Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 57 / XII / 2010

FUNDORT WIEN 13, 2010
Jahresbericht der Stadtarchäologie Wien

Das jüngst erschienene Fundort Wien 13, 2010 enthält wie stets einen kurz gehaltenen Überblick zu sämtlichen im Vorjahr stattgefundenen Ausgrabungen und Tätigkeiten der Stadtarchäologie Wien. Im umfangreichen Aufsatzteil werden diesmal neben einem Nachtrag zur neuzeitlichen Keramik vom Michaelerplatz vor allem aktuelle Grabungen ausgewertet. Hier sei nochmals nachdrücklich darauf hingewiesen, dass historische, bau- und kunstgeschichtliche Themen mit Wienbezug auch von externen WissenschaftlerInnen willkommen sind, sofern sie in die Blattlinie passen. Der Jahresbericht ist über Verlag oder Buchhandel in gedruckter Form und als eBook (auch einzelne Artikel) käuflich zu erwerben. Die Artikel seien an dieser Stelle kurz vorgestellt:

Die Befestigungen Wiens
Den mehrfachen Grabungen der Stadtarchäologie Wien im Bereich der mittelalterlichen/neuzeitlichen Befestigung und einem damit verbundenen Forschungsschwerpunkt entspringt ein Überblicksartikel zur Entwicklung und Nutzung der Fortifikationen ab dem 18. Jahrhundert bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts. Als Haupt- und Residenzstadt der Habsburgermonarchie stieg die Bevölkerungsdichte in Wien vor allem durch Zuzug beständig an, sodass die Innenstadt buchstäblich aus den Nähten platzte, und auch der Bedarf an repräsentativen Verwaltungs- und anderen Bauten wuchs entsprechend. Gleichzeitig brauchte man mit der militärischen Entwicklung mithaltende Schutzbauten, wie die jährlichen, Adaptierungs- und Bauvorhaben beinhaltenden „Rapportspläne“ überliefern. Der Grüngürtel des Glacis wurde im Laufe des 18. Jahrhunderts zunehmend von der Bevölkerung genutzt, zum Abhalten diverser Märkte, als Viehweide, zur Niederlassung staub- und lärmreicher Handwerksbetriebe u. Ä., und avancierte allmählich zum Erholungsraum. Spätestens mit den Napoleonischen Kriegen wurde deutlich, dass die Befestigung keinen militärischen Nutzen mehr bot, und es entstanden zahlreiche Pläne zur Erweiterung und Öffnung der Stadt, die ab 1857 zu ihrer endgültigen Schleifung führten.

Glockenbecherzeitliche Keramik und Pferdeknochen am Rennweg
Eine vielleicht zuerst als Erdkeller genutzte Grube auf dem Gelände der ehemaligen Staatsdruckerei am Rennweg 16, im 3. Bezirk, gab anlässlich einer Rettungsgrabung im Jahr 2005 glockenbecherzeitliche Keramik und vor allem sehr viele Pferdeknochen preis. Diese sind eindeutig als Reste des Fleischkonsums einzustufen, ungewöhnlich in einer Zeit, wo eher das Rind vorherrschte. Ob es sich um Wild- oder Haustiere handelte und woher diese Rasse stammte, lässt sich mit den wenigen bisher bekannten Vergleichsbeispielen nicht klären. Ihre Bevorzugung als Nahrungsmittel kann ökologische, ökonomische oder kulturelle Hintergründe gehabt haben, beispielsweise könnten sie auch mit durchziehenden Nomaden oder Halbnomaden in unsere Gegend gekommen sein.

Grabungen Am Hof
Ein weiterer Vorbericht [1] zu den Grabungen in und um die Feuerwehrzentrale Am Hof, einem Brennpunkt archäologischer Forschung zur westlichen Umfassungsmauer des Legionslagers Vindobona und dem mittelalterlichen Babenbergersitz mit dem benachbarten jüdischen Viertel, lässt vielversprechende Ergebnisse bei der endgültigen wissenschaftlichen Auswertung erwarten.
Es wurde der an die Lagermauer angeböschte Erdwall und ein Stück der via vallaris samt ihrem Entwässerungskanal aufgedeckt. Dazwischen, also im intervallum, kam eine Backofenbatterie zum Vorschein, die schon in der Frühzeit des Lagers der Versorgung der Soldaten mit Brot gedient haben dürfte. Später wurde die Anlage dann mit einem festen Gebäude überbaut, das zumindest abschnittsweise als Werkstatt genutzt wurde, aber auch Fußbodenheizungen aufwies. Auch hierin lässt sich wie im Bereich der ergrabenen Kasernen am unweit gelegenen Judenplatz ablesen, dass spätestens ab der Reduzierung der Truppenstärke in der Spätantike das Lager auch zunehmend von zivilen Personen bewohnt wurde.
Oberhalb des Abwasserkanals, dessen Flucht folgend, war im Mittelalter ein mächtiger Graben angelegt worden. Nach seiner Verfüllung entstand hier ein mehrräumiges Haus, das bis zum Pogrom 1421 den jüdischen Familien Suesman und Smoyel gehörte. Weiter im Norden der Grabung verwiesen massiv mit Tierknochen durchsetzte Planierungen auf den ehemaligen Standort des jüdischen Fleischhofes.

Gegen den bösen Blick …
Den Grabungen in der Feuerwehrzentrale ist ebenfalls der seltene Fund eines Amuletts zu verdanken, das im jüngsten Straßenschotter der via vallaris verloren ging. In das Goldblech sind kreisförmig Tiere wie Schlange, Adler, Skorpion und Hund bzw. Dinge wie Dolch und Dreizack, aber auch ein Phallus getrieben, die alle auf die zentrale Darstellung eines großen Auges zielen. Der Beitrag widmet sich ausführlich der Ikonographie dieses Abwehrzaubers, der – wohl als Anhänger um den Hals getragen – gegen den Bösen Blick helfen sollte, der aus Neid und Missgunst geboren anderen Schaden und Krankheit zufügen konnte.

Ein unbekannter römischer Altar
Eine Neuentdeckung stellt der bislang von der Forschung übersehene Jupiteraltar dar, der sich nahezu unversehrt in der wenig bekannten Loretogruft des Augustinerklosters erhalten hat. Eine archäologische Kurzuntersuchung vor Ort legt nahe, dass der Altar bei der Errichtung der Gruft – wohl um die Mitte des 17. Jahrhunderts – aufgefunden wurde und durch eine entsprechende Aufstellung vor einem der Pfeiler als Denkmal eine neue Würdigung erfuhr. Laut Inschrift weihte der optio Respectus diesen Votivstein Jupiter, als Faustinus und Rufinus Konsuln waren (also im Jahr 210), demnach dürfte er Unteroffizier bei der legio X gemina gewesen sein. Der Altar ist ein wichtiges weiteres Zeugnis für die südliche Ausdehnung der canabae legionis, deren Grenze in etwa entlang der heutigen Ost-West orientierten Straßenzüge Führichgasse und Annagasse angenommen wird.

Zur Geschichte des St. Ulricher Friedhofes
Aushubarbeiten für einen Liftschacht in der Zollergasse 32 im 7. Wiener Gemeindebezirk führten zur Aufdeckung von sechs Gräbern und einer Vielzahl dislozierter Knochen, die dem ehemaligen, zwischen 1590 und 1783 belegten Friedhof der Pfarre St. Ulrich entstammen. Dies bot die Gelegenheit zu umfangreichen historischen Recherchen, vor allem in den Kirchenrechnungen und den von 1634 bis 1784 fast vollständig archivierten Totenprotokollen, die zum einen Aufschluss über die Friedhofs- und Kirchengeschichte geben, zum anderen Informationen zu Herkunft, Stand, Religionszugehörigkeit u.a. der Verstorbenen enthalten. In der ursprünglich landwirtschaftlich (vor allem vom Weinbau) geprägten Vorstadt siedelten sich viele Zuwanderer aus den österreichischen Alpenländern, Niederösterreich und dem bayerisch-fränkischen Raum an und es entstanden vor allem im 18. Jahrhundert viele Handwerks- oder bereits vorindustrielle Gewerbebetriebe. Der Anteil an hier ansässigen Soldaten war vergleichsweise hoch. Die anthropologische Auswertung der Skelettreste deutet u.a. auf eine hohe Sterblichkeitsrate bei Kindern unter 5 Jahren hin, was generell als Anzeichen für schlechte hygienische, sozioökonomische und medizinische Bedingungen gilt. Dies zeigt sich auch in dem hohen Prozentsatz an Zahnpathologien.

Vom Wiener Neustädter Kanal zur Aspangbahn
Dass Archäologie auch zur Technik- und Industriegeschichte beitragen kann, zeigen die Untersuchungen auf den Aspanggründen im 3. Bezirk, wo das neue Wohngebiet „Eurogate“ im Entstehen begriffen ist. Hier verlief bis 1879 der Wiener Neustädter Kanal, der eigentlich als Wasserstraße bis zur Adria geplant war und schon bald von dem nicht weniger ambitionierten Projekt einer Bahnverbindung zwischen Wien und Saloniki überholt wurde. Unter dem mittlerweile längst abgerissenen historistischen Bahnhofsgebäude der Aspangbahn, die wie der Name schon sagt, lediglich bis Aspang in Niederösterreich ausgebaut wurde, kamen die Reste der mächtigen Stützmauern des ehemaligen Hafenbeckens zum Vorschein. Bei den noch andauernden Grabungen konnten aber auch römerzeitliche Strukturen der Randzone der Zivilstadt von Vindobona aufgedeckt werden sowie Spuren von Gräbern.

Irdenware und Chinaporzellan am Michaelerplatz
Einen genaueren Eindruck vom Tafelgeschirr und Koch- und Vorratsgefäßen des gehobenen Bürgerhaushaltes bzw. der Hofbeamten im Weichbild der Kaiserresidenz liefert ein Beitrag über neuzeitliche Keramikfunde aus den Grabungen am Michaelerplatz 1990/91, die bei der Endpublikation in Fundort Wien 11, 2008 [2] noch nicht berücksichtigt worden waren. Porzellane aus China und der Türkei, Fayencen aus Savona in Italien und aus der Westslowakei werfen ein Schlaglicht auf die Handelsbeziehungen in Wien im 18. Jahrhundert. Außerdem zeugen Produkte wie die teilweise in habanischer Tradition stehenden, Blau auf Weiß oder bunt mit den Scharffeuerfarben bemalten Krüge und Kannen aus vermutlich Niederösterreich, die Bestandteile eines Services der von Kaiser Franz Stephan gegründeten k. k. Majolikafabrik in Holitsch (Westslowakei) oder Stücke aus der „Wiener Porzellanmanufaktur“ von den Bemühungen, eine einheimische, konkurrenzfähige Industrie zu etablieren. Auf den zunehmenden Konsum von Tee, Kaffee und heißer Schokolade verweisen die Koppchen, Henkel- und Untertassenfunde aus chinesischem Porzellan, „China-Imari“ oder die gleich gestalteten, diese ablösenden Stücke der Wiener Manufaktur, die übrigens nach Meissen die zweite in Europa gegründete Porzellanmanufaktur (1718) darstellt. Interessant in diesem Fundposten ist auch ein Konvolut von Apothekenabgabegefäßen mit den charakteristischen, markant aus/umgebogenen Randformen als Binderand für die Tektur. Die bei den meisten Objekten beidseitig aufgetragene, teure opak weiße Fayenceglasur lässt einen kaufkräftigen Abnehmerkreis vermuten. Sie dienten daher vielleicht nicht nur der Abgabe von Arzneien, sondern auch als Behältnisse für teure Essenzen, die für die tägliche Toilette der gehobenen Kreise unerlässlich waren.

Fundort Wien. Berichte zur Archäologie 13/2010
Aufsätze
– Ingrid Mader, Wien vor dem Fall der Mauern – Ein Überblick.
– Martin Penz, Eine Siedlungsgrube der späten Glockenbecherkultur aus Wien 3, Rennweg 16 (Vorbericht).
– Sigrid Czeika, Pferde aus der Jungsteinzeit. Endneolithische Tierreste vom Rennweg 16, Wien 3.
– Martin Mosser, Befunde im Legionslager Vindobona. Teil V: Das Intervallum an der westlichen Lagermauer – Vorbericht zu den Grabungen Am Hof in den Jahren 2008/09.
– Rita Chinelli, Gegen den Bösen Blick … – Ein Goldamulett aus Wien 1, Am Hof.
– Martin Mosser/Theresia Pantzer, Ein römischer Altar im Wiener Augustinerkloster.
– Michaela Binder/Heike Krause, Der ehemalige Friedhof zu St. Ulrich in Wien-Neubau. Ausgrabung Zollergasse 32.
– Michaela Müller, Vom Wiener Neustädter Kanal zum Aspangbahnhof. Ausgrabungen in Wien 3, Aspanggründe.
– Alice Kaltenberger, Neuzeitliche Keramikfunde aus den Grabungen Wien 1, Michaelerplatz (1990/1991) – Teil 2.
Fundchronik – Grabungsberichte 2009
– Wien 22, Aspern – ehemaliges Flugfeld (M. Penz)
– Wien 17, St.-Bartholomäus-Platz (H. Krause)
– Wien 1, Am Hof 10 (M. Mosser)
– Wien 3, Aspanggründe (M. Müller)
– Wien 1, Riemergasse 7 (C. Litschauer)
– Wien 1, Rudolfsplatz 12 (Rudolfspark) (M. La Speranza)
– Wien 9, Währinger Straße 29–31 (I. Mader)
– Wien 13, Einsiedeleigasse 4 (J. Groiß/Ch. Öllerer)

FWien 13/2010
ISBN 978-3-85161-041-3, ISSN 1561-4891
Einzelpreis EUR 34,–. Abonnement-Preis EUR 25,60
eBook (pdf-Format)
ISBN 978-3-85161-042-0, ISSN 1561-4891
Gesamtpreis EUR 30,–. Einzelartikel EUR 2,80–13,80
Schriftentausch per E-Mail: biblioarchae@ma07.wien.gv.at
Auslieferung/Vertrieb: Phoibos Verlag, Anzengrubergasse 16, A-1050 Wien, Austria
E-Mail: office@phoibos.at, www.phoibos.at
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[1] M. Jandl - M. Mosser, Befunde im Legionslager Vindobona. Teil IV: Vallum, fabrica und Kasernen in der westlichen retentura – Vorbericht zu den Grabungen Am Hof im Jahr 2007. FWien 11, 2008, 4–34; M. Mosser, Wien 1, Am Hof 10. FWien 12, 2009, 195–200.
[2] A. Kaltenberger, Die neuzeitliche Keramik aus den Grabungen Wien 1, Michaelerplatz (1990/1991). FWien 11, 2008, 144–240.

© Museen der Stadt Wien – Stadtarchäologie
e-mail: biblioarchae@ma07.wien.gv.at


This article should be cited like this: Museen der Stadt Wien – Stadtarchäologie, Fundort Wien 13, 2010. Jahresbericht der Stadtarchäologie Wien, Forum Archaeologiae 57/XII/2010 (http://farch.net).



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