Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 4 / VIII / 1997

LATRINENGERÜCH(T)E AUS EPHESOS
Ein stiller Ort?



Die Hanghäuser 1 und 2, zwei große insula-Komplexe mit mehrgeschoßigen Wohnbauten, liegen im Zentrum des urbanen Raumes der antiken Großstadt Ephesos am Abhang des Bülbüldag (Nachtigallenberg). Der besser erhaltene und aufwendiger ausgestattete Komplex des Hanghauses 2 nimmt 4000m² ein und ist in sieben Peristylhäuser aufgeteilt, für deren Errichtung drei Terrassen geschaffen wurden (Abb.1). Im ursprünglichen Planungskonzept lagen auf jeder Terrasse zwei nach außen hin abgeschlossene Häuser, deren Räume um einen offenen, zentralen Hof mit Peristylumgängen angeordnet waren. Die erhaltenen Räume der 250 - 950m² großen Häuser sind durchwegs mit Wandmalereien, Marmorwandverkleidungen, zum Teil mit opus sectile - Medaillons, Mosaik- und Marmorböden reich ausgestattet [1].

Die Häuser verfügen in der Regel über mehrere mit einem Hypokaustsystem beheizbare Räume, die teilweise auch im Obergeschoß anzutreffen gewesen sind. In den Höfen, manchmal auch in den Speiseräumen, sind Laufbrunnen oder auch Springbrunnen installiert, die ebenso wie die Latrinen an die öffentliche Wasserversorgung angeschlossen waren und über ein sehr gut ausgebautes Kanalnetz entsorgt wurden. Darüberhinaus wurde die Wasserversorgung der Haushalte über Tiefbrunnen und Zisternen gesichert. Küchen mit einem fest eingebauten Herd wurden nur in drei Häusern angetroffen, weitere Küchen sind wohl in den zerstörten Obergeschoßen anzunehmen; außerdem wurden tragbare Kohlebecken und Herde aus Metall und Keramik zum Kochen, aber auch zum Wärmen der aus den Garküchen und Restaurants geholten Speisen verwendet.

In den Peristylhäusern des Hanghauses 2, die Wohnungen der gehobenen Gesellschaftsschicht repräsentieren, sind Einrichtungen zum Kochen von Gastmählern als wichtiger Bestandteil des antiken Gesellschaftslebens vorauszusetzen. Ein Privatbad wurde nur in der Wohneinheit 1 angetroffen. Neben der Möglichkeit weitere Bäder in den nicht erhaltenen Obergeschoßen annehmen zu können, muß man davon ausgehen, daß vor allem die zahlreichen (auch im Zentrum der Stadt gelegenen) großen, luxuriös ausgestatteten Thermenanlagen der allgemeinen Hygiene und gymnischen Aktivitäten aller Bevölkerungsschichten dienten und darüberhinaus auch als gesellschaftlicher Treffpunkt mit "Clubatmosphäre" fungierten [2].

Abb. 1:Hanghaus 2, Ephesos: Grundriß WE 4
(aus ÖJh 62, 1993, Grabungen Abb. 13)



Im Ostteil der mittleren Terrasse liegt die Wohneinheit 4 (WE 4), die sich durch eine relativ bescheidene Ausstattung - sie weist im Erdgeschoß keine Mosaikböden auf - um einen Pfeilerhof mit primär offenen Bogenstellungen anstelle eines säulenumstandenen Peristyls vom Konzept der übrigen Häuser unterscheidet. Ein in die Stiegengasse 1 hineingebautes Treppenhaus führte zum Obergeschoß und verengte somit den öffentlichen Zugangsweg auf einen nur noch 1,20m schmalen Durchgang. Unter und gemeinsam mit dieser Treppe wurde in trajanischer Zeit ein kleiner gewölbter Raum eingebaut, aus welchen 1996 der restliche Zerstörungsschutt entfernt wurde, um die Funktion dieses Raumes - man interpretierte ihn bislang als Pförtnerloge - zu klären. Der Befund [3] zeigt deutlich einen an der Ost- und Südwand über Eck geführten und tief in den Boden abgesenkten Kanal, welcher seinerseits in den unter der Stiegengasse verlaufenden Abwassersammler mündet und bestätigte somit die seit langem gehegte Vermutung, daß es sich bei diesem Raum um eine Latrine gehandelt haben muß. Zudem sind an den Wänden auch deutlich die Auflager der Sitzbänke sichtbar. Ein ebenfalls in dem Haus gefundenes Marmorfragment mit der charakteristisch geformten Öffnung belegt die einst recht aufwendige Ausstattung der kleinen Toilettenanlage, die Platz für gleichzeitige "Sitzungen" von fünf bis sechs Personen geboten hatte. Ebenso lassen sich die in unmittelbarer Nähe gefundenen marmornen Rinnsteine für die Zuleitung des zur Sanitärhygiene benötigten Frischwassers aufgrund ihrer Abmessungen dem ursprünglichen Ausstattungsbestand der Latrine zuordnen.


Das aus dem Kanal der Latrine geborgene keramische Fundmaterial bestand zu einem auffallend großen Anteil aus den Scherben kleiner, einhenkeliger Krüge, aus denen sich auch einige ganze Gefäße rekonstruieren ließen. Diese Gefäße dürften wohl als Schöpfgefäße (Abb. 2-3) für das Frischwasser aus den offen geführten Rinnsteinen benutzt, während des Reinigungsvorganges in den ziemlich tiefen Kanal gefallen, dabei zerbrochen und wohl als "unwiederbringlich" verloren auch dort belassen worden sein. Diese kleinen Schöpfgefäße, welche aus den unterschiedlichsten Grabungszusammenhängen stammen können, sind überaus häufig vertreten und stammen nicht selten in großer Zahl aus dem Kanalsystem. Hin und wieder weisen sie auch vor dem Brand eingeritzte Graffiti auf, deren bisher erschließbarer Wortlaut mit XAIPE oder KAIPOC in diesem Zusammenhang den wohlgemeinten Wunsch der "glücklichen Verrichtung" und der Wahl "des günstigen Augenblicks" nachdrücklich formulieren sollte.


Abb. 2-3: Schöpfgefäß, geborgen aus dem Kanal der Latrine

Die Tradition derartiger einhenkeliger Gefäße läßt sich bis in die Gegenwart im Mittelmeerraum verfolgen, wo z.B. auch in unseren Tagen solche meist aus Plastik oder Aluminium hergestellte Gefäße unter einem Wasserauslaß anzutreffen sind und das in jenen Regionen infolge seiner relativ hohen Anschaffungskosten nicht überall angebotene Toilettenpapier in bewährter Manier ersetzen.

Das Schicksal der kleinen einhenkeligen Tonkrüge dürften die ebenfalls zahlreich aus dem Kanal geborgenen Öllampen geteilt haben, die in der nahezu unbeleuchteten Latrine einen unverzichtbaren Gebrauchsgegenstand darstellten - einmal durch Unachtsamkeit in den Kanal gefallen, verloschen sie in dessen Tiefen für immer, um schließlich zur Freude des Ausgräbers den archäologischen Befund in seiner Aussagekraft durch ihr Vorhandensein erneut zu erhellen...


[1] V. M. Strocka, Die Wandmalerei der Hanghäuser in Ephesos, FiE VIII/1 (1977). W. Jobst, Römische Mosaiken aus Ephesos I. Die Hanghäuser des Embolos, FiE VIII/2 (1977).
[2] R. Neudecker, Die Pracht der Latrine (1994).
[3] H. Thür, ÖJh 66, 1997, Grabungen 34ff.

© U. Outschar - H. Thür



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