Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 58 / III / 2011

DIE VERMITTLUNG ARCHÄOLOGISCH-HISTORISCHER INHALTE AN EIN BREITES PUBLIKUM

In der Tourismuswirtschaft ist es ein besonders spannendes Betätigungsfeld außergewöhnliche Ideen zu realisieren, die einem möglichst breiten Publikum ins Bewusstsein dringen und dabei Aufmerksamkeit wecken. Ein bedeutendes Segment auf dem Sektor der „Freizeitwirtschaft“ ist der Bereich Kultur, welcher großen Raum für die Entwicklung von Attraktionspunkten zulässt. Ausflugsziele mit kulturhistorischem Inhalt stehen sowohl bei Fernreisenden als auch bei Nah-Urlaubern ganzjährig hoch im Kurs. Unabhängig von der natürlichen Ressourcenbreite des kulturellen Angebots hat die gesteigerte Nachfrage inzwischen zu einem gesättigten Freizeitmarkt geführt. Doch es ist nicht nur die verschärfte Konkurrenz unterschiedlicher Anbieter, weitere Faktoren wie etwa Privatisierungstendenzen im öffentlichen Bereich und der Rückgang öffentlicher Fördermittel führen zwangsläufig zu einem notwendigen Umdenken bei kulturellen Institutionen. Die komplexe Aufgabe liegt in der engeren Zusammenarbeit zwischen Tourismusverantwortlichen und Kulturschaffenden. Kreative Produktentwicklung bedingt spezielles Fachwissen, ebenso wie dessen Vermarktung eine adäquate Abwicklung durch Experten notwendig macht. Beim Archäologischen Park Carnuntum zeigt sich, wie strategische Kooperation zwischen den beiden augenscheinlich konträren, aber doch eng miteinander zu verbindenden Bereichen Archäologie und Tourismus eine wissenschaftlich als auch wirtschaftlich effektive Zusammenarbeit hervorbringen kann. Dass sich Carnuntum gegenüber anderen archäologischen Parks in Europa durch ein spezielles Besucherangebot und einzigartige Rekonstruktionen ausweisen kann, ist eng mit dem historischen Werdegang dieser römischen Stadt verbunden. Die archäologische Landschaft wurde - anders als die meisten antiken Stätten des römischen Reiches – ab dem 5. nachchristlichen Jahrhundert bis zum heutigen Tage nur zu einem geringen Teil überbaut, wodurch die weite Ruinenlandschaft oft nur wenige Zentimeter unter der Erde begraben ist. Dazu kommt die günstige geografische Lage von Carnuntum zwischen den beiden Städten Wien und Bratislava.


Waren es früher militärische und handelspolitische Aspekte, die zur Gründung Carnuntums an eben dieser Stelle führten, so ist es heute die tourismuswirtschaftlich bedeutende Lage, die Investitionen zur Wiederbelebung der ehemaligen Metropole an der Donau rechtfertigt. Das ehemalige Stadtgebiet von Carnuntum erstreckt sich über die zwei heutigen Gemeinden Petronell-Carnuntum und Bad Deutsch-Altenburg. Zu den eintrittspflichtigen Ausstellungsbereichen gehören das Freilichtmuseum in Petronell-Carnuntum, das Amphitheater der Lagerstadt in Bad Deutsch-Altenburg sowie das Archäologische Museum Carnuntinum.

Im Freilichtmuseum liegt der zu vermittelnde Schwerpunkt auf dem zivilen Leben der Römer, während im Amphitheater der militärische Aspekt in den Vordergrund tritt. Im Archäologischen Museum Carnuntinum werden mit museumspädagogischen Vermittlungsmethoden archäologische Fundstücke präsentiert. Es werden eigens konzipierte Führungsprogramme angeboten, die sich nach den unterschiedlichen thematischen Inhalten der Ausstellungsstandorte richten. Das war nicht immer so: Im römischen Zivilstadtviertel in Petronell-Carnuntum entstand im Zuge der Ausgrabungen in der ersten Hälfte des 20. Jhs. ein Ruinenensemble als Freilichtmuseum, welchem es an fachspezifischen Erklärungen und öffentlichkeitswirksamer Präsentation fehlte. Carnuntum besaß zwar einen hohen Bekanntheitsgrad in Fachkreisen, in der breiten öffentlichen Wahrnehmung allerdings ein eher verstaubtes Image. Wegen des desolaten Zustandes der in den 1950er-Jahren rekonstruierten Mauerzüge war eine Erneuerung derselben aber bald unverzichtbar geworden. Darüber hinaus waren archäologische Nachuntersuchungen notwendig, weil damals keines der bis dahin freigelegten Bauwerke nach den Maßstäben moderner Feldforschung untersucht worden war. Um die neuen Forschungsergebnisse einem breiten Publikum zugänglich zu machen, wurden erstmals über Konservierungs- und Restaurierungsmaßnahmen hinausgehende Teil- oder Vollrekonstruktionen umgesetzt. Denn eine modellhafte Rekonstruktion - basierend auf den archäologischen Funden und Befunden vor Ort – ist am besten in der Lage, über die antike Bau- und Lebensweise der Römer in Österreich zu informieren.
Als ein wichtiger Schritt zur Schaffung einer Art „römischer Erlebniswelt“ wurde im Freilichtmuseum Petronell-Carnuntum bis Juni 2006 ein römisches Wohnhaus aus dem frühen 4. Jahrhundert am Originalstandort in voller Größe modellhaft rekonstruiert. Das Gebäude wurde errichtet unter Berücksichtigung von Techniken und Materialen, die bereits in der römischen Antike eingesetzt worden waren. Nach dem Wiederaufbau wurden die geschlossenen Innenräume funktionstüchtig mit nachgebildetem Mobiliar ausgestattet. Um der Rekonstruktion noch mehr Leben einzuhauchen, sollte das Haus nicht im klassischen Sinn als Museumsobjekt empfunden werden. Es wurde daher der mögliche Hausbesitzer (der uns mit großer Wahrscheinlichkeit als Lucius Maticeius Clemens inschriftlich überliefert ist) in den Mittelpunkt der Führung gestellt, um den Besuchern den Eindruck zu vermitteln, das Haus wäre noch immer bewohnt. Eine ganz andere Dimension stellt die römische Stadtvilla (villa urbana) im Freilichtmuseum dar, deren Wiederaufbau im Juni 2008 fertig gestellt wurde. In den Jahren 2009 und 2010 wurde die Führung „Reiche Römer - ganz privat“ initiiert, die diese beiden experimentalarchäologischen Projekte touristisch wirksam aufbereitete. Die seit dem Jahr 2006 angebotenen „Zeitreiseführungen“ des Archäologischen Parks Carnuntum basieren auf der Idee, römisches Leben für den Besucher mit allen Sinnen erfahrbar zu machen. So treten bei diesen Sonderführungen DarstellerInnen als Akteure einer (zwar fingierten, aber historisch durchaus passenden) Handlung auf und lassen die Teilnehmer interaktiv an dem Geschehen teilhaben. Strukturmodelle und Utensilien (Repliken) zu diversen Themenbereichen des römischen Alltags ergänzen die museumsdidaktische Aufbereitung. Zielgruppenspezifische Angebote werden nicht nur für Individualgäste geschaffen, sondern auch für Vereins- und Betriebsausflüge, Seniorenreisen sowie Incentives.

Große und kleinere Eigenveranstaltungen wie das Carnuntiner Römerfest und die Gladiatorenkämpfe in der Arena des Amphitheaters helfen dabei, Carnuntum zu einer erlebnisorientierten Attraktion für historisch interessiertes Publikum zu machen. Für Schulklassen aller Altersstufen werden spezielle Programme zur Kulturvermittlung konzipiert, wobei die Lehrer zwischen Führungen zu bestimmten Themenschwerpunkten sowie Abenteuer- und Aktivprogrammen frei wählen können. So werden im Freilichtmuseum etwa die Führungen „Die Stadt lebt! – Erlebnistour durch Carnuntum“ und das interaktiv gestaltete Programm „Rätselrallye – Römische Detektive“ angeboten. In den Sommermonaten Juli und August gibt es für Kinder zudem die Möglichkeit, im Rahmen von Projekttagen und Sommercamps das Leben der Römer auf spielerische Art und Weise im Amphitheater von Bad Deutsch-Altenburg kennen zu lernen. Alle Angebote erfolgen unter Betreuung fachkundiger Kulturvermittler, die eine Reihe von Qualifizierungsmaßnahmen zu absolvieren haben, bevor sie im Archäologischen Park Carnuntum tätig werden können. Dass diese Vorgehensweise von der Öffentlichkeit gut aufgenommen wird, zeigt sich in den jährlich steigenden Besucherzahlen. Waren es 1996 noch rund 40.000 Besucher, so hat der Archäologische Park Carnuntum im Jahr 2010 mit rund 150.000 Gästen alle bisherigen jährlichen Besucherzahlen übertroffen.

© Matthias W. Pacher
e-mail: matthias.pacher@carnuntum.co.at


This article should be cited like this: M.W. Pacher, Die Vermittlung archäologisch-historischer Inhalte an ein breites Publikum, Forum Archaeologiae 58/III/2011 (http://farch.net).



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