Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 49 / XII / 2008

FUNDORT WIEN 11, 2008
Forschungen aus dem Arbeitsgebiet der Stadtarchäologie Wien

Mit dem heurigen Jahresbericht der Stadtarchäologie Wien, Fundort Wien 11, 2008, kann die Auswertung der 1990/91 stattgefundenen Ausgrabungen am Michaelerplatz als abgeschlossen gelten. Die im nunmehr vierten Teil vorgestellten neuzeitlichen Befunde und Funde beginnen bei der zwischen 1480 und 1540 zu datierenden "Paradeisgartel"-Mauer der kaiserlichen Gartenanlagen der Hofburg. Ihre charakteristische spitzwinklige Form, deren Fundamente noch gut im "Archäologiefeld" zu erkennen sind, orientiert sich an einer bereits auf die Römerzeit zurückgehenden Straßenkreuzung, nämlich der Limesstraße mit einer Ausfallstraße nach Süden.
Heute mündet diese südliche Achse in das erst im späten 19. Jahrhundert endgültig fertiggestellte prunkvolle Michaelertor. Für das neue Platzkonzept, das schon auf Planungen aus der Barockzeit fußt, musste nicht nur das alte Hofburgtheater, sondern auch ein ganzer Häuserblock, die "Stöckl"-Häuser genannt, abgerissen werden (Abb. 1).


Die Beliebtheit des Theaters war so groß, dass die Besucher nach der letzten Vorstellung am 12. Oktober 1888 die halbe Inneneinrichtung auf der Jagd nach Erinnerungsstücken demolierten. Ergraben wurden u. a. Überreste eines Erweiterungsbaus von 1756 sowie einer Heizanlage aus der Zeit um 1829, die offenbar auch den Zuschauerraum mit warmer Luft versorgte. Das ehemalige Ballhaus, welches 1741 als Theater bzw. Opernhaus adaptiert worden war, scheint innerhalb der Grabungsfläche aber nicht erfasst worden zu sein. Es stammte schon aus der Zeit der "Paradeisgartel"-Mauer und diente der Hofgesellschaft für eine Art Tennis-Spiel.
Von den Privathäusern auf der gegenüberliegenden Seite der zur Burg führenden Straße, den "Stöckl"-Häusern, blieben nach ihrer Schleifung in den Jahren 1889 bis 1893 mit Schutt verfüllte, meist zweigeschoßige Kellerräume unter dem modernen Platzniveau erhalten. Unter den hier geborgenen neuzeitlichen Fundkomplexen sticht besonders ein Ensemble aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts hervor. Hier scheint das gesamte Inventar eines gutbürgerlichen Haushalts entsorgt worden zu sein. Neben Irdentöpfen und -pfannen für die Zubereitung der Speisen, also dem Kochgeschirr, steht ein reichhaltiges Spektrum an Fayencen und Trinkgläsern (Abb. 2-3), die als Tafelgeschirr dienten. An dessen Zusammenstellung ist eine Tendenz zu einheitlichen Servicen erkennbar, wie es in gut gestellten Kreisen mit passend aufeinander abgestimmtem Porzellangeschirr und untereinander ähnlich gestalteten Trinkglassortiments bereits die Regel war. Was auf diesen hübsch bemalten Tellern serviert wurde, lässt sich vielleicht aus einer Handvoll Austernschalen erraten, die den Rest einer Mahlzeit darstellen könnten. Mittelmeeraustern wurden damals lebend in mit Meerwasser gefüllten Fässern, in diesem Fall wahrscheinlich von den Häfen Venedig oder Triest, bis zu ihrem Bestimmungsort transportiert. Koch oder Köchin scheinen allerdings nicht viel vom Öffnen der Muschelschalen verstanden zu haben, wie an den Messerspuren und der abgesplitterten Perlmuttoberfläche abzulesen ist.


Weitere Forschungsresultate zur renaissancezeitlichen Stadtbefestigung von Wien, die in letzter Zeit wiederholt aufgedeckt wurde, ergaben sich bei dem Umbau des Etablissement Ronacher in der Seilerstätte (Abb. 4). Die Stadtmauer verlief in nordöstlich-südwestlicher Richtung unterhalb der Hinterbühne des Theaters und war zur Schellinggasse hin geböscht. Die abgetragene Mauerkrone, auf der die Mauern des Ronachers aufbauten, war noch etwa 2,40m breit. An ihrer Innenseite ließen sich vier angebaute Traversen feststellen. In einem Abstand von ca. 25m, gemessen von der Außenkante der Kurtine, kamen die mächtigen Pfeilerstümpfe eines Kellergewölbes zutage. Sie dürften Überreste des Kaiserlichen oder auch Unteren Zeughauses darstellen.

Auch zur römerzeitlichen Befestigung des Legionslagers gibt es neue Theorien. Die schon Ende des 19. Jahrhunderts in der Rotgasse 4 im Bereich des Lagergrabens aufgefundenen Fragmente einer trajanischen Bauinschrift boten bereits wiederholt Anlass zu verschiedensten Rekonstruktionsvorschlägen. Zs. Mráv und O. Harl stützen sich diesmal nicht nur auf den Vergleich mit anderen Inschriftenformeln, sondern auch auf die Neuinterpretation eines Mauerbefundes in der Kramergasse 9, der ursprünglich als mittelalterlich eingestuft, aber vor einigen Jahren durch M. Mosser als Teil der porta principalis dextra erkannt wurde. Demgemäß könnte die Inschrift auf zwei über den Durchgängen angebrachte Steintafeln verteilt gewesen sein. Nur der Name und die Titulatur Trajans weist die hierfür erforderliche Textlänge auf. Diesem Kaiser wird ein großangelegtes Bauprogramm für Pannonien zugeschrieben, als Anfang des 2. Jahrhunderts die Mauern von Vindobona, Brigetio, Carnuntum und evtl. auch Aquincum in Stein errichtet wurden.
Die noch laufenden Grabungen vor und in den Räumen der Feuerwehrzentrale Am Hof erbrachten ebenfalls neue interessante Details zur Lagerbefestigung, und das trotz der kleinen Schnittflächen, die zwischen diversen Kellerbauten und Tiefgarage noch übriggeblieben sind. So wurden Straßenkörper und Gehsteig der via vallaris und Teile des inneren, die Lagermauer begleitenden Walls aufgedeckt. Weiters kamen die Mauern einer Kaserne zum Vorschein und es konnte die legionseigene Werkstätte (Abb. 5), die fabrica, zwischen westlicher Wallstraße und einer von ihr abgehenden Nebenstraße lokalisiert werden. Die erste Wechselausstellung im 2008 neu eröffneten Römermuseum am Hohen Markt war dieser Grabung und ihren Funden gewidmet.

Fundort Wien. Berichte zur Archäologie 11/2008
Aufsätze
- Markus Jandl/Martin Mosser, Befunde im Legionslager Vindobona. Teil IV: Vallum, fabrica und Kasernen in der westlichen retentura - Vorbericht zu den Grabungen Am Hof im Jahr 2007.
- Zsolt Mráv/Ortolf Harl, Die trajanische Bauinschrift der porta principalis dextra im Legionslager Vindobona - Zur Entstehung des Legionslagers Vindobona.
- Ingrid Mader, Bericht über die archäologischen Untersuchungen im Etablissement Ronacher 2006/2007.
- Ingeborg Gaisbauer, Ein Pfeifentonfigürchen aus der Grabung im Ronacher in Wien.
- Heike Krause/Gerhard Reichhalter/Sylvia Sakl-Oberthaler, Neuzeitliche Befunde der Grabungen Wien 1, Michaelerplatz (1990/1991).
- Constance Litschauer, Das neuzeitliche Münzspektrum aus den Grabungen Wien 1, Michaelerplatz (1990/1991).
- Alice Kaltenberger, Die neuzeitliche Keramik aus den Grabungen Wien 1, Michaelerplatz (1990/1991).
- Roman Sauer, Untersuchung von Farbspuren an neuzeitlichen Gefäßen aus den Grabungen Wien 1, Michaelerplatz (1990/1991).
- Kinga Tarcsay, Die neuzeitlichen Glasfunde aus den Grabungen Wien 1, Michaelerplatz (1990/1991).
- Andreas R. Hassl, Austernschalen und Schildpatt - Hinterlassenschaften eines gehobenen Lebensstils in den "Stöckl"-Häusern am Wiener Michaelerplatz.
- Autorenteam Michaelerplatz, Neuzeit, Zusammenfassende Analyse der neuzeitlichen Befunde der Grabungen Wien 1, Michaelerplatz.
Tätigkeitsbericht
- Wolfgang Börner/Robert Saul/Peter Scheuchel, Web-Portal "Wien Kulturgut" - Der neue Kulturgüterkataster der Stadt Wien.
Fundchronik

FWien 11/2008
ISBN 978-3-85161-005-5, ISSN 1561-4891
Einzelpreis EUR 34,-. Abonnement-Preis EUR 25,60
Aktion FWien 2/1999 bis 11/2008 (10 Bände) zusammen nur EUR 170,-
Schriftentausch per E-Mail:
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