindeutig ergeben hat - an der Fundstelle westlich des Heroons deponiert und verborgen, auf keinen Fall jedoch für eine spätantike Bestattung wiederverwendet. Die anthropologische Analyse des Porträts und der menschlichen Skelettreste durch Egon Reuer ergab, daß der Porträtkopf die maß- und detailgetreue Nachbildung des Kopfes einer historischen Person ist. Darüber hinaus weist der Porträtkopf die folgenden auffallenden Gemeinsamkeiten mit dem Skelett des Individuums I auf:

    1. Die von latenten Schmerzen gekennzeichneten Gesichtszüge des Porträts stimmen mit den Veränderungen des Skelettes durch Arthrosen und Spondylosen überein.
    2. Die errechenbare Körpergröße der Porträtstatue und des Skelettes von 1,75 - 1,80m ist kongruent.
    3. Das Sterbealter des Individuums I korrespondiert mit dem Alter der porträtierten Person.
    4. Eine über Fotomontage durchgeführte Zuordnung der (verdoppelten) Mandibelhälfte mit dem Marmorporträt sowie die identischen Maße des Marmorporträts und des rekonstruierten Schädels sprechen für eine Identität.

Die historische Person, zu der das Porträt und das Skelett gehören dürften, war - wie das Büstendiadem zeigt - Priester des Kaiserkultes. Dieser Person war außerdem offensichtlich die außerordentliche Ehre eines innerstädtischen Begräbnisses am Embolos zuteil geworden. Um ein derartiges Ehrengrab zu erhalten, muß diese Person über ihre Priesterfunktion hinaus Funktionen in der Stadtverwaltung mit den daraus resultierenden finanziellen Verpflichtungen übernommen haben und sich durch Baustiftungen als Wohltäter (euergetes) der Stadt erwiesen haben. Die Person müßte, wie sich aus der Datierung des Porträts in die Zeit zwischen 110 und 130 n.Chr. und dem Sterbealter von ca. 60 Jahren ergibt, in flavisch - traianischer Zeit aktiv gewesen sein. Die Voraussetzungen erfüllt an erster Stelle eine Person, die aus zahlreichen Bau- und Ehreninschriften bekannt ist: TI. CLAUDIUS ARISTION, dessen Werdegang aus den Inschriften folgendermaßen rekonstruiert werden kann:
    88/89 n.Chr. war Aristion Archiereus des gemeinsamen Kaiserkulttempels von Asien und Ephesos.
    Ab 90 n.Chr. war er Neokoros des gemeinsamen Kaisertempels von Asien in Ephesos.
    91/92 n.Chr. wurde er im Hafengymnasium als Asiarch genannt und hatte die Prytanie inne.
    92/93 n.Chr. war Aristion Asiarch und Grammateus und war wesentlich an der Errichtung und Ausstattung des Hafengymnasiums beteiligt

Sein offensichtlich bereits in jungen Jahren überdurchschnittliches Engagement rief Neider auf den Plan, die ihm eine Verleumdungsklage beim Kaiser einbrachten. Über den Prozeß in Centum Cellae sind wir durch Plinius ep. 3.31.3 und 7 unterrichtet; Aristion wird nicht nur rehabilitiert sondern von Plinius als princeps Ephesiorum bezeichnet.
    Um 108 n.Chr. dürfte er an weiteren Großbauten im Hafen-Gymnasiums-Thermen-Komplex [Plan Nr. 92-94] beteiligt gewesen sein.
    102-114 baute Aristion eine 40 km lange Wasserleitung aus der Gegend von Tire nach Ephesos und errichtete den Straßenbrunnen und das Nymphaeum Traiani.
    114/117 stellte Aristion die Celsusbibliothek fertig.
    Um 120 Tod des Aristion.

Da Ti. Claudius Aristion damit in hervorragender Weise alle Voraussetzungen für ein Ehrengrab am Embolos mitbringt, schlug das Autorenteam vor, den Fund als Porträt des Aristion anzusprechen.

Für die Frage nach dem Standort seines Ehrengrabes ist zu berücksichtigen, daß in der Antike häufig ein räumlicher Kontext zwischen Stiftung und Ehrung gesucht wurde und auch bestand, als ephesische Beispiele sei nur auf den Polliobau und die Celsusbibliothek verwiesen. Der Polliobau wurde als Ehren- und wahrscheinlich auch Grabbau auf einem von der Stadt gegebenen Grundstück in unmittelbarer Nähe der von C. Sextilius Pollio gestifteten basilike stoa errichtet. Der Bau war gleichzeitig der innerstädtische Endpunkt der von Pollio finanzierten Fernwasserleitung, der aqua Throessitica, mit ihrem noch heute aufrecht stehenden Aquädukt im Derwend Dere. Ti. Cl. Polemaeanus Celsus fand sein Ehrengrab direkt in seiner Stiftung, der Bibliothek.

Abb. 4: Giebel an der Südostseite des Embolos

Ein Ehrengrab des Ti. Claudius Aristion ist deshalb ebenfalls in der Nähe einer seiner großen Stiftungen zu suchen. Die für das Wohl der Stadt bedeutendste Leistung des Aristion ist wohl die 40km lange Fernwasserleitung, auf die innerhalb der Stadt mit zwei aufwendigen Nymphaeen, dem sog. Straßenbrunnen und dem Nymphaeum Traiani hingewiesen wurde. Ein Ehrengrab des Aristion würde am besten in den Kontext des Nymphaeums Traiani passen. An dessen Ostseite liegt ein 8,40m langer freier Bereich, der durch seine Tiefe von 6m auf einen besonderen Bau schließen läßt - die Straßenhallen sind jeweils nur 3 - 3,5m tief. Zu einem an diesem Platz errichteten Grabbau würde ein Giebel von ca. 8,0m Länge passen (Abb. 4), der in Dimension und Dekoration mit dem Obergeschoßgebälk des Nymphaeums Traiani identisch ist, mit dessen Säulenabständen aber nicht in Einklang zu bringen ist. Er wurde deshalb auch weder in der zeichnerischen Rekonstruktion noch bei den Wiederaufbauarbeiten berücksichtigt. Der im Tympanon angebrachte Rundschild würde gut in die Ikonographie eines Grabbaues passen. Aus dem Giebel ist auf einen tempelartigen Grabbau zu schließen, der aus einer Vorhalle mit vier Stützen, vielleicht wie beim Hadrianstempel außen Pfeiler, innen Säulen, und einer mit einer Tür verschlossenen Cella in der Funktion der Grabkammer bestand. Die Ehrenstatue des Aristion könnte gemeinsam mit Statuen seiner Familie in der Vorhalle oder aber in Fortsetzung der Ehrenstatuen des oberen Embolos vor den Pfeilern und Säulen aufgestellt gewesen sein.

[1] Das Halbfertigfabrikat eines Girlandensarkophages ist seitdem an der Nordseite der „Kuretenstraße" im Bereich der sog. Kuretenhalle aufgestellt.
[2] H. Thür (Hrsg.), „...und verschönerte die Stadt..." Ein ephesischer Priester des Kaiserkultes in seinem Umfeld (1997); zu beziehen bei phoibos@ping.at.
[3] M. Aurenhammer, Das Porträt eines Kaiserpriesters, in: Thür a.O. 41-53.
[4] P. Scherrer, Anmerkungen zum städtischen und provinzialen Kaiserkult: Paradigma Ephesos - Entwicklungslinien von Augustus bis Hadrian, in: Thür a.O. 93-112.
[5] E. Reuer, Anthropologische Untersuchung der Marmorbüste und der menschlichen Skelettreste aus dem Sarkophag westlich des „Androklos-Heroons", in: Thür a.O. 77-92.
[6] U. Outschar, Die keramischen Funde aus dem und neben dem Sarkophag westlich des „Androklos-Heroons", in: Thür a.O. 27-40.
[7] St. Karwiese, Die Hafenthermen von Ephesos: Ihr ursprünglicher Name und ihr erster (?) Gymnasiarch, in: Thür a.O. 141-146.
[8] H. Thür, Grabungsbericht der Sondage an der Westseite des „Androklos-Heroons", in: Thür a.O.17-26; dies., Der Girlandensarkophag aus der Sondage westlich des „Androklos-Heroons", in: Thür a.O. 55-63; dies., Girlandensarkophag und Porträt eines Kaiserpriesters im Fund- und Primärkontext - Bestandteile eines Ehrengrabes am Embolos?, in: Thür a.O. 65-75; dies., Anhang. Zum Standort eines Ehrengrabes des Aristion am Embolos, in: Thür a.O. 151-156.
[9] P. Scherrer, Das Ehrengrab des Kaiserpriesters am Embolos - Eine Personensuche, in: Thür a.O. 113-139.
[10] Die Autoren, Zusammenfassung und Schlußbemerkungen, in: Thür a.O. 147-150.

© H. Thür



HOME