Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 43 / VI / 2007

ARCHÄOLOGIE UND FASCHISMUS
Das problematische Verhältnis von Archäologie und Politik im faschistischen Italien

Die Entwicklung archäologischer Forschung im Laufe des 19. Jh.s erlebte aus europäischer Sicht nicht zufällig parallel zu jener des Nationalismus einen gewissen Aufschwung; vielmehr beruht der "politische Nationalismus" auf einer Vorstellung von der Existenz "natürlicher" Gruppen von Menschen, die daraus ihr Recht ableiten, politische Einheiten zu bilden. Eines der Mittel, um die Identität einer solchen "natürlichen Gruppe" zu fördern - oder auch, sie zu generieren - ist die Propagierung einer gemeinsamen Vergangenheit [1]. Auf Grund ihrer Anschaulichkeit und guten Vermittelbarkeit bieten sich dafür nicht zuletzt die archäologischen Wissenschaften an [2].
Eine Beeinflussung archäologischer Disziplinen oder zumindest einzelner Wissenschaftler durch historische Umstände ist kein Phänomen faschistischer oder totalitärer Regime, sondern Teil der komplexen Realität historischer Forschung. Dennoch veranschaulichen gerade die totalitären Regime des 20.Jh.s, wie notwendig es ist, den eigenen Standpunkt kritisch zu hinterfragen.

Während sich der Nationalsozialismus auf einer allgemeinen Ebene vor allem am Körperideal der Griechen orientierte - wozu die Olympischen Spiele des Jahres 1936 in Berlin eine ideale Bühne bildeten - bot die "glorreiche" Vergangenheit des Römischen Reiches dem faschistischen Regime Italiens ganz konkrete Anknüpfungspunkte [3].
Eines der wesentlichen propagandistischen Elemente des Faschismus war das Konzept der Romanità, der Vorstellung von der zivilisatorischen Überlegenheit des römischen Reiches [4]. "Römischer Geist" und "römisches Handeln" wurden aus dem geschichtlichen Zusammenhang herausgelöst und als universeller, die Geschichte überdauernder Wertbegriff dargestellt. Im Mittelpunkt stand dabei die Gestalt des Augustus. Er galt als derjenige, der das Chaos der späten Republik beendet hatte und unter dessen Regierung das römische Reich eine Blütezeit erlebte. Mussolini sollte in der faschistischen Propaganda parallel zu Augustus als der Führer dargestellt werden, der das Chaos nach dem Ende des Ersten Weltkriegs beendet und die Ordnung im Staate wieder hergestellt hatte.
In dieser historischen Konstellation ergaben sich - vor allem auch in Zusammenhang mit einschlägigen Bauprojekten - zahlreiche Möglichkeiten für die archäologische Forschung. Dies kann jedoch nicht isoliert von der politischen Situation betrachtet werden. Archäologie sollte insbesondere auch der Öffentlichkeit vermittelt werden; in diesem Zusammenhang diente sie der faschistischen Propaganda. Ein persönliches Anliegen dürften Romanità und Archäologie für Mussolini nach Aussage der Quellen jedoch nicht gewesen sein. Auch generell wird in der Literatur immer wieder auf das geringe Interesse des Duce für Geschichte und Kunst im allgemeinen hingewiesen [5] (Abb. 1).

Archäologische Ausgrabungen in Rom und der Abriß ganzer Stadtviertel

Das Stadtzentrum Roms wird heute zu einem großen Teil von der Ausgrabungs- und Bautätigkeit der faschistischen Periode geprägt. Wie intensiv und welcher Art die Eingriffe in die Stadt waren, soll an zwei Projekten veranschaulicht werden: einerseits die Neugestaltung des Augustus-Mausoleums, bei der die antiken Reste in eine auf faschistische Propaganda abzielende Platzanlage integriert wurden, und andererseits die Via dell'Impero, heute Via dei Fori Imperiali, für deren Errichtung ganze Straßenzüge geschliffen und trotz intensiver Ausgrabungen auch zahlreiche archäologische Zeugnisse zerstört wurden.
Bestandteil der gewünschten Parallelisierung von Mussolini mit Augustus und Teil des Konzeptes der geplanten Feierlichkeiten zum 2.000. Geburtstag des Augustus am 23.9.1938 war eine Neugestaltung seines Mausoleums und der umgebenden Platzanlage.
Das Mausoleum selbst, das seit 1907 als Konzerthalle gedient hatte (Abb. 2), wurde zwischen 1926 und 1930 vom Archäologen Guiglio Quirino Giglioli erforscht [6]. Obwohl der modernen Nutzung entsprechend die ursprünglichen Strukturen im Inneren stark zerstört waren, konnten neue Erkenntnisse zu Aufbau und Ausstattung gewonnen werden. Bei der Publikation durch Giglioli in der Zeitschrift Capitolium [7] handelt es jedoch um ein offensives Propagandawerk, in dem u.a. die augusteischen Jugendorganisationen mit jenen der Faschisten gleichgesetzt werden [8].

Mit der Restaurierung des Mausoleums wurde Antonio Muñoz beauftragt [9]. Dieser bestand auf der völligen Befreiung des Gebäudes von späteren Hinzufügungen, die unmittelbare Umgebung gestaltete er als parkähnliche Landschaft mit Zypressen. Am 22. Oktober 1934 begann man darüber hinaus mit den Abrißarbeiten von Häusern und Straßen in dem das Mausoleum umgebenden Gebiet (Abb. 3), um die Platzanlage neu zu gestalten. Dem Projekt mußten 120 Häuser weichen, insgesamt eine Fläche von 27.000m2. An ihrer Stelle wurden mehrere Neubauten errichtet, deren Ausstattung nicht nur allgemein auf die römische Antike, sondern auch auf die an der Westseite des Platzes in einem modernen Schutzbau aufgestellte Ara Pacis Bezug nimmt [10].

Bereits seit 1873 existierten in Rom verschiedene Pläne für die Errichtung einer neuen städtebaulichen Achse zwischen Piazza Venezia und Kolosseum. Im Jahr 1931 begann man schließlich - nicht zuletzt aufgrund geänderter politischer Vorzeichen - mit der konkreten Planung. Für die archäologische Forschung war insgesamt ein Monat (!) vorgesehen (Abb. 4). Man begann Anfang Jänner 1932 sowohl vom Kolosseum als auch von der Piazza Venezia (Abb. 5) aus zu graben. Der "Durchstich" erfolgte im April, und die Via dell'Impero, heute Via dei Fori Imperiali, konnte im Oktober 1932 eröffnet werden [11].

Im Zuge der Erbauung der Straße wurden nicht nur etwa 1000 Familien in Slums am Stadtrand umgesiedelt, sondern auch etwa 300.000m3 Erde bewegt. Die verantwortlichen Archäologen Antonio Maria Colini und Antonio Muñoz versuchten, das Vorgehen zu rechtfertigen, denn bereits zum Zeitpunkt der Ausgrabung wurde Kritik an dem zu raschen Vorgehen und der Zerstörung einmaliger archäologischer Befunde laut. Das Aushubmaterial, und dazu gehörten angeblich bis zu ein Sechstel römisches Material, wurde zur Aufschüttung entlang der Via Ostiense verwendet.
Die Abwicklung des riesigen Projektes zeigt jedenfalls, daß das Regime kein wirkliches Interesse an der eigenen Vergangenheit oder an der Archäologie hatte. Wo diese "höheren" Propagandazwecken - wie im konkreten Fall dem entsprechenden städtebaulichen Raum für politische Veranstaltungen - im Wege standen, wurden archäologische Überreste rücksichtslos geopfert.

Die Mostra Augustea della Romanità und ihr Gestalter Guiglio Quirino Giglioli

Wie bereits eingangs erwähnt, war ein wesentliches Ziel der faschistischen Propaganda eine Parallelisierung zwischen Mussolini einerseits und Augustus und seinem Reich andererseits. Ein besonderes Jubiläum stellte deshalb der 2.000. Geburtstag des Augustus im Jahr 1938 dar. Bereits ab 1930 wurden entsprechende Feierlichkeiten geplant, die in die Idee zu einer großen Ausstellung mündeten, der Mostra Augustea della Romanità [12], welche dem Duce durch Giuglio Quirino Giglioli, der zu diesem Zeitpunkt Direktor des Museo dell'Impero war, persönlich in einer Privataudienz vorgeschlagen wurde.
Das Konzept sah vor, die Ausstellung alleine mit Abgüssen und Modellen zu bestücken. Dies hatte einerseits den Vorteil, daß sich die Möglichkeit einer Ästhetisierung der Ausstellungsobjekte bot, andererseits konnte damit äußerliche Homogenität erreicht werden. Darüber hinaus entschied man sich für eine Sachgliederung in einzelne Themenbereiche, um die Einheitlichkeit der römischen Kultur im gesamten Reich zu betonen.
Als Ort der Ausstellung wurde der Palazzo delle Esposizioni gewählt, der damals größte Ausstellungsraum der Stadt an prominenter Stelle an der Via Nazionale. Die Fassade des Gebäudes wurde für die Zeit der Ausstellung umgestaltet: An den Außenwänden wurden Zitate berühmter Römer angebracht, über dem Eingang die Kopien der Statuen gefangener Barbaren aufgestellt.
Im Rahmen der Eröffnung am 23. August 1937 bot die Schau eine spektakuläre Kulisse für Aufmärsche und Festansprachen. Bis zu ihrem Ende am 6.11.1938 wurden insgesamt 715.628 Eintrittskarten verkauft. Danach bildeten die Ausstellungsobjekte den Grundstock des 1952 im EUR eröffneten Museo della Civiltà Romana, darunter das berühmte Rom-Modell des Archäologen und Architekten Italo Gismondi.
Prominentester Besucher war Adolf Hitler, der im Mai 1938 im Rahmen eines Staatsbesuches zweimal die Mostra besuchte, einmal davon in Begleitung von Heinrich Himmler und Josef Goebbels. Die Gruppe wurde von Giglioli persönlich geführt.
Giuglio Quirino Gigliolis (1886-1957) prominente Stellung im Rahmen der Ausstellung ging Hand in Hand mit seiner persönlichen Verbindung zum Faschismus (Abb. 6): Seit 1910 war er Mitglied der "Associazione Nazionalista Italiana", die 1923 mit der Partei Mussolinis fusionierte. In den autobiographischen Zeugnissen dieser Zeit verwendete Giglioli auch selbst die Bezeichnung "Faschist der ersten Stunde". Trotz seiner national-faschistischen Haltung setzte er sich jedoch auch für Anliegen ein, die der offiziellen Propaganda zuwider liefen. So engagierte sich Giglioli u.a. in einer persönlichen Fürsprache bei Mussolini gegen die Zerstörung der Meta Sudans vor dem Kolosseum und stimmte als Abgeordneter im italienischen Parlament 1938 gegen den Erlaß der Rassengesetze. Seine jüdischen Schüler ließ er weiter an seinen Projekten arbeiten und schützte sie zum Teil vor Verfolgungen [13].

Abschließend bleibt festzuhalten, daß die Bilanz sehr ambivalent ist, sowohl die archäologischen Forschungsergebnisse als auch die persönlichen Verstrickungen der beteiligten Archäologen betreffend. Gerade deshalb ist eine Bewußtseinsmachung und intensive Auseinandersetzung mit diesem Kapitel Forschungsgeschichte von großer Bedeutung.

[1] M. Díaz-Andreu - T. Champion, Nationalism and Archaeology in Europe: An Introduction, in: dies. (Hrsg.), Nationalism and Archaeology in Europe (1997) 3; speziell zum vorliegenden Thema s. auch A. Guidi, Nationalism without a Nation: the Italian Case, ebenda 108ff.; DNP 13 (1999) 1984ff. s.v. Faschismus (S. Pasani).
[2] Vgl. dazu die Definition von Archäologie bei A.H. Borbein - T. Hölscher - P. Zanker (Hrsg.), Klassische Archäologie. Eine Einführung (2000) 7 als die "Wissenschaft von den gegenständlichen, visuell erfaßbaren Zeugnissen vergangener Gesellschaften". Diese "Anschaulichkeit" bietet die verschiedensten Ansatzpunkte für eine Identifikation mit den in der Vergangenheit lebenden Menschen.
[3] Zu einem guten Überblick über die historischen Hintergründe zum Thema s. B. Mantelli, Kurze Geschichte des italienischen Faschismus 3(2004).
[4] F. Scriba, Augustus im Schwarzhemd? Die Mostra Augustea della Romanità in Rom 1937/38 (1995) bes. 283ff; s. auch K. Tragbar, Graben, Bauen und Rekonstruieren im Zeichen der Romanià, in: E.-L. Schwandner - K. Rheidt (Hrsg.), Macht der Architektur - Architektur der Macht, Bauforschungskolloquium Berlin 2002, DiskAB 8 (2004) 309ff.
[5] R.T. Ridley, Augusti Manes voliant per auras: the Archaeology of Rome under the Fascists, Xenia 11, 1986, 19f.
[6] s. dazu Ridley (Anm. 5) 24ff.
[7] G.Q. Giglioli, Il Sepolcreto Imperiale, Capitolium 6, 1930, 532ff.
[8] Ridley (Anm. 5) 24ff.
[9] Zu Muñoz' Biographie s. Scriba (Anm. 4) 125; Ridley (Anm. 5) 44.
[10] S. Kostof, The Emperor and the Duce: The Planning of Piazzale Augusto Imperatore in Rome, in: H.A. Millon - A. Nochlin (Hrsg.), Art and Architecture in the Service of Politics (1978) 287ff.
[11] Ridley (Anm. 5) 34f.; I. Insolera - F. Perego, Archeologia e città. Storia moderna dei Fori di Roma (1983) bes. 77ff.; allgemein zur Via dei Fori Imperiali: M. Estermann-Juchler, Faschistische Staatsbaukunst. Zur ideologischen Funktion der öffentlichen Architektur im faschistischen Italien (1982) 54ff.
[12] Umfassend zur Ausstellung s. Scriba (Anm. 4).
[13] Zu Gigliolis Biographie s. Ridley (Anm. 5) 43.

© Ursula Quatember
e-mail: ursula.quatember@oeaw.ac.at

This article should be cited like this: U. Quatember, Archäologie und Faschismus. Das problematische Verhältnis von Archäologie und Politik im faschistischen Italien, Forum Archaeologiae 43/VI/2007 (http://farch.net).



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