Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 89 / XII / 2018

FRÜHCHRISTLICH-APOKRYPHE BOTSCHAFT ODER DOCH NUR BANALE KRITZELEI? – ÜBERLEGUNGEN ZU EINER RÖMISCHEN GEMME

Als im Jahr 2015 die ersten archäologischen Aktivitäten auf dem 1445 m hohen Schöckl bei Graz unternommen wurden, war noch nicht vorherzusehen, dass knapp zwei Jahre später der Nachweis eines römerzeitlichen Höhenheiligtums erbracht werden würde. Trotz vereinzelter Keramik- und Münzfunde ab den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts, erschien der Gedanke an eine länger andauernde antike Besiedelung oder Benutzung des markanten Inselberges aufgrund topographischer Überlegungen als abwegig [1]. Erst im Zuge einer Baumaßnahme und den dabei zu Tage getretenen Fundstücken geriet der Schöckl in den Fokus der Forschung. Grabungen die an zwei Stellen im Bereich des Ostgipfels auf ca. 1423m ü.M. durchgeführt wurden zeigten, dass die dokumentierten römischen Aktivitätszonen eindeutig als Teil eines Heiligtums zu interpretieren sind [2].
Aufgrund der noch andauernden Untersuchungen, sind präzisere Angaben zu Ausdehnung und Struktur des Heiligtums nicht möglich. Nach derzeitigem Forschungsstand weisen die Überreste von römischem Mauerwerk und verstürzter Wandmalerei auf einen überdachten und auf der Kuppe des Ostgipfels gelegenen Kultbau hin. Desweiteren wurde auf einem 30m westlich davon entfernten Bereich der einer Doline, also einem natürlichen Karsteinbruch vorgelagert ist, der Vorplatz eines fanum dokumentiert. Grabungen im Bereich der annähernd kreisrunden und trichterförmigen Vertiefung, die möglicherweise eine natürliche Opfergrube und Zentrum dieses Heiligtums bildete, stehen noch aus. Bei dem davor angelegten Grabungsschnitt zeigte sich, dass zumindest zwei Schotterplanierungen im Zeitraum des 3. und 4.Jh. n.Chr. aufgebracht wurden, um eine ebene Fläche für die bewusste Platzierung von Weihegaben zu schaffen. Neben fragmentierten Terrakottafiguren und im Kontext der Kultausübung üblichen Bleivotiven fanden sich über 40 Münzen, die ein Prägedatum zwischen 260 und 361 n.Chr. aufweisen. Darüber hinaus wurden Schmuckstücke wie Glasarmreifen, ursprünglich zu Halsketten und Armbändern gehörige Glasperlen, Haarnadeln, Schmuckanhänger und mehrere Fingerringe geborgen [3]. Bei den Materialien die für die Ringe verwendet wurden reicht die Bandbreite von Glas, über Gagat bis hin zu Eisen. Ringe aus Bronze, Silber oder gar Gold fehlen bis jetzt. In diesem Zusammenhang verdient einer dieser Eisenringe besonderes Augenmerk.
Erst nach der Restaurierung zeigte sich die Zierlichkeit des geschmiedeten Schmuckstückes das einen Ringdurchmesser von nur etwa 1,5cm aufweist. Die handwerkliche Verarbeitung des Materials ist außerordentlich gut. Die Ringschiene ist im unteren Bereich rund gestaltet, wird zur Schulter hin leicht gekantet und mündet schließlich in die ovale etwa 3mm hohe Fassung des Ringes, die den Stein fixiert. Der Fassungsrand ist besonders sorgsam ausgarbeitet und schließt ebenmäßig und knapp unterhalb der Steinoberkante ab (Abb.1). Bei dem hellorangen Stein, der als Gemme gearbeitet wurde, handelt es sich sehr wahrscheinlich um einen Karneol, dessen Farbe sehr gleichmäßig ist und der lediglich einige kleine Einschlüsse aufweist. Dass qualitativ hochwertige Steine mit – aus unserer heutigen Sicht – unedlen Metallfassungen versehen wurden, ist ein in römischer Zeit häufig beobachtetes Phänomen [4].

Römische Ringe dieser Formgebung sind nicht sehr zahlreich im archäologischen Fundmaterial vertreten. Ein in seinem Aufbau und in seiner Feingliedrigkeit ähnlicher Eisenring [5] befindet sich unter den Funden von Augst. Bei diesem, der aus einer Schicht des 4 Jh. n.Chr. stammt, handelt es sich laut E. Riha [6] um ein nicht sehr häufiges Design, das noch aus dem Hellenismus übernommen wurde. Sie konstatierte, dass derartige Exemplare bis zur mittleren Kaiserzeit vorkommen. Die spätesten Ausprägungen dieser Form seien nicht über die 1. Hälfte des 3.Jhs. n.Chr. hinaus zu datieren [7].
E. Riha [8] vermutete auch, dass diese Ringe aufgrund der zierlichen Ausführung wohlvon Frauen bevorzugt wurden, wobei G. Dembski [9] darauf hinweist, dass gerade aufgrund fehlender einheitlicher Trageweisen in der Antike nicht zwangsläufig auf das Geschlecht der ursprünglichen Ringträger rückgeschlossen werden kann.
Eisenringe sind aufgrund der problematischen Erhaltungsbedingungen im Fundmaterial quantitativ meist unterrepräsentiert, waren in römischer Zeit jedoch weit verbreitet [10]. Zum Einen sollen Soldaten eiserne Fingerringe als Tapferkeitsauszeichnungen erhalten haben [11], zum Anderen waren während der Kaiserzeit Ringe aus Eisen bei Sklaven sehr verbreitet, wobei eine ausschließliche Beschränkung auf diese Bevölkerungsgruppe gerade in den Provinzen recht unwahrscheinlich ist. Zudem zeigt sich, dass im Verlauf der späteren Kaiserzeit derartige Ringe für bestimmte Anlässe wie Verlobungen, Hochzeiten, als Totenschmuck oder zwecks apotropäischer Wirkung angefertigt wurden. Jeweilige Themen lassen sich meist sehr gut anhand der dargestellten Motive auf den geschnittenen Steinen ableiten [12].
Bei dem Fundstück vom Schöckl ist das aber nicht so leicht. Im Zentrum des in etwa 6mm langen Steines befindet sich eine oval geschliffene Vertiefung. Davon ausgehend wurden Linien eingeschnitten, die auf der einen Seite v-förmig, auf der anderen Seite in Form eines Kreuzes ausgebildet sind. Ein konkreter Gegenstand lässt sich nicht erkennen.
Jedoch gibt es ein Symbol das mit der Darstellung auf dem Ring durchaus Ähnlichkeiten aufweist. Zu finden ist es auf einem Epitaph in der Domitilla-Katakombe in Rom. Bei der Grabverschlussplatte, die einer Christin zugeschrieben wird, fällt zuerst das sehr plakativ eingeritzte und von zwei Fischen flankierte Ankersymbol auf. Die sich rechts über dem Fisch befindende Ritzung fand dagegen weniger Beachtung und wurde beiläufig als Kreuz mit Sonnendarstellung interpretiert (Abb. 2) [13].

Man könnte dieses Symbol aber auch anders auslegen. Es ist kein Zufall, dass in christlichem Kontext abgebildete Fische, wie die in der Domitilla-Katakombe, mit dem frühchristlichen Akrostichis IXΘYC in Verbindung gebracht werden. Das griechische Wort IXΘYC für Fisch hatte eine magische Wirkung für die frühe Christengemeinde, da die einzelnen Buchstaben des Wortes wiederum die Anfangsbuchstaben folgender Worte ergeben: IHCOYC XPEISTOC ΘEOY YIOC CΩTHP. Übersetzt lautet dies: Jesus Christus, Gottes Sohn, Erlöser. Dieser Satz stellt damit ein frühes, christliches Glaubensbekenntnis dar und fand seinen Niederschlag in der zeitgenössischen Epigraphik ab dem 3.Jh. n.Chr.[14]. Betrachtet man unter diesen Gesichtspunkten das Symbol aus der Domitilla-Katakombe, so fällt auf, dass man die griechischen Buchstaben IXΘYC theoretisch so zu einem Monogramm bilden kann, das dieses genau wie die Ritzung auf der Grabverschlussplatte und auf der Gemme des Ringes aussieht (Abb. 3).

Eine solche Botschaft, die sich dem uneingeweihten Betrachter nicht sofort erschließt, wäre nicht unüblich im Repertoire frühchristlicher Glyptik, die ab dem 3.Jh. n.Chr. zunimmt [15]. Derartige Geheimbotschaften waren bewusst mehrdeutig konzipiert, was eine Auflösung aus heutiger Sicht stark erschwert [16]. Als Beispiel wäre diesbezüglich ein Ring mit der Inschrift „Pax“, bzw. „Lux“ aus Carnuntum zu nennen [17].
Dass Christen Ringe mit Siegelbildern trugen, geht schon aus der Überlieferung des Clemens von Alexandrien (150–215 n. Chr.) hervor [18]. Dabei ist jedoch nur die Rede von dargestellten Objekten. Unerwähnt bleiben Ringe mit dem Christusmonogramm, oder sogenannte gnostische Gemmen mit mystischer oder Unheil abwehrender Wirkung, die Weisheiten oder magische Worte beinhalten [19]. Dies mag dem Umstand geschuldet sein, dass Ringe letztgenannter Kategorie erst gegen Ende des 2.Jhs. und besonders im frühen 3.Jh. n.Chr. beliebt zu sein scheinen. Die frühesten Beispiele des Christusmonogramms sind überhaupt erst ab der Mitte des 3.Jhs. n.Chr. zu datieren [20]. Festzuhalten bleibt, dass sich die Buchstaben des Akrostichis IXΘYC durchaus thematisch für ein Siegelbild eignen und die ausgeschriebene Variante auch auf Gemmen anzutreffen ist [21].
Der Verfasser ist sich durchaus bewusst, dass die von ihm vorgeschlagene Deutung des Symboles Schwachpunkte aufweist. Bei antiken Monogrammen ist, abgesehen von Pseudoschriften, normalerweise keine Drehung der Buchstaben zu beobachten. Um alle Buchstaben unterzubringen müsste man aber das Θ um 45 Grad drehen. Auch würde demnach das Y bei der Ritzung aus der Domitilla-Katakombe auf dem Kopf stehen. Bei Monogrammen im Allgemeinen kommt noch erschwerend hinzu, dass man bei diesen Buchstabenverbindungen nicht den Anfangsbuchstaben erkennen kann und auch nicht klar ist wie oft sich manche Buchstaben wiederholen [22]. Ein endgültiger Beweis kann für die Interpretation also nicht erbracht werden. Es kann also auch sein, dass es sich um ein Monogramm handelt, das für den heutigen Betrachter undechiffrierbar bleibt.
Wenn auch unverstanden, könnte aufgrund der Ähnlichkeit mit dem Katakomben-Symbol der kleine Eisenring vom Schöckl trotzdem in frühchristlichen Kontext zu setzen sein und wäre damit nicht das einzige Fundstück dieses Fundplatzes, das in Verdacht steht, christlich geprägt zu sein. Die Funde von dem Weiheplatz beim Schöcklkopf entsprechen an sich zwar recht einheitlich dem römisch- paganen Kulthabitus des 3. und 4.Jhs. n.Chr., doch fällt ein Bleianhänger aus der Reihe, der eindeutig einen Fisch zeigt. Nach J. Engemann [23] der sich sehr intensiv mit der frühchristlichen Bildsprache auseinandergesetzt hat, sind Fischdarstellungen nicht automatisch als Sinnbilder für Jesus Christus zu interpretieren, doch gerade aus späten Benutzungsphasen von Heiligtümern sind christlich geprägte Votivgaben in Form von Amuletten oder Ringen öfters zu beobachten. Als bestes Beispiel wäre der bleierne Lunula-Anhänger aus der Mosel im Umfeld von Trier zu nennen, der mit einem Christogramm versehen worden war [24].
Überhaupt zeigten die Untersuchungen im Umland von Trier, dass sich gerade im 4.Jh. n.Chr. die Grenzen zwischen römisch-paganem Glauben und Christentum eher unscharf darstellen. Die aus Heiligtümern stammenden Einzelfundstücke deuteten daraufhin, dass Heiden wie auch Christen gleichermaßen an die magische Wirkung bestimmter Gegenstände und Riten glaubten und sich dementsprechend mit symbolhaften Objekten umgaben. Ein bestimmter Wankelmut in der Glaubensvorstellung der frühen Christen ist damit also durchaus bezeugt [25]. Der kleine Ring vom Schöckl könnte ebenfalls ein solches Zeugnis dafür sein.

Literatur
Bock – Goebel 1961
E. Bock – R. Goebel, Die Katakomben. Bilder aus der Welt des frühen Christentums ²(Stuttgart 1961)
Dembski 2005
G. Dembski, Die antiken Gemmen und Kameen aus Carnuntum, Archäologischer Park Carnuntum Neue Forschungen 1 (Wien 2005)
Engemann 1969
J. Engemann, RAC BVII (Stuttgart 1969) 959-1097 s.v. Fisch
Facsády 2009
R. Facsády A., Aquincumi Ékszerek, Jewellery in Aquincum (Budapest 2009)
Ghetta 2008
M. Ghetta, Spätantikes Heidentum. Trier und das Treverland, Geschichte und Kultur des Trierer Landes 10 (Trier 2008)
Lehner 2017
M. Lehner, Das römerzeitlich-spätantike Höhenheiligtum am Schöckl. Bericht zur Grabungskampagne 2017 (Lehrgrabung) https://static.uni-graz.at/fileadmin/gewi-institute/Archaeologie/Projekte/Schoeckl_2017_Grabung_Bericht_B.pdf (05.12.2018)
Nicolai u.a. 1998
V.F. Nicolai – F. Bisconti – D. Mazzoleni, Roms christliche Katakomben. Geschichte – Bilderwelt – Inschriften (Regensburg 1998)
Riha 1990
E. Riha, Der römische Schmuck aus Augst und Kaiseraugst, FiA 10 (Augst 1990)
Trobas 1998
K. Trobas, Der Schöckl. Geschichte und Geschichten vom Grazer Hausberg von der Vorzeit bis 1995 (Graz 1998)

[1] Trobas 1998, 140f.
[2] Lehner 2017, 1f.
[3] Lehner 2017, 19–21.
[4] Dembski 2005, 34.
[5] Riha 1990, Taf. 6, 93.
[6] Riha 1990, 31.
[7] Ähnlichkeiten bei der Steinfassung sind auch bei einem Eisenring aus Aquincum (Kat. 112) gegeben, der allerdings in die erste Hälfte des 4.Jhs. n.Chr. datiert wurde, s. Facsády 2009, 103.
[8] Riha 1990, 31.
[9] Dembski 2005, 33.
[10] Von den Steine tragenden Ringen aus Carnuntum ist die überwiegende Anzahl aus Eisen gefertigt worden, s. Dembski 2005, 35.
[11] Dembski 2005, 33.
[12] Dembski 2005, 34.
[13] Bock – Goebel 1961, 54.
[14] Engemann 1969, 1031.
[15] Dembski 2005, 47.
[16] Dembski 2005, 39.
[17] Dembski 2005, Taf. 115, 1119.
[18] Engemann 1969, 1026.
[19] Dembski 2005, 47.
[20] Nicolai u.a. 1998, 155.
[21] Engemann 1969, 1047.
[22] Nicolai u.a. 1998, 160.
[23] Engemann 1969, 959.
[24] Ghetta 2008, 151.
[25] Ghetta 2008, 284f.

© Robert Pritz
e-mail: robert.pritz@edu.uni-graz.at

This article should be cited like this: R. Pritz, Frühchristlich-apokryphe Botschaft oder doch nur banale Kritzelei? – Überlegungen zu einer römischen Gemme, Forum Archaeologiae 89/XII/2018 (http://farch.net).



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