Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 14 / III / 2000

"DIE SPINNEN, DIE RÖMERINNEN"

Eines der vielen Interessensgebiete Friedrich Breins, den wir mit dieser Festschrift ehren, gilt der Mythologie und dabei besonders Herakles. Eine weitere Leidenschaft des Jubilars ist, manche Dinge in anderes Licht zu rücken und dadurch von einer neuen, manchmal auch humorigen Seite zu beleuchten. Daß "seine" Archäologie, von ihm liebenswürdig altmodisch genannt, die eine Verbindung aller altertumskundlichen Richtungen darstellt, dazu sehr wohl im Stande ist, lehrte er einer großen Zahl von Schülern und gab uns die Lust auf das Verstehen der antiken Welt mit. So ist es nicht verwunderlich, daß einige der unten ausgeführten Gedanken von ihm angeregt wurden, wofür ich meinem Lehrer aufrechten Dank schulde. Ich hoffe, daß ihn dieser kleine Beitrag erfreuen wird.

Zu der in der griechischen Antike überlieferten Erzählung mit dem Kleidertausch zwischen Herakles und der Lyderkönigin Omphale tritt in späthellenistischer-römischer Zeit ein weiterer Aspekt hinzu, der Tausch der Attribute. Entsprechend wird der vom Orakel angeregte Dienst des Helden bei Omphale beispielsweise in der Marmorgruppe des 1. Jhs. v. Chr. (Abb. 1), die sich heute in Neapel befindet, wesentlich drastischer dargestellt als in Kunstwerken der griechischen Klassik (Abb. 2). Neben Omphale steht die Keule, das Löwenfell hat sie lose um den nackten Körper geschlungen. Herakles hingegen trägt ein hochgegürtetes Gewand und eine Haube, wie beide sonst nur für Frauen üblich sind. Zusätzlich, zur weiteren Veranschaulichung seiner "weiblichen" Dienste, hält Herakles eine kurze Spindel in der gesenkten rechten Hand; der große Rocken in der linken ist modern [1].

Abb. 1: Marmorgruppe, Neapel, Nationalmuseum 6406 (nach LIMC VII 2 [1994] 33 Nr. 23)

Abb. 2: Attisch rotfigurige Pelike, London, British Museum E370 (nach LIMC VII 2 [1994] 30 Nr. 2)

Hedwig Kenner, die Lehrerin unseres Jubilars, sah in Herakles in dieser Episode außerhalb des Dodekathlos vor allem einen chthonischen, transzendenten Aspekt des Helden, der aus dem dionysischen Umfeld abzuleiten ist [2]. Wieso kam es jedoch in jüngerer Zeit zur ikonographischen Erweiterung der dargestellten Episode Herakles bei Omphale um Rocken und Spindel [3]? Soll die Geschichte lediglich durch weitere Details besser veranschaulicht werden oder liegt in den von Omphale an Herakles ausgehändigten Gegenständen eine zusätzliche Bedeutungsebene, die dem römischen Betrachter problemlos verständlich war? Von augusteischer bis severischer Zeit erfolgt auch ein Wandel der Omphalegestalt; anfangs als mächtige Frau und als Beispiel für den gefährlichen und dekadenten Osten verstanden, wird die Lyderkönigin zu einer Vertreterin eines gesellschaftlich akzeptierten Frauenbildes. Das Verschieben der Bedeutungsebenen ist in einigen Kunstwerken - sowohl aus dem profanen als auch dem sepulkralen Bereich - nachzuvollziehen. In ihnen hat die Lyderkönigin ihre abschreckende Wirkung völlig eingebüßt und ihre Gestalt wird sogar für Porträtstatuen verwendet [4].

In römischer Zeit erfolgt die Textilerzeugung meist durch Männer in großem Rahmen in fullonia und anderen handwerklichen Betrieben, eine Schere wird oft als Symbol des wollverarbeitenden Handwerks eingesetzt [5]. Die Herstellung des zu Grunde liegenden Fadens scheint aber in der Hand der Frauen gelegen zu sein, wie beispielsweise die quasilloniae aus Rom zeigen. In epigraphischen und literarischen Quellen ist vielfach auch der Ausdruck lanam fecit für Frauen belegt, der bereits im 2. Jh. v. Chr. zu einem Klischee für die Pflichten der Ehefrau geworden zu sein scheint. Der Topos der liebenden, spinnenden und webenden Ehefrau wird in der Kaiserzeit literarisch und ikonographisch nicht nur weiter tradiert, sondern auch als politische oder zumindest moralisierende Propaganda eingesetzt [6].
Vor allem im Sepulkralbereich werden die Geräte der Wollverarbeitung ein Synonym für die domina, die zeitlebens ihren Pflichten nachkam und alle Agenden im und um das Haus organisierte [7]. Die Abbildung eines Wollkorbes, kalathos, von Rocken und Spindel, seltener des Webstuhls, auf Grabsteinen sind deshalb ein sichtbares Zeichen dafür, welche Stellung die Verstorbene zu Lebzeiten innehatte. Die Spinnutensilien können bei der Darstellung der Verstorbenen als Büste auch von den Frauen selbst gehalten werden, wie es besonders in Syrien verbreitet ist [8], oder auch isoliert auf der Grabtüre, auf dem Grabstein oder Grabaltar (Abb. 3) abgebildet werden [9].



Abb. 3: Grabaltar, Izmir, Archäologisches Museum Inv.-Nr. 339 (Photo Verf.)

Die selben symbolträchtigen Gegenstände finden wir auf einer Langseite eines auf allen vier Seiten reliefierten Jahreszeitensarkophages im karischen Aphrodisias wieder: Während der auf der rechten Seite der Vorderseite des Kastens (Abb. 4) sitzende Mann - und Familienvater - eine Buchrolle hält, trägt die stehende Frau in der Mitte der selben Seite Rocken und Spindel (Abb. 5). Ihr wird von einer weiteren Frau, vielleicht einer Amme, ein Kind von links gereicht [10]. Die Beigabe von Rocken und Spindel ins Grab geht sicherlich auf die selben Vorstellungen wie die Darstellung der Geräte auf dem Grab zurück [11]. In allen Fällen dürfen wir die Geräte für die Herstellung des Fadens aus der roh aufbereiteten Wolle - Rocken, Spindel und der dazugehörige Wirtel - als Metapher für die Stellung der Verstorbenen verstehen [12].

Abb. 4: Jahreszeitensarkophag aus der Südnekropole Aphrodisias, Archäologisches Museum (Photo Verf.)

Innerhalb der Sepulkralkunst wurde für figürliche und mythologische Szenen bzw. für dargestellte Gegenstände schon mehrfach eine symbolische Bedeutung vermutet, die über das dargestellte Szenario bzw. über die Anwendung der Geräte hinausreicht [13]. Die häufig abgebildete Buchrolle, wie beispielsweise auf dem Sarkophag in Aphrodisias, ist in diesem Zusammenhang zu nennen. Sie soll allgemein die Bildung des Verstorbenen illustrieren [14]. M. Cremer erkannte im sog. Winzermesser ein vergleichbares Symbol; es ist ein Hinweis nicht nur auf den Beruf, sondern eine Metapher für die philoponía des Mannes, "mit der er klug und vernünftig handelnd seine Aufgabe erfüllt" [15]. Daß solche Gedanken durchaus legitim, ja sogar erwünscht sind, verbalisieren einige Grabepigramme: Wolle bezeichne Fleiß, philoergós, der Verstorbenen. Die bildliche Umsetzung erfolgt in diesen Fällen durch die Abbildung eines Wollkorbes [16].

Abb. 5: Jahreszeitensarkophag Aphrodisias, Detail (Photo Verf.)

Abb. 6: Venuskunkel aus Ephesos, Hanghaus 2 (Photo ÖAW)

Die oben angesprochene Einführung von Rocken und Spindel in die Ikonographie von Herakles und Omphale belegt diese symbolische Wirkung der Geräte bereits in augusteischer Zeit, die keineswegs ausschließlich an die Sepulkralkunst gebunden ist.
Da diese Gegenstände eine Metapher für einen diesseitigen gesellschaftlichen Stand darstellen, sie also von jeder religiösen bzw. transzendenten Komponente entleert sind, auch wenn sie das ursprünglich teilweise gehabt haben mochten, gibt es auch kein Problem für Christen, die selben Symbole zu übernehmen: Sowohl Grabmäler von Christen als auch die auf eine Stelle bei Pseudo Jacobus zurückgehende, vor allem im christlichen Osten verwurzelte Bildtradition, in der Maria bei der Verkündigung spinnend dargestellt wird, führen die in römischer Zeit immanente symbolische Bedeutung der Spinngeräte fort [17].
Abschließend bleibt zu fragen, in welchen Rahmen in Heiligtümern und profanen Anlagen gefundene Spinnutensilien zu stellen sind? Abgesehen von der tatsächlichen Verwendung der Gegenstände an ihrem Fundort, darf ähnlich wie bei den Grabbeigaben und den abgebildeten Utensilien an eine den Instrumenten immanente symbolische Bedeutung gedacht werden. Vor allem bei Typen, deren Gestalt dermaßen die funktionelle Form weiterentwickeln bzw. verfremden, daß die Handhabe beim Spinnen äußerst schwierig bis unmöglich wird, wie es beispielsweise bei manchen Fingerkunkeln und besonders bei der Gruppe der sog. Venuskunkeln der Fall ist. Diese Form der Rocken ist durch die Fingeröse an einem und eine kleine Venusstatuette am anderen Ende charakterisiert (Abb. 6) [18].
Für die praktische Verwendung ist nicht nur der Schaft in der Mitte etwas kurz geraten, sondern auch die elaborierte Ausgestaltung äußerst hinderlich. Es sollte deswegen zumindest für diese konkrete Gruppe an symbolische Gegenstände gedacht werden. Mit großer Wahrscheinlichkeit sind sie als Repräsentativgegenstände im Besitz der "Herrin des Hauses" zu betrachten [19]; vielleicht trug sie sie auch bei offiziellen Anlässen bzw. stellte sie im öffentlichen Teil des Hauses zur Schau [20]. Vor diesem Hintergrund ist die Erweiterung der Ikonographie des Kleidertausches von Herakles und Omphale um Rocken und Spindel nicht nur für den römerzeitlichen Betrachter sondern auch für uns verständlich; sie spinnen doch nicht, die Römerinnen.

[1] LIMC VII 1 (1994) 45ff. s. v. Omphale (J. Boardman). Die Szene auf der attischen Pelike (hier Abb. 2) wurde von dem selben Autor zuvor auch als Daianeira interpretiert.
[2] H. Kenner, Das Phänomen der verkehrten Welt in der griechisch-römischen Antike (1970) 134ff. Zur Verbindung von Dionysos und Herakles vgl. auch N. Loraux, Herakles. The Super-male and the Feminine, in: D. M. Halperin - J. J. Winkler - F. I. Zeitlin (Hrsg.), Before Sexuality (1990) 36ff.
[3] In der lukanischen bildlichen Überlieferung ist dieselbe Zutat bereits im 4. Jh. greifbar; LIMC a. O.
[4] N. Kampen, Omphale and the Instability of Gender, in: N. Kampen (Hrsg.), Sexuality in Ancient Art. Near East, Egypt, Greece, and Italy (1996) 233-246.
[5] G. Zimmer, Römische Berufsdarstellungen, AF 12 (1982) 25ff.
[6] L. Larsson Lovén, Lanam fecit. Woolworking and Female Virtue, in: L. Larsson Lovén - A. Strömberg (Hrsg.), Aspects of Women in Antiquity, SIMA pocket book 153 (1998) 85-95.
[7] Die Aufgabe der Hausfrau als Wächterin des Hauses, die sie bei der Hochzeit übernimmt, ist vielfach literarisch belegt. Das bildliche Symbol dafür ist der Schlüssel bzw. Schlüsselbund. T. E. V. Pearce, The Role of the Wife as CUSTOS in Ancient Rome, Eranos 72, 1974, 16-33.
[8] K. Parlasca, Syrische Grabreliefs der hellenistischen und römischen Zeit, 3. TrWPr (1981) 16.
[9] Die Darstellung von Rocken und Spindel auf Grabmonumenten ist vor allem in vielen Gebieten Kleinasiens verbreitet, kommt aber auch in anderen Provinzen des Römischen Reiches vor. Zu den phrygischen Grabtüren vgl. M. Waelkens, Die kleinasiatischen Türsteine (1986) 12. Zu abgebildeten Spindeln auf gallischen Grabsteinen vgl. N. Kampen, Image and Status: Roman Working Women in Ostia (1981) 92. Grabaltar Izmir: Pfuhl-Möbius Nr. 2291.
[10] G. Koch - H. Sichtermann, Römische Sarkophage, HdArch V (1982) 529 Nr. 519.
[11] Zur Verwendung von Fingerkunkeln als Grabbeigaben vgl. M. Cremer, Fingerkunkel und Zettelstrecker, Boreas 21/22, 1998/1999, 327-332, bes. 328. Aus Österreich wurden u. a. Spinnutensilien aus römerzeitlichen Gräbern aus Wels, Bregenz, Neudörfl bekannt. Vala. Eine Frau vor 2000 Jahren (1997). Eine Zusammenstellung von in Gräbern gefundenen Spinnrocken bei S. Jäger-Wersonig, Das östliche Gräberfeld von Wels, Forum Archaeologiae 13/XII/99, Anm. 13-14. Mit Sabine Jäger-Wersonig diskutierte ich auch eine Detailfragen; sie sah sich außerdem freundlicherweise das Manuskript durch. Rocken, Spindel und Spinnwirtel wurden auch in einem Grab der ersten Hälfte des 3. Jhs. n. Chr. in Ephesos gefunden; E. Trinkl, Ein Set aus Spindel, Spinnwirtel und Rocken aus einem Sarkophag aus Ephesos, ÖJh 63, 1994, Beibl. 80ff.
[12] Das Zurückführen der Werkzeuge der Wollverarbeitung auf die eschatologischen Aspekte des Paares Herakles und Omphale würde sicherlich zu weit führen, auch wenn dies auf die Darstellung der Omphale auf zwei Sarkophagfragmenten durchaus zutrifft, Kampen a. O. (o. Anm. 4) 240ff.
[13] Darstellungen auf einem Grabmal erlauben neben Ableitung des Berufes und ähnliches u.a. auch Rückschlüsse auf ethnische und soziale Zugehörigkeit, Zimmer a. O.
[14] B. Ch. Ewald, Bildungswelt und Bürgerbild, in: G. Koch (Hrsg.), Akten des Symposiums "125 Jahre Sarkophag-Corpus" (1998) 39-51. Auf diesen jüngst erschienen Artikel machte mich freundlicherweise V. Bojanowsky aufmerksam. Buchrolle und Diptychon als eschatologische Symbole bei T. Wujewski, Anatolian Sepulchral Stelae in Roman Times (1991) bes. 23.
[15] M. Cremer, Asia Minor Studien 4, 2 (1992) 41.
[16] J. Nollé, Grabepigramme und Reliefdarstellungen aus Kleinasien, ZPE 60, 1985, 117-135. Die verschiedenen Symbole (Spinnutensilien und Wollkorb) können einander auch ergänzen; z. B. Nollé a. O. Taf. VIIIb. Vgl. ILS 8393. 8394; D. Flach, Die sogenannte Laudatio Turiae, Texte zur Forschung 58 (1991).
[17] Im Westen hält Maria meist bei der Verkündigung eine Buchrolle. A. Wasowicz, Traditions antiques dans les scènes de l'annonciation, DHA 16, 2, 1990, 163-177. Zu Grabsteinen von Christen mit der Abbildung von Rocken und Spindel vgl. Pfuhl-Möbius Nr. 1154. 1159.
[18] M. Cremer, Venuskunkeln aus Kleinasien, AA 1996, 135-144. Zum Hanghaus 2 in Ephesos vgl. K. Koller in diesem Band; zur Forschungsgeschichte dieses Großbaus ebenda bes. Anm. 4-5.
[19] Cremer a. O. betont ebenso den repräsentativen Charakter der Venuskunkeln und stellt eine Verbindung zu von Ägypten - dem vermuteten Herstellungsort dieser Prunkrocken - ausgehenden, synkretistischen Vorstellungen her. Die bisher unpublizierten Venuskunkeln aus dem Hanghaus 2 in Ephesos werden demnächst von der Autorin vorgelegt, die die Zusammenstellung von Cremer um zwei weitere Exemplare erweitern.
[20] Im Rahmen der Hochzeitszeremonie konnte die Braut die Spinnutensilien als Zeichen ihrer Sorgfaltspflicht im Haus gemeinsam mit den Schlüsseln in Empfang genommen haben; Cic. Phil. 2, 69; Pearce a. O.; Cremer a. O.

© Elisabeth Trinkl, Wien
e-mail:
elisabeth.trinkl@univie.ac.at

This article will be quoted by E. Trinkl, "Die spinnen, die Römerinnen", in: Altmodische Archäologie. Festschrift für Friedrich Brein, Forum Archaeologiae 14/III/2000 (http://farch.net).



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