Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 3 / V / 1997

DER KENTAUROMACHIE- UND DER GIGANTOMACHIE-FRIES
DES THEATERS VON PERGE


Bei der Freilegung der Scaenae frons des Theaters von Perge erwies sich das Bühnengebäude als Träger zahlreicher Reliefblöcke mit mythologischer Ikonographie, die im folgenden kurz vorgestellt werden sollen. Auf über 35 Blöcken aus prokonnesischem Marmor mit einer Höhe von ca. 90 cm und zahlreichen weiteren Einzelfragmenten sind etwa halblebensgroße Reliefdarstellungen in drei unterschiedlichen mythologischen Themen zu erkennen[1].

Abb.1
Der erste hier behandelte Fries hat eine Kentauromachie zum Thema. Abgesehen von einer Platte, welche die Hochzeit des Peirithoos mit Hippodameia zeigt (Abb. 1), kämpfen im übrigen Friesfeld nicht nur mit Helm und Schild ausgestattete und zumeist in Chlamys gekleidete Lapithen sondern auch Löwen, Greifen und Panther gegen Kentauren in Tierfell und mit Ästen bewaffnet in ihrem natürlichen Umfeld. Neben Einzelszenen unterschiedlicher Kampfmotive zeigt eine Platte Herakles beim Fesseln eines gefangenen Kentauren.

Ein weiterer, weniger stark fragmentierter Relieffries vom Theater in Perge schildert die Gigantomachie, bei der Götter alleine oder in Begleitung, teils auch im Wagen gegen Giganten kämpfen. Der Fundort sowie die Bewegungsrichtung der Götterfiguren erlaubt ansatzweise eine Rekonstruktion des zweigeteilten, zum Zentrum hin gerichteten Friesstreifens. Die nördliche Frieshälfte wird flankiert von Athena und einem kriegerischen Gott, möglicherweise Minyas, dem mythischen Stadtgründer Perges[2] und Sohn des Ares, der auf einer anderen Platte im Zweigespann zur Darstellung kam. Weitere Platten zeigen Aphrodite in einem von zwei Gänsen gezogenen Wagen in Begleitung zweier Eroten sowie auch Helios im Viergespann, begleitet von Eos und im Kampf gegen den pergäischen Flußgott Kestros[3]. Diese lokale Komponente läßt sich vielleicht als Betonung des Kestros-Kultes oder auch als topographisches Indiz zur Lokalisierung der geschilderten Kampfhandlungen in Perge selbst verstehen. Andere Platten wiederum zeigen kleinasiatische und ägyptische Gottheiten wie Kybele im Löwenwagen, Hekate mit Fackeln, Isis mit ihrer heiligen Schlange sowie Sarapis im Kampf gegen anstürmende Giganten.


Abb.2
Die Reliefplatten der Südhälfte der Gigantomachie zeigen Selene im Stierwagen und in Begleitung von Nyx, weiters Poseidon im Hippokampenwagen, den von Nike bekränzten Apollon im Greifenwagen, Artemis im Hirschwagen, den von einem Satyr und Pan begleiteten Dionysos im Pantherwagen (Abb. 2) und am Südende schließlich zwei unbekleidete attributlose jugendliche Heroen, bei denen man an Mopsos und Kalchas, weitere Ktisten von Perge, denken möchte[4]. Es ist zu vermuten, daß die zentral ausgerichtete kompositionelle Anordnung der Figuren die mythologische Gewichtung im Pantheon der Stadt widerspiegelt: Heroen an den Flanken, Helios und Selene in unterschiedlichen Hälften. Die Zwillinge Apollon und Artemis folgen ihrem Onkel, dahinter ihr Halbbruder Dionysos. Ein bislang ungelöstes Problem ist die noch ausständige Identifizierung von Zeus, Hera und Hermes. Das Fehlen der zu erwartenden Darstellung der Artemis Pergaia läßt sich möglicherweise mit ihrer ikonographischen Festlegung in Idolform erklären, die eine Einbindung in das lebendige Kampfgeschehen verhinderte[5], doch erscheint auch ein Synkretismus mit der Jagdgöttin Artemis möglich.

Eine exakte architektonische Zuordnung der insgesamt drei Friese an die Scaenae frons wird dadurch erschwert, daß keine einzige Reliefplatte in ihrer originalen Position vorgefunden wurde, sieht man vom - hier nicht behandelten - Dionysosfries ab, der als Sockelrelief im ersten Geschoß in situ vorgefunden wurde. Kentauromachie- und Gigantomachiefries schmückten die beiden oberen Stockwerke des dreigeschoßigen Bühnengebäudes. Unter dem Gesichtspunkt religiös-mythologischer Hierarchie könnte die Gigantomachie an die oberste Stelle zu reihen sein, worauf die Kompositionsweise römischer Sarkophagreliefs hinweisen könnte. Für einen Sarkophag in den Vatikanischen Museen werden Götterdarstellungen auf dem Deckel postuliert[6], und ein Sarkophag im Museo Nazionale Romano zeigt eine Kentauromachie am Kasten und eine Gigantomachie auf dem Deckel[7], eine Gliederung, die man wohl auch für die Friese des Theaters in Perge annehmen darf.


Abb.3
Folgende stilistische Charakteristika lassen sich an den Reliefplatten von Perge beobachten: Eine harte und scharfkantige Faltengebung, schlanke Körper der Götterfiguren und Lapithen mit auffallend großen Händen und ein betont pathetischer Gesichtsausdruck der Giganten. Überaus markant ist die Tendenz zu räumlicher Tiefenwirkung sowie ein deutliches Abheben der Figuren vom flachen Reliefgrund. Wohl infolge der architektonischen Anbringung der Platten in großer Höhe kamen stark plastische Stilelemente und eine optische Betonung des Wesentlichen zum Tragen, wenngleich auf eine feinere Detailausarbeitung keineswegs verzichtet wurde (Abb. 3). In stilistischer Hinsicht mit dem vorliegenden Frieszyklus in Perge vergleichbar sind etwa der Telephosfries des pergamenischen Zeusaltars[8], die Gigantomachiedarstellungen vom Athena Polias-Tempel von Priene[9] und dem Hekataion von Lagina[10] sowie der Amazonomachiefriese des Artemis-Tempels von Magnesia[11].

Die plastische Betonung der dritten Dimension, die Arbeit auf Fernsicht und das Lichtspiel von Hell und Dunkel zeichnen in stilistischer Hinsicht die Friese der Kentauromachie und der Gigantomachie von Perge aus, die zu einer Kunstgattung zählen, welche man zurecht als Volkskunst ansprechen darf. Mit der Bohrerarbeit schuf der Steinmetz Schattierungen, welche die Figuren plastisch deutlich hervortreten lassen, da sie stark auf Fernsicht zu arbeiten waren. Die große Entfernung zwischen Relief und Beschauer machte wohl auch eine Überbetonung der Eigenheiten und Attribute der Göttergestalten erforderlich. Im Verhältnis zu den Göttern überdimensioniert wurden deshalb auch ihre charakteristischen Begleittiere wiedergegeben. Namensbeischriften wie etwa auf dem Gigantomachiefries des Pergamonaltars hätten hier keinen Sinn ergeben, und so blieb dem Künstler in Perge nur, Raumschichten und Erkennungszeichen zur Verdeutlichung der Ikonographie stilistisch zu betonen, wie überdies auch die Kentauren gegenüber den Lapithen in Gestalt und wildem Agieren übertrieben gezeichnet werden mußten.

Die spätrömische Werkstatt der Kentauromachie- und Gigantomachie-Friese von Perge läßt sich leider noch nicht lokalisieren, obgleich wir aus Perge zahlreiche Beispiele plastischer Kunst vor allem aus dem 2. Jh. und dem ersten Viertel des 3. Jhs. n.Chr. besitzen. Benachbarte Kunstzentren etwa in Aphrodisias und in Ionien zeigen deutlich andere stilistische Züge, sodaß der Gedanke an eine einheimische Bildhauerschule in Perge möglich erscheint. Eine Reihe von Stileigenheiten weist nach Kilikien, Syrien und Afrika[12], doch sind Charakteristika wie etwa der überzeichnet muskulöse Körperbau, die übergroßen Hände und der übertrieben pathetische Ausdruck der Figuren in den vorliegenden Friesen von Perge m.W. bislang einzigartig.

In Hinblick auf die Datierung dieser Friese bezeugen die Bohrerarbeit bei Haarpartien, die tief eingebohrten Augäpfel sowie die Wiedergabe der Iris eine spätrömische Reliefarbeit, die Parallelen in den Sarkophagreliefs, insbesondere Stücken aus dem Zeitraum von 250 - 265 n.Chr.[13], aufweist. Ein leicht retardierendes Moment gegenüber der stadtrömischen Kunst wird man den Werken der kleinasiatischen Provinzen einräumen dürfen. Die attischen Sarkophagreliefs wiederum, laut G. Koch aus dem zweiten Viertel des 3. Jhs.[14], zeigen einen ähnlich muskulösen Körperaufbau wie die Figuren der Kentauromachie- und Gigantomachiereliefs von Perge. Vor allem aber zwei kleinasiatische Sarkophage aus der Zeit um 250 n.Chr., der Säulensarkophag aus Sidamaria im Museum von Istanbul[15] und der Herakles-Sarkophag aus Yunuslar im Museum von Konya[16], zeigen überaus deutliche Stilähnlichkeiten mit den vorliegenden Reliefs. Man wird somit die Relieffriese des Theaters von Perge zeitlich am ehesten dem dritten Viertel des 3. Jhs. n.Chr. zuweisen dürfen, wahrscheinlich der Zeitspanne von 250 - 265, d.h. während der Regierungszeit des Gallienus.

Was die Hermeneutik der beiden Friese anbelangt, so ist zunächst nicht nur die Verbindung mit der Lokalsage hervorzustreichen[17] sondern auch bei der Kentauromachie die Miteinbindung verschiedener Sequenzen aus archaischer, klassischer und hellenistischer Zeit. Im Verständnis der gegenwärtigen Forschung wird die Kentauromachie zweifellos zurecht mit dem Kampf zwischen Zivilisation und barbarisch wilden Feinden[18], später auch den innergriechischen Feinden[19] gleichgesetzt. Auch diejenigen griechischen Stämme, die während der Perserkriege und danach auf Seite der Perser standen, lassen sich gut mit den wilden Kentauren metaphorisch gleichsetzen[20]. Während aus dem Hellenismus nur wenige Beispiele für Kentauromachiedarstellungen überliefert sind, verwendete die römische Kunst das Thema mit Vorliebe auf Sarkophagen und in dionysischen Szenen[21]. Wie in den Relieffriesen aus Perge so kämpfen auch in anderen römischen Beispielen Wildtiere und Mischwesen gegen Kentauren, d.h. ihre verwandte Nachbarschaft, die mit ihnen verbundenen 'Stammesmitglieder'. Das Imperium Romanum vereinte gerade im Osten eine Vielzahl unterschiedlicher Volksstämme, und Keime des Freiheitskampfes wollten von der Zentralregierung rechtzeitig erkannt werden. Wo sonst wenn nicht im Theater konnte eine solche Warnung dem Zuseher am besten und subtilsten vermittelt werden?

Das Thema der Gigantomachie besitzt bereits seit der Archaik eine mythologische wie auch eine politische Bedeutung[22] und schildert nicht nur den Sieg der Götter gegen die Giganten, sondern, wie etwa auf den Ost-Metopen des Parthenon, auch die im Kampf gegen die Barbaren siegreichen Griechen[23]. Der Zeus-Altar von Pergamon mit seiner starken Vorbildwirkung für alle jüngeren Gigantomachiedarstellungen vor allem in Kleinasien bezeugt uns erstmals neben den olympischen Göttern auch untergeordnete Gottheiten[24], womit dieses Thema zusätzlich neue Erklärungs- und Interpretationsmöglichkeiten erhält[25]. Die Symbolhaftigkeit der mythischen Bezüge des abendländischen Dualismus von Licht und Dunkel, Gut und Böse, Freund und Feind macht die Theaterreliefs von Perge zu einem Versuch, das Unsichtbare sichtbar zu machen. Die gräzisierte und aufstrebende Stadt Perge als Teil der Provinz Lycia et Pamphylia innerhalb des Römischen Imperiums und ihr Theaterbau boten einen geeigneten Ort für propagandistische Nutzung des Mythos als Warnung vor Ungehorsam, als Aufforderung zur Einhaltung der bestehenden Ordnung und Hintanstellung der Einzelinteressen gegenüber dem Gemeinwohl. Mit den beiden hier kurz präsentierten Frieszyklen läßt sich ein verhältnismäßig gut erhaltenes spätrömisches Beispiel für Kentauromachie und Gigantomachie sowie auch für die Reliefkunst Kleinasiens wiedergewinnen.

[1] Dazu Verf., Zur Gigantomachie des Theaterfrieses von Perge (unpubl. Diplomarbeit Wien 1996). Der Kentauromachiefries ist Thema der Dissertation des Verf.
[2] s. dazu R. Merkelbach - S. Sahin, EpigrAnat 11, 1988, 118 Nr. 26.
[3] Verf. in: F. Blakolmer u.a. (Hrsg.), Fremde Zeiten. Festschrift für J. Borchhardt (1996) 381ff.
[4] Merkelbach - Sahin a. O. 117f. Nr. 24 und 27.
[5] RE XIX 1 (1937) 683ff. s.v. Pergaia (H. Oppermann); LIMC 2 (1984) 765ff. s. v. Artemis Pergaia (R. Fleischer); S. Onurkan, Belleten 33, 1969, 303ff.; dies., IstMitt 19/20, 1969/70, 289ff.; T.S. MacKay, ANWR XVIII 3 (1990) 2045ff.
[6] C. Robert, ASR III 1 (1897) 113f. Nr. 94; G. Kleiner, 105. BWPr. (1949) 17f.; H. Sichtermann - G. Koch, Griechische Mythen auf römischen Sarkophagen (1975) 30 Nr. 21; G. Koch - H. Sichtermann, Römische Sarkophage (1982) 147. 255. 264 Nr. 163; H. Sichtermann, Die mythologischen Sarkophage, ASR XII 2 (1992) 168ff. Nr. 146.
[7] G. Koch - H. Sichtermann, Römische Sarkophage (1982) 71. 147. 156. 278; H. Sichtermann, Die mythologischen Sarkophage, ASR XII 2 (1992) 170f. Nr. 148.
[8] U. Süssenbach, Der Frühhellenismus im griechischen Kampf-Relief (1971) 79ff.; T. Osada, Stilentwicklung hellenistischer Relieffriese (1993) 34ff.
[9] J.C. Carter, The Sculpture of the Sanctuary of Athena Polias at Priene (1983) 38ff.
[10] A. Schober, Der Fries des Hekataions von Lagina (1933) 80ff.; Osada a. O. 64ff.
[11] A. Yaylali, Der Fries des Artemisions von Magnesia am Mäander, 15. Beih. IstMitt (1976) 141ff.; Osada a. O. 92f.
[12] A. Schmidt-Colinet, IstMitt 41, 1991, 439ff.
[13] Vgl. B. Andreae, Römische Kunst (1978) 314ff. 330f.; ders., AA 1971, 432ff.; G. Koch, Die mythologischen Sarkophage (1975) 95 Nr. 30; 138 Nr. 160; 142f. Nr.170; 144 Nr. 173; G. Koch - H. Sichtermann, Die römischen Sarkophage (1982) 90ff. 145. 192f. 200f. 204f. 260ff. 386f. 399f. 405ff. 456ff.
[14] G. Koch, Die mythologischen Sarkophage (1975) 138 Nr. 160; 142f. Nr.170; 144 Nr. 173.
[15] M. Schede, Meisterwerke der türkischen Museen zu Konstantinopel I (1928) 19f.; H. Wiegartz, Kleinasiatische Säulensarkophage, IstForsch 26 (1965) 156f. (Istanbul B); M. Waelkens, Dokimeion, AF 11 (1982) 93 Nr. 157 (Istanbul B); 119 Nr. 53 (Istanbul B).
[16] Wiegartz a. O. 163 (Konya C); Waelkens a. O. 93 Nr. 156 (Konya C); E. Akurgal, Griechische und römische Kunst in der Türkei (1987) 148.
[17] Roscher, ML II (1890-1897) 1080 ff. s.v. Kentauren.
[18] E. Thomas, Mythos und Geschichte (1976) 49.
[19] Thomas a. O. 52f.
[20] K. Schefold - F. Jung, Die Urkönige Perseus, Bellerophon, Herakles und Theseus in der klassischen und hellenistischen Kunst (1988) 264ff.; H. Knell, Mythos und Polis (1990) 85ff. 98ff. 133ff. 156ff.
[21] F. Matz, Die dionysischen Sarkophage, ASR IV 1-4 (1968-1975); G. Koch - H. Sichtermann, Römische Sarkophage (1982) 155f. 238. 398.
[22] Thomas a. O. 19f. 23f.; K. Schefold, Götter- und Heldensagen der Griechen in der spätarchaischen Kunst (1978) 54ff.; Knell a. O. 33ff.
[23] Thomas a. O. 20f. 26f.; K. Schefold, Die Göttersage in der klassischen und hellenistischen Kunst (1981) 103f.; Knell a. O. 106ff.
[24] H. Kähler, Der große Fries von Pergamon (1948); E.M. Schmidt, Der große Altar zu Pergamon (1961); E. Simon, Pergamon und Hesiod (1975); H.J. Schalles, Der Pergamon-Altar zwischen Bewertung und Verwertbarkeit (1986).
[25] Thomas a. O. 21f. 27f.; K. Schefold, Die Göttersage in der klassischen und hellenistischen Kunst (1981) 105ff.; Knell a. O. 173ff.


© H. S. Alanyali



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