Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 14 / III / 2000

EINE NEOKORIE FÜR MACRINUS IN DEN EPHESISCHEN SCHLAGZEILEN [1]

Ende 217 oder Anfang 218 wurde in Ephesos ein auffälliger Münztyp für Kaiser Macrinus geprägt, der in drei Varianten und vermutlich vier Emissionen erschien. Die Interpretation des Rückseitenbildes war kontroversiell [2], dürfte sich jetzt jedoch mit Hilfe einer weiteren, bisher nicht berücksichtigten, Prägung fixieren lassen.

1. Variante (1. Emission) (Abb. 1):

Vs. Panzerbüste des Macrinus nach re. mit spitzem Vollbart, Gewand auf li. Schulter, Lorbeerkranz mit dreieckiger Schlaufe gebunden.
8h AVTKMOECEO VHMAKPEINOC
Rs. tetrastyle Tempelfront auf zwei Stufen mit korinthischen Säulen, dazwischen Kultbild des Kaisers frontal stehend in Toga, hält in der ausgestreckten Rechten eine Opferschale. Im Giebel . Unter, d.h. vor dem Tempel ein Feueraltar, zu dem zwei Männer von re. einen Stier heranführen; auf der anderen Seite drei Männer; alle erheben ihren re. Arm zum Kaiser.
9h CIN , im Abschnitt ACIAC


Abb. 1: Macrinus-Münze in Paris, Bibliothèque Nationale (Photo Verf.)

Erhalten in Paris, Bibl.Nat. 866 (Mionnet, Descr.d.Méd.Gr. 368; vgl. auch RevNum 1891; L. Bluma Trell, The Temple of Artemis [1945] Taf. VI 4); London, Brit.Mus., BMC 14 (1892) 293 (vgl. auch L. Anson, Numism.Gr. [1910-16] V 374); F. Sternberg, Aukt.Kat. 11 (1981) 280; Kölner Münzhandel 54 (1991) 312; G. Fiorelli, Mus.Naz.Napoli (1866-72) 8083.
Gewicht 24,36 bis 24,662g.

2. Variante:

Abb. 2: Macrinus-Münze in London, British Museum, Rückseite (Photo Verf.)

2a. (2. Emission):
Vs. stempelidentisch mit 1. Variante
Rs. Im Tempelgiebel Adler(?) nach re.; neben dem Altar stehen re. und li. je sechs Männer.
9h CI [N], im Abschnitt ..
Erhalten in Paris, Bibl.Nat. 867; Brüd. Egger, Aukt.Kat. 46 (1914) 884.
Gewicht 21,37 und 23,9g.

2b. (3. Emission) (Abb. 2):
Vs. Büste wie vorher.
6h AVTKMOECEOV MAKPEINOCCE B
Rs. wie vorher.
[CI] N, im Abschnitt ..
Erhalten in London, Brit.Mus., BMC 14 (1892) 294.

Obwohl das Ethnikon nicht einwandfrei erhalten ist, und auch eine Vs.-Koppelung nicht vorliegt, ist eine weitere Prägung als 3. Variante (4. Emission) anzuschließen, da in den Rs.-Szenen typologisch sehr große Ähnlichkeit besteht, und der Typus sonst nirgendwo unterzubringen ist [3]:

3. Variante (4. Emission) (Abb. 3):

Vs. Vs. Büste wie vorher, aber breiter Schädel, Nase untypisch nach außen gebogen [4], Bart nicht spitz; Kranzschlaufe in Form einer gequetschten 8.
8h AVTKMOECEO VHMAKPINOC
Rs. Tempel wie 2. Emission, aber zwischen zwei Preiskörben [5], der li. mit API/ANE/IA, beide auf Grundlinie; re. und li. vom Altar je drei Männer, aber kein Stier.
10h? E[]E [C]IN O VMIA, im Abschnitt [[6]]NEKO/[PN]. In den Legenden fallen die manierierten M mit senkrechter Mittelhaste auf [7].
Erhalten in Wien, KHM 32.385.


Abb. 3: Macrinus-Münze in Wien, Kunsthistorisches Museum (Photo Verf. nach Gipsabdruck)

Eine Zuweisung dieser Prägung an Ephesos ist trotz aller Unsicherheiten und Abweichungen (offen bleibt vor allem, warum das Kaiserporträt abweicht) mit großer Wahrscheinlichkeit zu postulieren, auch schon deshalb, da sie sonst nirgendwo anders unterzubringen wäre [8].
Eine, allerdings nur scheinbar, vergleichbare Szene findet sich im nahen Kolophon auf Münzen für Treb. Gallus und Valerian [9]: Im Tempel, in dessen Giebel sich nur ein "Punkt" befindet [10], thront Apollo Klarios. Davor stehen Altar und Opferstier isoliert, umrahmt von dreizehn Männern mit erhobenen rechten Armen, die nach der Umschrift die Städte des Jonischen Bundes repräsentieren.
Verwandt ist eher ein Rs.-Bild auf einer Caracalla-Münze in Laodikeia am Lykos [11]: Am oberen Ende eines rechteckigen, von Stoen umgebenen Temenos steht ein distyler Tempel/Naiskos, vor dem auf einer Plattform der Kaiser agiert. Während seine Rechte mit der Patera zu einer Gruppe von drei Männern gesenkt ist, hält er in der ausgestreckten Linken einen Kranz über drei weitere Personen, die alle ihren rechten Arm im Akklamations-Gestus erhoben haben; dies tun wohl auch jene Personen, die in den Portiken stehen.
Das Temenos wird als Forum Romanum, das Gebäude darin als Kaisertempel gedeutet, vor dem Caracalla "is bestowing honours on the leading citizens" [12]. Damit läge dann z.B. ein Bezug auf die Constitutio Antoniniana von 212/3 vor, versinnbildlicht durch den Kranz ("corona civica"), den der Kaiser reicht. Tatsächlich kann es sich jedoch allein um einen Akt im Kaiserkult-Bezirk von Laodikeia handeln, dem von Caracalla die erste(!) Neokorie gewährt wurde, wie vor allem die numismatische Evidenz deutlich zeigt [13]. Somit kündet das opulente Münzbild einerseits von der kaiserlichen Gnade, die den Laodikeiern die Einrichtung einer Kaiser-Neokorie gestattet hatte [14], andererseits aber vielleicht auch von der Einweihung des Kultes oder sogar des Kultplatzes [15]. Jedenfalls hat, wie die Münzlegende lehrt, den abgebildeten Staatsakt (mitsamt der diesen festhaltenden Prägung) der Asiarch L. Ael. Pigres gestiftet (ANEHKEN).
Das Auftreten des lateinischen VOTA in griechischem Gewand hat B.R.F. Price bewogen, in der Szene die Vollziehung der vota publica zu sehen [16]. Dagegen sprechen schon die Varianten, und Ephesos stünde mit einem solchen Münztyp absolut isoliert da. Außerdem hätte man dann wohl auch quasi-offiziell BOTA geschrieben [17].
Es braucht demnach nicht weiter betont zu werden, daß unsere ephesischen Macrinus-Münzen etwas Ähnliches wie Laodikeia feiern. Aber was da binnen kurzer Zeit (denn viel blieb ja nicht bis zum Tod des Macrinus im Mai/Juni 218) an geprägtem InformationsAufwand getrieben wurde, mutet wie eine Folge moderner Schlagzeilen an, die brandaktuell den jeweils neuesten Stand der Dinge berichten.
Vor dem Hintergrund des anonymen Syndikos, der im Auftrage der Stadt zur Erlangung immer neuer Kaiser-Neokorien jahrelang einem Kaiser nach dem anderen erfolgreich hinterherreiste und schließlich auch bei Macrinus reussieren konnte [18], lassen sich die Rs.-Bildvarianten folgendermaßen chronologisch ordnen:

1. Emission: Der Syndikos meldet vom mesopotamischen Kriegsschauplatz, wohin er dem Kaiser gefolgt war, daß dieser sich prinzipiell mit der Einrichtung eines Kultes einverstanden erklärt habe. Daraufhin geloben die Ephesier die Errichtung eines Tempels. Die Schlagzeile lautete: KAISERKULT-GELÜBDE DER EPHESIER, DER ERSTEN VON ASIA.

2. + 3. Emission: Wenig später scheint es schon zu einer Realisierung gekommen zu sein, denn im zweiten Münzbild hat das Wort den Tempelgiebel verlassen. Die - offenbar mehrfach wiederholte - Schlagzeile lautete: EPHESOS HAT GELÜBDE ERFÜLLT.

4. Emission: Schließlich war der Neokorie-Akt vollzogen, der Syndikos hatte gemeldet, daß er alles glücklich zu Ende gebracht habe, ein Tempel bzw. eher Kaiseraltar war errichtet, der Opferstier geschlachtet, und es konnten die Einweihungsspiele beginnen: Auf diese weisen, wie auf unzähligen Münzen anderer Städte auch, die Preiskörbe unmißverständlich hin. Entsprechend dem Usus wurden dabei ältere Agone ebenfalls gefeiert, wie die Hadrianeia, deren Sieger der linke Korb winkte. Während auf der Münze die Beschriftung des rechten Korbes nicht mehr zu erkennen ist, läßt der Umstand, daß die Olympia in der Legende angeführt sind, auf deren besondere Bedeutung innerhalb des Anlasses schließen.

Nachdem der Zeus Olympios unter Domitian in Ephesos eingeführt worden war, erlebte sein Kult unter Hadrian eine neue Blüte [19], vor allem auch in Gestalt seines als Olympieion errichteten Neokorien-Tempels [20]. Da diesen ein sehr großes Temenos und weitläufige Stoen umgaben, könnte es hier auch Platz für spätere Neokorie-Altäre gegeben haben. Darauf beziehen sich vielleicht sogar im Verein mit den Hadrianeia die prominent hervorgehobenen Olympien auf unserer Macrinus-Münze.

Die dritte Schlagzeile lautet somit: EPHESOS FEIERT NEUE NEOKORIE IM OLYMPIEION.

Anzumerken ist noch, daß sonst keine ephesische Macrinus-Münze die Neokorie führt [21]. Daraus läßt sich vermutlich ableiten, daß unsere 3. Variante ganz ans Ende der Regierungszeit dieses Jahreskaisers gehört, mit dessen Tod und damnatio memoriae der mühsam errungene Titel freilich gleich wieder verlorenging. Doch dem Nachfolger Elagabal verdankte Ephesos bald eine neue Schlagzeile: die 4. Neokorie.

Die Schlagzeile für unseren zu Ehrenden laute jedoch:

MVLTOS AD ANNOS

[1] Das Thema wurde schon einmal angeschnitten bei St. Karwiese, Groß ist die Artemis von Ephesos (1995) 118f.
[2] s. St. Karwiese in: RE Suppl. 12 (1970) 247, dagegen S.R.F. Price, Rituals and Power (1986) 214f.
[3] s. auch unten Anm. 21.
[4] vgl. ähnlich SNG Aulock 903. 3230. 4683/4. 5563; SNG Kopenhagen 430 und 574:38. In Ephesos selbst herrscht auf den übrigen Prägungen zwar sonst das charakteristische Macrinus-Porträt (vor allem mit der mehr oder minder eingesattelten Nase) vor, doch taucht auch die plumpe Nase auf: SNG Lewis (Cambridge) 1451 und Paris, Bibl.Nat. 864 (Mionnet 365).
[5] s. dazu den Beitrag von E. Specht in dieser Festschrift.
[6] Auch ein für 3 Kaisertempel wäre noch möglich.
[7] Solche begegnen bei Macrin eigentlich nur noch auf unseren Emissionen, besonders der 2.
[8] vgl. auch Anm. 21.
[9] SNG Aulock 2024 (= D.R. Sear, Greek Imp.Coins [1982] 4320) und M.J. Price - L.B. Trell, Coins and Cities (1977) Abb. 440.
[10] vgl. dazu St. Karwiese in: Steine und Wege. Festschrift für Dieter Knibbe, SoschrÖAI 32 (1999) 68. 75.
[11] BMC 17 (1906) 227; Sear a.O. 2592 und Price - Trell a.O. Abb. 23 (Berlin und Boston: ex Niggeler 2 [1966] 639, ex Naville 10 [1925] 723).
[12] Price - Trell a.O. 25 (ähnlich auch Sear a.O.).
[13] vgl. dazu BMC a.O. 313ff.
[14] Wohl nach 211, da Caracalla allein auftritt, und der Stadttitel erhalten blieb.
[15] Für die Darstellung der baulichen Anlage gibt es einen guten Vergleich auf einem Sesterz des S. Alexander (BMC 208) mit Praecinct des Jupiter.
[16] s. Anm. 2, ihm folgte der Bearbeiter des Aukt. Kat. Sternberg 11.
[17] s. dazu Johann. Lyd., de mensibus 4. 10.
[18] IvE 802, s. dazu Karwiese a.O. (Anm. 1).
[19] s. dazu C.P. Jones, The Olympieion and the Hadrianeion in Ephesus, JHS 93, 1993, 149ff. und S.J. Friesen, Twice Neokoros, Ephesus, Asia and the Cult of the Flavian Imperial Family, EPRO 116 (1993).
[20] s. dazu St. Karwiese in P. Scherrer (Hrsg.), Ephesos. Der Neue Führer (1995) 186.
[21] Außerhalb bloß in Kyzikos und Sardes (letzteres anscheinend nur bei Diadumenian) belegt.

© Stefan Karwiese, Wien
e-mail:
skarwies@oeai.univie.ac.at

This article will be quoted by St. Karwiese, Eine Neokorie für Macrinus in den ephesischen Schlagzeilen, in: Altmodische Archäologie. Festschrift für Friedrich Brein, Forum Archaeologiae 14/III/2000 (http://farch.net).



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