Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 39 / VI / 2006

LUKANER IN VELIA?
Die Evidenz der Heiligtümer

Durch die fortschreitende Ethnogenese verschiedener italischer Stämme, wie der Kampaner, Lukaner oder Bruttier, wurde Unteritalien im Laufe des 5. und 4. Jhs. v.Chr. von einem Prozeß betroffen, den D. Asheri in treffender Weise "decolonizzazione", also De- oder Entkolonisierung genannt hat [1] und der zur politischen Machtergreifung dieser italischen Völker in den meisten großgriechischen Städten geführt hat. Die Frage, ob auch Elea/Velia von der Lukanisierung betroffen war, läßt sich anhand der schriftlichen Quellen nicht eindeutig klären und hat in den letzten Jahren zu einer verstärkten Diskussion auf Basis der archäologischen Zeugnisse geführt [2]. Da die griechischen Nekropolen in Velia bis heute unerforscht sind, konzentrierten sich die Studien vor allem auf das Umland von Velia, wo sich die Zeichen für lukanische Präsenz deutlich mehren [3].
Die seit 2004 laufenden neuen össterreichischen Forschungen in den auf dem Höhenrücken gelegenen Heiligtümern von Velia (Abb.) lassen nun neue Erkenntnisse erwarten, die die Hinweise auf italische Einflüsse in mancher Hinsicht stützen, aber auch eigene, für Velia charakteristische Entwicklungen erkennen lassen [4]. Bei allen Heiligtümern handelt es sich um offene Plätze, die fallweise an einer oder mehreren Seiten von gedeckten Hallen begleitet wurden und in denen sich Einrichtungen für den Kult, in der Regel Altäre sowie Basen für Stelen oder Weihgeschenke, befanden. Ein anderes Phänomen sind kleine Kultschreine, die im Jahr 2005 in einem Kultplatz unmittelbar neben dem Turm A 7 freigelegt werden konnten. Sowohl die Stelen als auch die Naiskoi sind auch aus großgriechischen Heiligtümern bekannt [5], finden aber häufig die besten Parallelen in lukanischen Kultstätten im Hinterland. Dies gilt sowohl für die auffallend gelängten Altäre auf der Zeusterrasse und im Heiligtum des Poseidon Asphaleios, die an jenen im Heiligtum der Mefitis in Rossano di Vaglio (Basilicata) erinnern [6] als auch ganz besonders für die Kultschreine, die ihre beste Entsprechung im südlich von Velia gelegenen Roccagloriosa haben [7].

[1] D. Asheri, Colonizzazione e decolonizzazione, in: S. Settis (Hrsg.), I Greci I (1996) 73-115, besonders 91ff.
[2] Strabo 6.1.1 und 6.1.2., zu Strabo allgemein vgl. D. Musti, Strabone e la Magna Grecia (1988). Zum derzeitigen Forschungsstand vgl. G. Greco, Paestum ed Elea tra Magna Grecia e Roma, in: Tramonto della Magna Grecia, Taranto 24-28 setttembre 2004, Atti CMGr 44 (Taranto 2005) 577-641.
[3] Vgl. dazu E. Greco, Velia e Palinuro. Problemi di topografia antica, MEFRA 87-1, 1975, 81 ff.; E. Greco - A. Schnapp, Moio della Civitella et le territoire de Velia, MEFRA 95, 1983-1, 381ff.; M. Gualtieri - H. Fracchia (Hrsg.), Roccagloriosa I. L'abitato: scavo e ricognizione topografica (1976-1986) (1990); G. Greco - L. Vecchio (Hrsg.), Archeologia e territorio. Ricognizioni, scavi e ricerche (1992).
[4] Vgl. dazu vorläufig V. Gassner, Velia 2004: Kurzbericht zu den Grabungen am Mauerzug A, Forum Archaeologiae 34/III/2005 (http://farch.net); V. Gassner, Elea/Velia, Terrasse I: Die spätarchaische Wohnbebauung und das sogenannte Heiligtum des Poseidon Asphaleios, ÖJh 74, 2005, 39-72 (in Druck). Für die freundschaftliche, administrative und finanzielle Unterstützung bei diesem Projekt danken wir besonders G. Tocco Sciarelli und ihrer Mitarbeiterin A. Fiammenghi, Soprintendenza per i Beni Archeologici delle Province di Salerno, Benevento e Avellino, weiters dem österreichischen FWF, der die Finanzierung eines Forschungsprojektes zu diesem Thema bewilligt hat.
[5] Vgl. D. Doepner, Steine und Pfeiler für die Götter. Weihgeschenkgattungen in westgriechischen Stadtheiligtümern, Palilia 10 (2002).
[6] D. Adamesteanu - H. Dilthey, Macchia di Rossano. Il santuario della Mefitis. Rapporto preliminare (1992).
[7] M. Gualtieri - H. Fracchia (Hrsg.), Roccagloriosa I. L'abitato: scavo e ricognizione topografica (1976-1986) (1990).

© Verena Gassner
e-mail: verena.gassner@univie.ac.at

This article should be cited like this: V. Gassner, Lukaner in Velia? Die Evidenz der Heiligtümer, Forum Archaeologiae 39/VI/2006 (http://farch.net).



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