Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 59 / VI / 2011

WISSENSCHAFT AUF SEITE EINS

Wie sich Forschung medial gut verkaufen lässt, erfahren interessierte WissenschafterInnen in der Live-Redaktion von "Coverstory", einem einzigartigen Projekt an der Universität Graz.

Journalismus ist Literatur in Eile, hat Matthew Arnold einst pointiert festgestellt.
"Literatur" ließe sich auch durch "Wissenschaft" ersetzen, denn Wissenschaft und Journalismus sind einander ähnlicher als Vertreter beider Genres manchmal glauben. Beide wollen Wissen vermitteln, beide suchen nach Inhalten, nach Erkenntnis. Nur heißt das halt bei den einen forschen, bei den anderen recherchieren.
Aber da hört sich die Gemeinsamkeit dann auch schon wieder auf.
Was für den Wissenschafter Monate und Jahre Forschung bedeuten, sind für den Journalisten Tage oder gar nur Stunden Recherche. Während der Wissenschafter hunderte Seiten in einem Buch oder Dutzende in einem Aufsatz publiziert, bringt der Journalist 90 Sekunden Radiobeitrag oder 70 schmale Zeilen in einer Zeitung. Während der Wissenschafter ein auf speziellem Niveau und gewissem Gebiet vorgebildetes, also homogenes Publikum voraussetzen kann, muss der Journalist unter seiner Leserschaft eine ungeheure Vielfalt an (Aus-)Bildung und Interessen erwarten. Ein wissenschaftliches Werk wird auch heute noch über viele Kapitel hinweg ohne Bebilderung gedruckt, eine Zeitung, ein Fernsehbeitrag lebt aber von Bildern, statisch oder bewegt.
Zeit, Platz, Sprache, Fotos: Dies sind nur wenige der vielen Ursachen, die die Welten von Wissenschaftern und Journalisten zuweilen aufeinander prallen lassen. Mit "Coverstory" wollen wir, Oliver Pink und Elisabeth Holzer, Journalisten aus Graz, helfen, diesen Aufprall zu mildern: Seit März bieten wir als Kooperation mit der Siebenten Fakultät der Karl-Franzens-Universität Graz ein vollkommen neues Konzept des Medientrainings an. Für "Coverstory" funktionieren wir mit Unterstützung des Uni-Pressesprechers Andreas Schweiger einen Hörsaal quasi in eine Redaktion um: Wir interviewen Forscher live über ihre Arbeit oder ein spezielles Projekt und zeigen dem Publikum auch sofort, wie wir das Gehörte in einen Bericht verpacken würden. WissenschafterInnen sehen dadurch, was ReporterInnen wichtig ist, wo die journalistischen Schwerpunkte liegen, wie wir fragen. Sie erfahren, dass Medien Aufhänger brauchen, eine Nachricht mit Neuigkeitswert, um einen Artikel überhaupt platzieren zu können. Um es mit einem archäologischen Beispiel zu verdeutlichen: Ein Ring in Flavia Solva gefunden? Wie nett, wird sich ein Journalist denken und die entsprechende Presseaussendung darüber, so es sie überhaupt je gegeben hat, gleich wieder vergessen. Aber wenn der Ring nun einer Mätresse eines Statthalters gehört hätte, die dessen Ehefrau ermorden ließ? Das wäre so ein Aufhänger. Die Schlagzeile ließe sich schon sehen: "Giftmord in der Antike: Sensationsfund in Flavia Solva". Populistisch zwar, aber damit ließe sich auch so einiges über Flavia Solva, Ausgrabungen und der Arbeit von Archäologen an sich mittransportieren.

Medienseminare gibt es viele, doch unsere Version ist einzigartig: Die Kombination Live-Interview vor Publikum und den Bericht darüber nahezu in Echtzeit bekommen Sie nur bei uns. Wir sind übrigens Journalisten mit jahrzehntelanger Berufserfahrung: Oliver Pink war nach seinem Musikstudium an der Kunstuniversität Graz mehrere Jahre lang ORF-Redakteur und ist jetzt für internationale TV-Stationen wie ZDF oder n-TV als Redakteur und Producer tätig. Elisabeth Holzer arbeitet beim KURIER und ist auch noch promovierte Historikerin. Auch unser persönlicher Hintergrund ist ein Vorteil, den man wohl nicht so schnell bei PR-Seminaren findet: Wir beide sind durch unsere Studien bzw. auch durch eigene wissenschaftliche Arbeit der universitären Forschung verhaftet. Elisabeth Holzer beispielsweise hat selbst auch schon als wissenschaftliche Buchautorin die andere Seite kennengelernt, Oliver Pink ist durch oftmalige Präsenz an der Karl-Franzens-Universität ebenfalls mit Forschung und Wissenschaft bestens vertraut. Aus dieser Basis heraus hatten wir die Idee, unsere Leidenschaften - Journalismus und Wissenschaft - zu verbinden und WissenschafterInnen ein paar Tricks zu verraten, wie sie Medien für sich gewinnen können.

Premiere von "Coverstory" war am 28. März 2011. Unser engagierter erster Gast war tatsächlich ein Archäologe: Der Leiter des Instituts für Archäologie an der Karl-Franzens-Universität, Univ.-Prof. Dr. Peter Scherrer, berichtete über sein jüngstes Projekt, "Vergänglich - Holz bei Bestattungen in der Antike", eine Sonderausstellung im neu eröffneten Uni-Museum.


Doch hier wird der nächste Unterschied zwischen Journalismus und Wissenschaft offensichtlich: Medien brauchen griffige Titel, also haben wir das Projekt "Antike Scheiterhaufen" genannt und ein Bild von lodernden Flammen zu Einladung und Bericht gestellt. Das hatte einen gewissen Kick und Sinn, da das Wort Scheiterhaufen in der Vorstellung der Allgemeinheit mit den Hexenverbrennungen des Mittelalters besetzt ist. Tatsächlich geht es bei Scherrers Projekt um Bestattungsriten und das verwendete Holz, um die sich auch Interview und Artikel drehten. Allerdings braucht ein Journalist ein Lockmittel, um Konsumenten überhaupt dazu zu bringen, einen Artikel zu lesen. Das klappt über gute Bilder und spannende Titel, also einer ansprechenden Aufmachung.
Das haben wir dann dem Publikum demonstriert. Wir haben einen einseitigen Artikel binnen 20 Minuten verfasst, nachdem wir Scherrer interviewt hatten. Das Layout war natürlich wegen dieser kurzen Zeit vorbereitet, auch die Fotos hatten wir schon parat. Doch der Text entstand quasi in Echtzeit. Danach wurde der Beitrag ausgedruckt und an die ZuhörerInnen verteilt. Um die unterschiedlichen Zugänge von Journalisten und Wissenschafter zu ein- und demselben Thema deutlich zu machen, haben wir auch zwei unterschiedliche Bebilderungen vorbereitet: Einmal die Version, die Archäologen auswählen wurden, nämlich die Darstellung eines Scheiterhaufen auf einer Amphore. Und dann noch die journalistische Wahl: Ein Meer lodernder Flammen, in dessen Mitte ein Gesicht erkennbar ist. Die erste Version wäre natürlich sehr korrekt und inhaltlich perfekt passend, aber sie war eben kein Hingucker. Doch um einen Medienkonsumenten dazu zu bringen, einen Artikel überhaupt anzusehen, braucht es das gewisse Etwas: Das kann ein knalliger Titel sein oder ein aufregendes Bild. Die zweite Artikelversion mit Flammenmeer bot eben genau dieses Element. Dazu noch ein griffiger Titel: "Scheiterhaufen an der Uni". Eine Blitzumfrage unter dem Publikum zeigte, dass der Großteil der LeserInnen tatsächlich zunächst am Bild hängen blieb. Der Schuhlöffel für den Einstieg in den Artikel war somit geschaffen.
Da nicht nur Wissenschafter im Publikum sitzen, sondern auch interessierte Zuhörer, lernen wir in der anschließenden Diskussion auch wir noch so einiges: Haben wir das Thema gut übersetzt oder sind wir am Interesse des Medienkonsumenten vorbei geschrammt? Haben wir den Forscher überhaupt richtig übersetzt oder zu sehr verkürzt? Kommt seine Botschaft, für die er vielleicht Jahre gearbeitet hat, im zwei Minuten kurzen Fernsehbeitrag überhaupt noch drüber?
Uni-Professor P. Scherrer lobte jedoch nicht nur den Ablauf von "Coverstory", sondern auch die journalistische Übersetzung seiner Arbeit. "Es war ein sehr angenehmes Gesprächsklima. Das macht ja dem Interviewten auch mehr Freude. Ich hab' ja auch schon Mediengespräche gehabt, wo ich das Gefühl gehabt habe, es ist überhaupt nicht um meine Arbeit gegangen oder was wir wo gefunden haben, sondern da war sofort die Frage: Können sie mit dem Fund jetzt den Bau der Tiefgarage hier verhindern?" Er wünscht sich, dass Journalisten und Wissenschafter mehr aufeinander zugehen. Auch, um eine breitere Öffentlichkeit außerhalb der Unis zu erreichen. "Das ist wichtig. Wissen, das nicht mitgeteilt wird, ist keine Wissenschaft, weil sie kein Wissen schafft", betont Scherrer. "Wir werden großteils von der öffentlichen Hand, also dem Steuerzahler, finanziert. Also müssen wir unser Wissen auch in die Öffentlichkeit bringen. Medien wollen natürlich auch Sensationen rüber bringen. Aber wenn die Sensation einen tieferen Sinn hat, eine Erklärung, dann haben wir für die Wissenschaft schon etwas erreicht."

Gerade bei Archäologie dürfte es auch wichtig sein, durch mediale Hilfe ein durch Hollywood-Filme à la Indiana Jones oder Lara Croft geprägtes Bild richtig zu rücken. "Viele verstehen Archäologie so, dass man nächtens über einen Acker schleicht und alles, was beim Metalldetektor piepst, aufklaubt. Das ist aber Schatzsuche auf allen Ebenen", versucht Scherrer das Bild wieder gerade zu rücken. In Wahrheit beginne die Arbeit des Archäologen stets im Archiv, Ausgrabungen seien nur das letzte Mittel. "Wesentlich wichtiger für uns ist, Zusammenhänge zu erforschen. Das ist natürlich etwas, das nicht jeden Leser interessiert, aber das ist natürlich auch ein Wirtschaftsfaktor, da muss man nur an die Akropolis denken, da werden Milliarden umgesetzt."

Die zweite Auflage von "Coverstory" haben wir erst kürzlich erlebt, mit einem völlig anderen Wissenschaftsbereich: Bienenforscher Gerald Kastberger vom Institut für Zoologie an der Uni Graz entführte uns gedanklich und bildlich nach Assam. "Killerbienen greifen an" lautete der Titel dieser Veranstaltung: Der Schwerpunkt lag diesmal auf TV-Berichterstattung.

Die ersten beiden Veranstaltungen kamen beim zahlreichen Publikum äußerst gut an. Um das Projekt auf eine breitere Basis zu stellen, wurde deshalb ein gemeinnütziger Verein gegründet: "Chrono-Media" will Wissenschaft, Medien und Kommunikation über "Coverstory" hinaus verbinden. Neue Mitglieder sind übrigens gerne willkommen.
Im kommenden Wintersemester geht es zunächst aber weiter mit "Coverstory". Die Themen stehen derzeit noch nicht fest, sollen aber wieder breit gefächert werden. Zwei bis drei Termine pro Halbjahr sind vorgesehen.

© Elisabeth Holzer, Oliver Pink
e-mail: oliver.pink@chrono-media.at


This article should be cited like this: E. Holzer - O. Pink, Wissenschaft auf Seite Eins, Forum Archaeologiae 59/VI/2011 (http://farch.net).



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