Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 18 / III / 2001 |
Im Artemision-Projekt des Österreichischen Archäologischen Institutes wurde vom Verfasser die topographische Darstellung des Heiligtums vor der Errichtung des archaischen Tempels, des sog. Kroisostempels [1], übernommen. Um eine nachvollziehbare chronologische Abfolge von baulichen Anlagen und Geländeveränderungen zu erreichen, war die Analyse archäologischer Befunde und der damit verbundenen Interpretationen notwendig. Der gute Informationsstand infolge der mehrjährigen Aufarbeitung hatte bei neuen Interpretation der Befunde natürlich entscheidenden Einfluß [2]. Die Untersuchung zur Topographie des Artemisions besitzt einen stark forschungsgeschichtlichen Aspekt, da die archäologische Evidenz und heute gültigen Vorstellungen über die Anlage und Entwicklung des Heiligtums erst im Laufe mehrerer aufeinanderfolgender Grabungsunternehmungen entstanden sind.
Am letzten Tag des Jahres 1869 wurde der Artemistempel von Ephesos von John Turtle Wood nach mehrjähriger Suche am Fuße des Ayasoluk-Hügels [3] wiederentdeckt [4] (s. Gesamtplan). Nachdem 1874 die Grabung aufgegeben worden war, blieb eine gewaltige Grube, das sog. Ingiliz Cukuru (Englische Grube), zurück, mit Dimensionen von circa 170 x 100 x 7 Metern. (Abb. 1) Auf dem Grund der Grube lagen die Reste des spätklassischen Dipteros, eines der sieben Weltwunder. Von Mai bis Anfang Juni 1895 wurde unter der Leitung von Otto Benndorf [5] und Carl Humann eine Grabung mit dem Ziel, den Altar des Artemisions zu lokalisieren, durchgeführt [6]. In einer tiefen Sondage gelang es knapp an der westlichen Grenze des englischen Grundstücks einen Abschnitt jener Pflasterung freizulegen, die einst den großen Hofaltar des Tempels umgeben hatte [7]. Der Hofaltar selbst blieb jedoch bis 1965 unter dem mächtigen Aushubhügel Wood´s verborgen [8]. Wilhelm Wilberg fertigte den ersten zuverlässigen Plan von den spätklassischen Mauerresten des Artemisions an [9]. Grundmauern im Zentrum des Tempelhofes, die Wood als Great Altar bezeichnet hatte [10], erhielten im Plan die Bezeichnung "Steinsetzung H".
Durch die österreichischen Aktivitäten im Artemision fühlte sich das British Museum veranlaßt, eine Nachuntersuchung durchzuführen [11]. Mit der Grabungsleitung wurde der erfahrene Ausgräber David George Hogarth [12] beauftragt. Hogarth ließ zunächst im Westen des Tempels großflächig graben, solange bis sich das Grabungsareal infolge starker Regenfälle mit Wasser füllte. Dann wurde die Grabung im Zentrum des Tempels, also im Bereich von Wood´s Great Altar, fortgesetzt. (Abb. 2) Hogarth bezeichnete diese Struktur als Central Basis, um die Interpretation als Altar oder Statuenbasis zu vermeiden. Darunter fand man von Ende November bis Anfang Dezember 1904 und im Mai 1905 zahlreiche wertvolle Kleinfunde, die ein großes Interesse an den archaischen Vorgängerbauten des Kroisostempels hervorriefen. Etwa achthundert Fundstücke lagen in der Verfüllung eines gemauerten Sockels unterhalb der Grundmauern des sog. Kroisosnaiskos [13]. Die aus Grünschieferblöcken errichtete Struktur wurde von Hogarth der ersten von ihm postulierten Phase, dem Tempel A, zugerechnet.
Die Grundlage für die Baugeschichte des Artemisions bildete bis zum Jahre 1987 dieser Grabungsbefund. Berechtigte Kritik an Aussagen der englischen Grabungspublikation, die Carl Weickert und Emanuel Löwy geäußert hatten [14], wurde durch eine Untersuchung von Einar Gjerstad anscheinend entkräftet [15]. Erst nach erneuten Grabungen im Bereich der Zentralbasis unter der Leitung von Anton Bammer wurde durch die Entdeckung einer früheren Bauphase der bis dahin postulierten Entwicklung des Heiligtums die Grundlage entzogen (Abb. 4) [16].
Im Jahre 1965 initiierte Fritz Eichler [17] eine neuerliche Suche nach dem Altar, nachdem er sich selbst ebenso wie eine Reihe anderer Archäologen bereits seit Jahrzehnten mit Skulpturen und Architekturfragmente aus dem Stadtgebiet von Ephesos beschäftigt hatte, die manche dem berühmten aber bis dahin unentdeckten Altar des Artemisions zuweisen wollten [18]. Nach einigen Wochen nahezu erfolgloser Grabungstätigkeit gelang es Anton Bammer, der mit der Ausgrabung betraut worden war, im Oktober 1965 Fundamentblöcke an der Ostkante des Altares freizulegen [19].
Der Bereich zwischen dem Hofaltar und der Westseite des Kroisostempels wurde in den Jahren 1970 bis 1984 ausgehend von der Südostecke des Altares unter wiederholter Erweiterung der Grabungsfläche an der Nord- und Ostseite freigelegt (Abb. 3) [20]. Vor der Front des Kroisostempels wurde ein großes rechteckiges Fundament bestehend aus flächig verlegten Kalkmergelsteinen und Lehm aufgedeckt [21]. Wegen seiner Dimensionen von circa 34 x 16 m wurde das Fundament als Hekatompedos, daher als "Hundertfüßer", bezeichnet. Anton Bammers Interpretation der Struktur als Tempelfundament, das um 610 v.Chr. entstanden sein soll, ist allerdings nicht unumstritten [22], da sich langrechteckige Gebäude in der Front griechischer Tempel durch Analogieschluß gemeinhin als Altäre deuten lassen. Auch die bautechnische und die stratigraphische Analyse spricht beim derzeitigen Wissensstand für die Interpretation des Hekatompedos als Altar des Kroisostempels. Für die Errichtung der Struktur gibt die frühkorinthischen Keramik einen sicheren Terminus nach 590 v.Chr. [23]. Die Zerstörung erfolgte wohl bei der Errichtung des spätklassischen Tempels, da die gesamte Struktur von einem klassisch datiertem Pflaster bedeckt wird [24]. Dementsprechend wäre der weiter westlich gelegene monumentale Hofaltar als Nachfolgebau des Hekatompedos zu deuten und schlüssig erst nach der Zerstörung des Kroisostempels nach 356 v.Chr. zu datieren [25].
Südlich des Hekatompedos liegen früharchaische Strukturen, die zumindest zwei verschiedenen Phasen des Heiligtums zugeordnet werden können. Zur früheren Phase vor der Anlage eines Leithorizontes, des "gelben Kalkmergelbodens" [26], gehören Reste einer bogenförmigen Mauer und ein mit unbearbeiteten Steinen befestigter Streifen. In der Grabungsdokumentation werden diese Reste als Apsidenbau [27] und als Weg [28] bezeichnet. Ihre ursprüngliche Nutzung ist jedoch nicht bekannt. Gleichzeitig mit dem "gelben Kalkmergelboden" dürfte dagegen eine gemauerte Rinne entstanden sein, die scheinbar den Altarplatz an seiner Südseite begrenzt hat. Reste eines rechteckigen Fundamentes zwischen der Rinne und der Südwestecke des Hekatompedos wurden bisher als Naiskos oder als Altar des Hekatompedos angesprochen. Vermutlich gehörte diese, in Abb. 3 als Rechteckfundament bezeichnete, Struktur gemeinsam mit der Rinne und dem gelben Kalkmergelboden zum Vorplatz des Kroisostempels.
Zahlreiche Funde stammen aus dem Grabungsbereich der sog. nördlichen Kultbasis, bzw. der Kultbasis D. Die Sondagen dieses Bereiches wurden an der Nordseite des Tempels angelegt, und zwar zwischen den Fundamentstreifen des archaischen Kroisostempels und seines spätklassisch-hellenistischen Nachfolgebaus. Die Objekte lagen in Schichten unterhalb des sog. nördlichen Stereobats des Kroisostempels und in der Verfüllung des Stufenbaus. [29] Die Kultbasis D wird von Anton Bammer und Ulrike Muss als eigenständiger Kultplatz gedeutet, den man schließlich bei der Errichtung des Kroisostempels überbaut hat [30].
Der archaische Kroisostempel und sein spätklassischer Nachfolgebau waren hypäthrale Tempel, das heißt, daß der von Säulen umschlossene Innenraum des Gebäudes nicht überdacht war. Im Zentrum des Tempelhofes stand über der Zentralbasis ein kleiner Naiskos, der in seinem Inneren wahrscheinlich das Kultbild der Artemis Ephesia aufnahm. Der ungefähr 21 x 47m große Hof des Kroisostempels wird ebenso wie der Tempelhof in Didyma als Sekós bezeichnet [31]. Innerhalb der Sekósmauern, wo tiefreichende Fundamente fehlen, konnten Reste von Vorgängerbauten des Kroisostempels freigelegt werden. In frühchristlicher Zeit wurde der Tempelhof zum Innenraum einer Kirche umgebaut [32].
Im Jahre 1987 wurde die bereits am Beginn des Jahrhunderts von Hogarth untersuchte Zentralbasis im Zentrum des archaischen Tempelhofes wieder freigelegt (Abb. 4) [33].
Für Anton Bammer galt durch die neue Grabung als erwiesen, daß das Foundation Deposit, also die Funde aus der Central Basis, erst beim Bau des Kroisostempels, ca. um 560 v.Chr., deponiert wurden. Nach dem Grabungsbefund zu schließen, sollte die Basis Hogarth´s überhaupt nie existiert haben, die erhaltene Grünschiefermauer sollte vielmehr zur Fundamentierung des sog. Kroisosnaiskos gehören [34]. Die Lösung dieses Problems ergibt sich bei der Lektüre der englischen Grabungspublikation, denn Hogarth beschreibt nicht nur die Umstände der Fundbergung in der Basis genau, er verheimlicht auch nicht das Entfernen der Nord-, Süd- und Ostwand der Basis [35].
Die Diskussion um die Datierung dieses Gründungsdepot, das man wohl anläßlich der Errichtung der zentralen Struktur des Tempels geweiht hat, wurde vor allem von Numismatikern geführt, da sich einige Elektronmünzen, darunter auch besonders frühe, in der Basis befanden. Es wurde versucht, mit Hilfe der ephesischen Münzfunde einen Terminus für den Beginn der lydischen Münzprägung zu definieren. Datierungsvorschläge für die Elektronmünzen aus der Basis reichen von der ersten Hälfte und der Mitte des 7. Jahrhunderts [36] bis in das 2. Viertel des 6. Jahrhunderts [37].
Alle übrigen Kleinfunde aus der Basis werden prinzipiell in das 7. Jahrhundert datiert - bis auf drei winzige Statuetten aus Elektronblech, die Paul Jacobsthal im Jahre 1951 postdädalisch klassifiziert und wegen der Angabe von Gewandfalten erst nach 600 v.Chr. angesetzt hat (Abb. 5a) [38]. Andererseits wurden von Fahri Isik in jüngerer Zeit ähnliche Statuetten aus dem Artemision aufgrund ihrer stilistischen Merkmale noch in das 7. Jahrhundert datiert (Abb. 5b) [39]. Wenn aber die stilistische Analyse eine chronologische Einordnung der hier abgebildeten Statuetten in die zweiten Hälfte des 7. Jahrhunderts zuläßt, dann ist auch das wesentliche Argument für die späte Datierung des Gründungsdepots gegen 560 v.Chr. entkräftet.
Derzeit wird unabhängig von der Interpretation des Grabungsbefundes eine Datierung der Münzen aus der Basis in das 3. oder vielleicht erst 4. Viertel des 7. Jahrhunderts für wahrscheinlich gehalten [40].
1988 wurden unterhalb der von Hogarth ausgegrabenen Strukturen die Säulenbasen einer Ringhalle festgestellt. Wegen dieses Säulenkranzes hat man das Gebäude in den Grabungspublikationen als Peripteros bezeichnet. Vom Ausgräber wurde dieser frühe Tempel nach mittelgeometrischen Keramikfunden in die zweite Hälfte des 8. Jhs. v. Chr. datiert [41]. Eine Entstehung des Gebäudes in der ersten Hälfte des 7. Jahrhunderts erscheint beim derzeitigen Wissensstand jedoch plausibler [42].
Im Inneren des Peripteros entdeckte man sechs Basen einer inneren Säulenstellung. Zwischen den Säulenbasen liegt der Rest einer quaderförmigen Struktur mit Seitenlängen von ca. 3,85 x 1,70m. Der Sockel könnte als gemauerter Altar oder als Kultstatuenbasis gedient haben. In der Grabungsdokumentation wird die Struktur als Rechteckbasis bezeichnet. Der Ausgräber hat sie auch als Baldachin über dem Kultbild interpretiert [43]. Außerhalb des Peripteros wurden Strukturen freigelegt, die in den verschiedenen Phasen des Heiligtums Niveauunterschiede ausglichen oder als Umfassungsmauern zu deuten sind.
Es ist davon auszugehen, daß man den Peripteros auf etwa 50cm höherem Niveau unter Beibehaltung des ursprünglichen Grundrisses erneuern wollte. Dabei wurden auch die Säulenbasen des Peristasis aufgesockelt bis zu einem etwa 50cm höher liegenden neuen Bodenniveau. An der Außenseite des Peripteros wurde eine etwa 1m breite und 60cm hohe Fundamentverbreiterung angesetzt, die sogenannte Flankenmauer.
Im Inneren des Peripteros, wurden in einer Lehmschicht über dem ursprünglichen Boden der Cella zahlreiche Bernsteinperlen und andere Schmuckstücke gefunden, darunter auch Keramikfragmente, die einen Terminus nach der Mitte des 7. Jahrhunderts geben [44]. Für den berühmten Pot-Hoard, der ebenfalls in diesen Kontext gehört, ist ein Deponierungszeitpunkt im 3. Viertel des 7. Jahrhunderts anzunehmen [45]. Die von Hogarth ausgegrabene Basis aus Grünschieferblöcken wurde wohl bald nach der Deponierung der genannten Funde auf einer 40cm hohen Aufschüttung errichtet. Für das Gründungsdepot der Basis ist daher eine Datierung im selben Zeitraum zu erwägen.
Die nächste definierbare Bauphase des Heiligtums ist der Tempel B. Er bestand aus der erneuerten Cellamauer und einer umlaufenden Fundamentverstärkung. Ein breiter Eingang an der Westseite blieb vermutlich unverschlossen. Im Inneren des Gebäudes stand die Basis mit einem quergelagerten Mauerstück, vermutlich einem Altar, an der Front.
Als Tempel C werden die Reste einer Sekosmauer bezeichnet, die einst die zentralen Strukturen des Heiligtums weiträumig umschlossen hat [46]. Die Ausmaße der Anlage können jedoch nicht vollständig rekonstruiert werden, da im Westen die Mauern der Vorhalle von den späteren Fundamenten des Kroisostempels abgeschnitten sind. An der Ostseite des Tempels C ist erkennbar, daß zwei Mauern übereinandergesetzt wurden. Beim Tempel C sind daher zwei Bauphasen mit verschieden hohen Nutzungsniveaus zu unterscheiden [47]. Die Länge des Bauwerks beträgt circa 31m, seine Breite 16,3m [48], und zwar ohne die westlich anschließenden Mauern der Vorhalle deren ursprüngliche Länge nicht mehr bestimmbar ist.
Im Osten des Sekós wurden mehrere Terrassierungs- bzw. Böschungsmauern freigelegt, die den Uferbereich eines Baches befestigten, der in archaischer Zeit die Ostseite des Heiligtums begrenzt hat. Zwei zeitlich aufeinander folgende Böschungsmauern hat man offenbar während ihrer Nutzung als Uferbefestigung mehrmals erneuert [49]. Nachdem es durch die Uferbefestigungen gelungen war, den Lauf des Baches schrittweise nach Osten zu verschieben, wurde das Bachbett circa um 600 v.Chr. mit Schutt aufgefüllt und über dieser Auffüllung die sog. Kultbasis B errichtet [50]. Innerhalb des Sekós fand man drei weitere gemauerte Sockel. Stratigraphische Gegebenheiten schließen die gleichzeitige Nutzung der in den Grabungspublikationen als Kultbasen [51] angesprochenen Sockel allerdings aus. Die vom Ausgräber vertretene Hypothese, daß mehrere gleichzeitig existierende Heiligtümer und Kulte erst von König Kroisos zusammengelegt und durch den synkretistischen Kult der Artemis Ephesia ersetzt worden sein sollen [52], entbehrt insofern der erforderlichen Grundlage, als sich durch den archäologischen Befund keine parallel existierenden Kultplätze im Artemision nachweisen lassen. Das bisher vertretene Modell der "Monopolisierung eines ursprünglich pluralistischen, speziell dualistischen Kultes" [53] ist daher weniger plausibel als das einer schrittweisen Vergrößerung des Heiligtums, ausgehend vom ursprünglichen Zentrum des Heiligtums, nämlich von der Rechteckbasis im Peripteros.
Bammer 1984 | A. Bammer, Das Heiligtum der Artemis von Ephesos (1984) |
Muss 1994 | U. Muss, Die Bauplastik des archaischen Artemisions von Ephesos, SoSchrÖAI 25 (1994) |
Bammer - Muss 1996 | A. Bammer - U. Muss, Das Artemision von Ephesos (1996) |