Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 38 / III / 2006

ZUR WIEDERERÖFFNUNG DER ANTIKENSAMMLUNG DES KUNSTHISTORISCHEN MUSEUMS IN WIEN

Am 5. September 2005 wurde die Antikensammlung des Kunsthistorischen Museums in Wien, die wegen umfangreicher Bau- und Sanierungsmaßnahmen seit mehr als vier Jahren geschlossen war [1], in räumlicher Erweiterung und mit einem neuen Ausstellungskonzept für das Publikum feierlich wiedereröffnet (Abb. 1).

Bereits im äußeren Erscheinungsbild des Kunsthistorischen Museums wird deutlich, welch hoher Stellenwert in diesem Haus der Antike, die gleichsam das geistige Fundament der Sammlungen bildet, eingeräumt wird: Die Kuppel wird von der weithin sichtbaren Bronzestatue der Pallas Athene als Göttin der Weisheit und Schirmherrin über Wissenschaft und Kunst bekrönt. Auf der Attika über dem Eingang ist in großen Lettern die Widmungsinschrift zu lesen: "Den Denkmälern der Kunst und des Alterthums", wobei die beiden Begriffe hier freilich nicht Gegensätze, sondern Epochen bezeichnen wollen.

Die Neuaufstellung
Zur Zeit der Eröffnung des kunsthistorischen Museums im Jahre 1891 erstreckte sich die räumliche Ausdehnung der Antikensammlung auf die Säle VII bis XIV des Hochparterres. Zwar wurden die Säle VII bis IX im Laufe der Zeit an die Ägyptisch-Orientalische Sammlung abgetreten, doch wurde der Raumanteil der Sammlung insgesamt beträchtlich erweitert, sodass sie heute mit 9 Sälen (X-XVIII) und 7 Kabinetten (1-7), die früher als Direktion und Büroräume genutzt wurden, über eine Gesamtfläche von 1460 m² verfügt. Die Zahl der ausgestellten Objekte wurde gegenüber der alten Aufstellung um ein Drittel vermehrt, insgesamt werden 2250 Objekte gezeigt (Abb. 2).


Das wissenschaftliche Konzept der schon seit längerer Zeit geplanten Neuaufstellung wurde von den Mitarbeitern der Antikensammlung erstellt [2], die umfangreichen restauratorischen Arbeiten wurden vom Personal der sammlungseigenen Restaurierwerkstätte durchgeführt, für die Ausstellungsgestaltung war Architekt Hans Hoffer verantwortlich.
Grundvoraussetzung für die dringend notwendig gewordene Neuaufstellung, für eine zeitgerechte Präsentation der Sammlung, war die durchgehende Elektrifizierung sämtlicher Ausstellungsräume, die neben der Saalbeleuchtung erst eine Objekt- und Vitrinenbeleuchtung möglich macht. Die in allen Räumen rundumlaufenden breiten Gesimse ermöglichten die Anbringung von weitgehend unsichtbaren Datenschienen. Diese Grundinstallation ist für verschiedenste Leuchtmittel geeignet und erlaubt gesteuertes (dosiertes) Licht. Durch das Kunstlicht konnten auch Elemente der Raumarchitektur und die Deckenmalerei in die Gesamtinszenierung einbezogen werden, so im Saal X die allegorischen Darstellungen der einzelnen Disziplinen der Altertumswissenschaft, vor allem aber im Saal XI der Fries von August Eisenmenger mit mythologischen Szenen aus der Welt der olympischen Götter (Abb. 1).
Sämtliche Räume wurden mit modernsten Sicherheits- und Brandmeldeeinrichtungen versehen, ein neues Heizsystem in die Parapete unterhalb der Fenster verlegt, wodurch auf die alten, in den Raum gestellten Radiatoren verzichtet werden konnte. Die Holzfußböden wurden erneuert, in den Porträtsälen XII und XIII wurde ein Marmorboden neu verlegt, sodass nun alle Skulpturensäle über Steinböden verfügen.
Wiederholte Umstellungen und zahlreiche Neuerwerbungen hatten zur Folge, daß der ursprünglich einheitliche Charakter der Ausstellungsbehelfe mit der Zeit verloren gegangen und das Gesamtbild der Sammlung durch die in Material und Ausführung unterschiedlichen Vitrinen- und Sockeltypen beeinträchtigt wurde. Im Zuge der Neuaufstellung wurden nur im Saal X mit den Skulpturen der griechischen Klassik (Abb. 4) und im Kabinett 7 der Austria Romana (Abb. 7) die alten Marmorsockel als sammlungsgeschichtliches Zitat belassen, zum Teil auch in historisierender Manier nachgefertigt. Alle übrigen Sockel wurden überwiegend aus einem dichten Kalkstein in schlichter Ausführung neu angefertigt (Abb. 1. 5). Ähnlich wurden auch bei den Vitrinen nur in den Sälen XIV (griechische Keramik; Abb. 3) und XV (römisches Kunsthandwerk) Stand- und Pultvitrinen verwendet, die noch aus der Grundausstattung des Hauses stammen: schwarz gebeizte Holzuntersätze mit vergoldeten Zierelementen, die Standvitrinen mit hohen Glasaufsätzen in Messingrahmen, wobei die Restaurierung und Umrüstung dieser historischen Vitrinen in licht-, klima- und sicherheitstechnischer Hinsicht besonders aufwändig war (Abb. 3). Im Gegensatz zu diesen alten sind die über 100 neuen, nach Entwürfen des Ateliers Hans Hoffer gebauten Vitrinen schlicht gehalten und lassen durch ihre Transparenz die in ihnen ausgestellten Objekte optimal zur Geltung kommen.


Besondere Sorgfalt wurde auf die Montage der Köpfe und Skulpturen gelegt: Da das Originalobjekt mit dem Sockel nicht verschmelzen soll, wurden unter der Leitung des Restaurators Viktor Freiberger manschettenartige Pass-Stücke aus Bronzeguss hergestellt, die der Bruchfläche des Originals genau angepasst sind und den entsprechenden Abstand zum Sockel und die richtige Position des Originals garantieren (Abb. 5).
Der Grundstock der Wiener Antikensammlung geht bekanntlich auf die Vorlieben und die Sammelleidenschaft einzelner Mitglieder des habsburgischen Kaiserhauses zurück, ihre Erweiterung von einem "Münzkabinett" zu einem "Münz- und Antikenkabinett", das die materielle Hinterlassenschaft der Antike möglichst umfassend beinhalten sollte, erfolgte im 19. Jahrhundert, wobei eher der Zufall als systematische Erwerbungspolitik Regie führte. Dies erklärt auch, dass den Besucher zwar in jeder Materialgruppe Meisterwerke, mitunter auch Unikate erwarten, er sich aber aufgrund des vorhandenen Sammlungsbestandes etwa im Bereich der griechischen Skulptur nur einen groben Überblick über deren Entwicklung verschaffen kann. Andererseits bringt es die Erwerbungsgeschichte der Sammlung mit sich, dass viele Objekte eine eigene, oft sehr wechselvolle Geschichte seit ihrer Auffindung besitzen. Dies gilt im besonderen für die antiken Kameen, doch sei in diesem Zusammenhang auch an einige Skulpturen, die seit dem 16. Jahrhundert bekannt sind, erinnert: an den 1557 auf Zypern gefundenen "Fuggerschen" Amazonensarkophag, die Aphrodite d'Este aus der Sammlung der Gonzaga in Mantua oder den Jüngling vom Magdalensberg, dessen Original 1502 in Kärnten gefunden worden war.
Das Gesamtkonzept der Neuaufstellung berücksichtigt stärker als bisher neben chronologischen Gesichtspunkten auch kulturhistorische Zusammenhänge und thematische Gruppen.
So bilden etwa die archaischen zyprischen Kalksteinskulpturen in Saal X eine Gruppe, wie sie in einem Heiligtum auf Zypern aufgestellt gewesen sein könnte, ebenso die auf Pfeilern präsentierten klassischen Weihereliefs oder das attische Grabrelief mit zwei Grablekythen, wie wir sie in dieser Gruppenbildung auch von Familiengrabstätten aus dem antiken Friedhof in Athen, dem Kerameikos, kennen (Abb. 4). Ähnlich sind im Saal XI Aphrodite und Eros oder der dionysische Kreis zu thematischen Gruppen zusammengefasst.
Erstmals wird in den Sälen XII und XIII (Abb. 5) auf eindrucksvolle Weise die Entwicklung des römischen Porträts in einer Porträtgalerie veranschaulicht, das republikanische Porträt im Saal XII, die Bildnisse der Kaiserzeit des 1. bis 3. Jahrhunderts im Saal XIII, ergänzt durch Einzelvitrinen mit acht Mumienporträts der Sammlung, den kostbaren Zeugnissen antiker Tafelmalerei aus dem Boden Ägyptens.


Im Vasensaal (Abb. 3) wird neben der regionalen Entwicklung der griechischen Keramik auch auf ihre Technik eingegangen, werden die Vasen aber auch in thematische Gruppen zusammengefaßt, neben Göttern und Heroen wird auch das Alltagsleben berücksichtigt. Zeitgleiche Bronzestatuetten und Terrakotten ergänzen und runden die einzelnen Themenkreise ab.
Die Sammlung antiker Prunkkameen sowie die völkerwanderungszeitlichen und frühmittelalterlichen Schatzfunde begründen in erster Linie den hohen internationalen Stellenwert der Wiener Antikensammlung. Der Grundstock der Sammlung geschnittener Steine, die heute annähernd 6000 Objekte umfasst, geht auf Erzherzog Ferdinand (Ambraser Sammlung), auf Kaiser Rudolf II. in Prag und seinen Nachfolger Matthias in Wien zurück. Die Gemmen und Kameen werden im Saal XVI in Spezialvitrinen präsentiert, die Gemmen in Wandvitrinen im z.T. durchscheinenden Licht, die Prunkkameen werden in einer achteckigen Vitrine in der Raummitte, die Gemma Augustea und der Ptolemäer-Kameo in Einzelvitrinen besonders hervorgehoben.
Die großen Schatzfunde, die am Ende des 18. und am Beginn des 19. Jahrhunderts nach Wien kamen, verdankt die Sammlung einem mehrfach novellierten kaiserlichen Dekret, wonach sämtliche Bodenfunde dem Antikenkabinett gemeldet werden mußten, wodurch sich nach entsprechender Prüfung die Möglichkeit ergab, die Funde auch anzukaufen. So kamen im letzten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts etwa der große Schatzfund aus dem damals ungarischen Szilágysomlyó mit der prachtvollen Goldkette in die Sammlung wie auch der einzigartige Schatz von Nagyszentmiklós mit seinen 23 Goldgefäßen. Die wertvollen Objekte dieser Schatzfunde sind im Saal XVII in Vitrinen ausgelegt, die in ein begehbares Gehäuse aus gerostetem Stahl eingebaut sind und den Eindruck erwecken, als wären diese kostbaren Funde noch in der Erde geborgen (Abb. 6).


In Saal XVIII werden Objekte der Spätantike und des frühen Christentums gezeigt, der expressive Kopf des Eutropios wird gerahmt von den wertvollen Elfenbeinarbeiten, in einer Vitrine, die symbolisch an ein Schiff erinnert, steht das Monogrammkreuz aus Aquileia.
In den sieben neuen Kabinetten wurden thematische Schwerpunkte gesetzt: die Kultur und Kunst Zyperns, Etruriens, Unteritaliens sowie der Austria Romana (Abb. 7). Im Kabinett 5 wird mit drei Reliefplatten mit dem Freiermord des Odysseus auf ein bisher ungelöstes Problem hingewiesen: Während die Funde aus Ephesos und Samothrake, für die im 1891 eröffneten Museum gleichfalls kein Platz vorhanden war, seit 1978 im Ephesos Museum in der Neuen Burg gezeigt werden, warten die Friese vom lykischen Grabmal des Fürsten von Trysa noch immer auf ihre museale Präsentation.
Durch das Licht werden die Objekte nicht nur ins rechte Licht gesetzt, der Besucher wird nach den Ideen von Hans Hoffer auch geführt und geleitet, was vor allem durch die Betonung der Raumachsen erreicht wird: Aus der ägyptischen Sammlung kommend geht man auf den Doryphoros, den Speerträger des Polyklet, als einem Leitbild der griechischen Klassik zu (Abb. 4), von dort sieht man in der Ferne die mächtige Togastatue des Kaisers Vespasian (Abb. 5), in der Achse der Babenbergerstraße das idealisierte Porträt des Kaisers Augustus und am anderen Ende das expressive spätantike Bildnis des Eutropios. Im zyprischen Kabinett wird die Raumachse von einem monumentalen Kalksteinkapitell beherrscht, von dem man sich durch die Flucht der Räume auf den Jüngling vom Magdalensberg zu bewegt (Abb. 7).


Ein mehrstufiges Informationssystem und eine ausführliche Dokumentation wird in drei Räumen durch so genannte virtuelle Fenster erweitert, in denen mit digitaler Projektion künstlerische, motivische und technische Details les- und sichtbar gemacht werden.
Die Informationen durch Saaltexte und Beschriftungen können durch die Benutzung des Audioguide ergänzt werden, erstmals kommt in der Antikensammlung ein neuer MultiMedia Guide zur Anwendung. Anlässlich der Neueröffnung erschien der Katalog "Meisterwerke der Antikensammlung", in dem 114 Hauptwerke ausführlich beschrieben und abgebildet werden.
Die verhältnismäßig lange Schließungszeit der Antikensammlung wurde mit Recht von Universitätsinstituten und Schulen gleichermaßen beklagt. Wir hoffen, dass die neu aufgestellte Sammlung verstärkt für den Unterricht an Schulen und für Lehre und Forschung an den Universitäten genützt wird. Das starke Interesse und der rege Besuch in den ersten Monaten nach der Wiedereröffnung lassen diesen Optimismus berechtigt erscheinen.

Mitarbeiter der Direktion und Restaurierwerkstätte der Antikensammlung
Dr. Alfred Bernhard Walcher
Dr. Manuela Laubenberger
Dr. Georg Plattner
Mag. Karoline Zhuber-Okrog
Mag. Viktor Freiberger
Mag. Angelika Kathrein
Mag. Bettina Vak
[1] Der für das 2. Halbjahr 2004 geplante Eröffnungstermin (vgl. K. Gschwantler, Zur Neugestaltung der Antikensammlung des Kunsthistorischen Museums in Wien, Forum Archaeologiae 29/XII/2003) musste aus arbeitstechnischen Gründen verschoben werden.
[2] Das wissenschaftliche Konzept für die einzelnen Teilbereiche der Neuaufstellung wurde von den Mitarbeitern der Antikensammlung wie folgt erstellt:
A. Bernhard-Walcher: Zypern, Griechische und unteritalische Keramik, Gemmen und Kameen, Römisches Kunsthandwerk (gem. mit K. Gschwantler)
K. Gschwantler: Griechische und römische Skulptur, Heroon von Trysa, Römisches Kunsthandwerk (gem. mit A. Bernhard-Walcher), Austria Romana
M. Laubenberger: Römische Republik, Römisches Porträt, Spätantike und Frühes Christentum
K. Zhuber-Okrog: Etrusker, Schatzfunde
G. Plattner: Redaktion des Katalogs und der Saaltexte

© Kurt Gschwantler
e-mail: kurt.gschwantler@khm.at

This article should be cited like this: K. Gschwantler, Zur Wiedereröffnung der Antikensammlung des Kunsthistorischen Museums in Wien, Forum Archaeologiae 38/III/2006 (http://farch.net).



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