Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 42 / III / 2007

DIE OLYMPISCHEN SPIELE DES JAHRES 1936 IN BERLIN

Groß und monumental

Die XI. Olympischen Spiele der Neuzeit waren das bedeutendste Medienereignis der Deutschen Nationalsozialistischen Regierung (Abb. 1). Vom 1. bis 16. August 1936 war der Blick der Weltöffentlichkeit auf Berlin gerichtet, von wo erstmals Sportwettkämpfe im Fernsehen übertragen wurden [1]. Das NS-Regime scheute weder Kosten noch Mühen, um den zahlreichen Skeptikern vorzuführen, wie gut Deutschland organisiert ist. Der überragende Erfolg der deutschen Mannschaft verstärkte noch das ,perfekte' Bild. Unter der Devise ,groß und monumental' schuf man am Reichssportfeld einen Gebäudekomplex, zu dem auch ein riesiges Stadion im antikisierenden Stil gehörte, das ein Fassungsvermögen von mehr als 100.000 Besuchern hatte (Abb. 2) [2]. Den ausländischen Gästen sollte in den vierzehn Tagen der Olympischen Spiele überdies Berlin von seiner besten Seite gezeigt werden und das deutsche Volk sich als von Hitler geeint und glücklich präsentieren. Joseph Goebbels Parteiorgan ,Der Angriff' propagierte: Wir müssen charmanter als die Pariser sein, leichtlebiger als die Wiener, lebhafter als die Römer, kosmopolitischer als die Londoner, praktischer als die New Yorker. [3]
Natürlich wurde nichts dem Zufall überlassen. Mit Theodor Lewald als Präsident und besonders Carl Diem als Generalsekretär des Organisationskomitees verfügte Deutschland über zwei Personen, die ihre jahrzehntelange Erfahrung nutzen konnten, um diese sportliche Großveranstaltung in beeindruckender Weise zu organisieren [4].
Es gab aber nicht nur sportliche Bewerbe, sondern auch eine große Zahl von begleitenden Festveranstaltungen wie Kunst- und Sonderausstellungen in verschiedenen Museen und Theateraufführungen in der Dietrich-Eckart-Freilichtbühne auf dem Olympiagelände mit einem Fassungsvermögen von 20.000 Personen [5].
Weitere Höhepunkte bildete die große Anzahl von Feierlichkeiten, die für in- und ausländische Gäste organisiert wurden, unter anderem der Empfang der Reichsregierung in der Staatsoper und das Gartenfest von Hermann Göring auf der Pfaueninsel [6].
Im Kampf um die Medaillen folgten fast 5.000 Athleten aus 50 Nationen dem Ruf der Olympischen Flagge nach Berlin. Das Programm umfasste 19 Sportarten, die in 129 Wettbewerben ausgetragen wurden [7]. Insgesamt wurden die sportlichen Bewerbe zu einem Triumph für das deutsche Olympiateam, das 33 Gold-, 26 Silber- und 30 Bronzemedaillen gewann, gefolgt von den USA mit 24 Gold-, 20 Silber- und 12 Bronzemedaillen [8]. 49 mal fielen olympische Rekorde in Leichtathletik, Schwimmen, Gewichtheben, Radfahren und Schießen. Unter anderen scheinen für Deutschland Tilly Fleischer im Speerwurf und Gisela Mauermayer im Diskuswurf der Frauen unter den olympischen Rekorden auf [9].
Als Einzelsportler stellte jedoch der Afro-Amerikaner Jesse Owens in Berlin einen Rekord auf. Er gewann bei diesen Spielen vier Goldmedaillen, und zwar im 100- und im 200-Meter-Lauf, in der 4 x 100-Meter-Staffel und im Weitsprung. Trotz seines ,nichtarischen' Aussehens wurde Owens zum Publikumsliebling in Deutschland. Nicht allein infolge seiner großen Erfolge gewann er auch als ,Nichtarier' die Herzen des vorwiegend deutschen Publikums [10]. Ein Zeitzeuge erinnerte sich: Natürlich interessierte uns Kinder das sehr. Immerhin war ich schon zehn Jahre alt und Sport war eines der Hauptfächer in der Schule. Wer gut im Sport war, der galt auch als guter Schüler. Obwohl uns Kindern täglich eingetrichtert wurde, dass alles Nichtdeutsche nicht wertvoll war, wurde ein Schwarzer unser Idol: Der vierfache Olympiasieger Jesse Owens aus den USA. Wir spielten am Sportplatz Jesse Owens: wer am weitesten sprang, wer am schnellsten lief, wer am weitesten warf, der war einfach Jesse Owens. Hörten es die Lehrer, verboten sie uns die Spiele, aber sie blieben uns die Antwort schuldig, warum ein Neger, Angehöriger einer "niederen" Rasse solche sportlichen Erfolge erringen konnte. [11]
Sieger- und Erinnerungsplaketten sowie ein Eichenbäumchen sollten die Gewinner in späterer Zeit an die großen Tage in Berlin zurückdenken lassen.
Um den bestmöglichen Nutzen für das nationalsozialistische Deutschland zu ziehen, war es besonders wichtig, die mediale Berichterstattung in die richtigen Bahnen zu lenken. Der damals noch junge Rundfunk und das erstmals bei Olympischen Spielen genutzte Fernsehen sollten einerseits ihren Beitrag zur Sichtbarmachung des vereinten Volkes leisten und andererseits die Sportbegeisterung und Freude an Körperertüchtigung schüren. Da dies die ersten Olympischen Spiele waren, bei welchen breitenwirksame Medien zum Einsatz kamen, gab es auch entsprechende Anweisungen, wie sich die Berichterstatter zu verhalten hatten. Eine Presseanweisung vom 25. Juli 1936 lautete beispielsweise folgendermaßen: Es wird noch einmal an die Pflicht der deutschen Presse erinnert, während der Olympischen Spiele keine Angriffe gegen ausländische Sitten und Gebräuche zu richten. Die Chinesen haben sich in Berlin schon zweimal beschwert. [12]
Eine eigene Bildstelle im Olympia-Hauptquartier ermöglichte es den Journalisten, Bilder an Ort und Stelle auszuwählen und an die jeweiligen Medien zu übermitteln. Der Hauptanteil der Berichterstattung war jedoch für den Rundfunk vorgesehen. 180 Rundfunksprecher aus aller Welt berichteten sowohl über die sportlichen Ereignisse als auch über die Festlichkeiten [13].
Unter dem Titel ,The Olympiad Opened' brachte die englische Tageszeitung ,The Times' am 3. August einen langen Artikel über die Eröffnung der Spiele [14]. Nach einer sehr positiven Schilderung über die Ankunft Hitlers im Stadion (Abb. 3) und den Einmarsch der Athleten wird berichtet, dass der Gewinner des Marathons von 1896, der Grieche Louis, Hitler einen Olivenzweig überreichte, und unmittelbar danach auf die Ankunft des Fackelträgers Bezug genommen. Unter der Headline ,The Torch-Bearer' war zu lesen: This [gemeint sind die vom Korrespondenten zuvor geschilderten Ereignisse], as it proved, was but a stage in the spectacle. High drama was to follow. The guns - off stage, as it were - thundered their part in the piece. The air suddenly became full of flying pigeons. The trumpets again sounded, and the beautiful new Olympic hymn, composed and conducted by Richard Strauss, was played. Then came the last of the torch-bearers from Greece - a fair-haired, slim young man who carried his torch down the eastern steps, along the track, and up the western steps, in the manner of an artist, and with his torch lit the Olympic fires in their large brazier ...

Der Olympia-Film - Schönheit im Olympischen Kampf

,Fest der Völker' (Teil 1) und ,Fest der Schönheit' (Teil 2) sind die Titel des zweiteiligen Olympia-Films, in dem die Wettkämpfe und das Umfeld unter der Regie von Leni Riefenstahl festgehalten wurden. Die Verbindung zur Antike wird schon in den Anfangsszenen des ersten Teiles sichtbar, wo sich zu grandioser Orchestermusik die Umrisse der Akropolis und die Säulentrommeln des Zeustempels von Olympia mystisch aus den Wolken schälen [15]. Die Kamera bietet dem Zuschauer eine imaginäre Reise zu den ,Wurzeln der Kultur'. Mit raffinierten Kameraeinstellungen überblendete man die antiken Skulpturen mit ,nordischen', nackten Sportlerkörpern, wodurch eine illusionistische Verlebendigung der Vergangenheit mit Gegenwartsbezug entstand [16].
Im Vorwort zu ihrem Buch ,Schönheit im Olympischen Kampf' schreibt Leni Riefenstahl, dass die Szenen für den Film nicht nach sportlichen oder dokumentarischen Gesichtspunkten ausgewählt wurden, sondern dass ,Schönheit' das Leitmotiv war. Selten sei so viel Schönheit, Kraft und Anmut vereinigt gewesen wie in den Tagen der Olympischen Spiele in Berlin: "Olympiade - das Fest der Jugend - das Fest der Schönheit". Die Qualität der Aufnahmen konnte nur dadurch erreicht werden, dass das Internationale Olympische Komitee (IOC) nach zähen Verhandlungen die Erlaubnis gab, in großer Nähe zu den Athleten zu drehen. Mit ausgefeilter Technik wie Zeitlupenaufnahmen, Überblendungen und dem Verweilen der Kamera auf herausragenden Athleten wie Jesse Owens wurde aus 400.000 Metern Negativmaterial in eineinhalbjähriger Arbeit ein eindrucksvoller Film geschaffen, der unter anderen Auszeichnungen 1938 beim Filmfestival in Venedig eine Goldmedaille gewann. 1948 verlieh das IOC Leni Riefenstahl das Olympische Diplom [17].
Trotz der Betonung, dass es ihr um das Schöne ging, verstand es Leni Riefenstahl meisterhaft, neben den geschmeidigen Körpern auch die Symbolik und die propagandistischen Elemente des NS-Regimes einzubauen.
Im Rahmen der Olympischen Spiele 1936 in Berlin fand im Deutschen Museum die Ausstellung ,Sport der Hellenen' statt. Carl Blümel, der Leiter dieser Ausstellung, nimmt im Ausstellungskatalog Bezug auf die Plastik in Olympia und auf die Körperkultur der Hellenen: Der heilige Bezirk von Olympia hatte durch fünf vorchristliche Jahrhunderte in seinen Mauern eine Schau griechischer Bildwerke versammelt, die in meisterhafter Form das vollkommene Bild hellenistischer Körperkultur boten. Alle großen Bildhauer Griechenlands hatten daran mitgearbeitet, und niemals wieder hat ein Fleckchen Erde auf kleinstem Raum solche Schätze plastischer Gestaltung getragen. In dichten Gruppen umstanden die kostbaren Erzwerke alle Gebäude der Altis von Olympia, alle Straßen und Plätze wurden von ihnen umsäumt ... [18].
Neben den großen Werken, die mit Namen wie Myron, Polyklet und Lysipp in Verbindung stehen, sollte aber auch die antike Kleinkunst, Weihgaben und Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens, die aus demselben griechischen Geist geschaffen wurden, nicht in Vergessenheit geraten. In einem umfangreichen beschreibenden Katalog führte Blümel jene Kunstwerke an, die im Original oder in Kopie ausgestellt waren, unter ihnen der "Delphische Wagenlenker", der "Gott von Artemision" und der "Speerträger des Polyklet" [19].
Im Führer zur Feier der XI. Olympischen Spiele in Berlin 1936 ist in Bezug auf die Ausstellung ,Sport der Hellenen' zu lesen: Für die enge Verknüpfung von Sport und Volksleben bei den Griechen ist nichts bezeichnender als die Tatsache, daß neben Szenen aus dem Leben der Götter und Heroen kein Thema bei den Vasenmalern beliebter gewesen ist als Darstellungen von den Übungsplätzen der Jugend. [20] Das Ziel der Präsentation bestand unmissverständlich darin, eine geistige Verbindung zwischen der ,neuen deutschen Kultur' und der einflussreichsten Kultur aller Zeiten zu knüpfen [21].
Dasselbe Ziel wurde auch bei der Ausstattung des Stadions verfolgt, denn entsprechend dem Leitbild der Antike stellten monumentale Skulpturen sowohl an den Eingangstoren als auch am Sportgelände eine lebendige Beziehung zwischen der Architektur und der sportlichen Idee her. Karl Albikers ‚Diskuswerfer' aus Muschelkalk und Willy Mellers schreitende ,Siegesgöttin' aus Travertin (Abb. 4) sind eindrucksvolle Beispiele dafür.


Eine weitere Skulptur war der überlebensgroße ,Zehnkämpfer' (Abb. 5) aus Bronze, für den dem Künstler Arno Breker der Zehnkämpfer Gustav Stürhk Modell stand. Als Pendant dazu schuf Breker die ,Siegerin' (Abb. 6).
Die vom IOC mit der Silbermedaille ausgezeichneten Plastiken führten zu einem kurzen Kommentar Hitlers: Sie arbeiten nach der Antike, worauf Breker erwiderte: Nein, mein Führer, meine beiden Bronzen im Reichssportfeld sind Porträts von hervorragenden Sportlern. Damit war das Gespräch aber auch schon wieder beendet [22].
War Hitler, der die Antike als das große Vorbild sah, enttäuscht, dass der Künstler ,nur' Körperporträts geschaffen hatte?
Die große Wertschätzung, die Hitler der antiken Plastik entgegenbrachte, kommt am besten darin zum Ausdruck, dass er 1938 in Italien eine römische Kopie des Diskobol des Myron für den immensen Betrag von 707.400 Reichsmark ankaufte und in der Münchner Glyptothek aufstellen ließ (Abb. 7) [23]. In seiner Rede zur Eröffnung der Zweiten Großen Deutschen Kunstausstellung 1938 in München nahm er zu diesem Kauf Stellung: Ich war in diesen Tagen glücklich, dank der wahrhaft großherzigen Genehmigung der italienischen Regierung dem deutschen Volk für die Hauptstadt seiner Kunst ein unsterblich schönes Werk erwerben zu können. Mögen Sie alle, die Sie dieses Haus besuchen, nicht versäumen, in die Glyptothek zu gehen, und mögen Sie dann erkennen, wie herrlich schon einst der Mensch in seiner körperlichen Schönheit war, und wie wir von Fortschritten nur dann reden dürfen, wenn wir diese Schönheit nicht nur erreichen, sondern wenn möglich noch übertreffen. Mögen aber auch die Künstler daran ermessen, wie wunderbar sich das Auge und das Können jenes Griechen Myron uns heute offenbaren, jenes Griechen, der vor fast zweieinhalb Jahrtausenden das Werk schuf, vor dessen römischen Abbild wir heute in tiefer Bewunderung stehen. Und mögen Sie daraus einen Maßstab finden für die Aufgaben und Leistungen unserer eigenen Zeit. Mögen sie alle zum Schönen und Erhabenen streben, um in Volk und Kunst ebenfalls der kritischen Bewertung von Jahrtausenden standzuhalten. Sie werden sich nicht verschließen der Empfindung, die mich selbst bewegt hat im Augenblick, da ich dieses wunderbare Zeugnis unsterblicher Schönheit und Leistung zum ersten Male erblickte ... [24].

1948 wurde der Diskobol Lancelotti an Italien zurückgegeben [25].
Im Kunstverständnis Hitlers war die wichtigste Komponente die Rasse, und hier akzeptierte er nur den ,Arier' als befruchtend für die Menschheit. Als Grund für die Zerstörung ,arischer' Kulturen sah er die ,Blutsvermengung' des Ariers mit niederen Völkern. Als Arier meinte er primär Griechen und Römer, deren Kunst er immer wieder hervorhob. Dem schöpferischen ,Arier' steht der ,unschöpferische' Jude mit seinen entgegengesetzten rassischen Anlagen gegenüber. Politische Ziele und der künstlerische Ausdruck standen für ihn in direktem Zusammenhang [26].
In seiner Rede auf der Kulturtagung des Parteitags der NSDAP in Nürnberg 1935 nimmt Hitler Stellung zur heroischen Weltanschauung und kommt zu dem Schluss, dass jede Rasse ihre eigene Lebensauffassung hat: Wenn aber die nationalsozialistische Mission ihre innere Berechtigung erhalten soll, dann wird sie den deutschen Menschen aus der Tiefe einer nur materialistischen Lebensauffassung herausheben müssen in die Höhe einer würdigen Vertretung dessen, was wir unter dem Begriff "Mensch" verstehen wollen. Der Mensch muß auch hier seinem ihm von der Vorsehung auferlegten Gebot gehorchen. [27] Weiters führte Hitler aus: Die Geschichte findet kaum ein Volk positiv erwähnenswert, das sich nicht in seinen Kulturwerten das eigene Denkmal gesetzt hat ... Was würden die Ägypter sein ohne ihre Pyramiden und Tempel, ohne den Schmuck ihres Lebens, was die Griechen ohne Athen und Akropolis, was Rom ohne seine Bauten, unsere germanischen Kaisergeschlechter ohne die Dome und die Pfalzen und das Mittelalter ohne Rathäuser, Zünftehallen usw. oder etwa die Religionen ohne Kirchen und Münster. [28]
Man berief sich auch auf Goethe, der das Klassische als das Gesunde und das Romanische als das Schwache und Krankhafte bezeichnete, um die völlig mißverstandenen Formen der Antike für sich in Anspruch zu nehmen und nach dem Willen des Führers ins "Deutsche" zu übersetzen [29]. Prinzipien wie Ordnung und Regelhaftigkeit, die der antiken klassischen Architektur immanent sind, waren dem NS-Regime zur Nachahmung sehr willkommen, um die Wirkung der megalomanen Bauten zu steigern [30].
Die Ideologie der nationalsozialistischen Regierung bestand darin, die totale Kontrolle über den Staat und damit über den Menschen zu übernehmen. Zur scheinbaren ,Rechtfertigung' für die großen Eingriffe und die Greueltaten wurde die Notwendigkeit der Reinhaltung der ,arischen' Rasse betont, was gleichzeitig hieß, dass alle Nichtarier und hier besonders die Juden verfolgt wurden. Der Anspruch des deutschen Herrenvolkes sollte sich dauerhaft in der Kunst manifestieren und über dem Vorbild der alten Völker zu einer ganz eigenen Epochenkunst führen, die unbewusst eine erziehende, läuternde Wirkung auf das Volk ausüben sollte. Das gewählte Thema muss im Rahmen des heldischen und heroischen Ideals des Nationalsozialismus bedeutend sein [31].
Nach Hitlers Rassenverständnis gehörten die antiken Griechen und die modernen Germanen derselben ,arischen' Rasse an. Die Annahme, dass Kunst das Wesen der Völker widerspiegle, war damals allgemein üblich [32].
Die vermeintliche Wesensverwandtschaft mit den alten Griechen sollte dem Volk möglichst oft und deutlich bewusst gemacht werden und als Vorbild sichtbar sein, um in Orientierung am körperlichen Schönheitsideal der Antike mehr Lebenskraft, Mut, Gesundheit und körperliche Schönheit zu erlangen. Für diese Aufgabe war die Plastik besonders gut geeignet, da sie im öffentlichen Raum aufgestellt und für jedermann zugänglich war. Als Kernstück einer antikengerechten Kunst wurden vor allem die ,heroische Nacktheit' und der athletische Körperbau empfunden.
Schon die Ausführungen Hitlers auf dem Parteitag von 1934 machten deutlich, dass die Plastik den ,germanischen Menschentypus' als erstrebenswertes Ideal zu präsentieren hätte: Wenn das Griechentum für den Mann und das Weib seine bestimmte künstlerische Wiedergabe fand, dann ist dies nicht nur etwa als maniriert griechisch anzusehen ..., sondern darüber hinaus noch abstrakt genommen klar, d.h. sie ist richtig. Denn in dieser Darstellung lebt sich nicht nur eine bestimmte rassisch bedingte Eigenart aus, sondern die dieser Rasse eigene Einsicht in die absolute Richtigkeit der Gestaltung des Körpers der Frau und des Mannes. So und nicht anders müssen sie sein, um beide schon anatomisch ihrem höchsten Auftrag zu genügen. [33]
Die einseitige, auf das Körperliche beschränkte Auffassung der Antike zeigt sich in einem anderen Zitat aus einer Rede Hitlers, die er anlässlich der Ersten Großen Deutschen Kunstausstellung 1937 in München hielt: Ungeheure Anstrengungen werden auf unzähligen Gebieten des Lebens vollbracht, um unsere Männer, Knaben und Jünglinge, die Mädchen und Frauen gesünder und damit kraftvoller und schöner zu gestalten. ... Niemals war die Menschheit in Aussehen und in ihrer Empfindung der Antike näher als heute. [34]
Diesen Vorgaben konnte die ,moderne' Kunst nicht entsprechen. Sie wurde daher als ein Produkt der als Dekadenzepoche angeprangerten Weimarer Republik gesehen. Begriffe wie ,jüdisch' oder ,marxistisch' waren negativ besetzt und wurden beliebig verwendet.
Paul Schultze-Naumburg stellte schon 1928 in seinem Buch ,Kunst und Rasse' fest, dass die moderne Kunst das Krankhafte verherrliche, und sah sie als Ausdruck einer geistigen Erkrankung ihrer Gestalter durch Sozialismus und Judentum [35]. Hitler selbst wandte sich immer wieder gegen die ,Kunstverderber', gegen die er am Reichsparteitag von 1934 schärfstens Stellung nahm [36].
Um dem Volk zu zeigen was als Kunst ungeeignet ist, veranstaltete man gleichzeitig mit der Ersten Großen Kunstausstellung 1937 in München die Ausstellung ,Entartete Kunst'. Hier wurde eine Auswahl an beschlagnahmten Werken präsentiert [37]. Nach der ,Säuberung der Museen' wurde der größte Teil der aus den Museen entnommenen Werke im Ausland verkauft und der Rest in Berlin verbrannt [38].


Beispiele für Werke, die nach Hitlers Ansicht geeignet waren, dem Volk als Vorbild zu dienen, sind die ,Partei' (Abb. 10) und die ,Wehrmacht' (Abb. 11) (1938/39) von Arno Breker (1900-1991), einem der bedeutendsten Bildhauer der NS-Zeit. Aus heutiger Sicht ist es manchmal schwierig nachvollziehbar, dass Skulpturen wie diese, die im Ehrenhof der Neuen Reichskanzlei standen, etwas mit dem Körperideal der Antike zu tun haben sollten. Die schmalhüftigen, stark stilisierten Muskelprotze aus Bronze mit ihren überdimensional breiten Schultern, dem leeren Gesichtsausdruck und der künstlichen Pose demonstrierten die ,Schönheit des nordischen Rassekörpers'. ,Partei' und ,Wehrmacht' verkörperten zusammen mit den Hoheitszeichen über dem Eingang die Träger der Macht [39]. Bei Breker stand die Fackel (die Partei) für die Überlegenheit des deutschen Geistes und das Schwert (die Wehrmacht) für Krieg und Vernichtung. Sie entsprachen Hitlers Kunstgeschmack und gehörten seiner Ansicht nach zum Schönsten, was in Deutschland je geschaffen wurde [40]. Ein Vergleich mit dem Poseidon vom Kap Artemision (Abb. 12) bringt das Abgehen von den Formen der griechischen Plastik jedoch deutlich zum Ausdruck.
Der stark betonte Zusammenhang zwischen dem Idealbild klassischer Schönheit und lebensbejahender Kraft, der in der Plastik Ausdruck finden sollte, bot eine gute Gelegenheit, den sportlichen Aspekt der griechischen Plastik zum Spiegelbild des eigenen Menschenbildes zu machen und im Olympiagedanken augenscheinlich mit der Antike zu verknüpfen [41].
Eine vorbildlich organisierte internationale Sportveranstaltung wie Olympische Spiele, die ja an sich einen friedlichen und völkerverbindenden Charakter haben sollte, ist natürlich sehr gut geeignet, einige Zeit von der Arbeitslosigkeit, der Judenverfolgung und der Kriegsvorbereitung abzulenken. Die nationalsozialistische Propagandamaschinerie nutzte diesen Aspekt, um unter Bezugnahme auf die alten Werte der Antike dem eigenen Volk und den ausländischen Skeptikern die ,Harmlosigkeit' der Machthaber und ihre Sorge um das Wohl des Volkes zu demonstrieren (Abb. 13).
Skulpturen der NS-Zeit wurden bisher der Öffentlichkeit nicht zugänglich gemacht. Zum ersten Mal seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges war vom 21. Juli bis 22. Oktober 2006 im Schleswig-Holstein-Haus in Schwerin (D) die Ausstellung: "Zur Diskussion gestellt: Der Bildhauer Arno Breker" zu sehen. In dieser umstrittenen Einzelausstellung, die reges Besucherinteresse hervorrief, wurden 70 Plastiken aus allen Schaffensperioden von Hitlers Lieblingsbildhauer Arno Breker gezeigt [42].

Die Auflösung der Kurzzitate entnehmen Sie bitte der Bibliographie.
[1] R.D. Mandell, Hitlers Olympiade: Berlin 1936 (1980) 132.
[2] Mandell a.O. 87.
[3] K. Würtinger, Sport als Medium der Politik (unpubl. Diplomarbeit Wien, 1998) 96.
[4] J. Bellers (Hrsg.), Die Olympiade Berlin 1936 im Spiegel der ausländischen Presse (1986) 256.
[5] s. dazu den Führer zur Feier der XI. Olympiade in Berlin 1936 (1936) 60-64. 141.
[6] F. Miller - P. von LeFort - H. Harster, So kämpfte und siegte die Jugend der Welt. XI. Olympiade Berlin 1936 (1936) 154.
[7] Führer zur Feier der XI. Olympiade Berlin 1936 (1936) 53.
[8] Miller u.a. (Anm. 6) 8.
[9] Miller u.a. (Anm. 6) 11.
[10] G.W. Prinz von Hannover, Vorwort zu Jesse Owens - Paul G. Neimark, Schwarze Gedanken - ein Leben als schwarzer und als weißer Mann (1972) 9.
[11] M. von der Grün, Wie war das eigentlich? Kindheit und Jugend im Deutschen Reich (1979) 91.
[12] Würtinger (Anm. 3) 107.
[13] Führer zur Feier der XI. Olympiade Berlin 1936 (1936) 68.
[14] The Times, Monday August 3, 1936, S. 11 (6. Spalte) und S. 12 (1. Spalte).
[15] Mandell (Anm. 1) 236.
[16] T. Alkemeyer, Körper, Kult und Politik. Von der Muskelreligion Pierre de Coubertins zur Inszenierung von Macht in den Olympischen Spielen von 1936 (1996) 478.
[17] L. Riefenstahl, Schönheit im Olympischen Kampf (1988) Vorwort.
[18] C. Blümel, Sport der Hellenen. Ausstellung griechischer Bildwerke (1936) 5.
[19] Blümel a.O. 6.
[20] Führer zur Feier der XI. Olympiade Berlin 1936 (1936) 60.
[21] Mandell (Anm. 1) 119.
[22] Zitiert nach H. Leber, Rodin - Breker - Hrdlicka. Die Entstehung der faschistischen Bildsprache und ihre Überwindung (1998) 59. - Zu Arno Breker s. B. Bressa, Nachleben der Antike: klassische Bilder des Körpers in der NS-Skulptur Arno Brekers (ungedr. Dissertation, Tübingen 2001) (http://w210.ub.uni-tuebingen.de/dbt/volltexte/2001/234/pdf/promotion.pdf); http://de.wikipedia.org/wiki/Arno_Breker (22.1.2007).
[23] K. Backes, Hitler und die bildenden Künste. Kulturverständnis und Kunstpolitik im Dritten Reich (1988) 100.
[24] Zitiert nach B. Hinz, Die Malerei im deutschen Faschismus. Kunst und Konterrevolution (1974) 176.
[25] S. dazu www.zeit.de/archiv/2001/20/200120_borgia.xml.
[26] Backes (Anm. 23) 50.
[27] J. Wulf, Die bildenden Künste im Dritten Reich: eine Dokumentation (1989) 65.
[28] Zitiert nach Hinz (Anm. 24) 142.
[29] P. Haiko, "Das ist klassisch". Zur Antikenrezeption in den zwanziger und dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts, in: Fremde Zeiten. Festschrift für Jürgen Borchhardt zum sechzigsten Geburtstag am 25. Februar 1996, II (1996) 419.
[30] Haiko a.O. 420.
[31] H. Bisanz, Kitsch besonderer Art. Mißglückte Idealisierungen in der NS-Kunst und im Sozialistischen Realismus, in: J. Tabor (Hrsg.), Kunst und Diktatur, Bd. 1 (1994) 84.
[32] K.F. Schlegel, Arno Breker und die Repräsentationskunst im Dritten Reich (unpubl. Dissertation Wien, 2000) 48.
[33] Zitiert nach Backes (Anm. 23) 96.
[34] Bisanz (Anm. 31) 85.
[35] Chr. Tümpel, "Herzliche Grüße von Scheiterhaufen zu Scheiterhaufen" (Ringelnatz an Marcks). Zur Rezeption moderner Plastik in den Jahren 1933-1945, in: Deutsche Bildhauer 1900-1945 entartet (1994) 19.
[36] Tümpel a.O. 22.
[37] Tümpel a.O. 24.
[38] Tümpel a.O. 27.
[39] J. Petsch, "Unersetzliche Künstler" - Malerei und Plastik im "Dritten Reich", in: Hitlers Künstler. Die Kultur im Dienst des Nationalsozialismus (2004) 274.
[40] Petsch a.O. 274.
[41] G. Brands, Griechische Kunst und nationalsozialistische Kunstgeschichtsschreibung, in: B. Brock (Hrsg.), Kunst auf Befehl? Dreiunddreißig bis Fünfundvierzig (1990) 112.
[42] R. Conrades, Zur Diskussion gestellt: Der Bildhauer Arno Breker (2006); s. dazu auch www.zeit.de/news/artikel/2006/09/13/73794.xml.

© Friederike Mayr
e-mail: friederike.mayr@kabsi.at

This article should be cited like this: F. Mayr, Die Olympischen Spiele des Jahres 1936 in Berlin, Forum Archaeologiae 42/III/2007 (http://farch.net).



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