Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 12 / IX / 1999

MARCELLO BARBANERA, L'ARCHEOLOGIA DEGLI ITALIANI
Besprechung

Marcello Barbanera, L'archeologia degli italiani. Storia, metodi e orientamenti dell'archeologia classica in Italia. Con un contributo di Nicola Terrenato, Rom 1998 (Editori Riuniti) 255 S. - 30.000 Lire.

"L'archeologia degli italiani" behandelt die Geschichte der italienischen Klassischen Archäologie von 1861, dem Zeitpunkt der Bildung des modernen italienischen Nationalstaats, bis 1997.
Der Titel "Archäologie der Italiener" ist vielleicht erstes Indiz für einen personenbezogenen Akzent der Darstellung, ein Zugang, der nicht zuletzt der Tatsache Rechnung trägt, daß in einer so kleinen Disziplin wie der Archäologie, umso mehr in der Teildisziplin Klassische Archäologie, jede Generation nur eine Handvoll an Protagonisten aufzuweisen hat und damit die biographische Komponente, das Agieren weniger Exponenten, einen hohen Stellenwert einnimmt. Dennoch wäre es verfehlt anzunehmen, B.'s Buch ordnete sich der Gattung der hagiographisch-anekdotischen Publikationen zu. Eher ist das Gegenteil der Fall. Das Agieren einzelner Personen, auch die personifizierte Alternative in Momenten der Entscheidung bilden lediglich den beweglichen Vordergrund einer im wesentlichen strukturgeschichtlich ausgerichteten Darstellung. Die "(Klassische) Archäologie der Italiener" ist keine archäologische Ereignisgeschichte, keine Dokumentation einer Kette von Entdeckungen, Kampagnen oder Expeditionen, sondern die Rekonstruktion von Konzepten, in einem veränderlichen Umfeld politischer, institutioneller, gesellschaftlicher und geistesgeschichtlicher Rahmenbedingungen eine Archäologie der Antike zu realisieren.
In großer Klarheit wird der Reichtum an Einzelinformationen entlang eines roten Fadens angeordnet, dessen Verlauf B. an einer polarisierenden Zuspitzung von "Positivismus" und "Idealismus" orientiert: Positivismus als dokumentarischer Ansatz, der die Totalität der materiellen Kultur der Antike in den Blick nimmt, ohne bestimmte Fragestellungen an dieses Material zu präjudizieren; "Idealismus" als wertender Ansatz, der die zeitlose Vorbildhaftigkeit der Antike betont und in diesem Sinne den Ausschnitt aus der materiellen Hinterlassenschaft der Antike selektiert, der die Antike von anderen historischen Epochen unterschiede. Alle diejenigen Gegenstände werden danach hintangestellt, die sich an Grundkonstanten menschlicher Existenz in der Vergangenheit binden und deren Erforschung die Antike als geschichtliche Epoche zunächst zu historisieren vermöchten. In diesem Sinne illustriert B.'s Darstellung das bisherige erdrückende Übergewicht einer dem "Idealismus" zuneigenden Klassischen Archäologie in Italien.
Als ein weiteres Leitmotiv dient der aufmerksame Nachvollzug der zögerlichen (anti-positivistischen!), von Widerständen und Widersprüchen begleiteten Rezeption des Prinzips der stratigraphischen Grabung, eines Strandardinstruments der modernen wissenschaftlichen Archäologie. Mit dieser deutlich den Ansätzen von Andrea Carandini und Daniele Manacorda folgenden Schwerpunktsetzung verbindet B. den Vorschlag, nicht allein zwischen nicht-stratigraphischer und stratigraphischer Grabung zu unterscheiden, sondern mit einer historischen wie systematischen Dreiteilung in "sterro" (Freilegung), "scavo di attenzione" (beobachtende Grabung) und "scavo stratigrafico" (stratigraphische Grabung) dem fundamentalen Neuansatz des letztgenannten Konzepts Rechnung zu tragen. So wird es zunächst möglich, die Archäologen des ausgehenden 19. sowie beginnenden 20. Jahrhunderts zu würdigen, die gegen das jahrhundertealte Vorgehen opponierten, eine archäologische Grabung lediglich als eine Freilegung und Bergung einzelner, für sich als wertvoll angesehener Objekte aufzufassen. Die "beobachtende Grabung" erkannte die Strukturierung archäologischer Befunde als relevant, sie akzeptierte die wissenschaftliche Verantwortung für das Gesamtspektrum der auftretenden Einzelfunde. Aber erst die "stratigraphische Grabung" rückte mit voller Konsequenz von der Konzeption ab, zwischen archäologischem Material und 'Verschüttung' zu trennen. Das Verständnis der Gesamtheit natürlicher wie anthropogener Stratifizierungen als für die Geschichte eines Platzes aussagekräftig bildete mit seinen gesteigerten Anforderungen an die Durchführung einer Grabung die Voraussetzung für Theoretisierung, Verwissenschaftlichung und Verselbständigung der Grabungsarchäologie.

Insgesamt sechs Kapitel stellen den Gegenstand des Buches in einem chronologisch geordneten Durchgang vor.

Kapitel 1 ("Geburt einer Nation: Die antiquarische Archäologie und die neuen Institutionen [1861-1875]") setzt mit einem Panorama der vielfältigen und sehr heterogenen Bestimmungen ein, durch die die italienischen Einzelstaaten vor der Einigung archäologische Fragen (Zuständigkeiten, Schutzbestimmungen usw.) geregelt hatten. Die Notwendigkeit der Vereinheitlichung dieses bunten Kosmos verlangte nach Grundsatzentscheidungen auf zentraler Ebene: Wie sollten in Zukunft Ausgrabungstätigkeit, Museumsarbeit und die Ausbildung des Nachwuchses im Königreich geregelt werden? Besondere Beachtung erfährt das Projekt des Neapolitaner Archäologen und ersten Direktors der nationalen Denkmälerverwaltung, Giuseppe Fiorellis, zur systematischen Nachwuchsförderung eine Archäologische Schule, zunächst in Pompeji, später auf nationaler Ebene. Es stellte der theoretischen archäologischen Arbeit die praktische Kompetenz im Umgang mit den "Monumenten" auf der Grabung und im Museum gegenüber, eine Kompetenz, die Fiorelli angesichts des steigenden Bedarfs an Archäologen für die sich entwickelnde Boden- und Baudenkmalpflege wesentlich erschien. Das Projekt blieb jedoch stark umstritten und in wesentlichen Zügen unverwirklicht. Wie ein Menetekel erscheint die Äußerung Theodor Mommsens aus einem Gutachten von 1869: "Die wahre Schule des Archäologen der Zukunft ist die Philologie, das heißt die Universität." (28).
Entwickelte sich die Archäologische Schule nicht in Fiorellis Sinne, so entstand aber eine zentrale Leitung der nationalen Denkmal- und Bodendenkmalpflege, wurden die ersten Schritte zur Aufstellung neuer Rechtsnormen verwirklicht.
Von besonderer Bedeutung waren die Geschehnisse auf dem archäologischen Schauplatz Rom. Die Zuständigkeit staatlicher, kommunaler und klerikaler Einrichtungen für die Archäologie Roms legte den Grundstein für ein bis heute bestehendes kompliziertes Nebeneinander von Kompetenzen. Der Ausbau Roms zur Hauptstadt entfachte eine Bauspekulation größten Ausmaßes. Die Bautätigkeit betraf etliche seit dem Mittelalter nicht mehr überbaute Areale des antiken Roms, die zum größeren Teil der Neubebauung zum Opfer fielen. Zugleich geriet dieses Zerstörungswerk zu einem ungeheuren Datenlieferant, denn die Eliminierung eines Teils der Infrastruktur der antiken Stadt gab zugleich z.T. zum ersten Mal flüchtige Auskunft über zuvor nicht Bekanntes - fast eine prototypische Situation der modernen Archäologie, die ihren Datenzuwachs nicht unwesentlich einer dynamisch fortschreitenden Vernichtung archäologischen Quellenmaterials verdankt. In Rom äußerte sich dieser Widerspruch u.a. in der Begründung einer spezifischen topographischen Schule durch Rodolfo Lanciani - gleichermaßen Protokollantin der Zerstörung und wissenschaftliche Nutznießerin einer archäologischen Resteverwertung.
Auf spätere Zeiten vorweg verweist die Einbeziehung der Archäologie Roms in die Auseinandersetzung um wichtige städtebauliche Entscheidungen, in der sich die neue nationale Regierung und die päpstliche Partei gegenübersahen. Archäologischer Arm der laizistischen Ansprüche wurde Pietro Rosa, der den Kult der römischen Antike als Gegengewicht zu Jahrhunderten päpstlicher Vorherrschaft in archäologische Projekte, etwa die realisierte "liberazione" des Pantheon oder des Kolosseums oder die versuchte, erst unter Mussolini verwirklichte, Freilegung des Augustus-Mausoleums umsetzte.
Neben der schon erwähnter Archäologen markiert die Tätigkeit so unterschiedlicher Persönlichkeiten wie Giancarlo Conestabile della Staffa, Antonino Salinas oder Giulio Minervini diese Phase des Übergangs.

Kapitel 2 ("Zwischen Praxis und Modell: eine Archäologie für den Einheitsstaat [1876-1899]") protokolliert eine Richtungsentscheidung mit der Berufung Emanuel Löwys aus Wien auf den Lehrstuhl für "Archäologie der Kunst" an der Universität Rom, deren Tragweite durch die fast konträren wissenschaftlichen Profile Löwys und seines einzigen Mitbewerbers Paolo Orsi beleuchtet werden. Löwys Lehrtätigkeit ab 1890 bedeutete die Verpflanzung der deutschsprachigen Kunstarchäologie nach Italien, die als "monumentale Philologie" eng mit dem quantitativen wie qualitativen Aufschwung altphilologischer Studien verbunden war und zugleich mit der Entwicklung neuer Methoden der Formanalyse ein eigenes archäologisches Selbstbewußtsein ausgebildet hatte.

Abb. 1: "Stratigraphische Grabung" (Giacomo Boni, Rom, Forum Romanum): Integrierte Beobachtung der natürlichen und anthropogenen Stratifizierung (nach Bolletino d'Arte 7, 1913, 46)

Das philologische Denken, das Datieren, Rezensieren und Restituieren vermochte zu einer neuartigen kritischen Gliederung wie Gewichtung der Quellen zu führen, die Verschmelzung der Quellenkritik mit einem Begriff linear voranschreitender Entwicklung gliederte das lange Kontinuum der Antike nach den Vorgaben einer vermeintlichen oder tatsächlichen inneren Logik. Das neue Instrumentarium bemächtigte sich im Zeichen des "Idealismus" trotz seines weitergehenden Potentials vor allem der kunstgeschichtlichen Überlieferung. B. betont die Ambivalenz der Entwicklung: Zum einen das Leistungsvermögen einer auf ein deutliches Ziel ausgerichtete Forschungsrichtung, zum anderen die Gefahr der inhaltlichen Verengung, die sich besonders auf die dokumentierende Archäologie negativ auswirkte. Der Zweitrangigkeit und Vernachlässigung der praktischen Archäologie vermochten auch die epochalen Grabungen Giacomo Bonis auf dem Forum Romanum nicht abzuhelfen. Boni realisierte auf dem hochkomplizierten Areal eine maßstabsetzende stratigraphische Grabung, vermochte aber die zeitgenössische Praxis aufgrund seiner beruflichen Isolation kaum zu beeinflussen (Abb. 1).

Kapitel 2 ("Zwischen Praxis und Modell: eine Archäologie für den Einheitsstaat [1876-1899]") protokolliert eine Richtungsentscheidung mit der Berufung Emanuel Löwys aus Wien auf den Lehrstuhl für "Archäologie der Kunst" an der Universität Rom, deren Tragweite durch die fast konträren wissenschaftlichen Profile Löwys und seines einzigen Mitbewerbers Paolo Orsi beleuchtet werden. Löwys Lehrtätigkeit ab 1890 bedeutete die Verpflanzung der deutschsprachigen Kunstarchäologie nach Italien, die als "monumentale Philologie" eng mit dem quantitativen wie qualitativen Aufschwung altphilologischer Studien verbunden war und zugleich mit der Entwicklung neuer Methoden der Formanalyse ein eigenes archäologisches Selbstbewußtsein ausgebildet hatte. Das philologische Denken, das Datieren, Rezensieren und Restituieren vermochte zu einer neuartigen kritischen Gliederung wie Gewichtung der Quellen zu führen, die Verschmelzung der Quellenkritik mit einem Begriff linear voranschreitender Entwicklung gliederte das lange Kontinuum der Antike nach den Vorgaben einer vermeintlichen oder tatsächlichen inneren Logik. Das neue Instrumentarium bemächtigte sich im Zeichen des "Idealismus" trotz seines weitergehenden Potentials vor allem der kunstgeschichtlichen Überlieferung. B. betont die Ambivalenz der Entwicklung: Zum einen das Leistungsvermögen einer auf ein deutliches Ziel ausgerichtete Forschungsrichtung, zum anderen die Gefahr der inhaltlichen Verengung, die sich besonders auf die dokumentierende Archäologie negativ auswirkte. Der Zweitrangigkeit und Vernachlässigung der praktischen Archäologie vermochten auch die epochalen Grabungen Giacomo Bonis auf dem Forum Romanum nicht abzuhelfen. Boni realisierte auf dem hochkomplizierten Areal eine maßstabsetzende stratigraphische Grabung, vermochte aber die zeitgenössische Praxis aufgrund seiner beruflichen Isolation kaum zu beeinflussen (Abb. 1).
Emanuel Löwy, Paolo Orsi, Giacomo Boni und Rodolfo Lanciani werden als die prägenden archäologischen Persönlichkeiten hervorgehoben.

Kapitel 3 ("In Richtung Identitätsbildung [1900-1918]") lenkt den Blick auf den Beginn der italienischen Auslandsarchäologie und die Zäsur eines Generationswechsels. Noch im alten Jahrhundert, 1899, wurde die italienische archäologische Kreta-Mission unter Federico Halbherr ins Leben gerufen, die prototypisch sowohl die gesteigerte Leistungsfähigkeit der Archäologie (ein leicht vergrößerter personeller Stamm, ausgreifende wissenschaftliche Fragestellungen) wie auch eine nicht ungefährliche Annäherung der Planung wissenschaftlicher Einsätze und Projekte an politische Opportunitäten verkörpert. Die Gefahr der politischen Fernsteuerung trat schließlich kurz vor und während des Ersten Weltkrieges deutlich zutage.

Abb. 2: "Beobachtende Grabung" (Paolo Orsi, Syrakus, Athena-Tempel): Isolierte und schematisierte Beobachtung der anthropogenen Stratifizierung (nach Monumenti Antichi 25, 1918, 409f. Abb. 21)
Kurze biographische Profile wichtiger Klassischer Archäologen der Zeit wie Lucio Mariani, Luigi Pernier, Giulio Emanuele Rizzo oder Alessandro Della Seta erweitern den Blick auf das inhaltliche und methodische Spektrum der Protagonisten. Der Primat der Kunstarchäologie war fest verankert. Auf dem praktischen Sektor erreichte die Phase der "beobachtenden Grabung" ihren Zenit (Abb. 2).

Kapitel 4 ("Die Tradition der Vergangenheit und der Ursprung der Krise: Die Archäologie zwischen den Kriegen [1920-1945]") macht zunächst auf einen inhaltlichen Umschwung aufmerksam. Dem Hellenozentrismus besonders in der Kunstgeschichtsschreibung trat ein frisches Interesse an der etruskisch-italischen und römischen Kunst entgegen. Der Perspektivenwechsel bedeutete prinzipiell ein wissenschaftliches Desiderat, sein Potential wurde jedoch durch zunehmend irrationale Betrachtungsweisen, denen in Italien der nationalistische "Kult der Romanität" eine besondere Note verlieh, entscheidend geschwächt.

Abb. 3: Verzicht auf die wissenschaftliche archäologische Grabung (Rom, Caesar-Forum): Freilegung und Präparierung eines archäologischen Horizontes zuungunsten anderer (Photo Verfasser)

Die expansionistische Außenpolitik garantierte der italienischen Archäologie außerhalb der Landesgrenzen wachsende Unterstützung, verstärkte aber auch die korrumpierende Wirkung politischer und ideologischer Konformität auf das Niveau der archäologischen Praxis. So ist das fachliche Urteil gerade auch über die langjährigen Aktivitäten in den seit Ende 1911 annektierten libyschen Provinzen Tripolitanien und Kyrenaika oder auf den 1912 okkupierten Inseln des Dodekannes überwiegend negativ: In Italien und außerhalb wurde z.T. hastig und zerstörerisch gegraben, zweifelhaft restauriert, ungenügend publiziert. Selbst der Standard der "beobachtenden Grabung" wurde nicht gehalten (Abb. 3). In den wichtigsten Daten gestreift werden weitere Auslandsengagements in der Türkei, in Albanien, in Ägypten und in Jordanien.
Als Protagonisten dieser Phase werden u.a. Alessandro Della Seta, Goffredo Bendinelli, Domenico Mustilli, Doro Levi, Carlo Anti, Biagio Pace, Ranuccio Bianchi Bandinelli, Giulio Quirino Giglioli, Amedeo Maiuri und Paola Montuoro Zancani vorgestellt.

Kapitel 5 ("Die Nachkriegszeit. Beharren, Versäumnisse und neue Entwicklungen [1945-1975]") kennzeichnet zunächst die inhaltliche Stagnation der ersten Jahrzehnte der zweiten Nachkriegszeit, eine Stagnation, der nach dem Verstummen der politisierenden Rhetorik faschistischer Zeit die faktische Wirkung einer Implosion zukam. Unter diesen Bedingungen konzentriert sich die Darstellung individueller Leistungen auf Arbeit und Einfluß der großen Kontrastfigur Ranuccio Bianchi Bandinelli. Bianchi Bandinellis Bemühungen um eine Einordnung der antiken Kunst in ihr historisches und gesellschaftliches Umfeld werden ebenso charakterisiert wie seine bemerkenswerten fachpublizistischen Aktivitäten. Der schulbildenden Wirkung des Universitätslehrers Bianchi Bandinelli schließlich schreibt B. die Ausweitung des herkömmlichen Bezugsrahmens der Klassischen Archäologie auf die "cultura materiale" der Antike zu, wie es in einer heftig diskutierten Programmschrift Andrea Carandinis kategorisch gefordert wurde.
Spezifisch italienische Züge trägt der Einfluß marxistischen Gedankenguts auf dieses ganzheitliche Konzept der antiken materiellen Kultur als der einzigen sinnvollen prinzipiellen Begrenzung des Gegenstandes einer Archäologie der Antike. Zu dem Ausmaß an Irritationen, das diese Konzeption auf das traditionsverhaftete Umfeld auszuüben vermochte, ist erneut die Einleitung zu konsultieren (XVII - XIX).

Das abschließende Kapitel 6 ("Zwischen Tradition und Trend. Die letzten zwanzig Jahre [1975-1997]") stellt den Beitrag von Nicola Terrenato dar. Die verhaltene italienische Reaktion auf die Vorgaben der internationalen Diskussion wird zwar beklagt, doch lassen sich in einigen Arbeitsbereichen bemerkenswerte Ergebnisse einer derartigen Auseinandersetzung konstatieren. Spektakuläre Rückwirkungen hatte der direkte Kontakt einer italienischen Equipe unter Leitung von Carandini mit britischen Kollegen auf der internationalen Rettungsgrabung in Karthago. Eine intensive Beschäftigung mit den neuen Grabungsdoktrinen vor allem Edward Harris' und Philip Barkers führte zunächst zu deren kritischer Adaption und anschließender Propagierung durch die besagte Gruppe, innerhalb kurzer Zeit zur Ausgabe entsprechender Richtlinien und Dokumentationsformulare (schede) durch die zentrale bürokratische Instanz im Ministerium für die Kulturgüter. Daß diese Entwicklung maßgeblich durch ein klassisch-archäologisch geprägtes Ambiente getragen wurde, verleiht ihr im europäischen Kontext einen ganz besonderen Rang (Abb. 4).


Abb. 4: "Stratigraphische Grabung" (Andrea Carandini): Das Prinzip der stratigraphischen Einheit (nach Harris) (nach Andrea Carandini, Storie dalla terra. Manuale di scavo archeologico, 1996, 64, Abb. 62f.)

Vielleicht hätte der Hinweis darauf erfolgen können, in wie starkem Maße sich der Ehrgeiz der Vertreter sowohl eines erweiterten Archäologiebegriffes wie einer quellenkundlich ausgerichteten grabungsarchäologischen Methodologie auf das archäologische Zentrum Roms richtete, das Symbol einer als antagonistisch empfundenen Archäologie der Vorgängergeneration. In den Polemiken um den Umgang mit den Altgrabungen im Forum Romanum und in den Kaiserfora auf der einen, mit der faschistischen Inszenierung von Großstadtverkehr der "Via dell'Impero" ( Via dei Fori Imperiali) auf der anderen Seite treten wie unter einem Brennglas die gegensätzlichen Mentalitäten eines "linken" und eines "rechten" intellektuellen Milieus hervor. Das gegenwärtige gewaltige Grabungsprogramm im Bereich der Fora, dessen Realisierung dem "Giubileo 2000" geschuldet wird, ist in seinem methodischen Anspruch ohne die vorangegangenen Jahrzehnte eines "Kulturkampfes" nicht vorstellbar.
Auch die Klassische Archäologie Italiens reagierte nur in Ausnahmefällen auf die heftigen Vorgaben der Prozessualen Archäologie, der Post-Prozessualen Reaktion, der jüngsten Kritik wiederum an dieser Reaktion. T. weist mit Recht auf die Gefahren einer zu auswahlweisen Beachtung von außen importierter methodischer Bausteine hin, die deren Genese, Kontext und damit Relativität außer acht ließe. Eine nur sporadische Begleitung der internationalen Diskussion vermag sich daher auch längerfristig als Hypothek auswirken.
Wie der abschließende Teil einer Rahmenhandlung wirken die kurzen Verweise auf die institutionellen Defizite in der archäologischen Denkmalverwaltung (den soprintendenze) und in den Universitäten, deren Aufgabenzuschnitt und Denominationen den Spezialisierungstendenzen und damit Professionalitätsansprüchen nicht mehr gerecht werden. Unter verschärften Bedingungen taucht hier ein Leitmotiv wieder auf, das die vorliegende Archäologiegeschichte schon zu Beginn ihrer Darstellung zu thematisieren hatte.
Abgeschlossene Kurzbewertungen der beruflichen Bilanz prägender Archäologen, wie sie die vorangehenden Kapitel zu bieten hatten, waren aus naheliegenden Gründen von diesem offenen Schlußabschnitt nicht zu erwarten. Einige zusammenhängende Hinweise auf die berufliche Prägung und bisherige professionelle Karriere dominierender Figuren wie u.a. Filippo Coarelli, Mario Torelli, Eugenio La Rocca, Salvatore Settis oder Andrea Carandini wären jedoch dem Leser sicher willkommen gewesen und hätten der Gesamtanlage des Buches entsprochen.

Für den deutschsprachigen Leser ist B.'s Buch von besonderem Interesse: Es illustriert aus dem Blickwinkel Italiens die starke Ausstrahlungskraft der Kunstarchäologie Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts, somit ein Stück Wirkungsgeschichte einer mitteleuropäischen Wissenschaftstradition. B. kann breit dokumentieren, daß diese Entscheidung einem Bedürfnis nach Konzentration und Orientierung entsprach, dem Anliegen, der von Konturen- und Zwecklosigkeit bedrohten "antiquarischen" Archäologie die Ausrichtung auf Wesentliches, die "kreative" und vorgeblich im eigentlichen Sinne "humane" Hinterlassenschaft der antiken Kunst, gegenüberzustellen. Diese Konzentration bedeutete jedoch zugleich Reduktion, denn sie schied den Löwenanteil der antiken materiellen Kultur aus der Behandlung aus, entzog ihn damit zugleich alternativer oder übergeordneter historischer Betrachtung. Die Problematik dieser Reduktion wird nirgendwo deutlicher als in dem alles in allem indifferenten Verhältnis der Kunstarchäologie zur Grabungsarchäologie, deren Weiterentwicklung zu relativer theoretischer wie praktischer Autonomie sich nur auf dem Nährboden eines historischen Archäologie-Verständnisses vollziehen konnte, das der Kunstarchäologie im wesentlichen abging. Die Einseitigkeit der Kunstarchäologie mußte in einem Land wie Italien, dessen Bodendenkmalpflege für einen so gewichtigen Ausschnitt der antiken materiellen Kultur Verantwortung trägt, zu besonderen Widersprüchen und schließlich zu Gegenentwürfen führen. So kann heute die italienische Klassische Archäologie, die vor gut einhundert Jahren bei ihrem ultramontanen Vorbild "in die Schule ging", mit der theoretischen wie praktischen Überwindung der Vorrangstellung der Kunstarchäologie der deutschsprachigen Archäologie zur Orientierung dienen. Es ist interessant zu beobachten, daß sich in Italien die Schüler Bianchi Bandinellis in unterschiedliche Richtungen weiterentwickelten und so nicht allein die Kunstgeschichte der Antike historisierten, sondern zu einer eigentlichen Archäologie modernen internationalen Verständnisses ausweiteten. Der nicht unbeträchtliche Einfluß der Ansätze Ranuccio Bianchi Bandinellis auf jüngere deutsche Archäologen der im nachhinein so einflußreichen Gruppe "Römische Ikonologie" dagegen konzentrierte sich auf die Integration neuer ikonologischer und semiotischer Fragestellungen in die hergebrachte Kunstgeschichte, ohne den Bezugsrahmen grundsätzlich auszuweiten. B.'s programmatische Einleitung (XVII - XX) sowie die abschließenden Kapitel 5 und 6 zeigen, daß die jüngste Entwicklung der italienischen Klassischen Archäologie nicht die Ablösung einer wissenschaftlichen Monokultur durch eine andere bedeutete, sondern zu belebender Pluralität und Konkurrenz alternativer wie sich ergänzender methodischer Ansätze führte. Nicht zuletzt die gehobene Warte der Selbstreflexion der "L'archeologia degli italiani" sollte als Werbung für die Attraktivität des offeneren wissenschaftlicheren Diskurses dienen können.

© Stefan Altekamp
e-mail: Stefan.Altekamp@culture.hu-berlin.de

This article will be quoted by St. Altekamp, Marcello Barbanera, L'archeologia degli italiani. Besprechung, Forum Archaeologiae 12/IX/99 (http://farch.tsx.org/forum0999/12ital.htm).



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