Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 51 / VI / 2009

NEUE WECHSELPRÄSENTATION IM RÖMERMUSEUM: "ARCHÄOLOGIE AM JUDENPLATZ"

Seit 26. März 2009 ist im Römermuseum am Wiener Hohen Markt für etwa ein Jahr eine neue Wechselpräsentation zu sehen. Unter dem Titel "Archäologie am Judenplatz" werden von der Stadtarchäologie Wien neue wissenschaftliche Erkenntnisse zur Stadtgeschichte vorgestellt, die durch die Ausgrabungen am Judenplatz gewonnen wurden.
"Gastgeber" für diese Ausstellung ist das Römermuseum, ein Standort des Wien Museums [1], an dem in einer Dauerausstellung die römische Stadtgeschichte erlebbar ist. Damit auch Ergebnisse der jeweils aktuellen wissenschaftlichen Arbeiten einfließen können, wurde im Obergeschoss ein kleiner Raum für Wechselpräsentationen eingerichtet. Verschiedene Institutionen, die sich mit der römischen Vergangenheit Wiens auseinandersetzen, haben hier die Möglichkeit neue Grabungen und Forschungen vorzustellen.

Nach der ersten Wechselpräsentation, die den Ausgrabungen von "Am Hof" des Jahres 2007 gewidmet war, wurde die Stadtarchäologie Wien [2] nun zum zweiten Mal eingeladen, aktuelle Forschungsergebnisse zu präsentieren. Die Wahl fiel auf die Grabung am Judenplatz, die von 1995 bis 1998 durchgeführt wurde und deren Auswertung kurz vor dem Abschluss steht. Eine umfassende Fachpublikation wird 2010 erscheinen [3].

Der Anlass: das Holocaust-Mahnmal
Anlass für die archäologischen Grabungen war die Errichtung des von Simon Wiesenthal initiierten Holocaust-Mahnmals zum Gedenken an die 65.000 ermordeten österreichischen Juden. Die von der Stadtarchäologie Wien durchgeführten Ausgrabungen sollten den archäologischen Beweis für die Existenz der in schriftlichen Quellen überlieferten, 1421 zerstörten Synagoge erbringen.
Tatsächlich entdeckte man sie dort, wo sie vermutet wurde. Im Jahr 2000 wurden ihre Reste im Museum Judenplatz für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht und das von Rachel Whiteread gestaltete Mahnmal enthüllt.
Die Ausgrabung war auch im Bezug auf die römische Besiedlung Wiens sehr aufschlussreich: Erstmals konnten hier im dicht verbauten Stadtgebiet größere zusammenhängende Grundrisse der Mannschaftsunterkünfte dokumentiert werden.

Die Ausstellung
Die Ausstellung [4] gliedert sich in drei Kapitel: Baustellenbeobachtungen und Ausgrabungen am Judenplatz - Die mittelalterliche Synagoge - Die römischen Kasernen.
Am Beginn der Ausstellung steht als Einstimmung in das Thema ein kurzer "Vorspann" über die stadthistorische Veränderung des Judenplatzes. Der Platz entstand erst nach dem Abbruch der mittelalterlichen Synagoge 1421 und war, wie ein Ausschnitt aus der Vogelschau der Stadt Wien von Jacob Hoefnagel (1609/1683) zeigt, ursprünglich größer: die Fronten der Häuser an der Südseite des Platzes lagen deutlich hinter den heutigen Baulinien. Auf einem Stich nach Salomon Kleiner (1725) ist der barocke Judenplatz mit der leicht zurückgesetzten Front des Misrachihauses (Judenplatz 8) zu sehen, in dem sich heute das Museum Judenplatz befindet.

Baustellenbeobachtungen und Ausgrabungen
Im Bereich des Judenplatzes erfolgten bereits am Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts Baustellenbeobachtungen durch den archäologischen Grabungsinspektor Josef Nowalski de Lilia. Da die Baureste nur punktuell zutage kamen, war eine Zuordnung zu Gebäuden damals nur schwer möglich.
Dies gelang erst 90 Jahre später mit den hier zum Thema gemachten Ausgrabungen. Durch die verfeinerte Grabungsmethodik konnte eine Vielzahl an Umbauphasen und Veränderungen innerhalb der römischen und mittelalterlichen Gebäude nachgewiesen und so das Wissen um die Wiener Stadtgeschichte erweitert werden [5].

Die mittelalterliche Synagoge
Bereits nach den ersten Grabungswochen kam die Bima, das Podest im Zentrum der Männerschul, auf dem aus der Tora gelesen wurde, zutage. Damit war der letzte Beweis erbracht, dass es sich bei den aufgedeckten Mauerresten um die mittelalterliche Synagoge handelte. Ihr Grundriss konnte fast vollständig ergraben werden.
Die Synagoge [6] entstand als einschiffiger Bau im zweiten Drittel des 13. Jahrhunderts und wurde schon bald zu einem repräsentativen gotischen Gebäude umgebaut. Weitere Vergrößerungen der Synagoge im 14. und zu Beginn des 15. Jahrhunderts zeugen vom Anwachsen der jüdischen Gemeinde in dieser Zeit. Nach dem Pogrom von 1420/21, bei dem die gesamte jüdische Gemeinde Wiens vertrieben oder getötet wurde, hat man die Mauern der Synagoge abgebrochen. Das Steinmaterial wurde für den Neubau der Theologischen Fakultät wiederverwendet.
Die Synagoge war das topographische und religiöse Zentrum eines blühenden jüdischen Viertels, das im 13. Jahrhundert in nächster Nähe zur Babenbergischen Burg und in deren Schutz entstanden war. Vom Wohlstand der jüdischen Gemeinde zeugen die bereits im 13. Jahrhundert errichteten steinernen Wohnhäuser [7], deren Reste unter anderem unter der Osthälfte des Platzes zutage gekommen sind.

Die römischen Kasernen
Im Zuge der Grabungen legte man auch die Reste von vier römischen Gebäuden frei. Drei von ihnen konnten aufgrund ihres Bautyps und ihrer Position innerhalb des Legionslagers von Vindobona als Mannschaftsunterkünfte identifiziert werden. Die wissenschaftliche Auswertung ergab sechs Bauphasen vom Ende des 1. bis ins frühe 5. Jahrhundert. Nach der Gründung des Legionslagers um 97 n.Chr. errichtete die 13. und 14. Legion die ersten Mannschaftsunterkünfte aus Holz. In der ersten Hälfte des 2. Jahrhunderts kam es zu Umbauten durch die ab 114 n.Chr. in Vindobona stationierte 10. Legion. Am Ende des 2. Jahrhunderts wurden die Kasernen an der gleichen Stelle neu errichtet. Über einem bis zu einem Meter hohen Sockel aus Bruchsteinen dürften Lehmziegel- oder Lehmziegelfachwerkwände aufgemauert gewesen sein.

Die ab dem ausgehenden 3. Jahrhundert nachweisbaren Militär- und Verwaltungsreformen bewirkten eine Truppenreduktion und eine Nutzung von Teilen der Kasernen als Werkstätten. Spätestens unter Valentinian I wurden nach einer Zerstörung (Erdbeben?) die Mannschaftsunterkünfte als Werkstattgebäude über den alten Grundmauern neu errichtet.
Bei den Grabungen kamen zahlreiche Hinweise auf diese neue handwerkliche Funktion zutage. In einem kleinen Ofen im Hauptraum einer ehemaligen Kaserne fanden sich die Reste einer Bronze verarbeitenden Werkstatt, die in der ersten Hälfte des 4. Jahrhunderts in Betrieb war. Ebenfalls aus dem 4. Jahrhundert stammt eine Glaswerkstätte, die in die Portikus einer Kaserne eingebaut war. Aufgrund der nicht allzu großen Dimension der Hütte, der Lage in bewohntem Gebiet und dem Fehlen von Glasfritte wurde hier wahrscheinlich nur zugeliefertes Rohglas weiterverarbeitet. Halbfertigprodukte, Rohlinge und Abfall weisen auf die Existenz einer Bein- und einer Hornschnitzerei hin. Ein Halbfertigprodukt einer Öllampe gehört wohl zum Abfall einer Töpferei, deren Lokalisierung bisher ebenfalls unklar ist.
Bereits um die Mitte des 4. Jahrhunderts wurden in einzelne ehemalige Kasernenvorräume Kanalheizungen eingebaut, was auf Wohneinheiten innerhalb der Handwerksbetriebe hinweisen könnte. Dass im spätantiken Lager auch Frauen und Kinder lebten, zeigen Fragmente von Schmuck und Neugeborenenbestattungen.

Römermuseum
1010 Wien, Hoher Markt 3
Dienstag bis Sonntag und Feiertag, 9.00 Uhr bis 18.00 Uhr
Geschlossen: 1.1., 1.5., 25.12.
http://www.wienmuseum.at

[1] Weitere Informationen: http://www.wienmuseum.at.
[2] Die Stadtarchäologie Wien ist seit 1.7.2008 dem Wien Museum angegliedert (Leitung: Karin Fischer Ausserer). www.magwien.gv.at/archaeologie; www.stadtarchaeologie.at.
[3] In der populärwissenschaftlichen Reihe der Stadtarchäologie Wien "Wien Archäologisch" ist bereits letztes Jahr ein Band zu diesem Thema von M. Mosser erschienen (mit Beiträgen von C. Litschauer, S. Sakl-Oberthaler, K. Tarcsay, G. Kieweg-Vetters): M. Mosser, Judenplatz. Die Kasernen des römischen Legionslagers. Wien Archäologisch 5 (Wien 2008).
[4] Die Grafik und die Gestaltung der Ausstellung stammen von Christine Ranseder (Wiener Stadtarchäologie).
Wissenschaftliche Mitarbeit und Beratung: Rita Chinelli, Werner Chmelar, Sabine Jäger-Wersonig, Martin Mosser, Sylvia Sakl-Oberthaler, Kinga Tarcsay (alle Stadtarchäolgie Wien), Reinhold Wedenig.
Dank an: Michaela Kronberger (Wien Museum), Karin Fischer Ausserer, Ingeborg Gaisbauer, Heidrun Helgert, Nikos Piperakis (alle Stadtarchäologie Wien), Gerhard Milchram (Museum Judenplatz), Helga Vanek und die Werkstätten des Wien Museums, Martina Tichy, Peter Stuiber, Jaqueline Rakuscha (alle Wien Museum), Michael Klein (
digital graphics & seven reasons), Paul Mitchell, Univ. Prof. Franz Hnizdo, Ursula Egger, Sandro Fasching.
[5] H. Helgert, Das archäologische Projekt Judenplatz 1995-1997, Fundort Wien 1, 1998, 32-37. W. - Chmelar/H. Helgert, Die römischen Kasernen unter dem Judenplatz, Fundort Wien 1, 1998, 20-26. - H. Helgert, Die Or Sarua-Synagoge auf dem Judenplatz. Ausgrabungen im spätmittelalterlichen Judenviertel Wiens, FWien 1, 1998, 10-19.
[6] H. Helgert/M. A. Schmid, Die mittelalterliche Synagoge auf dem Judenplatz in Wien. Baugeschichte und Rekonstruktion. Wiener Jahrb. Jüd. Gesch., Kultur u. Museumswes. 4, 1999/2000, 91-110. - H. Helgert/M. A. Schmid, Die Archäologie des Judenplatzes. In: G. Milchrahm (Hrsg.), Museum Judenplatz, Zum mittelalterlichen Judentum (Wien 2000) 16-49. - P. Mitchell, Synagoge und jüdisches Viertel im mittelalterlichen Wien. In: E. Wamers - F. Backhaus (Hrsg.), Synagogen, Mikwen, Siedlungen. Jüdisches Alltagsleben im Lichte neuer archäologischer Funde. Schr. Arch. Mus. Frankfurt 19 (Frankfurt 2004) 139-150.
[7] Zu den 1996 und 2000 durchgeführten bauarchäologischen Untersuchungen im Haus Judenplatz 8: D. Schön, Von spätmittelalterlichen Mauern, renaissancezeitlichen Fenstern und barocken Fußböden. Bauforschung im Haus Wien 1, Judenplatz 8, Fundort Wien 6, 2003, 96-139.

© Kristina Adler-Wölfl
e-mail: kristina.adler-woelfl@wien.gv.at


This article should be cited like this: K. Adler-Wölfl, Neue Wechselpräsentation im Römermuseum: "Archäologie am Judenplatz", Forum Archaeologiae 51/VI/2009 (http://farch.net).



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