Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 11 / VI / 1999

GRABBAUTYPEN IN NORICUM:
Zur gesellschaftlichen Stellung der Grabinhaber

Die römerzeitlichen Grabbauten der Provinz Noricum sind heute bis auf wenige Ausnahmen in Form von einzelnen, aus dem ursprünglichen Zusammenhang gerissenen Blöcken erhalten. Um die Rückgewinnung des architektonischen Aufbaus und um eine typologische Gliederung des aussagekräftigen Materials bemühte sich ein von FWF und ÖAI Wien finanziertes Forschungsprojekt der vergangenen Jahre.
Da der private Bereich der Gräber und Grabdenkmäler wie keine andere Fundgattung einen Zugang zu den Individuen der antiken Gesellschaft ermöglicht, soll nun auch eine Auswertung des Materials nach soziologischen Gesichtspunkten versucht werden. Obwohl die aufwendigen Grabbauten in erster Linie ein Mittel der Selbstdarstellung waren, enthalten die Inschriften, die Porträtdarstellungen und in manchen Fällen auch die dekorativen Reliefs dennoch häufig Angaben zu den Grabinhabern, die als objektiv gelten können. Ziel ist es, auch den Aspekt des gewählten Grabbautypus in die Betrachtung zur gesellschaftlichen Stellung der Grabinhaber einzubeziehen.
Erste Voraussetzung für das Gelingen eines derartigen Vorhabens ist die konsequente Bestimmung und Einhaltung erfolgversprechender Auswahlkriterien: nur ein Bruchteil des gesamten norischen Grabbaumaterials entspricht den Anforderungen der formulierten Zielsetzung. Einerseits müssen genügend Anhaltspunkte zum Typus und zur Ausstattung des jeweiligen Grabbaues gegeben sein. Für unsere Fragestellung ist nicht nur die architektonische Form sondern auch die Aufwendigkeit als Anhaltspunkt für den Kostenfaktor eines Grabbaues von Bedeutung. Andererseits muß der Grabinhaber bekannt und ein Hinweis auf seine gesellschaftliche Stellung vorhanden sein.
An eine solcherart reduzierte Materialbasis (insgesamt 240 Grabbauten bzw. Grabbaueinzelteile) kann mit der folgenden Fragestellung herangegangen werden:
1. Wie sind die Kriterien für die Differenzierung verschiedener gesellschaftlicher Gruppen zu fassen?
2. Wie verhält sich der Grabbautyp zur gesellschaftlichen Gruppenzugehörigkeit der Grabinhaber? Bevorzugten bestimmte Personengruppen bestimmte Grabbautypen?
3. Welche Erklärungsmodelle gibt es für mögliche Übereinstimmungen oder signifikante Abweichungen?
Die hier präsentierte Abbildung stellt die Beziehung der drei untersuchten Faktoren zueinander dar: der typologischen Gruppen, wie sie für die vorliegende Fragestellung modifiziert wurden, der gesellschaftlichen Gruppen, wie sie anhand der Quellenlage differenzierbar sind, und der absoluten Anzahl zugeordneter Grabbauten bzw. Grabbaueinzelteile.


Abb. 13: Verteilung der insgesamt 240 ausgewählten Grabbauten bzw. Grabbauteile nach gesellschaftlichen und nach typologischen Gruppen

Die typologische Gruppe "Tumulus" bietet aufgrund der Auswahlkriterien eine zu geringe Materialbasis für eine statistische Auswertung in unserem Zusammenhang. Auch die Gruppe "Pfeiler" ist in zu geringem Ausmaß vertreten.
Nicht in dieser Darstellung enthalten ist ein vierter, nämlich der chronologische Faktor. Da ein Großteil des Materials nicht mit Sicherheit datiert werden kann, würde die konsequente Anwendung dieses Kriteriums eine allzu starke Verengung der Materialbasis bewirken und eine statistische Auswertung verhindern. Die Zeitstellung der einzelnen Grabdenkmäler ist jedoch ein wichtiger Gesichtspunkt bei der Aufstellung von Erklärungsmodellen, von denen abschließend einige angerissen seien:
  • Zweistöckige Grabbauten des Aedicula- und des Baldachintyps sowie allgemein größere Grabbauten in Quadertechnik sind fast ausschließlich den oberen Bevölkerungsgruppen vorbehalten. Sie können als Gradmesser für den finanziellen Wohlstand und die Romanisierung der Inhaber gelten. In der späteren Kaiserzeit sind bescheidene Grabbautypen mehrfach für Angehörige der Oberschicht nachweisbar; aufwendige Grabbautypen von Mitgliedern der Munizipalaristokratie finden sich verstärkt in ländlichen Gebieten. Dies kann als Ausdruck des gesellschaftlichen Umbruchs im späten 2. und 3. Jh. n.Chr. verstanden werden.
  • Peregrine bevorzugen Grabbautypen, die in geringerem Maß mit verzierten Werkstücken ausgestattet sind, also gemauerte und aufgeschüttete Grabbauten. Ausschlaggebend können materielle Faktoren gewesen sein, wie Finanzierbarkeit, Erreichbarkeit der Werkstätten oder Transportmöglichkeit. Eine weitere Erklärungsmöglichkeit wäre eine gewisse Verhaftung in der Tradition oder der bewußte Rückgriff darauf.
  • Keine der architektonischen Grundformen ist ausschließlich einer bestimmten Bevölkerungsgruppe vorbehalten. Bei der Verwendung symbolträchtiger Architekturformen scheinen in der kaiserzeitlichen Gesellschaft Noricums keine verbindlichen Normen gegolten zu haben. Es herrschten die Prinzipien der subjektiven Selbstdarstellung und der Nachahmung. Es kann heute nicht mehr nachvollzogen werden, inwieweit bestimmte Bauformen bewußt verwendet wurden.

    Literaturauswahl:
    G. Alföldy, Noricum. The Provinces of the Roman Empire (1974).
    G. Alföldy, Römische Sozialgeschichte3 (1984).
    W. Eck, Römische Grabinschriften. Aussageabsicht und Aussagefähigkeit im funerären Kontext, in: H. von Hesberg - P. Zanker (Hrsg.), Römische Gräberstraßen (1987) 63f.
    W. Eck, Grabmonumente und sozialer Status in Rom und Umgebung, in: P. Fasold - Th. Fischer - H. von Hesberg - M. Witteyer (Hrsg.), Bestattungssitte und kulturelle Identität, Kolloquium Xanten 1995, Xantener Berichte 7 (1998) 29ff.
    G. Kremer, Antike Grabbauten in Noricum. Katalog und Auswertung von Werkstücken als Beitrag zur Rekonstruktion und Typologie, Manuskript in Druckvorbereitung.
    R. Wedenig, Epigraphische Quellen zur städtischen Administration in Noricum (1997).
    G. Winkler, Die Reichsbeamten von Noricum und ihr Personal bis zum Ende der römischen Herrschaft, SBWien 261/2 (1969).

    © Gabrielle Kremer
    e-mail: kremer.molitor@utanet.at



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