Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 58 / III / 2011

DIE WIEDERHERSTELLUNG EINER RÖMISCHEN THERME IN CARNUNTUM

Die historische Region zwischen Wien und Bratislava ist die größte archäologische Landschaft Mitteleuropas. Hier liegen die Reste der römischen Stadt Carnuntum auf dem Gebiet der heutigen Marktgemeinden Bad Deutsch-Altenburg und Petronell-Carnuntum. Heute kümmert sich die Archäologische Kulturpark NÖ Betriebsges.m.b.H. als Betreiber gemeinsam mit dem Land Niederösterreich als Eigentümer der offen gehaltenen Ausgrabungen um die Erhaltung, Präsentation und Vermarktung der römischen Denkmäler.
In den letzten Jahren wurde in Carnuntum vor allem im Bereich der Zivilstadt in Petronell-Carnuntum feldarchäologisch gearbeitet. Denn im Rahmen eines großen Gesamtprojektes seit dem Jahr 2001 wird vor allem der Bereich des Freilichtmuseums Petronell nach Gesichtspunkten der modernen Feldforschung wissenschaftlich nachuntersucht und eine auf Grund dieser ausgewerteten archäologischen Befunde gesicherte Präsentation der Baubefunde nach Möglichkeit auch real ausgeführt. Eine solche dreidimensionale Darstellung bietet die Möglichkeit, römisches Leben wirklich spürbar zu machen. Es wird kein „Museum“ im klassischen Sinn errichtet, sondern den Besuchern wird der Eindruck vermittelt, dass das Haus noch immer bewohnt ist. Dementsprechend wird bei diesen Bauten in jeder Hinsicht Neuland betreten. Denn römisches Leben und römisches Ambiente glaubwürdig zu präsentieren, erfordert eine absolute Treue zum Detail bei der Bauweise und der Innenausstattung, vor allem aber den kompromisslosen Einsatz antiker Baustoffe und antiker Handwerkstechniken. Dies wird u. a. durch experimentelle Archäologie ermöglicht. Experimentelle Archäologie bedeutet hier, die Geschichte mit den Mitteln und der Technik der römischen Antike begreifbar zu machen.

Bei drei Projekten wurde seit dem Jahr 2005 eine Entscheidung zugunsten einer modellhaften Rekonstruktion des archäologischen Befundes im Maßstab M 1:1 am Originalstandort getroffen: privates Wohnhaus, villa urbana und öffentliche Badeanlage (Abb. 1).
Die in den Jahren 2005-2007 archäologisch untersuchten Bauwerksstrukturen einer römischen Therme im Nordwestbereich des Freilichtmuseums wurden zu Beginn des 2.Jhs. n.Chr. errichtet. Die Therme blieb dann mit geringen Umbauten bis in die Mitte des 4.Jhs. in Betrieb, sodass die erhaltenen gebliebenen Reste noch eine gute Vorstellung von Raumfunktionen und aufgehender Architektur boten. Zur Verdeutlichung wurden vor Baubeginn am Computer eine virtuelle Rekonstruktion des Hauses sowie ein gebautes Modell des Gebäudes im Maßstab M 1:100 hergestellt (Abb. 2). Für die modellhafte Rekonstruktion galt es herauszuarbeiten, wie das Gebäude seinerzeit ausgesehen haben könnte. Dazu mussten alle archäologischen Informationen (Ausgrabungsbefunde, Grundriss mit vorhandenen Mauern, deren Stärken, Bodenbeläge und Wanddekor der einzelnen Räume) und eventuelle Vergleichsbeispiele herangezogen, überprüft und ausgewertet werden. Auch das Werk des antiken Architekten Vitruvius, das u.a. viele Hinweise zu Baumaterialien und Verarbeitungstechniken beinhaltet, war ein gefragter Ratgeber.

Anhand dieser Aussagen konnten als nächster Schritt die Ermittlung einer möglichen „Dachlandschaft“ und die Überlegungen zu den Höhen der einzelnen Gebäudeteile erfolgen.
Dazu wurden alle bautechnischen Gegebenheiten (römischen Bautechnik, konstruktiv-statische Aspekte, Fragen der Raumnutzung und der Belichtung - die mögliche Anordnung von Fenstern – oder etwa auch die einfache Ableitung der Niederschlagswässer) auf ihre Sinnhaftigkeit überprüft. Aus einer Reihe von möglichen Bauformen wurden anhand der obigen Kriterien in der Folge Ausschließungen vorgenommen, bis sich ein schlüssiges Gesamtbild des Hauses ergab.

Sämtliche Originalmauern sind unter den neu hochgezogenen Steinmauern unversehrt erhalten. Diese wurden als Natursteinmauern mit Kalkmörtel errichtet. Jeder einzelne Stein der Außenmauern wurde mit Hand zu antikem Bruchsteinmauerwerk zusammengefügt (Abb. 3). Das bedeutete, dass die seit Jahren im gesamten ehemaligen Stadtgebiet von Carnuntum gesammelten Steine an Ort und Stelle mit Werkzeugen zubereitet wurden. In der Antike wurden diese Kalksandsteine vorwiegend aus einem Steinbruch aus Mannersdorf am Leithagebirge, also aus der näheren Umgebung Carnuntums, herangeschafft. Die Mauerstärken liegen zwischen 1-2 röm. Fuß (1 röm. Fuß = 0,296 m).

Für die Dachstuhlkonstruktion und andere Teile aus Massivholz (Fachwerkrahmen der Innenwände, Türstürze, Fensterrahmen) wurde bewusst kein frisches Schnittholz aus dem Sägewerk verwendet, sondern vorwiegend Altholz aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert. Dieses Material wurde nämlich noch per Hand mit Werkzeugen zubereitet und nicht im Sägewerk geschnitten. Auch hier war es notwendig, über Jahre vorher Altholzbestände in der Region zu sammeln, wo immer sich die Gelegenheit dazu ergab: Abbruch von Scheunen, Dachstühlen alter Gebäude etc.! Die Bearbeitung der Holzteile vor Ort, vor allem der Dachkonstruktionen, wurde manuell ohne den Einsatz moderner Maschinen in antiker Handwerkstradition (Holzverzapfungen, Holznägel) durchgeführt (Abb. 4). Die Dachdeckung erfolgte mit reproduzierten Leisten- und Halbrundziegeln (tegulae bzw. imbrices). Letztere decken die Fugen zwischen den Leistenziegeln ab und waren gegen den Wind durch Mörtel an den darunter liegenden tegulae fixiert. Als Model für die von einer steirischen Ziegelfirma hergestellten Kopien dienten die bei der Ausgrabung gefundenen Originalziegel.
Die Mehrzahl der Baderäume ist mit Fußbodenheizungen (Hypokaustenheizung) versehen: von einer außerhalb des Raumes liegenden Heizstelle (Präfurnium) wird in den unter dem aufgeständerten Fußboden (Hypokaustum) liegenden Hohlraum geheizt (Abb. 5). An der der Heizstelle gegenüberliegenden Wand wird das Rauchgas über Kamine aus Tonrohren bis zum Dach geführt. Den oberen Abschluss der Kamine außen am Dach bilden nachgetöpferte Dachaufsätze. Die verwendeten Suspensurplatten, Hohlziegel und Dachaufsätze wurden nach aufgefundenen Originalteilen im rekonstruierten Brennofen im Süden des Freilichtmuseums als experimentalarchäologischer Versuch selbst gebrannt und anschließend in der Therme verbaut. Die Ziegel der Hypokaustpfeiler wurden als Kopie einer vorgefundenen originalen Vorlage vom Ziegelwerk hergestellt.
Zur Belichtung der Räume sind Fenster unbedingt erforderlich. Fensterglas, meist ein eher trübes Gussglas, war nachweislich in Verwendung. Über Fenstergrößen, besonders in unserem Gebiet, lässt sich nur mutmaßen, da keines der ausgegrabenen Bauwerke Mauern bis zur Höhe eines Fensters aufwies. Fensterflügel und -stöcke, beide aus Holz, haben nicht überdauert. Es galt verschiedenen Intentionen, u.a. den bereits erwähnten römischen Vorbildern, zu folgen, um eine funktionell und auch formal befriedigende Fenstergröße zu finden.
Der Innenausbau des Hauses betrifft die Fußböden, Türen, Wandmalereien und die Möblierung und ist derzeit voll im Gange. Für die Fußböden liegen für alle Räume eindeutige Befunde vor: Ziegelmosaik-Steine für Außenbereiche, Ziegelsplitt- Estrichböden für Baderäume und Lehmschlagböden für die Wirtschaftsbereiche. Der Großteil dieser Böden wurde bis Ende Oktober 2010 bereits fertig gestellt. Die Türen, von denen nur teilweise die Steinschwellen erhalten sind, wurden entsprechend deren Spuren, die wertvolle Aussagen brachten, und dem Wissen über römische Türen von regionalen Tischlereibetrieben unter Verwendung von alten Werkzeugen und Techniken hergestellt. Aus den umfangreichen Resten der ursprünglichen Wandmalereien der Innenräume konnte in den vergangenen zwei Jahren die ursprüngliche Bemalung der Wände und Decken der einzelnen Räume wieder rekonstruiert werden. Für die Möblierung der Räume dienten ebenfalls provinzialrömische Vorbilder (Reliefs, Malereidarstellungen) und erhaltene Funde aus anderen Badeanlagen als Grundlage. Die beiden Nassräume (Warmwasserbecken, Kaltwasserbecken) wurden gemäße dem Befund aufwändig mit Marmorplatten verkleidet, Wasserspeicher und Wasserkessel zur Wassererwärmung sind derzeit gerade in Bau.


Der Bau dieser Therme wurde als Beispiel antiker Bauweise modellhaft in allen Details für Fachleute und Laienpublikum teilweise experimentalarchäologisch ausgeführt: also Durchführung antiker Bautraditionen in Material und Technik. So wurde auf die Verwendung moderner Stahlgerüste weitestgehend ebenso verzichtet wie auf die Benützung von motorisierten Hebevorrichtungen. Soweit die arbeitsrechtlichen Vorschriften es zuließen, wurden Baustoffe und Geräte daher mit Muskelkraft über Rollen, Seil- und Flaschenzüge aufwärts zu den rasch wachsenden Mauerkuppen gezogen. Die am Bau beteiligten Fachkräfte bzw. Fremdfirmen zeigten an Ort und Stelle die Bearbeitung der einzelnen Baustoffe (Stein, Holz, Putz …) in antiker Tradition. Daher wurden auch original antike Carnuntiner Werkzeuge aus dem Museum Carnuntinum nachgebildet und beim Bau eingesetzt (Abb. 6). Das bedeutete, dass der Versuch unternommen wurde, ein in der Antike entstandenes Bauwerk mit den der damaligen Zeit entsprechenden Materialien, Werkzeugen und Bautechniken heute wieder auszuführen.


So entstand auf Basis der historischen Quellen in Petronell-Carnuntum die Rekonstruktion einer mittelgroßen öffentlichen Therme des römischen Carnuntum nach mehr als 1600 Jahren (Abb. 7). Die Eröffnung der römischen Therme erfolgt im Rahmen der Niederösterreichischen Landesausstellung 2011 am 16.04.2011. Dann wird dem Archäologischen Park Carnuntum ein weiteres Highlight hinzugefügt werden.

Literatur
A. Grossberger – F. Humer, Lebendige Archäologie im Freilichtmuseum Petronell-Carnuntum – Die offengehaltenen Ruinen südlich von Schloß Petronell, in: Nachrichten der Gesellschaft der Freunde Carnuntums 2/2001, 12-15.
F. Humer, Das römische Stadtviertel im Freilichtmuseum Petronell, Archäologischer Park Carnuntum. Die Ausgrabungen. Bd. 3 (Wien 2003).
F. Humer, Neue Untersuchungen im südöstlichen Bereich der Zivilstadt, in: F. Humer – M. Kandler, Carnuntum, AÖ 14,1, 2003, 4-27.
F. Humer (Hrsg.), Archäologischer Park Carnuntum. Die Ausgrabungen. Bd. 3: Das römische Stadtviertel im Freilichtmuseum in Petronell (Wien 2003).
F. Humer (Hrsg.), Archäologischer Park Carnuntum. Die Ausgrabungen. Bd. 4: The Roman City Quarter In The Open Air Museum Petronell (Wien 2004).
F. Humer (Hrsg.), Archäologischer Park Carnuntum. Die Ausgrabungen. Bd. 5: Ein römisches Wohnhaus der Spätantike in Carnuntum (Wien 2009).
F. Humer, Ein „Pompeji vor den Toren Wiens“, AntW 3, 2005, 9-16.
F. Humer, Stadtviertel bei Schloß Traun, in: M. Sasel-Kos – P. Scherrer – L. Borhzy (Hrsg.), Die autonomen Städte in Noricum und Pannonien, Situla 42 (Ljubljana 2005) 39-42.
F. Humer – A. Konecny – M. Pacher, Carnuntum 2005: Die Grabungen in den Zivilstadtthermen, FÖ 44, 2005, 535-538.
F. Humer, Carnuntum – ein „Pompeji vor den Toren Wiens“, in: M. Alram – F. Schmidt-Dick (Hrsg.), Numismata Carnuntina - Forschungen und Material, FMRÖ Bd. III/2. Die antiken Fundmünzen im Museum Carnuntinum ( = DSchr 353) (Wien 2007) 17-54.
F. Humer – A. Konecny – M. Pacher, Carnuntum 2006: Die Grabungen in den Zivilstadtthermen, FÖ 45, 2006, 686-690. F. Humer – A. Konecny, Untersuchungen in der Therme der Zivilstadt Carnuntum, FÖ 46, 2007, 694–696.
F. Humer (Hrsg.), Archäologischer Park Carnuntum. Die Ausgrabungen. Bd. 6: Das römische Stadtviertel im Freilichtmuseum in Petronell (Wien 2011).
F. Humer - A. Konecny - M. Pacher - A. Rauchenwald, Die römische Therme im Freilichtmuseum Petronell (in Druck).
F. Humer (Hrsg.), Kongressband zum Thermenkolloquium im Archäologischen Park Carnuntum 2009 (in Druck).

© Franz Humer
e-mail: franz.humer@noel.gv.at


This article should be cited like this: F. Humer, Die Wiederherstellung einer römischen Therme in Carnuntum, Forum Archaeologiae 58/III/2011 (http://farch.net).



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