Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 16 / IX / 2000

DIE ARCHITKETUR DER SCAENAE FRONS DES THEATERS VON PERGE


Das heutige Antalya Ovasi, das im Süden der Türkei liegt, war in der Antike unter dem Namen 'Pamphylien' bekannt. Diese Gegend gehörte noch vor einem Jahrhundert zu den wenig bevölkerten, schwer zugänglichen Gegenden der Türkei. Die europäischen Reisenden, die in den ersten Jahrzehnten des 19. Jhs. viele der antiken Städte Pamphyliens entdeckten [1], berichteten nur kurz über ihre Funde. Erst gegen Ende des 19. Jhs. gelang es dem österreichischen Grafen K. Lanckoronski, eine Expedition zur systematischen Erforschung der antiken Städte an der Südküste Kleinasiens zusammenzustellen [2]. Im Jahre 1882 erreichten Lanckoronski und seine Mitarbeiter auch die pamphylische Stadt Perge [3], deren eindrucksvolle Reste sich 12 km von der Strandlinie landeinwärts unterhalb einer Felshöhe erstrecken.
Die Forscher, die sich dem ausgedehnten Ruinengebiet von Süden her näherten, wurden, noch bevor sie die eigentliche Stadt erreichten, von den gewaltigen Steinmassen des Theaters empfangen [4]. Der deutsche Architekt G. Niemann, der Lanckoronski begleitete, beschrieb den derzeitigen Zustand des Bauwerks [5]. Der Zuschauerraum mit seinen Sitzstufen war größtenteils erhalten; auch das Bühnengebäude erhob sich noch bis zu bedeutender Höhe, doch war ein großer Teil desselben auf die Bühne herabgestürzt und unter Trümmern begraben [6].


Abb. 1: Perge, Theater. Im Jahre 1983

Abb. 2: Perge, Theater. Im Jahre 1992

Nach dieser Beschreibung Niemanns sollten jedoch noch weitere 84 Jahre vergehen, bis die türkische Generaldirektion der Altertümer und Museen 1966 die Ausgrabung und Restaurierung des riesigen Trümmerhaufens in Angriff nehmen konnte (Abb. 1) [7]. Die Arbeiten, bei denen zunächst nur der südliche Teil der Bühnenfassade, der scaenae frons, freigelegt worden war, wurden 1985 von J. Inan wiederaufgenommen, unter deren Leitung bis zum Jahr 1992 die Orchestra und die unter einem riesigen Schutthaufen verbliebenen Teile der scaenae frons ausgegraben wurden (Abb. 2) [8]. Seit 1992 ist ein Team aus Wissenschaftlern verschiedener Fachrichtungen mit der Untersuchungen der Bühnenfassade selbst und der Vorbereitung des reichen Fundmaterials für die Publikation beschäftigt [9]. Im Rahmen dieser Publikationsvorbereitungen wurden die baugeschichtlichen Untersuchungen an der Fassade des Theaters von Perge als ein Forschungsprojekt in Angriff genommen, um neue Aufschlüsse über die römische Architektur der Stadt zu gewinnen [10]. Als erster Schritt der baugeschichtlichen Untersuchungen wurde die scaenae frons mit Hilfe der systematischen Untersuchungen der erhaltenen Reste rekonstruiert. Im folgenden werden der erste Rekonstruktionvorschlag der scaenae frons und ihre Bauphasen kurz vorgelegt werden (Abb. 3).


Abb. 3: Rekonstruktionsvorschlag der scaenae frons


Die scaenae frons besaß eine über dem Proskenion dreigeschossig aufragende Säulenfassade mit folgenden Hauptelementen: Das Proskenion, die Tabernakelgeschosse, Flügelbauten, eine durch die Verbreiterung der Öffnung im Mitteljoch betonte Symmetrieachse, Statuennischen mit Ädikularahmung und Rundbögen. Das Proskenion war an seiner Front durch neun Türen architektonisch gegliedert. Die Mitte dieser Front wurde durch eine besonders große Tür betont. Sie bildete zugleich die Symmetrieachse der Gesamtgliederung. Zu beiden Seiten dieser Tür folgten in regelmäßigem Rhythmus kleinere Türen und zwischengeschaltete Nischen mit Ädikularahmen. Über den kleinen Türen lagen Friese, die eine Erotenjagdszene zeigen. Die Nischenkörper hatten einen segmentbogenförmigen Grundriß und waren von muschelartig geriefelten Segmentkuppeln überdeckt. Die Mitteltür wurde von Säulen gerahmt, die jeweils mit einem Pfeiler durch ein verkröpftes Gebälk gekoppelt waren. Diese wiederum korrespondierten mit einzeln stehenden Säulen mit verkröpftem Gebälk an beiden Enden des Proskenion.
Über dem mit Ziegeln überwölbten Hyposkenion lag das Bühnenpodium. Auf dem Podium erhob sich die Bühnenfassade. In der Mitte der Fassade im ersten Geschoß ist die Rückwand der scaenae frons durch fünf Türen und zwei Nischen gegliedert. Die Säulenordnung des ersten Geschosses der scaenae frons stand auf einem Sockel, das mit einem Dionysosfries [11] verziert war. Im ersten Geschoß wurde die langgestreckte Fassade von acht verkröpften Tabernakeln gegliedert. Die Bühnenfassade besaß an beiden Enden je eine Pfeilerstellung, die das detachierte Gebälk trug. Dieses Gebälk, das bis an die Parodoswände reichte, war länger als die übrigen Gebälkblöcke ausgeführt. Die Symmetrieachse wurde durch die große Tür, einen gesprengten Giebel mit horizontalem Gesims und äußere Tabernakel betont. Zu beiden Seiten der Symmetrieachse befanden sich zwei symmetrische Fronten, deren Mitte besonders hervorgehoben war; denn hier war nicht nur die Öffnung breiter, sondern das Tabernakel zusätzlich mit einem Dreiecksgiebel bekrönt.
Im zweiten Geschoß wurde die Rückwand der scaenae frons durch acht Rundbogennischen mit Ädikularahmen für Statuen aufgelöst. In der Mittelsäulenstellung war eine größere Nische ohne Ädikula angeordnet. Die kleinen Ädikulen waren mit variierenden Giebelformen bekrönt. Das zweite Geschoß erhob sich auf einer Sockelzone, die mit einem Kentauromachiefries [12] geschmückt war. In der Bühnenfront des Theaters von Perge waren die auf einer Sockelzone stehenden Tabernakel in den einzelnen Geschossen gegeneinander versetzt. Während sich im zweiten Geschoß ein größeres Tabernakel über der Mittelachse befand, standen kleinere über den Sockeln des ersten Geschosses. Den seitlichen Abschluß der Fassade bildeten Flügelbauten. An der Schauseite der Flügelbauten war ein Fenster ausgebildet, das mit einem Dreiecksgiebel bekrönt war. Die seitlichen Tabernakel waren abwechselnd von Segment- oder Dreiecksgiebeln überdeckt. Über dem Gesims des zweiten Geschosses war die Mauer als Attika fortgesetzt. Die Attika endete mit einem Konsolengesims, das über den Flügelbauten vorkröpft.
Das dritte Geschoß war zurückgesetzt und stand auf der Attika. Die Wand war im dritten Geschoß in insgesamt neun Rundbögen aufgelöst. Die Säulenordnung des dritten Geschosses erhob sich ebenso wie die der unteren Geschosse über einer Sockelzone mit einem Gigantomachiefries [13]. In der Mitte war die Sockelzone ausgespart worden; in diesem Bereich lag ein gesprengter Giebel mit horizontaler Verbindung. Die Anordnung des dritten Geschosses wiederholte das System des ersten Geschosses. Im letzten Geschoß wurde das Motiv der verschränkten Tabernakel beibehalten und an beiden Enden der Anordnung mit je einer einzeln stehenden Säule mit verkröpftem Gebälk beendet. Die drei mittleren Interkolumnien wurden durch einen 'Syrischen Giebel' hervorgehoben. Neben der Symmetrieachse standen je vier Tabernakel, deren mittleres entsprechend dem ersten Geschoß betont war. Diese mittleren Tabernakel waren zu einem Dreiecksgiebel verbunden, die folgenden waren von Rundgiebeln bedeckt. Am Abschluß der Fassade waren die vortretenden Tabernakel als Flügelbauten viel stärker untergeordnet, denn sie waren breiter und durch Segmentbögen überspannt, die in eine Pfeilerordnung eingestellt waren.
Die scaenae frons war ca. 60m breit, und ihre Gesamthöhe betrug ca. 36m.
Da die epigraphischen Quellen keine Hinweise auf die Datierung der Fassade geben [14] und die bei den Ausgrabungen gefundene Keramik und Münzen in spätantike Zeit zu datieren sind, gründet die Datierung auf der stilistischen Einordnung der Baudekoration [15]. An dieser Stelle sollen zunächst Überlegungen zu den Bauphasen vorgestellt werden.
Die Ruine des Proskenion läßt zwei Bauphasen vermuten. Die Architrave des Gebälkes mit unterschiedlichen Profilen an den Rückseiten wurden wiederverwendet. Die Bauteile des Proskenions lassen sich nur mit der Bauornamentik des dritten Geschosses zu vergleichen. Die sich eindeutig stilistisch von der ersten und zweiten Geschoß abweichen. Man darf annehmen, daß vor der Errichtung des oben beschriebenen Proskenion ein älteres Proskenion bestanden hat und die umgearbeiteten Bauglieder aus diesem älteren Proskenion stammen [16].
Das dritte Geschoß erhob sich nicht auf dem Gesims des zweiten Geschosses, sondern setzte sich zurück und stand auf der Attikamauer. Dieses Merkmal deutet bereits darauf hin, daß der Aufbau des dritten Geschosses nicht mit dem der unteren Geschosse zusammen konzipiert wurde. Technische Unterschiede des dritten Geschosses machen ebenso wahrscheinlich, daß das obere Geschoß nicht mit dem ersten und zweiten Geschoß einheitlich geplant wurde. Die Form der Seitenarchitrave des dritten Geschosses weist auf eine andersartige Konstruktion der Kassetten hin. Während normalerweise die Kassettenfelder in rechtwinklige Einarbeitung der Architrave eingelassen werden, sind im dritten Geschoß die Kassettenplatten in abgeschrägte Anschlußflächen eingehängt.
Zusammenfassend können die Bauphasen der Fassade durch diese Beobachtungen vorläufig in zwei Abschnitte unterteilt werden.
1. Die Fassade wird ursprünglich aus einem älteren Proskenion [17] und einer zweigeschossigen scaenae frons bestanden haben.
2. Das Proskenion wurde neu aufgebaut und scaenae frons um ein Geschoß erhöht.
Die Datierung der Bauphasen der Bühnenfassade gründet auf der stilistischen Einordnung der Baudekoration, die von der Archäologin N. Atik bearbeitet wird [18]. Nach der Bauornamentik ist anzunehmen, daß sich die Errichtung der ersten Fassade von der Mitte des 2.Jhs. n.Chr. bis über die Jahrhundertwende hinweg hinzog [19]. Die Untersuchungen zur Bauornamentik des dritten Geschosses und des zweiten Proskenion ergaben, daß die beiden Bauphasen sehr wahrscheinlich zeitlich nicht weit auseinanderlagen [20]. So wurden sowohl das dritte Geschoß als auch das zweite Proskenion etwa zehn bis dreißig Jahre später (220-240 n.Chr.) errichtet als die Abschnitte der ersten Bauphase [21].

[1] Zu diesen Reisenden s. A. Pekman, Perge Tarihi (1973) 51 ff.
[2] K. Lanckoronski - G. Niemann - E. Petersen, Städte Pamphyliens und Pisidiens I (1890); II (1882).
[3] K. Lanckoronski - G. Niemann - E. Petersen, Städte Pamphyliens und Pisidiens I (1890) S. II f.
[4] ebenda 51.
[5] ebenda 51 ff.
[6] ebenda.
[7] J. Inan in: T. C. Kültür Bakanligi Anitlar ve Müzeler Genel Müdürlügü (Hrsg.), 8. Kazi Sonuçlari Toplantisi II (1986) 139.
[8] dies. in: T. C. Kültür Bakanligi Anitlar ve Müzeler Genel Müdürlügü (Hrsg.), 18. Kazi Sonuçlari Toplantisi II (1997) 65.
[9] Die Arbeiten wurden in der Weise aufgeteilt, daß J. Inan den Dionysosfries, S. Sahin die Inschriften, N. Atik die Skulpturen und die Bauornamentik, A. Öztürk die Architektur, H. S. Alanyali den Kentauromachie- und den Gigantomachiefries, G. Ates den Opferszenenfries übernahmen. Zu den ersten Ergebnissen dieser Publikationsvorbereitungen s. vor allem J. Inan - N. Atik - A. Öztürk - H. S. Alanyali - G. Ates, AA 2000, 285 ff.
[10] Nach der Ausgrabung durch J. Inan wurde der Verfasserin die Bearbeitung der Architektur der scaenae frons als Dissertationsthema übertragen. Die Dissertation wurde zwischen den Jahren 1994 und 1999 an der BTU Cottbus von A. Hoffmann betreut und im Dezember 1999 mit der Dispution abgeschlossen. Die Arbeit wird in den nächsten Jahren publiziert werden.
[11] Zum Dionysosfries s.o. Anm. 9.
[12] Zum Kentauromachiefries s.o. Anm. 9.
[13] Zum Gigantomachiefries s.o. Anm. 9.
[14] Seit 1987 werden die Inschriften aus Perge bzw. aus dem Theater von S. Sahin zur Gesamtpublikation vorbereitet. Zu seinen Ergebnisse s. S. Sahin, Epigr-Anat 27, 1996, 116 ff.; ders. (Hrsg.), Die Inschriften von Perge I, Inschriften griechischer Städte in Kleinasien 54 (1999) 62-64. Zu den Kritiken zur Interpretation der Theater-Inschriften Sahins s. A. Öztürk, AA 2000, Anm. 35; N. Atik, AA 2000, Anm. 40.
[15] s.u. 4 f. [16] Das ältere Proskenion konnte während der baugeschichtlichen Untersuchungen hypothetisch rekonstruiert werden. Diese Rekonstruktion wird demnächst in der Endpublikation veröffentlicht werden.
[17] s.o. Anm. 16.
[18] s. auch Anm. 9.
[19] N. Atik, AA 2000, 298 ff.
[20] ebenda.
[21] ebenda.

© Arzu Öztürk
e-mail:
aozturk@fened.msu.edu.tr

This article will be quoted by A. Öztürk, Die Architektur der scaenae frons des Theaters von Perge, Forum Archaeologiae 16/IX/2000 (http://farch.net).



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