Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 89 / XII / 2018

FUNDORT WIEN 21, 2018 – DER JAHRESBERICHT DER STADTARCHÄOLOGIE WIEN

Der Jahresbericht der Stadtarchäologie Wien hat wieder ein vielfältiges Themenspektrum zu bieten.

Waldglas oder venezianische Ware – Glashüttenstandorte in Wien
So gehörte etwa Glas, sei es als edles Tischgeschirr oder für kosmetische bzw. medizinische Verwendung, als Beleuchtungskörper oder in Form von Fensterglas, zu den teuer gehandelten Luxusgütern. Rezepturen und Herstellungstechniken waren gewöhnlich streng gehütete Geheimnisse. Kein Wunder, dass es den Landesherren ein Anliegen war, Glashütten in ihrem Herrschaftsgebiet zu etablieren (Abb. 1). Dies gilt auch für Wien im späten Mittelalter und zu Beginn der Neuzeit. Diesem offenkundig schwierigen Unterfangen wird anhand der schriftlichen und bildlichen Quellen und natürlich der archäologischen Hinweise nachgegangen. Letztere lassen übrigens auch schon für die Römerzeit Glasöfen, etwa am Judenplatz, belegen. Mit Hilfe der jüngst erfolgten, das heutige Stadtgebiet betreffenden Rekonstruktionen der Donaulandschaften vor allem für das 16. und 17. Jahrhundert ist es nun besser möglich, archivalisch überlieferte Glashütten, die große Mengen an Rohstoffen wie Wasser und Holz benötigten, aber auch wegen der Brandgefahr abseits damaliger Siedlungsbereiche liegen sollten, zu verorten.

Baugeschichtliches und Archivalisches zur neuzeitlichen Befestigung Wiens und zu St. Severin
Sowohl in den Kellern des wegen seiner Beethoven-Gedenkstätte bekannten Pasqualatihauses auf der Mölker Bastei als auch an den Außenfassaden der Pfarrkirche in Sievering ergab sich aufgrund von Bau- und Restaurierungsarbeiten die Gelegenheit zu baugeschichtlichen, z.T. auch archäologischen Untersuchungen. Das Pasqualatihaus fußt sozusagen auf den Mauern der ehemaligen Kurtine, ja sogar auf einem Rest der mittelalterlichen Stadtmauer. Ein unterirdischer rampenartiger Gang diente u.a. zum Transport schwerer Geschütze und es hat sich auch ein Pferdestall späterer Zeit im Keller erhalten (Abb. 2 und 3). Die ausführliche Analyse der Schrift- und Bildquellen in beiden Beiträgen untermauert und ergänzt die Resultate. Sie bietet darüber hinaus tiefere Einblicke z.B. in die finanziellen und technischen Schwierigkeiten beim Bau der Mölker Bastion und die interessante Geschichte zu den Besitzern anlässlich der allmählichen Verbauung mit Häusern, nachdem die militärische Zweckbestimmung weggefallen war. Am Beispiel der Severinskirche wiederum wird deutlich, wie sehr der gotische Bau von den restauratorischen Vorstellungen des Historismus überprägt wurde.

Brennpunkt römische Legionsziegeleien
In Hernals, Steinergasse 17, wurden nur wenige Meter von den bereits bekannten Ziegelbrennöfen entfernt die Reste einer großen Trocknungshalle und eines Holzgebäudes ausgegraben, wodurch sich die Strukturen innerhalb des römischen Ziegeleigeländes, das sich bis ans Ufer des Alser Baches erstreckte, noch besser veranschaulichen lassen. Die Halle selbst wurde mehrfach umgebaut und offenbar wie die Öfen spätestens Mitte des 3. Jahrhunderts aufgegeben. Zahlreiche Wagenspuren zeugten vom regen An- und Abtransport der rohen Ziegel. Mehr als 1700 Neufunde an gestempelten Exemplaren stellen einen gewaltigen Zuwachs für die Ziegeltypologie von Vindobona dar. Darunter befindet sich auch ein later der in Klosterneuburg stationierten cohors I Aelia milliaria Sagittaria equitata, wobei der Scherbentyp nahelegt, dass die Kohorte womöglich ebenfalls in der Hernalser Legionsziegelei produzieren ließ (Abb. 4).

LATINVS und die LEGIO XIIII
In engem Zusammenhang mit den Legionsziegeleien muss auch der Töpfer LATINVS gestanden haben, abzulesen an zwei Neufunden von gestempelten Reibschüsselfragmenten in Wien 17, Hernalser Hauptstraße 59–63 sowie Wien 3, Rennweg 52 (Abb. 5), die sich recht eindeutig mit zwei Altfunden aus dem Jahr 1904 in Wien 1, Wildpretmarkt/Bauernmarkt korrelieren lassen. Die Rekonstruktion aller Merkmale ergibt formgleiche Reibschüsseln mit durchschnittlich 33 cm Durchmesser von lokalem Scherbentyp (Hernalser Tonlagerstätten), die beiderseits des Ausgusses und quer zum Kragenrand jeweils zwei Stempel, nämlich LATINVS FEC / FEC und LEG / XIIII tragen. Der Namenstempel kann dabei in der Länge variieren, da der Kragenrand nicht ausreichend Platz bot. Wie sich das durch die Stempelung angegebene Verhältnis zwischen Töpfer und Militär gestaltete – ob er selbst in militärischem Rang, als Veteran oder vielleicht als Privatperson im Dienst der Truppe stand –, muss offenbleiben. Fest steht allerdings, dass er nach den archäometrischen Analysen in Vindobona produzierte, und zwar gemäß Legionsstempel mindestens im Stationierungszeitraum der 14. Legion (101–114/118 n.Chr.). Für die zeitliche Stellung des Reibschüsseltyps ist nach einer kursorischen Überprüfung des Fundkomplexes der Reibschale vom Rennweg eine Verwendung bis zur 1. Hälfte, nach der Terra Sigillata sogar ins 1. Viertel des 2. Jahrhunderts gegeben.

Aus dem Spätneolithikum
Aus dem seit Jahrtausenden besiedelten Gebiet zwischen Simmeringer Hauptstraße und Sängergasse in Wien 11 sind neue Funde auf dem Areal der ehem. Ariadne Draht- und Kabelwerke zu verzeichnen. Die Hockerbestattung eines nach der anthropologischen Bestimmung weiblichen, zwischen 30 und 50 Jahre alten Individuums konnte der klassischen Phase der Badener Kultur zugeordnet werden. Dies gelang weniger aufgrund der Beigaben – zwei Silexpfeilspitzen (Abb. 6), ein Hornsteinabschlag und Reste eines Schmucks oder Trachtbestandteils in Form von durchlochten Schneckenhäusern –, sondern über die Radiokarbondatierung eines Knochenfragments vom Schädel. Spuren eines umlaufenden Gräbchens und eine verstürzte Steinlage könnten als hölzerne, von einer Steinpackung überdeckte Grabkammer zu interpretieren sein. Unweit dieses Grabes wurden etwas jüngere spätneolithische Grubenkomplexe dokumentiert, die Keramikfragmente der Kosihy-Čaka-Makó-Gruppe enthielten, einer endneolithischen (kupferzeitlichen) bzw. frühbronzezeitlichen Kulturgruppe des Karpatenbeckens, die etwa im Zeitrahmen 2700 bis 2300 v.Chr. fassbar wird. Hervorzuheben sind die sehr seltenen architektonischen Nachweise dieser Periode, die in Wien-Oberlaa, an den Ausläufern des Laaer Berges Richtung Liesingbach zu Tage kamen, wo sich auf dem Grundstück Laaer-Berg-Straße 316 neben großen Vorrats-, Keller- und Arbeitsgruben einige kleine Pfostenbauten einer Siedlung fanden.



Fundort Wien. Berichte zur Archäologie 21/2018
Aufsätze
Kinga Tarcsay, Die Wiener Glashütten. Neue Quellen zur Glaserzeugung von der Antike bis in die Neuzeit
Heike Krause, Bauuntersuchungen an der Sieveringer Pfarrkirche St. Severin in Wien 19
Heike Krause/Paul Mitchell mit einem Beitrag von Martin Mosser, Das Pasqualatihaus auf der Bastei – Bauhistorische Untersuchung im Keller des Hauses Wien 1, Mölker Bastei 8
Martin Penz mit einem Beitrag von Aline Tarmann, Ein spätneolithisches Grab der Badener Kultur aus Wien 11, Csokorgasse 2
Rita Chinelli/Reinhold Wedenig mit Beiträgen von Sabine Jäger-Wersonig und Kristina Adler-Wölfl, Latinus fecit mortaria. Reibschüsseln mit Legionsstempel, hergestellt in Vindobona

Tätigkeitsberichte
Oliver Schmitsberger/Martin Penz, Klippen, Bergbau, Schlagabfälle – Neu entdeckte Radiolarit-Abbaustellen im Lainzer Tiergarten in Wien mit einem ersten Überblick über die Fundstellen in der „Bergbauzone Tiergarten“
Martin Mosser/Kristina Adler-Wölfl, Neues von der spätlatènezeitlichen Siedlung am Rochusmarkt – Die Grabungen in Wien 3, Kundmanngasse 21–27
Martin Mosser, Neues zur römischen Legionsziegelei in Hernals – Die Grabung Wien 17, Steinergasse 17

Fundchronik – Grabungsberichte 2017
Wien 1, Börsegasse 1–14 und Börseplatz 5–7 (Künettengrabung) (K. Adler-Wölfl)
Wien 1, Dominikanerbastei 12–24 (Künettengrabung) (M. Mosser)
Wien 1, Dr.-Ignaz-Seipel-Platz (M. Mosser)
Wien 1, Marc-Aurel-Straße vor Nr. 2–2A, Hoher Markt vor Nr. 5 und Nr. 8–9 (Künettengrabung) (M. Mosser)
Wien 1, Reitschulgasse 4 (M. Mosser)
Wien 1, Stephansplatz (S. Jäger-Wersonig)
Wien 3, Kundmanngasse 21–27 (K. Adler-Wölfl)
Wien 9, Währinger Straße 25A (Ch. Öllerer)
Wien 10, Laaer-Berg-Straße 316 (M. Penz)
Wien 11, Csokorgasse 2–10 (K. Adler-Wölfl/M. Penz)
Wien 13, Lainzer Tiergarten(Südost-Bereich) – Dorotheer und Inzersdorfer Wald (O. Schmitsberger/M. Penz)
Wien 17, Steinergasse 17 (M. Mosser)
Wien 21, Pius-Parsch-Platz (M. Schulz)
Wien 22, Seestadt Aspern – Cluster Ost II (M. Penz)

FWien 21/2018
Einzelpreis EUR 34,–. Abonnement-Preis EUR 25,60
ISBN 978-3-85161-199-1, ISSN 1561-4891
E-Book (pdf-Format)
Gesamtpreis EUR 30,–. Einzelartikel EUR 3,00–11,80
ISBN 978-3-85161-200-4, ISSN 1561-4891
Schriftentausch: gertrud.mittermueller@stadtarchaeologie.at
Auslieferung/Vertrieb: Phoibos Verlag, Anzengrubergasse 16, 1050 Wien, Austria, E-Mail: office@phoibos.at, Web: www.phoibos.at

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e-mail: o@stadtarchaeologie.at

This article should be cited like this: Museen der Stadt Wien – Stadtarchäologie, Fundort Wien 21, 2018 – Der Jahresbericht der Stadtarchäologie Wien, Forum Archaeologiae 89/XII/2018 (http://farch.net).



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