Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 5 / XII / 1997

NEUE AUSGRABUNGEN IM RÖMISCHEN AUXILIARKASTELL MAUTERN - FAVIANIS UND IM ÖSTLICHEN LAGERVICUS (NIEDERÖSTERREICH)


Abstract
New excavations in the Roman fort and military vicus of Mautern - Favianis (Austria)
The Favianis fort (Mautern a. d. Donau, Lower Austria) was part of the Roman frontier fortification along the Danube (Norican limes). The fortress increased its importance especially in Late antiquity (4./5. cent. AD), when Roman military forces were stationed and the presence of the St. Severin is mentioned.
The dating of the several periods of the fort and the extension of the specific fortification systems were discussed up to now, because of the lack of excavations in the inner part of the fort. The aim of the 1996´s excavations in the inner part of the fort was to gain a clear chronology for the place. In 1997 the Austrian Archaeological Institut started excavations in the eastern military vicus of Favianis.
In an area of only 50 m2 in 1996 the remains of six roman periods and one medieval building structure have been found. Roman military presence started in the investigated area with two V-shaped ditches belonging to the first fort with inner timber buildings (Phase 1). After filling up the ditches they were overbuilt by barracks of the second fort, which was enlarged to the south (Phase 2). Two almost identic structures of barracks, belonging from the mid second to the mid third century (Phase 3 and 4), were parts of the forts` inner buildings (retentura). In the middle of the third century (in AD 251 coin-dated) these barracks have been destroyed by fire, a layer of destruction covers the whole area (end of Phase 4). At the end of the third century resp. in the beginning of the fourth century the barrracks were rebuilt, what can probably be seen in context with the station of new military forces, the legio I noricorum (Phase 5). Two Late antique Phases reach out to the second half of the fifth century (Phase 5 and 6).
As a result of 1996`s excavation we have now, at least for the examined area, a precise chronology from the very first beginning of the Roman fortification to the end of Roman settlement within the walls of the fort Favianis. Questions concerning the extension or building structures of the specific forts could therefore be cleared or newly discussed.
The 1997`s researches in the eastern military vicus revealed large structurs of timber buildings. Most of them belong to the earliest vicus in the environement of the fort. These houses date from the second half of the first to the beginning of the second century, i.e. they probably were part of the first military vicus near to the fort in Phase 1.

Abb. 1: Der österreichische Donaulimes (Nach: M. Kandler - H. Vetters, Der römische Limes in Österreich [1986])

Das römische Auxiliarkastell Favianis (1.-5. Jh. n. Chr.) liegt im Osten des österreichischen Donaulimes. Es befindet sich am Ausgang der Wachau zwischen dem westlich gelegenen Kastell Arelape (Pöchlarn) und Augustianis (Traismauer) donauabwärts (Abb. 1). Das Lager wurde auf einer leicht erhöhten Flußterrasse in überschwemmungsgefährdetem Donauauwald errichtet. Bestimmend für die Anlage, im Zuge des norischen Limesausbaues, waren topographische Faktoren und der Verlauf einer wichtigen Nord-Süd-Handelsroute.

Für die Frühzeit des Lagers ist die Stationierung der cohors II Batavorum wahrscheinlich, nach 140 n. Chr. dürfte sie durch die cohors I Aelia Brittonum milliaria ersetzt worden sein. In der Spätzeit ist die Belegung mit Teilen der legio I Noricorum überliefert. Favianis erlangte vor allem in der Spätantike durch die Anwesenheit des hl. Severin als Restkastell bzw. -siedlung der romanisierten Bevölkerung große Bedeutung. Nach dem Tode des hl. Severin 482 n. Chr. und dem Abzug der Romanen verlor der Platz rasch an Bedeutung, frühmittelalterliche Funde bezeugen erneute Siedlungstätigkeit ab dem 8. Jh. n. Chr.

1996 fanden im Auftrag des Bundesdenkmalamtes sowohl im Kastellinneren als auch in den Randbereichen mehrere Grabungen des Österreichischen Archäologischen Instituts statt. 1997 begannen die Untersuchungen im östlichen Lagervicus (Abb. 2).

Abb. 2: Die Grabungen des Österreichischen Archäologischen Instituts in Mautern-Favianis 1996 und 1997. 1 = Grabungen in der Frauenhofgasse und Melkerstraße 1996; 2 = Untersuchungen (Wasserleitungskünetten) im Nordteil des Kastells 1996 und 1997; 3 = Grabungen im östlichen Lagervicus 1997 (Planvorlage: V. Gassner, Mautern - Favianis. In: H. Friesinger & F. Krinzinger (Hrsg.), Der römische Limes in Österreich (Führer), 1997, 209)

Erstmals in der Forschungsgeschichte des römischen Mautern bot sich 1996 die Möglichkeit, flächige Ausgrabungen im Inneren des Kastells durchzuführen (Frauenhofgasse, Melkerstraße). Ziel dieser Untersuchungen war eine Klärung der bis dahin stark diskutierten Kastellgeschichte bzw. Periodisierung der einzelnen Kastellphasen. Aufgrund der relativ ungestörten Befundlage konnten sechs antike bzw. spätantike Horizonte (Perioden 1-6) und ein frühmittelalterlicher Siedlungsbefund (Periode 7) differenziert werden.
Die Grabungen ergaben einerseits eine sehr klare Chronologie für die Grabungsplätze und andererseits wichtige neue Aufschlüsse über die Baugeschichte bzw. Morphologie des Kastells in Mautern.
Als früheste Baumaßnahmen konnten Teile der Innenbebauungen und der Befestigungsanlagen (Abb. 3) des ersten Holz/Erde-Lagers ergraben, und somit dieses überhaupt lokalisiert werden (Periode 1). Es zeigte sich deutlich, daß dieses erste Kastell im Bereich einer Geländekante im Norden begonnen und noch vor der Frauenhofgasse geendet haben muß. Daraus ergibt sich eine NS-Ausdehnung von ca. 100-130 m. Ein frühes Holz/Erde-Lager bzw. kaiserzeitliche Kastellinnenbauten konnten in den Erdprofilen nördlich der Geländekante nicht angetroffen werden. Die Anlage des Holz/Erde-Lagers fällt in die 2. Hälfte des 1. Jhs. n. Chr.

Abb. 3: Erdprofil mit dem Spitzgraben des frühesten Holz/Erde-Lagers von Mautern und entsprechender dreidimensionaler Umzeichnung

Dieses kleinere frühe Kastell dürfte in trajanisch/hadrianischer Zeit, entweder überhaupt zuerst mit Holzgebäuden oder aber nur teilweise mit Holz- und teilweise mit Steingebäuden, nach Süden erweitert worden sein (Periode 2). Der Verlauf der südlichen Kastellmauer entspricht jenem der mittelalterlichen Befestigungsanlage und liegt nur 20 m südlich der Grabung Frauenhofgasse. Die neue Nordsüd-Ausdehnung des Kastells betrug demnach ca. 180 m, womit das Lager annähernd quadratisch mit einer Seitenlänge von ca. 180 m war (Gesamtfläche ca. 3,6 ha).
Im 2. und 3. Jh. n. Chr. ist eine Abfolge von drei Kastellperioden zu beobachten (Perioden 2-4). Da in dem Zeitraum von trajanisch/hadrianischer Zeit bis etwa zur Mitte des 3. Jhs. die Baumuster der errichteten Mannschaftsbaracken nahezu ident sind, liegt der Schluß nahe, daß diese mit der Funktion bzw. der Besatzung (Stammeinheit cohors I Aelia Brittonum milliaria) des Auxiliarkastells im Zusammenhang zu sehen sind. In den oben angeführten Zeitraum muß demnach auch die Anlage der Kastellmauer und eines in der Wasserleitungskünette (Kremserstraße) angeschnittenen Lagertores gefallen sein. Die völlige Wegplanierung der Baustrukturen des späten 2. Jhs. n. Chr. (Periode 3) läßt auf größere Umbauten schließen. Es konnte weder in der Kremserstraße noch in der Frauenhofgasse eine Brandschicht angetroffen werden, die eine Zerstörung des Kastells im Zuge der Markomannenkriege anzeigt.
Gegen Mitte des 3. Jhs. n. Chr. wurden die Mannschaftsbaracken in der Grabung Frauenhofgasse, im Süden des Kastells, durch ein Feuer bzw. eine Brandkatastrophe zerstört und danach nicht mehr nach dem selben Schema wiederaufgebaut (Periode 4). Der Brand muß rasch um sich gegriffen haben, es blieb keine Zeit für die Soldaten, ihr Habe in Sicherheit zu bringen (Abb. 4). Daraus könnte, mit aller gebotenen Vorsicht, auf eine flächige Zerstörung des Kastells im 3. Jh. n. Chr. geschlossen werden.
Die nun folgenden Gebäude wurden über einer teils mächtigen Aufschüttung bzw. Aufplanierung errichtet (Periode 5). Sie bestanden aus Holzarchitektur mit vertikalen Holzpfosten und Balkengräbchen. Die Anlage der neuen Gebäude erfolgte dennoch unter Bezugnahme auf bestehende Strukturen, wie es Pfostenlöcher in dem Steinsockelmauerwerk der kaiserzeitlichen Baracken beweisen. Dieser „Hiatus" in der Innenverbauung des Kastells könnte mit der Stationierung von neuen Truppenverbänden, der legio I Noricorum, unter Diokletian zusammenfallen.

Abb. 4: Mannschaftsbaracken in der retentura des Kastells aus der Mitte des 3. Jhs. n. Chr.
Abb. 5: Spätantiker U-förmiger Turm von Favianis

In der Spätantike wurde das Kastell durch einen Annex um ca. 120 m nach Norden erweitert. Die neue Länge betrug demnach ca. 300 m, die Breite blieb mit ca. 180 m gleich (Gesamtfläche ca. 5,4 ha). In die Spätantike fällt auch die Erbauung des U-förmigen Befestigungsturmes an der Nordwestflanke des Annexes (Abb. 5).
In der Grabung Frauenhofgasse ließen sich zwei spätantike Bauperioden unterscheiden. Während die erste noch unter Rücksichtnahme auf bestehende Strukturen erfolgt ist und eine flächige Verbauung vermuten läßt, hat die zweite spätantike Bauperiode eher den Charakter einer lockeren Bebauung im Siedlungsbereich (Periode 6). Es wurden Teile von Fundamentlagen aus Stein für ein Gebäude ergraben und ansonsten hauptsächlich Gruben bzw. Gehniveaus freigelegt. Zu diesem Zeitpunkt gab es im untersuchten Areal keine planimetrische Verbauung mehr. Das bis dato gesichtete Fundmaterial deutet auf einen Zeithorizont ab der zweiten Hälfte des 4. Jhs. n. Chr. bis in das fortgeschrittene 5. Jh. n. Chr. Damit entspricht die Periode 6 dem jüngsten Horizont in den spätantiken Gräberfeldern von Mautern. In dieser Zeit könnten sich somit archäologische und historische Quellen treffen, die für die Spätzeit von Favianis das Wirken des hl. Severin überliefern und die Bedeutung der Stadt als Fliehburg der Romanen hervorstreicht. Dem entspräche auch eine Vergrößerung des Stadtareals, da die Bevölkerung sicher in der durch Mauern befestigten Stadt Schutz gesucht hat.

Abb. 6: Die Grabungen 1997 im östlichen Lagervicus von Mautern (Blick von Osten). Im Bereich des Kirchturmes befand sich das Kastell Favianis
Abb. 7: Erdkeller mit holzverschaltem Brunnenschacht im östlichen Lagervicus von Mautern

Die 1997 begonnenen Grabungen im östlichen Lagervicus brachten auf einer Fläche von 1.100 m² Baustrukturen einer frühen Vicusverbauung mit Holzhäusern zutage (Abb. 6). Entlang einer Straßenkreuzung befanden sich auf parzelliertem Gebiet streifenartige Hauskomplexe mit Erdkellern, Balkengräbchen, Pfostenlöchern, Feuerstellen und Brunnen. Bemerkenswerte Befunde sind ein Erdkeller mit holzverschaltem Brunnenschacht (Abb. 7), Feuerstellen aus Lehm und zahlreiche Latrinen im Westteil der Grabungsfläche. Von hervorragender Bedeutung für die Siedlungs- und Kastellgeschichte des römischen Mauterns sind die große Zahl datierender Fundkomplexe aus den Grabungen. Das Fundmaterial aus den Häusern der ersten Bauphase im östlichen Lagervicus erwies sich, nach derzeitigem Stand der Grabungen, als einheitlich. Es datiert in das fortgeschrittene erste bzw. beginnende 2. Jh. n. Chr. und dürfte damit in die Zeit des frühesten Holz/Erde-Kastells (Periode 1) bzw. der ersten Kastellerweiterung (Periode 2) fallen.
In der Folge wurde die Siedlung im östlichen Randbereich von Mautern verlassen und wahrscheinlich in der zweiten Hälfte des 2. Jhs. n. Chr. erneut überbaut. Die Anlage zahlreicher Gruben und einiger Baustrukturen datiert in diese Zeit. Partiell konnten noch die Reste einer weiteren, alle Befunde überlagernden Verbauung dokumentiert werde, deren zeitliche Stellung jedoch derzeit noch unklar ist. Die Grabungen im östlichen Kastellvicus werden 1998 fortgesetzt.


Zusammenfassung der neueren Literatur:
K. Genser, Der österreichische Donaulimes in der Römerzeit. RLÖ 33, 1986; H. Stiglitz, Mautern - Favianis. In: M. Kandler & H. Vetters (Hrsg.), Der römische Limes in Österreich (Führer), 1986, 134 ff; H. Zabehlicky, Untersuchungen im Nikolaihof (Parz. 55/2) in Mautern 1988 und 1989. Pro Austria Romana 40, 1990, Heft 1-3, 1 ff; H. Stiglitz & E. Schneider, Führer durch das römische Mautern an der Donau, Mautern 1991; H. Ubl, Die archäologische Erforschung der Severinsorte und das Ende der Römerzeit im Donau-Alpen-Raum. In: Severin zwischen Römerzeit und Völkerwanderung, Ausstellungskatalog 1992, 77; M. Pollak, Spätantike Grabfunde aus Favianis/Mautern. Mitt. der präh. Komm. der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 28, 1993; Chr. Ertel - V. Gassner - B. Cech - B.I.M. Schweder - E.M. Winkler, Archäologie und Denkmalpflege in Mautern. Grabung im Nikolaihof 1992. Carnuntum Jahrbuch 1992 (1993), 93 ff.; B. Cech, Frühmittelalterliche Funde aus dem Stadtgebiet von Mautern an der Donau, pol. Bezirk Krems, Niederösterreich. ArchA 77, 1993, 147 ff.; Chr. Ertel - S. Verginis - F. Schmidt-Dick, Projekt Mautern. Carnuntum Jahrbuch 1995 (1996), 181 ff.; Chr. Ertel, Alte und neue Grabungen im Kastell Favianis (Mautern). Archäologische Befunde 1950-1994. Fundberichte aus Österreich 34, 1995 (1996), 229 ff.; Chr. Ertel, Projekt Mautern. Arbeits- und Forschungsergebnisse 1995. Carnuntum Jahrbuch 1996 (1997), 227 ff.; V. Gassner, Mautern - Favianis. In: H. Friesinger & F. Krinzinger (Hrsg.), Der römische Limes in Österreich (Führer), 1997, 208 ff; St. Groh, Mautern an der Donau - Kastell Favianis. Sonderdruck ÖJh 65, 1996 und 66, 1997, 39 ff., St. Groh, Die archäologischen Forschungen 1996 in Mautern an der Donau. PAR Jg. 45/46, 1995/96, 17 f., St. Groh, Mautern. FÖ 35, 1996 (1997), 501 ff.

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