Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 59 / VI / 2011

DAS 3D-MODELL DES SOG. HADRIANSTEMPELS AN DER KURETENSTRASSE IN EPHESOS

Derzeit wird am Österreichischen Archäologischen Institut ein Projekt zum sog. Hadrianstempel an der Kuretenstraße in Ephesos (Abb. 1) durchgeführt, das vom Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung finanziert wird [1]. Der kleine, in den Jahren 1957/58 wieder aufgebaute Tempel ist eines der bekanntesten Monumente von Ephesos. Seit seiner Entdeckung sind mehr als 50 Jahre vergangen, eine systematische Untersuchung und Publikation des Baubefundes liegen bislang aber nicht vor. Auch die ursprüngliche Interpretation als Neokorie-Tempel für Kaiser Hadrian – d.h. als offizielle Stätte der Kultausübung für die gesamte Provinz Asia – wird heute weitgehend abgelehnt. Fragen zu Chronologie, Funktion und Rekonstruktionsdetails sind von der Forschung zwar vielfach und kontrovers diskutiert, aber nicht endgültig gelöst worden. Im Rahmen des am ÖAI durchgeführten Projektes erfährt das Bauwerk erstmals eine umfassende bauhistorische und archäologische Untersuchung [2], deren Ergebnisse in der Reihe „Forschungen in Ephesos“ erscheinen werden [3]. Der vorliegende Beitrag richtet sein Augenmerk auf die Baudokumentation und einen ihrer Teilaspekte: das dreidimensionale Gebäudemodell.

Als erster wesentlicher Schritt musste im Rahmen des Projektes die Architektur des Hadrianstempels neu aufgenommen werden; dies bildete die Grundlage für jede weitere wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Bauwerk. Die Anforderungen an das Ergebnis waren vielfältig: Zum einen soll im Rahmen der gedruckten Publikation eine Dokumentation entstehen, die den herkömmlichen Standards der archäologischen Bauforschung entspricht. Alle Werksteine – d.h. die aus Marmor gefertigten Architekturteile, die speziell für den ihnen zugedachten Anbringungsort hergestellt wurden – sollten von allen Seiten im Maßstab 1:20 wiedergegeben werden. Pläne vom und Schnitte durch das Bauwerk sollten im Maßstab 1:50 vorliegen, wofür Bruchsteinmauern, Ziegel sowie die modernen Ergänzungen in entsprechend hoher Erfassungsdichte aufgenommen werden mussten. Die erzielte Genauigkeit erlaubt, Rekonstruktionsdetails wie beispielsweise die Position einzelner Werksteine zu überprüfen.
Zum anderen sollte die Architekturdokumentation Grundlage für die weitere Beschäftigung mit dem Gebäude sein. Im Rahmen einer restauratorischen und konservatorischen Bestands- und Zustandserfassung sollte eine Kartierung unterschiedlicher Schadensphänomene auf Basis der Architekturdokumentation vorgenommen werden. Eine steingerechte sowie eine daraus abgeleitete „abstrahierte“ Rekonstruktion [4] sind ebenso in Vorbereitung wie ein dreidimensionales Modell, das Fachleuten und Laien einen räumlichen Gesamteindruck des Bauwerks vermitteln soll.

Nicht zuletzt auf Grund der Rahmenbedingungen erfolgte im Zuge der Projektvorbereitung eine Entscheidung zugunsten von 3D-Surface-Scanning [5]: Der Hadrianstempel ist eine der touristischen Hauptattraktionen von Ephesos. An eine länger andauernde Einrüstung, wie sie für eine Dokumentation mit traditionellem Handaufmaß notwendig gewesen wäre, konnte deshalb nicht gedacht werden. Berührungsfreie 3D-Scanning Methoden waren daher auf Grund ihrer Erfassungsgeschwindigkeit und der damit verbundenen kurze Aufnahmedauer vor Ort sowie der erreichbaren Erfassungsqualität optimal geeignet, eine umfassende Architekturdokumentation des Hadrianstempels zu erstellen und die oben dargestellten Anforderungen zu erfüllen.
Abhängig vom gewünschten Detaillierungsgrad des angestrebten Endergebnisses wurden zwei unterschiedliche Aufnahmeverfahren gewählt.

  • Mit Streifenlicht-Scannern der Breuckmann GmbH (Breuckmann smartSCAN-3D und Breuckmann triTOS) wurden alle marmornen Bauglieder des Tempels mit hoher Auflösung digitalisiert, wobei insgesamt ca. 1.750 Einzelscans aufgenommen wurden. Der Aufnahmebereich beträgt dabei – abhängig vom verwendeten Scanner –0,2m2 bzw. 1m2, die laterale Auflösung 0,3mm bzw. 1mm (Abb. 2a–c).

  • Mit einem 3D-Laserscanner basierend auf Phasenvergleichs-Messtechnik wurden ca. 90 Panorama-Scans über das gesamte Bauwerk, die Bruchsteinmauern des Innenraumes sowie der angrenzenden Strukturen angefertigt. Bei einer Dauer von fünf bis zehn Minuten pro Scan konnten jeweils etwa 50 bis 100 m2 erfasst werden, wobei die laterale Auflösung etwa 5–10mm beträgt (Abb. 3–4).

Im Anschluss an die Datenerfassung wurden zuerst die Einzelaufnahmen der Streifenlichtscanner objektweise anhand ihrer 3D-Geometrie in einem gemeinsamen Koordinatensystem registriert und anschließend zu einem gemeinsamen 3D-Modell zusammengefügt. Ebenso wurden die mit dem Laserscanner aufgenommenen einzelnen Panorama-Scans registriert und zu einem gemeinsamen 3D-Modell zusammengeführt. Nach diesem ersten Schritt des sog. Data-Post-Processing unterscheiden sich die Ergebnisse beider Messverfahren in einem wesentlichen Merkmal: Während die Verfahrensschritte am Detailmodell die Rohdaten des Streifenlicht-Scanners unmittelbar in flächige, polygonale Objekte überführen, liefert das Post-Processing der Daten des Laser-Scanners zunächst Punktinformationen in Form sog. 3D-Punktwolken.
Die polygonalen Strukturen (d.h. Dreiecksvermaschungen, Abb. 2b–c) bilden die Oberfläche der erfassten Objekte im Idealfall flächendeckend ab. Sie spannen also mittels einer Vielzahl winziger Dreiecksflächen die Hülle der Objekte auf. Damit sind die für die Darstellung der Objekte notwendigen Voraussetzungen gegeben – die Bauteile sind undurchsichtig.
Im Gegensatz dazu werden die 3D-Punktwolken aus diskreten – d.h. voneinander getrennten – Punkten gebildet. An der Position der Punkte existieren Informationen aus der Laser-Messung, bestehend aus der exakten Lage des Punktes im Raum, der Signalintensität sowie – bei Bedarf – einer Farbinformation. Ein flächenhafter Eindruck der Punktwolke entsteht in der Darstellung dann, wenn der virtuelle Betrachter so weit vom Objekt entfernt ist, dass der Raum zwischen den Punkten nicht mehr zu erkennen ist. Umgekehrt kann aufgrund der Absenz geschlossener Oberflächen das für die 3D-Visualisierung wesentliche Prinzip der Verdeckung nicht realisiert werden (Abb. 4).

Die Transformation einer solchen Punktwolke in ein geschlossenes polygonales Oberflächenmodell ist ein ressourcenintensiver Schritt, wobei der Aufwand maßgeblich von der angestrebten Auflösung (d.h. Anzahl und Größe der Dreiecke) und Vollständigkeit (d.h. lückenloser Oberfläche) bestimmt wird. An dieser Stelle des Arbeitsablaufs war daher zu klären, welches Endergebnis auf Basis welches Ausgangsdatensatzes erzielt werden sollte.

Während für die Dokumentation der einzelnen Werksteine im Maßstab 1:20 im Wesentlichen die Streifenlicht-Scans verwendet wurden, erfolgte die Erstellung von Plänen und Schnitten im Maßstab 1:50 auf Basis der Laser-Scans (Abb. 4). Das dreidimensionale Gesamtmodell hingegen stellt eine Kombination von Aufnahmen aus beiden Bereichen dar (Abb. 5).
Tabelle 1 gibt einen Überblick über die Größe dreiecksvermaschten Polygonmodelle.

Objekt Anzahl der Dreiecke [Millionen] Größe der entsprechenden PLY-Datei Bemerkung
Hadrianstempel
ca. 50
ca. 1.2 GB
 
Postamente
je ca. 10–20
ca. 200–400 MB
 
Einzelne Steine
je ca. 5–10
ca. 100–200 MB
 
Originale Friese
je ca. 20
ca. 400 MB
aufgenommen im Museum in Selçuk
Panorama-Scan
ca. 15
ca. 300 MB
 

Die Verknüpfung der Zwischenergebnisse aus beiden „Erfassungswelten“ erwies sich aufgrund der zu verarbeitenden Datenmengen ebenso wie aufgrund der unterschiedlichen Charakteristika der Ausgangsdaten als einer der „Knackpunkte“ der Nachbearbeitung.
Zuerst mussten Lücken im Datenbestand der hochaufgelösten 3D-Modellen des Hadriantempels, der Postamente sowie der im Museum aufgenommen Original-Friese automatisiert geschlossen werden.
Parallel dazu wurden die Punktwolken der Laser-Scans für die Überführung in ein vermaschtes Flächenmodell vorbereitet. Dabei war es notwendig, die Punktdichte mit Blick auf den angestrebten Detaillierungsgrad des Endergebnisses selektiv zu reduzieren. Die zur Verfügung stehenden Werkzeuge unterstützen diesen Prozess zwar technisch, die Auswahl einzelner Teilbereiche anhand der Kriterien “Relevanz“ und „Sichtbarkeit“ erfolgt aber jeweils interaktiv durch die BearbeiterInnen. Der abschließende Schritt der sog. Vermaschung der Punktwolke liefert ein nahezu geschlossenes Oberflächenmodell aller mit dem Laserscanner erfassten Bauteile des Tempels sowie der angrenzenden Bereiche.
In der Folge wurden die hochauflösenden Detailmodelle der marmornen Bauglieder des Tempels und der Postamente in das 3D-Modell des Laser-Scans eingefügt, wobei die Registrierung – also die Anpassung in den Dimensionen Orientierung und Skalierung – anhand der 3D-Geometrie des Laser-Scan-Modells erfolgte. Um die jeweils beste verfügbare Auflösung für jeden einzelnen Bauteil zu nutzen, wurden schließlich die niedriger aufgelösten Objektteile aus den Laser-Scans jeweils durch die hochaufgelösten 3D-Teilmodelle ersetzt. Mit demselben Ziel wurden die Daten der beiden vor Ort erfassten Friese durch jene der im Museum in Selcuk aufgenommenen Original-Friese ersetzt.
Als begleitende Maßnahme der Qualitätssicherung wurden bereits während der ersten Scan-Kampagne insgesamt ca. 75 Messpunkte photogrammetrisch vermessen und als Referenz für das 3D Modell genutzt. Die Auswertung aller Daten ergab eine Konsistenz der 3D-Modelle untereinander sowie in Bezug auf die photogrammetrische Kontrollmessung in einer Größenordnung von wenigen Millimetern. Im Hinblick auf die Tatsache, dass die Messungen bei stark unterschiedlichen Umgebungstemperaturen (Temperaturdifferenzen bis zu 20° C) und aufgenommen wurden, ist dies eine ausgezeichnete Übereinstimmung.

Das dreidimensionale Gesamtmodell (Abb. 5) wurde am 17. März im „Deep Space“ des Ars Electronica Centers in Linz präsentiert. Der Hadrianstempel kann dort – von insgesamt acht Spezialprojektoren auf eine 16x9 m große Leinwand projiziert – bis auf weiteres im Rahmen von Führungen besichtigt werden.
Darüber hinaus wurde das 3D-Modell benutzt, um ein Video zu erstellen, das einen Eindruck vom ursprünglichen Aussehen des Tempels vermittelt (Abb. 6). Dabei wurde intensiv von den Werzeugen Gebrauch gemacht, welche moderne Animations- und Rendering-Software bieten. Insbesondere die Spezifikation von Materialeigenschaften erlaubt es, den visuellen Eindruck der Marmoroberflächen des Tempels realistisch zu simulieren. In Kombination mit den Möglichkeiten, die sich zur Gestaltung von Lichteffekten bieten, konnte so eine „hyper-realistische“ Kamerafahrt von etwa 15 Sekunden animiert werden. Im Unterschied zur „echten“ Realität wurde der tatsächliche Baubestand des in den 1950er Jahren erfolgten Wiederaufbaus um lagerichtig „schwebende“ Architekturglieder ergänzt. Weiters veranschaulichen zwei virtuelle Laserstrahlen die Gestaltung der Tempelfront und ihres Dreiecksgiebels in der römischen Kaiserzeit.



[1] Projekt Nr. P20947-G02. Unser Dank gilt der Institutsdirektorin und Grabungsleiterin, Sabine Ladstätter, ebenso wie Barbara Thuswaldner, Christian Kurtze und Filiz Öztürk und dem Efes Müzesi Selçuk mit dem Direktor Cengiz Topal. Die Dokumentation wurde in Zusammenarbeit mit der TU Wien und der Breuckmann GmbH (Meersburg, Deutschland) durchgeführt.
[2] s. dazu den Beitrag in Forum Archaeologie 54/III/2010 mit Angaben zu älterer Literatur.
[3] Zu ersten Ergebnissen bezüglich der Baugeschichte s. U. Quatember, The “Temple of Hadrian” on Curetes Street in Ephesus: new research into its building history, JRA 23, 2010, 376–394.
[4] Zu unterschiedlichen Detaillierungsgraden und den Ansprüchen an eine Rekonstruktion s. U. Quatember, Zur Bewertung von schematischen und steingerechten Rekonstruktionen in der archäologischen Bauforschung, in: M Meyer – V. Gassner (Hrsg.), Standortbestimmung. Akten des 12. Österreichischen Archäologentages Wien 2008 (2010) 335–341.
[5] s. dazu bereits U. Quatember – B. Thuswaldner – R. Kalasek – B. Breuckmann – Ch. Bathow, The Virtual and Physical Reconstruction of the Octagon and Hadrian’s Temple in Ephesus, in: Tagungsakten SCCH 2009 in Heidelberg (in Druck); R. Kalasek u.a., 3-Dimensional Documentation of the Hadrian's Temple in Ephesus/Turkey, in: F. Contreras – F.J. Melero (Hrsg.), Tagungsakten der CAA 2010 – Fusion of Cultures in Cordoba (in Druck).

© Ursula Quatember, Robert Kalasek, Bernd Breuckmann, Christiane Bathow
e-mail: ursula.quatember@oeai.at


This article should be cited like this: U. Quatember - R. Kalasek - B. Breuckmann - Ch. Bathow, Das 3D-Modell des sog. Hadrianstempels an der Kuretenstraße in Ephesos, Forum Archaeologiae 59/VI/2011 (http://farch.net).



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