Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 93 / XII / 2019

FUNDORT WIEN 22, 2019 – DER JAHRESBERICHT DER STADTARCHÄOLOGIE WIEN

Eine endneolithische Siedlung in Wien-Oberlaa und Radiolaritabbau im Lainzer Tiergarten
Auf einem bislang unverbauten Gebiet in Oberlaa-Grundäcker (Wien 10) ergab sich in den Jahren zwischen 2015 und 2019 für die Stadtarchäologie Wien die Gelegenheit, Rettungsgrabungen durchzuführen. Dabei konnten die Reste einer ausgedehnten endneolithischen (spätkupferzeitlichen) Siedlung der sog. Kosihy-Čaka/Makó-Kulturgruppe aufgedeckt werden, die etwa um 2400 v.Chr. bestanden hat (Abb. 1). Ein Glücksfall, denn großflächigere Siedlungsreste konnten bislang kaum dokumentiert werden.
Die naturräumlichen Gegebenheiten im Liesingbachtal, und hier konkret an den südseitigen Abhängen des Laaer Berges, begünstigten eine breit ausgerichtete landwirtschaftliche Lebensweise. Von dieser zeugen der Nachweis von Getreidekörnern und auch der Fund einer gedörrten Wildapfelhälfte. Unter den Haustierarten dominierte eindeutig das Rind. Neben zahlreichen Gruben unterschiedlicher Form und Funktion ließen sich hier – generell für die Kupferzeit selten belegte – Pfostenbauten nachweisen. Gerade die exakt kreisförmig angeordneten Pfostenstellungen sind in Mitteleuropa kaum bekannt. Das reichhaltige Fundmaterial setzt sich aus charakteristischer Keramik (Abb. 2), Spinnwirteln, Tongewichten und einem Pfriem bzw. einer Ahle aus Kupfer sowie Silexobjekten zusammen.

Das Rohmaterial einiger dieser Steinwerkzeuge stammt aus der sog. St. Veiter Klippenzone. Durch Begehungen der letzten Jahre im Lainzer Tiergarten und eine kleine Ausgrabung am Gemeindeberg (Wien 13) konnten bereits viele Abbau- bzw. Schlagplätze dokumentiert werden. Diese zeigen jetzt schon eindrücklich, dass das Vorhandensein des begehrten Rohstoffs Radiolarit den Raum Wien im Neolithikum zu einer überregional bedeutenden „Bergbauregion“ machte.

Der Legionsstandort Vindobona in seinen Anfängen
Ein Aspekt der Grabungen anlässlich des Umbaus der Feuerwehrzentrale Am Hof 10, die in den Jahren 2008 und 2009 stattfanden, betrifft die Frühzeit des Legionslagers. Es gelang, einen Ausschnitt des die Westseite schützenden Erdwalls zu untersuchen. Gleichzeitig mit diesem entstand eine Batterie von vier überdachten kreisrunden Backöfen, die von der via sagularis aus beschickt wurden und ein schönes Beispiel für die sorgfältig geplante Versorgung der Soldaten darstellen (Abb. 3). Die vorgelegten geschlossenen Fundkomplexe aus den Planierungen und Aschelagen unterhalb des Walls sind daher in Zusammenhang mit der Errichtung des Legionslagers 97/98 n.Chr. zu sehen. Das einplanierte Material stammte höchstwahrscheinlich aus den einzigen, zu dieser Zeit in der näheren Umgebung bestehenden römischen Strukturen, dem Auxiliarkastell der ala I Flavia Britannica oder dessen angrenzenden vicus im Bereich der heutigen Freyung bzw. des Schottenklosters. Diese Reitereinheit war nachweislich etwa ab 90 n.Chr. in Vindobona stationiert.

Antefixe von Vindobona
Vielleicht schon zeitgleich mit der 13. Legion, spätestens aber mit deren Abzug 101 n.Chr. übernimmt die legio XIIII gemina Martia victrix den Ausbau des Legionslagers. Die benötigten Unmengen an Ziegeln wurden im heutigen 17. Wiener Gemeindebezirk, in Hernals, produziert. Bei der Ausgrabung im Jahr 2017 in der Steinergasse 17, bei der eine große Trockenhalle unweit der Ziegelbrennöfen freigelegt wurde, kam in einer massiven Ziegelschuttlage auch eine große Menge an verworfenen Antefixen zutage. Die nunmehr verdoppelte Anzahl bekannter Exemplare für den Raum Vindobona bot den willkommenen Anlass, die Fundgattung wieder einmal zusammenfassend vorzulegen (Abb. 4). Motive wie Adler, Löwe, Medusenhaupt oder der Typ der tragischen Maske sowie die Stempel der 14. Legion und der ihr nachfolgenden legio X gemina geben deutliche Hinweise auf den Machtanspruch des römischen Militärs in den Provinzen.

Die mittelalterliche Vorstadt St. Niklas vor dem Stubentor (Wien 3)
Vorstädte konzentrierten sich generell entlang der wichtigsten Ausfallstraßen und dienten als erweiterte Wohn- und Versorgungsbereiche des Zentrums. Im Mittelalter erhielten sie oft auch eine eigene Befestigung. Die Vorstadt vor dem Stubentor entwickelte sich an der nach Ungarn führenden Landstraße. Dort wurde auch das erste Zisterzienserinnenkloster auf dem Gebiet des heutigen Österreich gegründet (vor 1228 gestiftet) (Abb. 5), das jedoch bei der Belagerung durch die Osmanen 1529 zerstört und nicht wieder aufgebaut wurde. Die Existenz von Kloster wie Befestigung ist uns durch Bild- und Schriftquellen überliefert. Aussagen zur genauen Lage und zum Aussehen sind jedoch nur mittels archäologischer Nachweise möglich. Der 20m breite und 3m tiefe, um die befestigte Vorstadt verlaufende Sohlgraben etwa konnte vor ein paar Jahren nahe dem Rochusmarkt dokumentiert werden. Die Auswertung von Grabbefunden (Abb. 6), welche schon 1995 im Zuge von Umbauarbeiten im Hof des Hauses Siegelgasse 1 zutage kamen, gibt einen weiteren einschlägigen Hinweis. Die 16 identifizierbaren Gräber dürften Teil des Friedhofs des Zisterzienserinnenklosters gewesen sein, welcher unweit der einstigen Klosterkirche situiert war. Die gestreckte Armhaltung, das weitgehende Fehlen von Beigaben sowie die Graborientierung (Ost-West) legen eine hochmittelalterliche Zeitstellung nahe, welche durch Radiokarbondatierung bestätigt werden konnte. Die Bestattungen stammen somit aus der Frühzeit des Klosters.


Fundort Wien. Berichte zur Archäologie 22/2019
Aufsätze
Martin Penz/Marianne Kohler-Schneider/Ilona Szunyogh/Sigrid Czeika, Erste Forschungsergebnisse zur endneolithischen Siedlung in Wien-Oberlaa
Martin Mosser, Die Antefixe von Vindobona
Kristina Adler-Wölfl/Martin Mosser mit einem Beitrag von Sabine Jäger-Wersonig, Zum Beginn des Legionslagers Vindobona
Heike Krause, Die Vorstadt St. Niklas vor dem Stubentor und das Zisterzienserinnenkloster St. Maria. Ausgrabungen in Wien 3, Siegelgasse 1 und Rasumofskygasse 29–31
Sylvia Kirchengast/Elisa Praxmarer, Anthropologische Analyse der menschlichen Skelettreste der Ausgrabung in Wien 3, Siegelgasse 1

Tätigkeitsberichte
Martin Mosser, Archäologische Voruntersuchungen im Umfeld der künftigen U-Bahn-Station Frankhplatz (Wien 9)
Sabine Jäger-Wersonig/Heike Krause/Ingeborg Gaisbauer/Werner Chmelar/Kinga Tarcsay, Ein Gasthaus vor dem Linienwall. Archäologische Untersuchungen in Wien 5, Matzleinsdorfer Platz im Vorfeld des U-Bahn-Ausbaus (U2/U5)
Sylvia Sakl-Oberthaler, Lampen aus Vindobona – „Funde online“
Ingrid Mader/Sabine Jäger-Wersonig/Ingeborg Gaisbauer/Werner Chmelar, Archäologische Untersuchungen im Hof der ehemaligen K. K. Telegrafenzentrale am Börseplatz 1 in Wien
Oliver Schmitsberger/Martin Penz, Hornstein, Halden, Hammersteine – Vierter Vorbericht zur Prospektion im Lainzer Tiergarten im Rahmen des Projekts „BergbauLandschaftWien“

Fundchronik
Wien 1, Börseplatz 1 (Sabine Jäger-Wersonig)
Wien 1, Dr.-Karl-Lueger-Platz/Postgasse (Künettengrabung) (Martin Mosser)
Wien 1, Fleischmarkt 20–28 (Künettengrabung) (Martin Mosser)
Wien 1, Liliengasse/Weihburggasse/Singerstraße (Künettengrabung) (Martin Mosser)
Wien 1, Lugeck/Rotenturmstraße/Lichtensteg (Künettengrabung) (Martin Mosser)
Wien 1, Mölker Bastei 8 (Martin Mosser)
Wien 5, Matzleinsdorfer Platz, vor Nr. 1 (Sabine Jäger-Wersonig)
Wien 7, Mariahilfer Straße 50–56/Kirchengasse 1 (Künettengrabung) (Kristina Adler-Wölfl)
Wien 9, Frankgasse/Haulerstraße/Frankhplatz/Alser Straße/Garelligasse und Otto-Wagner-Platz (Künettengrabungen) (Martin Mosser)
Wien 10, Grundäckergasse 14–20 (Martin Penz)
Wien 11, Enkplatz 4 (Kristina Adler-Wölfl)
Wien 13, Gemeindeberg (Hanschweg) (Michael Brandl/Martin Penz/Oliver Schmitsberger)
Wien 13, Lainzer Tiergarten (Südost-Bereich) – St. Veiter Schütt, Saulackenschütt, Saulackenmais, Inzersdorfer Wald (Martin Penz/Oliver Schmitsberger)
Wien 22, Seestadt Aspern (Martin Penz)

FWien 22/2019
Kartoniert. 29,7 x 21 cm
312 Seiten mit zahlreichen farbigen Abbildungen und Plänen
Einzelpreis: 34,– Euro, Abonnementpreis: 25,60 Euro
ISBN 978-3-85161-216-5. ISSN 1561-4891
E-Book (PDF-Format) Gesamtpreis: 30,– Euro, Einzelartikel: 2,60–14,40 Euro
ISBN 978-3-85161-217-2. ISSN 1561-4891
Schriftentausch: gertrud.mittermueller@stadtarchaeologie.at
Auslieferung/Vertrieb: Phoibos Verlag, Anzengrubergasse 16, 1050 Wien, Austria, E-Mail: office@phoibos.at, Web: www.phoibos.at

© Museen der Stadt Wien – Stadtarchäologie
e-mail: o@stadtarchaeologie.at

This article should be cited like this: Museen der Stadt Wien – Stadtarchäologie, Fundort Wien 22, 2019 – Der Jahresbericht der Stadtarchäologie Wien, Forum Archaeologiae 93/XII/2019 (http://farch.net).



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