Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 62 / III / 2012

DIE KULTPLÄTZE NR. 8 UND 9 IN VELIA: DIE KAMPAGNE 2011 [1]

Die sogenannte Zeusterrasse im östlichen Teil jenes Höhenrückens, der die Stadt in eine südliche und eine nördliche Hälfte teilt, zählt schon allein durch ihre Größe von 91 x 95 m zu den bedeutendsten Heiligtümern in Velia [2]. Sie wird im Westen durch einen schon länger bekannten und auch gut dokumentierten Kultplatz (Kultplatz Nr. 7) flankiert, während im Osten ein bis dahin nur wenig erforschter Bereich anschloss, dessen sakraler Charakter erst durch die Arbeiten der Soprintendenz in den Jahren 2008 und 2009 erkannt wurde (Kultplatz Nr. 9, Abb. 1) [3].

Dieser Bereich steht seit 2011 im Mittelpunkt eines Forschungsprojekts des Instituts für Klassische Archäologie, das neue Aufschlüsse zur Chronologie und Struktur dieser Heiligtümer sowie zu ihren Beziehungen zueinander bringen soll [4]. Die erste Grabungskampagne fand im September 2011 als Lehrgrabung der Universität Wien statt und konzentrierte sich auf den Kultplatz Nr. 9 sowie ausgewählte Bereiche der Zeusterrasse [5].

Der Kultplatz Nr. 9 umfasst den langgestreckten Bereich im Osten der großen Zeusterrasse und wird im Norden durch die Kurtine des Mauerzugs A, im Osten durch den Turm A4 begrenzt [6]. Es ist unklar, ob und in welcher Weise die älteren Forschungen dieses Areal erfassten, doch sind Reste einer Halle bereits im Plan von Wilhelm Schleuning aus dem Jahr 1889 eingezeichnet; diese wurde auch von F. Krinzinger bei seinen Arbeiten an der Stadtmauer in den 1970er Jahren dokumentiert und als Teil der Defensivarchitektur interpretiert [7]. In den Jahren 2008/09 wurden durch die Grabungen der Soprintendenz im Zuge der Neugestaltung des Parco Archeologico von Velia ein rund 10 m breiter Streifen entlang der Kurtine ergraben und dabei vor allem im Ostteil Strukturen festgestellt, die eine Interpretation des Bereichs als weiteres Heiligtum wahrscheinlich machten (Abb. 2) [8]. Ganz im Osten im Anschluss an den Turm A4 liegt die bereits bekannte Halle (21 x 6,50 m), die aufgrund der Verwendung von Konglomeratsteinen in das 2.Jh. v.Chr. oder später datiert werden kann. Trotz des schlechten Erhaltungszustands konnte die sorgfältige Grabung zeigen, dass sie vermutlich über einem älteren Kultplatz errichtet worden war, der durch verschiedene Ansammlungen von Bruchstücken von Bau- und Dachziegeln charakterisiert war. Ähnliche Phänomene sind auch vom Kultplatz Nr. 4 bekannt und wurden dort in das späte 4. bzw. die erste Hälfte des 3.Jh. v.Chr. datiert [9]. Nach Westen, wo an vielen Stellen bereits der anstehende Fels zu sehen ist, schloss eine rund 10 m lange rechteckige Umfassung an, von der sich das Fundament und teilweise die erste Lage aus Sandsteinblöcken erhalten hat. Sie ist nach Süden geöffnet. Hier befindet sich auch eine Zisterne, deren Einfassung aus Spolien gebaut ist. Nördlich der Umfassungsmauer in dem schmalen Zwischenraum zur Kurtine liegt eine Basis, auf der deutlich die Einlassung einer Säulenbasis, vermutlich von einer Votivsäule, zu sehen ist (Abb. 3) [10]. Da die Umfassung und die mit ihr verbundenen Objekte alle aus Sandstein errichtet wurden, ist für sie eine frühere Entstehung als für die Halle aus Konglomeratstein anzunehmen.
Der Westteil des Heiligtums war seit Jahrzehnten von dichter Macchia und einer Baumgruppe bewachsen, sodass oberflächig keine Monumente sichtbar waren. Dies änderte sich mit einem großen Waldbrand im Sommer 2007, der diesen Bewuchs völlig vernichtete. Darunter kamen große Steinquader zum Vorschein, die nach Größe und Zurichtung nicht zur Stadtmauer gehören konnten. Die Grabungen des Jahres 2011 konzentrierten sich daher zunächst in diesem Bereich, wobei sich nach einer gründlichen Rodung zeigte, dass der Erhaltungszustand der Architektur gegen Westen und Süden kontinuierlich abnahm [11]. Insgesamt konnten die Reste von zwei Gebäuden dokumentiert werden: Das südliche mit den rekonstruierten Maßen von 8 x 4 m bestand aus zwei Räumen und dürfte vermutlich von Süden betreten worden sein (Abb. 4). Von dem nördlichen Gebäude hat sich nur ein Teil der Ost- sowie der Südmauer erhalten [12]. Auffällig ist, dass seine Orientierung deutlich von dem vorigen Gebäude abweicht. Eine dritte Richtung wird schließlich durch zwei leicht gekippte, aber sonst in situ liegende Sandsteinblöcke angegeben, denen keine weiteren Mauerreste zugeordnet werden konnten. Diese unterschiedlichen Richtungen und die Tatsache, dass sich die Architektur keinem sinnvoll erscheinenden Gesamtkonzept zuordnen lässt, lassen vermuten, dass wir es zumindest mit zwei unterschiedlichen Bauphasen zu tun haben könnten. Bautechnisch waren die Bauten – wie bereits bei der Zisterne beobachtet – durch die Verwendung von Spolien gekennzeichnet, wobei relativ kleine Ziegelbruchstücke als Ausgleichsschicht für die Fundamentierung verwendet wurden. Eine Verwendung von Ziegelbruchstücken als Baumaterial wurde etwa am Kultplatz Nr. 7 für die Zeit ab dem mittleren 3.Jh. v.Chr. beobachtet [13].

Einen weiteren Schwerpunkt stellte die Dokumentation der Terrassenmauer dar, welche den Kultplatz Nr. 9 von der großen Zeusterrasse (Kultplatz 8) trennte. Obwohl sie in den alten Plänen immer eingezeichnet wurde, war sie in den letzten Jahrzehnten völlig überwachsen und nicht mehr zu erkennen gewesen. Auch hier erfolgte eine vollständige Reinigung des gesamten Bereichs bis zum sogenannten Propylon im Südteil. Dabei zeigte sich, dass sich von der eigentlichen Terrassenmauer nur mehr geringe Reste vor allem sowohl im Süden als auch im Norden erhalten haben, der Verlauf der Mauer aber gut nachzuvollziehen ist. Die Mauer bestand aus großen Sandsteinquadern, hinter denen der anstehende Fels treppenförmig auf eine Breite von 1,80-2,00 m abgearbeitet war (Abb. 5). Der Zwischenraum wurde mit kleinen Sandsteinen sowie Fragmenten von Veliaziegeln verfüllt und damit eine Technik angewandt, die schon auf der Westseite der Zeusterrasse, aber auch bei der großen Eckbefestigung des Castelluccio beobachtet wurde [14]. An manchen Stellen fehlte die Schalenmauer: stattdessen war der anstehende Fels glatt abgearbeitet worden. Von besonderem Interesse war der Abschnitt im Norden, bei dem sich Hinweise auf zwei Bauphasen ergaben (Abb. 6).

Auf der Zeusterrasse selbst wurde ein Bereich etwa in der Mitte der Terrasse untersucht, wo neben mehreren flachen Rinnen ein in den Felsen geschlagenes, annähernd halbkreisförmiges Becken [15] seit längerem die Aufmerksamkeit erregt (Abb. 7) [16]. Bei der genauen Dokumentation des Beckens konnte zwar dessen Funktion nicht eindeutig geklärt werden, es zeigte sich jedoch, dass bei seiner Anlage die Spuren eines flächigen Abbaus von Steinquadern gestört wurden. Die Betrachtung des umliegenden Bereichs zeigte, dass sich auf der gesamten Fläche die Spuren von Steinabbau beobachten ließen, wobei die Dimensionen der Blöcke von 0,50/0,90 x 0,30 m am ehesten den Quadern des Mauerzugs A zu entsprechen scheinen, während die Blöcke, die für die Terrassenmauer selbst verwendet wurden, in der Regel wesentlich größer waren (Abb. 8).
Damit ergab sich folgendes Bild: Die für die Errichtung des Mauerzugs A notwendigen Quader wurden offenbar flächig auf dem Höhenrücken gewonnen. Die Datierung der Kurtine aus großen Sandsteinquadern an den Beginn des 4.Jh. v.Chr. (Phase 2) ergibt auch einen Datierungsrahmen für den Steinabbau. In die gleiche Zeit könnte auch der Bau der großen Wasserleitung an der Südseite der späteren Terrasse fallen, da diese mit der Errichtung der großen Eckbefestigung gleichzeitig sein muss [17]. Eine weitere Klärung dieser Fragen wird die Aufgabe der Kampagne 2012 sein.

[1] Unser wärmster Dank für die kollegiale Unterstützung der Arbeiten geht an die Soprintendentin Adele Campanelli sowie an die zuständige Archäologin vor Ort, Giuseppina Bisogno, und ihre Mitarbeiter. Ohne ihre Hilfe wären unsere Forschungen nicht in dieser Form möglich.
[2] Zu den Heiligtümern in Velia vgl. zuletzt G. Tocco Sciarelli (Hrsg.), Velia. La cinta fortificata e le aree sacre (Verona 2009); V. Gassner, Doni votivi nei santuari di Elea: cippi, naiskoi e il loro contesto, in: G. Greco (Hrsg.), Doni agli dei. Il sistema dei doni votivi nei santuari. Seminario di studi Napoli 21 aprile 2006 (Pozzuoli 2008) 141-160 mit der älteren Literatur.
[3] Vgl. S. Panzera – M. Viscione, Scavo e restauro della cinta muraria. Tratto A e Castelluccio, in: G. Tocco Sciarelli (Hrsg.), Velia. La cinta fortificata e le aree sacre (Verona 2009) 140-147.
[4] Die Finanzierung erfolgte durch die Universität Wien, besonders aber durch den österreichischen FWF, Projekt Nr. 23275-G21.
[5] Die Kampagne fand vom 28. August bis 29. September 2011 statt. Neben Dieta Svoboda, die die stellvertretende Leitung vor Ort hatte, nahmen folgende Studierende der Universitäten Wien und Salzburg teil: C. Aichner, Th. Eder, B. Grammer, Martin Gretscher, H. Liedl, J. Politschnig, J. Schnöll, D. Stepanovic, C. Trabitsch.
[6] Maße ca. 80 x 20/25 m.
[7] Zur Forschungsgeschichte dieses Bereichs vgl. zuletzt L. Vecchio, La storia della ricerca, in: G. Tocco Sciarelli (Hrsg.), Velia. La cinta fortificata e le aree sacre (Verona 2009) 9-17.
[8] Siehe Panzera – Viscione a. O. (Anm. 3).
[9] V. Gassner, Das Heiligtum der Naiskoi, in: P. Amann – M. Pedrazzi – H. Taueber (Hrsg.), Italo – Tusco – Romana. Festschrift für Luciana Aigner-Foresti (Wien 2006) 233-244. [10] Eine ähnliche Votivsäule findet sich auch beim Kultplatz Nr. 3, vgl. V. Gassner, Elea – Velia, codice catastale foglio 9, particella 13, 2010, in: www.fastionline.org.
[11] Von den insgesamt 20 5 x 5 m großen Flächen wurden 2011 10 Flächen zumindest teilweise ergraben.
[12] Erhaltene Länge 5 x 1,8 m.
[13] Vgl. V. Gassner – D. Svoboda, L’area sacra no. 7, in: G. Tocco Sciarelli (Hrsg.), Velia. La cinta fortificata e le aree sacre (Verona 2009) 116-117.
[14] Vgl. V. Gassner, Velia 2008 - die Zeusterrasse, Forum Archaeologiae 49/XII/2008 (http://farch.net); V. Gassner – A. Sokolicek, Castelluccio: la periodizzazione, in: G. Tocco Sciarelli (Hrsg.), Velia. La cinta fortificata e le aree sacre (Verona 2009) 44-57, besonders Abb. 4.41.
[15] Maße 2,0 x 3,0 m, 0,7-1,00 m tief.
[16] Vgl. dazu etwa G. Greco, Strutture e materiali del sacro a Velia, in Atti CSMG XL, 2005 (Taranto 2006) 287-362, besonders 340, wo sie dieses Becken mit dem Phänomen der “Heiligen Steine” oder „monoliti“ in Verbindung bringt.
[17] Siehe dazu Gassner a. O. (Anm. 14).

© Verena Gassner
e-mail: verena.gassner@univie.ac.at


This article should be cited like this: V. Gassner, Die Kultplätze Nr. 8 und 9 in Velia: die Kampagne 2011, Forum Archaeologiae 62/III/2012 (http://farch.net).



HOME