Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 21 / XII / 2001

VELIA -
Kurzbericht über die Grabungskampagne 2001

Einleitung

Das Interesse der Herbstkampagne 2001 in Velia galt den Befestigungen im Bereich der Weststadt, die vom Mauerzug A auf dem Höhenrücken sowie dem Mauerzug B, welcher die West- von der Oststadt trennt [1], gebildet werden (Abb. 1). Während der Mauerzug B in der Unterstadt sehr gut in seinen verschiedenen Bauphasen verfolgt werden konnte [2], ist sein Verlauf im Bereich der Weststadt nur teilweise bekannt. Aus der Unterstadt kommend verschwindet er bei der Geländestufe nordwestlich der römischen Thermen im Gelände und wird erst rund 70 m weiter nördlich wieder mit den Türmen B 2 und B 1 faßbar, zwischen welchen sich die Kurtine erhalten hat. Ziel der diesjährigen Untersuchungen war es daher, weitere Anhaltspunkte für die Trassierung des Mauerzugs B zu gewinnen sowie den Turm A 9, in dessen Bereich die Einbindung des Mauerzugs B in den Mauerzug A zu erwarten ist, zu untersuchen [3].

Turm A 9

Den Schwerpunkt der Grabungen bildete die Untersuchung des Turmes A 9 auf dem Höhenrücken östlich der Akropolis unmittelbar oberhalb des Einschnittes der Porta Rosa [4]. Der Turm war mit Außenmaßen von 12,60 ´ 9,30m auffallend groß und aus Quadermauern aus Sand- und Konglomeratstein errichtet (Abb. 2). Für den nördlichen Teil der Nordostmauer wurde ein Fundamentgraben mit einer Tiefe von bis zu 1,00m (SW) in den anstehenden, zur Porta Rosa hin steil abfallenden Fels eingetieft, um eine gleichmäßige Verlegung der Quader zu ermöglichen. An der Innenseite dieser Mauer befindet sich eine rund einen Meter hohe Mauer aus kleinen, polygonal versetzten Sandsteinen, die ein von Norden nach Süden abtreppendes Fundament aus flachen Flyschsteinen besitzt, das unmittelbar auf dem anstehenden Fels aufsitzt. In der Orientierung weicht diese nach ihrer Bautechnik als spätarchaisch bezeichnete Mauer etwas von der östlichen Turmmauer ab, sodaß wir auf zwei unterschiedliche Baustrukturen schließen können.
Zur Klärung der Baugeschichte des Turmes wurde in seinem mittleren Bereich ein großer Schnitt angelegt, der durch zwei kleine Schnitte über die Südostmauer des Turmes ergänzt wurde, durch welche die Breite dieser Mauer festgestellt sowie die Südecke des Turmes exakt lokalisiert werden konnte. Die Mauern des Turmes waren direkt auf dem gewachsenen Felsen errichtet worden, der in diesem Bereich stark von Westen nach Osten abfällt. Um ein ebenes Innenniveau zu erhalten, wurden daher im Turminneren lehmige Ausgleichsschichten angebracht, die zusätzlich durch zwei Reihen von größeren Steinblöcken verfestigt wurden. Auf dem damit erreichten Niveau wurde 3m von der Nordostmauer entfernt und parallel zu dieser verlaufend eine aus kleinen Sand- und Flyschsteinen bestehende, 1,40m breite Mauer errichtet, bei der es sich um einen Teil des Innenausbaus des Turmes handeln dürfte. Die darüberliegende lehmige Verfüllung, die neben Resten von Sand- und Flyschsteinen auch kleine Fragmente von stark aufgelösten Lehmziegeln enthielt, könnte ebenso wie eine an der südöstlichen Turmmauer festgestellte Hinterfüllung aus kleinen Flyschsteinen als Verstärkung des Turmunterbaus angesehen werden.
Überraschend war die Situation im Ostteil des Schnitts, in welchem eine 3,6m breite, kompakte Lage aus großen, unregelmäßig geschlichteten Flysch- und Sandsteinen aufgedeckt wurde, die eine Hinterfüllung der einschaligen Polygonalmauer darstellt und stratigraphisch eindeutig älter als der Turm ist. Die Untersuchung der Ost-Ecke des Turmes zeigte, daß sich die polygonale Mauer hier ursprünglich nach Südosten fortgesetzt hatte, jedoch bei der Errichtung des Turmes abgetragen wurde. Dabei senkte sich das an dieser Stelle mehrlagige Fundament aus Flyschsteinen deutlich nach. Einige Platten dieses älteren Flyschsteinfundaments wurden bei der Errichtung der Ostecke des hellenistischen Turmes als Ausgleichsstücke wiederverwendet (Abb. 3).
Die chronologische Einordnung sowohl des Turmes als auch der Struktur mit der Polygonalmauer kann nur durch die relative Abfolge der Bauten sowie ihre Bautechnik erfolgen, da sich im gesamten Turmbereich nur insignifikante Reste von Keramik fanden. Mauern in polygonaler Bautechnik wurden in Velia in der Regel als spätarchaisch angesprochen [5], doch zeigt die ebenfalls polygonale Stützmauer des Vorgängerbaus des Theaters von Velia, daß diese Technik auch im späten 5.Jh. v.Chr. noch verwendet werden konnten [6]. Der Turm selbst ist hingegen eindeutig der Periode 3 der Befestigung, also der hellenistischen Zeit, zuzuweisen und muß in engem Zusammenhang mit der Errichtung der unmittelbar nordöstlich liegenden Porta Rosa gesehen werden, deren Torhof vom Turm aus gut einsehbar war.
Schwieriger gestaltete sich die Frage nach der Anbindung dieses fast schon als Bastion zu bezeichnenden Turmes in den Mauerzug A. Im westlich anschließenden Teil wurden noch einige Blöcke sowie in der steilabfallenden Böschung Reste von kleineren Steinen, die als Emplekton anzusprechen sein werden, gefunden.
Auch die Aussagemöglichkeiten zur Gestaltung dieses Bereich in vor-hellenistischer Zeit blieben spärlich, besonders zur Frage, wo und wie der von Süden kommende Mauerzug B, der ja der Periode 2 und somit der vorhellenistischen Zeit angehört, an den Mauerzug A anschloß. Dies ist vor allem darauf zurückzuführen, daß durch die Bautätigkeit in hellenistischer Zeit ältere Bauten fast vollständig zerstört wurden, aber auch auf die Tatsache, daß durch wiederholte Hangrutschungen das natürliche Gelände nachhaltig verändert und das Oberflächenniveau vermutlich um mehrere Meter gesenkt wurde. Anhaltspunkte zur älteren Verbauung liefern daher nur Beobachtungen von Felsabarbeitungen, die der Fundamentierung von Steinblöcken dienten, und eine übereinstimmende, von der Ausrichtung des hellenistischen Turmes A 9 abweichende Orientierung zeigen. Auch der Rest einer aus Sandsteinen errichteten Torwange südlich des Turmes kann hier dazugezählt werden.

Der Mauerzug B

Um den Verlauf des Mauerzugs B sowohl südlich als auch nördlich der bekannten und bereits durch F. Krinzinger untersuchten Türme B 1 und B 2 [7] zu verifizieren, waren im Arbeitsprogramm zwei Grabungsstellen vorgesehen. In einem Schnitt auf der ersten Terrasse über der Unterstadt im Bereich südlich des Turmes B 2 sollte das Verbindungsstück zum Unterstadt gesucht werden. Rund 70m nördlich von Turm B 1 wurden hingegen die im Vorjahr festgestellten Reste der Stadtmauer ausgegraben. Sie befinden sich nordwestlich der zur Porta Rosa führenden Straße auf dem anstehenden Fels, der zum Wassertal mit der erwähnten Straße abbricht und waren nur von relativ dünnen, lehmigen Straten bedeckt. Direkt an der Felskante wurden zwei in einer Flucht liegende Fundamentrinnen mit einer Gesamtlänge von rund 8,5m freigelegt, in welchen sich Sandsteinquader befanden, die teilweise als Läufer und Binder verlegt waren und an der Westseite eine deutliche Flucht bildeten (Abb. 4). Sie gehörten zur westliche Schale der Stadtmauer, während die Reste der östlichen Schale in einem Abstand von 2,5m südöstlich von ihnen in der Hangböschung gefunden wurden. Die Befestigungsmauer nützte somit offensichtlich den Abfall des Hanges, wodurch Teile des Emplektons durch den natürlichen anstehenden Fels eingespart werden konnten. Die Mauer endete im Norden abrupt und fiel offensichtlich der starken Hangerosion zum Opfer. Trotz wiederholter Begehung des Hanges zwischen dieser Grabungsstelle und dem Turm A 9 fanden sich im Gelände kaum Hinweise, die eine eindeutige Lokalisierung des Mauerzugs B erlaubt hätten.
Diese fehlen auch im Bereich südlich von Turm B 2, wo das Anschlußstück an die Befestigungen in der Unterstadt gesucht wurden. Ein rund 25m südlich von Turm B 2 angelegter Schnitt, der eine auffällige Felsknolle mit eindeutigen Abarbeitungen als Ausgangspunkt nahm, erbrachte keine Spur des Mauerzugs B, schnitt jedoch die Reste von insgesamt drei Häusern an (Abb. 5), mit deren Ausgrabung bereits in den 1980er Jahren durch die italienische Soprintendenz begonnen worden war, ohne daß die Grabungen aus finanziellen Gründen zu Ende geführt werden konnten. Haus I und Haus III lagen dabei westlich, Haus II östlich eines unverbauten Streifens, in dem sich auch die erwähnte Felsknolle befand. In diesem unverbauten Bereich lagen unterhalb des Bauniveaus dieser Häuser drei durch Hangrutschungen entstandene lehmige Straten, von denen die oberste ins 4.Jh. v.Chr. datiert werden kann und somit für die Häuser eine Datierung in hellenistische Zeit nahelegt. Die darunter liegenden Straten enthielten mehrere Fragmente von attischen Augenschalen sowie von Knickrandschalen des letzten Drittels des 6. Jhs. v.Chr. und sind somit Zeugnis für die Nutzung dieses Bereichs als Siedlungsgebiet bereits in spätarchaischer Zeit.
Die freigelegten Häuser entsprechen in ihrer Orientierung jener der weiter hangaufwärts liegenden, ebenfalls hellenistischen Casa degli capitelli dorici und lassen somit eine systematische Verbauung der Weststadt in hellenistischer Zeit erkennen. Da in unmittelbarer Nähe einer fortifikatorisch genutzten Stadtmauer nicht mit der Existenz von Wohnhäusern zu rechnen ist, könnte dies - ebenso wie die Überbauung der Kurtine nördlich von Turm B 1 durch eine Straße - darauf hinweisen, daß die Nutzungszeit des im 4.Jh. v.Chr. errichteten Mauerzugs B relativ kurz war, und er in hellenistischer Zeit seine Bedeutung verloren hatte, ja möglicherweise in manchen Bereichen gar nicht mehr vorhanden war.

[1] Zur Terminologie der Stadtmauern vgl. F. Krinzinger, Die Stadtmauern von Velia; in: La fortification dans l'histoire du monde grec. CNRS, Colloque International 614, Dec.1982 Paris (1987) 62-65; ders., CMGr 19, 1979 (1989) 355-364; zuletzt F. Krinzinger, Intorno alla pianta di Velia, in: G. Greco - F. Krinzinger (Hrsg.), Velia - studi e ricerche (1994) 28ff. und 37ff.
[2] Vgl. zuletzt V. Gassner - A. Sokolicek, Die Befestigungsanlagen von Velia. Vorbericht zu den Grabungen in der Unterstadt 1997-1999, ÖJh 69, 2000, 59-129.
[3] Die Herbstkampagne dauerte vom 27. 8. bis zum 1. 10. 2001 und wurde als Lehrgrabung des Instituts für Klassische Archäologie der Universität Wien durchgeführt. Sie war wie in den vorangegangenen Jahren durch die kollegiale Zusammenarbeit mit der Soprintendenza archeologica di Salerno gekennzeichnet. Die Schnittleitung lag bei A. Sokolicek (Turm A 9), S. Fürlinger (Schnitt 11/01) und H. Liko (Schnitt 10/01).
[4] Vgl. F. Krinzinger CMGr 19, 1979 (1987) 356; Krinzinger (1994) a.O. 38.
[5] R. Martin, Le problème de l'appareil polygonal à Velia, PP 25, 1970, 93ff.; L. Cicala, Le techniche edilizie ad Elea in età tardo arcaica, in: F. Krinzinger (Hrsg.), Die Ägäis und das westliche Mittelmeer, Archäologische Forschungen 4 (2000) 257f.
[6] Vgl. F. Krinzinger - V. Gassner, Velia - neue Forschungen auf der Akropolis, ÖJh 66, 1997, Beiblatt Abb. 5-7.
[7] Krinzinger a.O. (1994) 28f.

© Verena Gassner & Mitarbeiter/innen
e-mail:
verena.gassner@univie.ac.at

This article will be quoted by V. Gassner, Velia - Kurzbericht über die Grabungskampagne 2001, Forum Archaeologiae 21/XII/2001 (http://farch.net).



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