Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 40 / IX / 2006

DAS GYMNASIUM VON KYRENE IM KONTEXT DER URBANISTISCHEN ERNEUERUNG IM 2. JAHRHUNDERT V.CHR.

1. Das Gymnasium von Kyrene und der xystòs

Das griechische Gymnasium von Kyrene stellt gemeinsam mit dem xystòs eines der signifikantesten Bauwerke der Stadt im 2. Jahrhundert v.Chr. dar. Dieses architektonische Monumentalwerk erstreckt sich im Osten der agorà auf einer Fläche von ca. einem Hektar und wurde in der zweiten Hälfte des 2. Jahrhunderts v.Chr. unter dem Druck Ptolemäus VIII. Euergetes II. errichtet. Auf diese Weise gelang es ihm einmal mehr, sich in seiner herausragenden Rolle für die baulichen Aktivitäten, welche ihm ebenfalls bezüglich des öffentlichen Raumes attestiert wird, zu beweisen und die dynastische Macht zu vergrößern [1] (Abb.).
Dank archäologischer Forschungen der vergangenen Jahre, ist es nun möglich, einen Plan des Komplexes zu skizzieren [2]. Die Anlage des Gymnasiums besteht folglich aus zwei verschiedenen architektonischen Komponenten: dem Quadriporticus in dorischem Stil auf der Südseite, der insgesamt drei Viertel der Gesamtfläche einnimmt, sowie einigen Räumen im Norden [3] (Abb.). Beide Teile sind von einer hohen Begrenzungsmauer, die das komplette Bauwerk von den umliegenden Gebäuden isoliert, umgeben; das Gymnasium ist also lediglich durch zwei monumentale propyla zugänglich: die eine befindet sich im Süden an der Straße, die zur agorà führt, die andere im Osten auf einem stenopos, der senkrecht zu dieser ausgerichtet ist (Abb.).
In Bezug auf die beiden Komponenten des Gymnasiums ist zu unterstreichen, dass der Quadriporticus einen 4160m2 großen Innenhof hat, der das Herz des Gebäudes bildet; auf der nördlichen Seite befinden sich elf nach Süden geöffnete Räume, derer vier durch eine Trennwand in zwei Bereiche unterteilt sind (Abb.). An Hand archäologischer Untersuchungen kann die Funktion einiger dieser Räume bestimmt werden. So wurde als bedeutendster Gebäudeteil der zentrale Saal ausgemacht, der auf Grund seiner Lage sowie seines bemerkenswerten Ausmaßes als der für Philosophie- und Rhetorikkonferenzen vorgesehene Bereich (efebeion) identifiziert wurde [4]. Der zweite und dritte Raum aus westlicher Perspektive konnten in Folge von Abwasserrohrfunden mit entsprechendem Sammelbehälter als Bäder ausgemacht werden [5]. Hinsichtlich der übrigen Räumlichkeiten fehlen Elemente, die es erlauben, deren Funktion zu spezifizieren.
Direkt westlich des Gymnasiums wurde der so genannte Portico delle Erme errichtet, der in Wirklichkeit ein xystòs ist, ein überdachter Ort für Wettläufe [6]. Dieses Gebäude, das - wie bereits erwähnt - in der gleichen städtebaulichen Erneuerungsphase errichtet wurde, verfügt über eine lang gestreckte rechteckige Grundfläche (128m Länge und 13m Breite) und wird von isodomen Außenmauern umfasst. Die Besonderheit der Fassade des xystòs besteht darin, dass sie von mit Hermen verzierten Pfeilern geschmückt wird, die wechselweise Hermes und Herakles abbilden [7].
Die Laufbahnlänge erlaubt es, auf die Nutzung des Gebäudes zurück zu schließen: ausschließlich die Schüler des Gymnasiums trainierten dort. Der xystòs ist in der Tat 436 Fuß lang (dies entspricht zwei Dritteln der Länge eines Stadions) zuzüglich 36 Fuß. Dies stimmt, wie Platon nahe legt, mit der Länge überein, auf der die im Gymnasium unterrichteten Jugendlichen wetteiferten [8]. Die Laufbahn dürfte jedoch, auch wenn sie im aktuellen Zustand durch eine Säulenkonstruktion aus römischer Zeit geteilt wird, nicht unterbrochen gewesen sein [9].


2. Das Gymnasium im Kontext der urbanistischen Umgestaltung von Kyrene

Die Errichtung des Gymnasiums und des xystòs wurden, wie bereits erwähnt, im Rahmen eines umfangreichen Restrukturierungsprogrammes mit dem Ziel, den Glanz der ptolemäischen Herrschaft zu verherrlichen [10], durchgeführt. Tatsächlich verwirklichten die Ptolemäer sowie insbesondere Ptolemäus VIII Euergetes II, der von 163 bis 145 v.Chr. König von Kyrene war und die Stadt zur Kapitale seines Reiches machte, in dieser Periode intensive bauliche Tätigkeiten in der agorà wie in den angrenzenden Bereichen [11].
Die Stadt wurde also einer umfangreichen Monumentalisierung unterzogen, die der polis einen Hauptstadtcharakter verlieh und sie in Nichts den übrigen Metropolen des hellenistischen Reiches nachstehen ließ. Kyrene erhielt im Zuge der Errichtung mächtiger stoai und des Gymnasiums, das hinsichtlich seiner immensen Ausmaße seines Gleichen sucht, eine monumentale agorà; tatsächlich nähert sich ihm nur die Sportstätte von Pergamon auf Grund ihrer Breite an, übertroffen wird es lediglich von der alexandrinischen, wie aus der Beschreibung von Strabon hervorgeht [12].
Mittels der genannten Bauwerke verschaffte Ptolemäus VIII Euergetes II Kyrene nicht nur das Antlitz einer griechischen Hauptstadt, sondern pries zugleich die Prosperität, von der die Stadt dank seiner guten Regierungsführung profitierte. Es erschließt sich folglich, dass die Verwirklichungen des 2. Jahrhunderts v.Chr. sowohl den urbanistischen Trends der hellenistischen Welt nachkamen, in welchen Architektur als eine szenographische Kulisse verwendet wurde, als auch Symbol der Erhabenheit waren, die durch die gute Herrschaft des Souverän garantiert wurde.
Dementsprechend ist der Komplex Gymnasium/xystòs - abgesehen von seiner Funktion als Kulisse für die Straßenachse, die zum öffentlichen Platz führt, - eines der Monumente, die das Wohlergehen verherrlichten, welches die ptolemäischen Könige sicherstellten. Innerhalb dieses Selbstrepräsentationssystems stellte das Gymnasium jedoch einen noch sinnbildlicheren Fall dar: das Gebäude schien der gewählte Ort für die Legitimierung der ptolemäischen Dynastie zu sein.

Betrachtet man die Bedeutung der Gymnasien für die Bildung einer kulturellen und politischen Identität der städtischen Jugend, wird auch die politische Ideologie verständlich, die sich hinter der Errichtung solcher Komplexe verbirgt. Das Gymnasium ist in der Tat der Ort, an dem die jungen Männer zwischen 18 und 20 Jahren ausgebildet wurden und aus der sie als politai herausgingen: die Jugendlichen erhielten eine intellektuelle Bildung und erfuhren eine Sozialisierung und Solidarisierung mit den Erwachsenen und Mitbürgern. Auf diese Weise entwickelten sie einen für die Kohäsion der polis wichtigen Gemeinschaftssinn [13]. Zusammenfassend ausgedrückt ist das Gymnasium jener Ort, an dem der Staat seine eigenen Prinzipien vermittelte und an dem die Bürger die Grundlagen der eigenen kulturellen Identität erlernten [14].
Von diesem Blickwinkel aus wird auch die Bedeutung der Errichtung des Komplexes Gymnasium/xystòs durch Ptolemäus VIII Euergetes II deutlich: mittels eines solchen Bauwerkes gelang es dem Souverän also, die Grundlagen, auf der seine Herrschaft beruhte, zu übermitteln und deren Aneignung und Akzeptanz zu erreichen. Es ist der Ort, an dem die politische Identität der Gemeinschaft entstand, der Ort, an dem der politische Erfolg der Dynastie zum Ausdruck gelang.

[1] Luni M., Documenti per la storia della istituzione ginnasiale e dell'attività atletica in Cirenaica, in rapporto a quella della Grecia, in: Cirene e la Grecia, 1976, 223-284 ; Luni M., Il Ginnasio - "Caesareum" di Cirene nel contesto del rinnovamento urbanistico della media età ellenistica e della prima età imperiale, in: Giornata Lincea 1987, 87 - 120; Bonacasa N. - Ensoli S., Cirene, Milano 2000, 91-103.
[2] Zur Anerkennung des Komplexes als Gymnasium siehe Stucchi S., Boll. d'Arte, XLIV, 1959, I, 57-60; Stucchi S., Cirene1957 - 1966: un decennio di attività della Missione Archeologica Italiana a Cirene, Tripoli 1967, 96-102. Es sei daran erinnert, dass das Gymnasium in der Literatur unter dem Namen Caesareum aufgeführt wird. Diese Bezeichnung basiert auf einer Inschrift, die von Della Cella sowie Pacho (in Inneren des Gebäudes) analysiert wurde Hierzu siehe Della Cella P., Viaggio da Tripoli di Barberia alle Frontiere dell'Egitto, Genova 1819, 141; Pacho M.J. R., Relation d'un Voyage dans la marmarique et la Cyrènaique, Paris 1827, 219; Gasperini L., Le iscrizioni del Cesareo e della Basilica di Cirene, in QuadALibia, 6, 1971, 1-21.
[3] Luni, Documenti op. cit.; Luni, Ginnasio op. cit.; Bonacasa - Ensoli, Cirene op. cit.
[4] Stucchi op. cit.; Bacchielli op. cit.; Purcaro op. cit.Zur Identifizierung des zentralen Raumes als efebeion wurden sowohl Vergleiche mit den Gymnasien von Delos, Milet und Priene als auch die Beschreibung einer solchen Aula durch Vitruv herangezogen. Hierzu siehe Luni, Documenti op. cit.; Fontani E., Il ginnasio, in I Greci, Atlante II, a cura di Claudio Franzoni, Torino 2002, 903-977.
[5] Luni, Documenti op. cit.; Luni, Ginnasio op. cit.; Bonacasa - Ensoli, Cirene op. cit.
[6] Luni, Documenti op. cit.; Luni, Il Ginnasio op. cit.; Bonacasa - Ensoli, Cirene op. cit.
[7] Luni, Documenti op. cit.; Luni, Ginnasio op. cit.; Bonacasa - Ensoli, Cirene op. cit.
[8] Plat. Leg. VIII 833c.
[9] Launey M., Recherches sur les Armèes Hellènistiques, Paris 1950, 841-871; Delorme J., Gymnasion, Paris 1960.
[10] Luni, Documenti op. cit.; Luni, Ginnasio op. cit.; Bonacasa - Ensoli, Cirene op. cit.
[11] Léveque P., Il regno d'Egitto, in: La società ellenistica: quadro politico, 1977, 167-192.
[12] Delorme, Gymnasion op. cit. 378. Zur Beschreibung des Gymnasiums von Alexandria siehe Strabon XVII 1, 10.
[13] Fortsch R., L'immagine della città e l'immagine del cittadino, in: I Greci 2, III, Trasformazioni, Torino 1998, 405-467; Fontani, ginnasio op. cit.
[14] Fortsch, L'immagine op. cit.

© Alberto Giudice
e-mail: alberto.giudice@yahoo.de

This article should be cited like this: A. Giudice, Das Gymnasium von Kyrene im Kontext der urbanistischen Erneuerung im 2. Jahrhundert v.Chr., Forum Archaeologiae 40/IX/2006 (http://farch.net).



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