Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 54 / III / 2010

NEUE ANSICHTEN UND NEUE EINSICHTEN
Arbeitsbericht zum START-Projekt zur Domitilla-Katakombe in Rom

Vom START-Projekt zur Domitilla-Katakombe war an dieser Stelle bereits berichtet worden. Die Arbeiten begannen 2006 und sollen noch zwei weitere Jahre andauern [1].
Neue Erkenntnisse gelangen im Zusammenhang mit dem ursprünglichen Kultort der Martyrer der Katakombe, Nereus und Achilleus. Hinter der Apsis der halbunterirdischen Basilika wurden die Reste der ringförmigen Pilgeranlage aus der Zeit von Papst Damasus (366-384) samt Spuren ihrer Malereien entdeckt. Dieser frühe Wallfahrtsort konnte rekonstruiert und virtuell begehbar gemacht werden. Er war in Konzeption und Form der Papstgruft in S. Callisto ähnlich. Das spricht gegen eine Datierung der Basilika noch im späten 4. Jh.
Die Erstellung der hoch aufgelösten 3D-Modellen aller Malerei schreitet voran. Die Arbeitsschritte konnten optimiert und z.T. automatisiert werden (I. Mayer, A. Abdelhafiz). Die digitale Dokumentation wurde im Jahr 2009 abgeschlossen, die gesamte Katakombe bildet nun eine einzige Punktewolke aus über 1900 Scan-Positionen. Mit ihrer Hilfe wurde der erste digitale Gesamtplan der Katakombe generiert (M. Ganspöck). Bei dieser Arbeit kam die Frage auf nach Programmen mit Anwendungen, die den Datenbestand ohne weitere Aufbereitung direkt für Archäologie und Bauforschung nutzen können.
In einer neuen Zusammenarbeit mit dem Institut für Computergraphik und Algorithmen (Arbeitsbereich Computergraphik) der TU Wien (M. Wimmer, C. Scheiblauer) wird der gemeinsam mit der Wiener Firma Imagination entwickelte Viewer Scanopy [2] derzeit nach den Anforderungen archäologischer Fragestellungen erweitert.

Scanopy bietet die Möglichkeit, die Katakombe im Realmodell zu betreten und dabei die gesamte texturierte Punktewolke in Echtzeit anzusehen und zu bearbeiten. So kann man die Katakombe "browsen", das Rendering ist dynamisch und nur die gerade im Blickfeld sichtbaren Bereiche werden geladen. Die Bewegungen über, in oder unter dem Modell ermöglichen das Verständnis der topographischen Lage und Entwicklung von Teilbereichen (etwa Galerien, Lichtschächten, Treppen) der Katakombe. Zudem wurden in Scanopy wichtige Funktionen zur Analyse und Auswertung eingebaut. Die Distanzmessung ermöglicht die exakte digitale Vermessung jedes Scanpunktes. Punktgruppen können über zwei verschiedene Brush-Funktionen ausgewählt werden, eine Kugel und ein Quader, beide in Volumen und Lage variabel. So können beliebige Punktegruppen markiert, kopiert, verschoben, exportiert oder gelöscht werden. Auf diese Weise können Regionen phasenweise dargestellt werden, oder z.B. die während der Ausgrabung der Basilika gefundenen und wiedererrichteten Säulen können verschoben, vertauscht oder gelöscht werden, um ihre originale Aufstellung herauszufinden. Schnitte durch Galerien und Stockwerke, Wandansichten und Wandabwicklungen können direkt aus den Realdaten herausgestellt werden. Dabei bleibt ein herauskopierter Datensatz in seiner Struktur unverändert. In die Punktewolke lassen sich auch die hoch aufgelösten 3D-Modelle der Grabmalereien einfügen. Zudem besteht die Möglichkeit zur Vernetzung mit Datenbanken. Informationen zu sichtbaren Objekten können so direkt an Ort und Stelle abgerufen werden.
Der praktische Nutzen liegt insbesondere für Monumente auf der Hand, die nur kurzzeitig für Untersuchungen zur Verfügung stehen. Diese genannten Anwendungen sind nicht auf das Domitilla-Projekt bezogen, sondern für möglichst weiten Einsatz bei der archäologischen Arbeit mit Scan-Daten gedacht.

[1] Forum Archaeologiae 46/III/2008. Im START-Projekt "Die Domitilla-Katakombe in Rom. Archäologie, Architektur und Kunstgeschichte einer spätantiken Nekropole" arbeiten Archäologen des Instituts für Kulturgeschichte der Antike der ÖAW (N. Zimmermann, V. Fugger) und Bauforscher des Fachbereichs Architekturgeschichte und Bauforschung der TU Wien (G. Esser, I. Mayer, M. Ganspöck) in einer nationalen Kooperation, vgl. http://www.oeaw.ac.at/antike/institut/arbeitsgruppen/christen/domitilla.html.
[2] http://www.cg.tuwien.ac.at/research/projects/Scanopy. Projektleitung: Prof. M. Wimmer.

© Norbert Zimmermann
e-mail: norbert.zimmermann@oeaw.ac.at

This article should be cited like this: N. Zimmermann, Neue Ansichten und neue Einsichten. Arbeitsbericht zum START-Projekt zur Domitilla-Katakombe in Rom, Forum Archaeologiae 54/III/2010 (http://farch.net).



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