Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 3 / V / 1997

TYPOLOGISCHE STUDIEN ZU DEN GRABBAUTEN NORICUMS



Abb.1: Eingemauerte Grabteile (Slowenien, Steiermark)

Ein Forschungsprojekt zum Thema „Antike Grabbauten in Noricum"[1] hat sich zum Ziel gesetzt, die in großen Mengen erhaltenen Teile römerzeitlicher Grabbauten des norischen Gebietes[2] (Abb. 1) auf ihren früheren baulichen Zusammenhang hin zu überprüfen. Im Vordergrund steht die Frage nach den Rekonstruktionsmöglichkeiten der Einzelteile und nach der Typenvielfalt der in der Provinz Noricum vertretenen Grabbauten[3]. Die Bezeichnung „Grabbau" meint dabei das oberirdisch sichtbare Monument, bei dem bearbeitetes Steinmaterial zur Anwendung kommt. Grabstelen und Sarkophage bleiben bei unserer Betrachtung ausgeschlossen.
Mit diesem Vorhaben soll eine Lücke in der Reihe von Publikationen zu den Grabbauten einzelner Provinzen des Römischen Reiches geschlossen werden[4].



Abb. 2: Sempeter,
rekonstruierte Grabbauten
Methodisch sind zwei Arbeitsschritte zu unterscheiden: Die Autopsie der erhaltenen Bauteile einerseits und die kritische Befragung von Grabungsbefunden andererseits.
Sind die Stoß-, Setz- und Lagerflächen der Werksteine sichtbar, so gibt ihre Zurichtung in vielen Fällen Auskunft über die Verwendung des Baugliedes im ursprünglichen Zusammenhang. So läßt sich etwa aus Dübel- und Klammerlöchern auf vertikal bzw. horizontal anschließende Blöcke schließen; Hebelöcher geben oft wertvolle Hinweise auf die Größe bestimmter Bauglieder.

Aus der Bearbeitung von Rück- und Unterseiten kann auf die Stellung des Blocks am Bauwerk geschlossen werden. Sind die Werksteine jedoch in mittelalterlichem oder auch jüngerem Mauerwerk wiederverwendet worden, so können meist nur noch die reliefverzierten oder beschrifteten Frontseiten beurteilt werden. Die häufig an antiken Grabbauten vorkommende Anwendung bestimmter Dekorationsschemata und gewisse Regelmäßigkeiten in Motivabfolge und Proportionen erlauben auch in diesen Fällen oft eine Bestimmung des Bauteils. Bereits rekonstruierte Grabbauten, wie z.B. die bekannten Grabaediculae von Sempeter[5] (Abb. 2), oder auch über die Grenzen Noricums hinausgehende Vergleiche liefern hier wichtige Anhaltspunkte.
In wenigen Fällen nur lassen sich aus erhaltenen Bauteilen ganze Grabbauten mit einiger Sicherheit rekonstruieren (Abb. 3), so z.B. bei Funden aus Sempeter, Celje, Waltersdorf, Donawitz u.a. Aus den vielen Einzelteilen können in der Zusammenschau aber Erkenntnisse zur Chronologie und Entwicklung, zur Ikonographie und zu den Inhalten der Dekorationsprogramme, zu den Grabinhabern und ihrer Stellung in der Gesellschaft, zu den Werkstätten, zur regionalen Differenzierung und zu vielen anderen Aspekten mehr gewonnen werden.


Abb. 3: Rekonstruierte Grabbautypen in Noricum
Tempelförmiges Grabmal - Grabaedicula - Baldachinförmiges Grabmal

Abb. 4: Altarförmige Grabmäler
Bisher konnten aus dem erhaltenen Steinmaterial Denkmäler der Typen Grabaltar, Grabaedicula, baldachinförmiges Grabmal, tempelförmiges Grabmal und Grabpfeiler rekonstruiert werden (Abb. 3 und 4).
Die Grabungsbefunde liefern viele Beispiele für massive Fundamente aus Gußmauerwerk, innerhalb einer Grabumfassung oder frei stehend, meistens aufgereiht entlang einer Gräberstraße, die einen aus verzierten Quadern zusammengefügten, hoch aufragenden Grabbau getragen haben müssen. Das Typenspektrum spiegelt Erscheinungsbild und Gepflogenheiten italischer Gräberstraßen wieder[6]. In zahlreichen Einzelheiten aber lassen sich charakteristische norische Eigenarten ausmachen, die durch die Aufnahme und Verarbeitung verschiedenster Einflüsse entstanden sind und die spezielle historische Situation der Provinz Noricum wiederspiegeln. Folgende Stichworte seien hier nur genannt: die Zuwanderung aus Oberitalien, das Festhalten an lokalen Traditionen, die Übernahme von Bildmotiven aus der römischen Sarkophagkunst, die Beeinflussung durch das kosmopolitische römische Heer. So spiegelt denn auch das Repertoire an Grabbautypen diese unterschiedlichen Einflußfaktoren wieder und kann Aufschluß über Fragen der regionalen Differenzierung und der Chronologie geben.
Der zweite methodische Schritt, die Auswertung von Grabungsbefunden, ermöglicht Aussagen zu weiteren Grabbautypen, die anhand des ohne Fundzusammenhang erhaltenen Steinmaterials kaum oder nur ungenügend erkannt werden können. So sind bestimmte Formen von Grabinschriften, -skulpturen und -architekturteilen mit gemauerten Grabhäuschen bzw. Grabhügeln in Zusammenhang zu bringen (Abb. 5).


Abb. 5: Rekonstruktionsversuche:
Gemauertes Grabhäuschen - Tumulus mit architektonischen Einbauten

Beispiele für gemauerte Grabhäuschen wären etwa die Gräber am Lugbichl des Magdalensberges, in Katsch oder Pichling. Tumulusgräber mit außen sichtbaren architektonischen Baugliedern sind zum Beispiel aus Semriach und Zeil bekannt. Auch Grabumfassungen, die ein offenes Areal abgrenzen und bezeichnen, sogenannte Viridiarien, gehören im weiteren Sinn zu den oberirdisch sichtbaren Grabbauten und können mit Reliefs verziert oder beschriftet gewesen sein. Hier gilt es, aus der Fülle des Materials diejenigen Bauteile herauszufiltern, die mit derartigen Anlagen in Verbindung gebracht werden können.
In vielen Fällen lassen jedoch die Befunde das Aussehen des aufgehenden Monumentes nicht mehr in der gewünschten Deutlichkeit erkennen. Oft ist z.B. nicht zu entscheiden, ob das Mauerwerk eines Grabbaues ursprünglich mit einem Erdhügel bedeckt war, also den Einbau eines Tumulusgrabes darstellt, oder ob es sich um ein freistehendes Bauwerk handelte. Anhand der bisher aufgedeckten Grundrisse muß auf eine noch in weiten Teilen unbekannte Vielfalt an Grabbautypen geschlossen werden. Vielleicht können die Ergebnisse des hier nur kurz umrissenen Projektes auch zu einer differenzierteren Beurteilung zukünftiger Grabungsbefunde beitragen.

[1] Das Projekt wird seit September 1995 vom Österreichischen Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung finanziert. Projektleiter ist Dr. Heinrich Zabehlicky, ÖAI Wien, Mitantragsteller Prof. Dr. Fritz Krinzinger.
[2] Ein großer Teil des bearbeiteten Materials ist publiziert in den die Provinz Noricum betreffenden Bänden des Corpus Signorum Imperii Romani. Für die nicht erfaßten Stadtgebiete der Provinz sind andere Sammelbände heranzuziehen, z.B.: V. Hoffiller - B. Saria, Antike Inschriften aus Jugoslavien (1938); E. Weber, Die römerzeitlichen Inschriften der Steiermark (1969); W. Modrijan - E. Weber, Die Römersteinsammlung des Joanneums im Eggenberger Schloßpark, Teil 1 und 2, SchildStei 12, 1965, 1ff. und 14, 1979/81, 1ff.; M. Hainzmann - E. Pochmarski, Die römerzeitlichen Inschriften und Reliefs von Schloß Seggau bei Leibnitz (1994) etc.
[3] Vgl. G. Kremer, Antike Grabbauten in Noricum, ungedr. Diss. Wien (1992).
[4] Zum älteren Forschungsstand siehe A. Schober, Die römischen Grabsteine von Noricum und Pannonien, SoschrÖAI 10 (1923). Zu anderen Provinzen siehe z.B.: J.-J. Hatt, La tombe gallo-romaine 2(1986); J.-N. Andrikopoulou-Strack, Grabbauten des 1. Jahrhunderts n.Chr. im Rheingebiet, Beih. BJb 43 (1986); M. Witteyer - P. Fasold (Hrsg.), Des Lichtes beraubt. Totenehrung in der römischen Gräberstraße von Mainz-Weisenau (1995); A. Haffner (Hrsg.), Gräber - Spiegel des Lebens. Zum Totenbrauchtum der Kelten und Römer am Beispiel des Treverer-Gräberfeldes Wederath-Belginum (1989).
[5] J. Klemenc - V. Kolsek - P. Petru, Anticne grobnice v Sempetru (1972).
[6] H. v.Hesberg - P. Zanker (Hrsg.), Römische Gräberstraßen. Selbstdarstellung - Status - Standard (1987).


©
G. Kremer



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