Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 85 / XII / 2017

FUNDORT WIEN 20, 2017 – DER JAHRESBERICHT DER STADTARCHÄOLOGIE WIEN

Fundort Wien erscheint nun schon zum zwanzigsten Mal. Das Jubiläum ist Anlass, ein Register über sämtliche Beiträge einschließlich des aktuellen Bandes einzufügen.

Zur Bebauungs- und Parzellenstruktur der römischen Zivilsiedlung
Zwei Grabungen am Rennweg 52 und 73 erbrachten weitere Erkenntnisse zur Ausdehnung der an der Limesstraße gelegenen Streifenparzellen und ihrer mehrphasigen Bebauung. Am Rennweg 73 (Abb. 1) kam überdies eine befestigte Seitenstraße der Zivilsiedlung zutage. Bezüglich des jeweils reichhaltigen Fundmaterials soll für den Rennweg 52 exemplarisch auf eine gut erhaltene bronzene Pantherfibel (Abb. 2), das Fragment eines Medaillons mit Darstellung eines Silens samt zugehörigem Model, eine innerhalb Wiens nun zum 3. Mal vorliegende Reibschale des offenbar für die 14. Legion arbeitenden Töpfers Latinus sowie ein Terra-Sigillata-Bodenstück Drag. 33 hingewiesen werden, das mit dem Graffito VLPIA CRISPINA vielleicht sogar eine Bewohnerin der hier aufgedeckten römischen Gebäude überliefert. Die Besiedlung des Areals kann vom Ende des 1. Jahrhunderts n.Chr. bis spätestens in die erste Hälfte des 3. Jahrhunderts angesetzt werden, im Falle von Rennweg 73 endete sie wohl etwas früher. Beide Grundstücke wurden erst um 1800 wieder bebaut und haben eine abwechslungsreiche Nutzungsgeschichte vor allem als kleinindustrielle Betriebe hinter sich.


Spuren der Etrusker im 3. Bezirk?
Der Streufund einer ungewöhnlichen Goldnadel (Abb. 3) anlässlich der Ausgrabungen im Jahr 2016 am Rennweg 73 gibt Rätsel auf. Der bis auf die fehlende Spitze gut erhaltene Bronzeschaft endete – wie die Analyse des zusammengedrückten Kopfes ergab – in einem pyramidenförmigen Gebilde aus getriebenem Goldblech und war reich mit Granulation verziert. Diese Technik perfektionierten bekanntlich schon die Etrusker und es finden sich auch stilistisch entsprechende Nadeln. Auf welchem Wege wäre aber eine solche Nadel, die mit ihren fast 10 cm Länge als Haar- oder Gewandnadel gedient haben könnte, in den 3. Bezirk gelangt? Es wurden kunsthistorische Vergleiche angestellt und naturwissenschaftliche Analysen zu Handwerkstechnik sowie Oberflächenbestimmung des Goldgehalts herangezogen. Hierbei fiel das Urteil eher zugunsten des 19. Jahrhunderts aus. Tatsache ist, dass damals die historisierenden Tendenzen in allen Sparten des Kunstschaffens nicht zuletzt durch Ausgrabungsfunde stark befördert wurden. Das gilt besonders für die Goldschmiedefamilie der Castellani in Rom und später Neapel, die nicht nur als Sammler von Antiken über geeignete Vorbilder für die von ihnen angefertigten Juwelen in archäologisch-historisierendem Stil verfügten, sondern alte Techniken zu neuem Leben erweckten und durchaus auch Originale in eigene Kreationen einfügten. Ihrer Werkstatt ist die Wiener Nadel am wahrscheinlichsten zuzuschreiben.


Künettenbeobachtung als Längsschnitt durch die Stadtgeschichte
Da im Sommer 2016 in der Wiener Innenstadt anlässlich des Baus einer Fernwärmeleitung eine ca. 90 m lange und 1,20 m breite Künette vom nördlichen Teil des Bauernmarkts bis zum Fleischmarkt angelegt wurde, ergab sich die Möglichkeit, für die Stadtgeschichte bedeutende Befunde zu dokumentieren (Abb. 4). Die Aufgrabungen befanden sich im Bereich der im Mittelalter entstandenen und 1910/11 abgerissenen Gebäude des Dreifaltigkeits-, Lazen- und Fischhofs. Die ca. 700 Jahre alte Geschichte dieser Häuser gab Anlass, einen spannenden Abriss über deren Besitzer – darunter der Humanist Wolfgang Lazius – und Umbauten zusammenzufassen. Und wie zu erwarten war, wurden dort, wo die Hofbereiche der einstigen mittelalterlichen Gebäude verliefen, römische, mittelalterliche und neuzeitliche Strukturen vorgefunden. Bereits 1910/11 dokumentierte Josef H. Nowalski de Lilia im Zuge der massiven Abbrucharbeiten in diesem Areal einen Ost-West verlaufenden römischen Kanal. Eine Verknüpfung seiner Beobachtungen mit den nun vorgefundenen römerzeitlichen Strukturen lässt vermuten, dass ein Teil der entdeckten Relikte möglicherweise einem Zenturionenquartier einer Ost-West orientierten Mannschaftsbaracke zuzuordnen ist. Diese Kaserne lag dann wohl in der Praetentura, an der Via sagularis, westlich der Lagermauer.
Erwähnenswert ist auch die Entdeckung einer mächtigen, frühestens ins 13. Jahrhundert datierenden Gussmauer vor Fischhof 1A–2, die möglicherweise mit zwei weiteren Mauern zu einer mittelalterlichen Turmanlage mit inneren Raumteilungen gehörte.


Anthropologische „Nach“-Forschungen in der Johanneskirche in Unterlaa
Konservatorische Gründe machten die Bergung der über einen unterirdischen Schauraum zugänglichen Bestattungen notwendig, die anlässlich von Ausgrabungen 1974/75 im Kircheninneren entdeckt worden waren. Dabei wurden auch die darunterliegenden, bereits halb zerbröselten Erdsockel entfernt und eine flache Steinsetzung freigelegt, die vielleicht als Basis für einen Deckenpfosten des unter der Johanneskirche befindlichen römerzeitlichen Gebäudes gedient haben könnte. Die noch erhaltenen Skelettteile der fünf in zentraler Lage bestatteten Individuen, die 1976 und 2004 mittels 14C-Analyse beprobt worden waren und sich gut in die Errichtungs- und Nachfolgezeit der bestehenden Kirche ab der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts einfügen, wurden nochmals einer genaueren anthropologischen Untersuchung unterzogen. Auffallend war u. a. der vergleichsweise hohe Wuchs der unterschiedlich alten, soweit die Skelettreste es zuließen als Männer eingeschätzten Personen, wovon zwei deutlich ausgeprägte, wohl vom häufigen Reiten verursachte Merkmale aufwiesen.

Zwei Bronzenadeln vom Hügelgräberfeld im Halterbachtal
Die römerzeitlichen Hügelgräber aus dem 14. Gemeindebezirk am nordöstlichen Rand der Jägerwaldsiedlung sind allseits bekannt, wurden sie doch schon 1950 und 1961 von Alfred Neumann untersucht und mehrfach publiziert. Dass es bei diesem Anlass aber auch zur Aufdeckung von vier Grabhügeln einer früheren Zeitstufe kam, scheint in der Forschung weniger präsent zu sein. Aus einem davon, dem Grabhügel 20, der unter einer stark gestörten Steinpackung eine zentrale, noch rudimentär erhaltene Grabkammer aufwies, stammen zwei reich verzierte, ursprünglich mindestens 78 cm lange Bronzenadeln, deren Kopf und Schaft in zwei Stücken gegossen worden waren (Abb. 5). Die Autoren weisen sie dem Typ der überlangen jung- und späthügelgräberzeitlichen Nadeln mit Schaftknoten zu. Entgegen der Annahme Neumanns dürfte das Grab bei seiner Auffindung nicht beraubt gewesen sein, lagen doch die Nadeln parallel zu den Seitenwänden der Grabkammer. Die steingepflasterte Sohle und eine darüber aufgebrachte verfärbte Lehmschicht sowie die geringe Größe der Kammer lassen vermuten, dass es sich um das Körpergrab eines Kindes, das in ein mit den Nadeln fixiertes Leichentuch gewickelt war, gehandelt haben könnte.


Rätische Glanztonware – Hochwertige Gefäßkeramik
Auch in Vindobona wurde das dünnwandige, hart gebrannte und mit einem dunkelbraunen bis schwarzen, oft metallisch glänzenden Überzug versehene Luxusgeschirr geschätzt, wie Funde aus der Zivilsiedlung, den Canabae und dem Legionslager zeigen. Die aufwendig – z.B. mit Ratter- und Barbotinedekor – verzierte Ware wurde vom Beginn des 2. Jahrhunderts bis ins 3. Jahrhundert hauptsächlich in Rätien produziert und kam vermutlich auch über die Donau in den Wiener Raum. Dieses Tafelgeschirr wurde bald in Pannonien imitiert, erreichte jedoch nie dieselbe handwerkliche Qualität wie die Originale. So auch in Vindobona, wo naturwissenschaftliche Analysen an Exemplaren aus Wien 3 für lokale Nachahmungen sprechen. Im Speziellen werden hier drei Importstücke vorgestellt: ein fast vollständig erhaltener Becher aus Wien 3, Rennweg 44 (Abb. 6) und zwei Fragmente eines weiteren Exemplars sowie der Teil einer Schüssel, beide aus der Grabung in Wien 1, Michaelerplatz. Sie lassen sich alle dem weniger häufigen Stil Drexel IIa zuordnen, der sich durch Reihen aus torquesförmigen Barbotineelementen, die auf Ratterdekorzonen gesetzt wurden, auszeichnet. Die beiden Becher könnten aus Faimingen, die Schüssel am ehesten aus der „Töpferei am Aschberg“ stammen.

Hast Du Töne?
Damit die fünf römerzeitlichen Blasinstrumentfragmente vom Rennweg 44 (Abb. 7) nicht etwa sang- und klanglos in der demnächst erscheinenden Monografie zu den Ausgrabungen der Jahre 1989/90 untergehen, werden sie eigens, und zwar unter Betonung des musikarchäologischen Aspekts, in Fundort Wien gewürdigt. Sie entstammen verschiedenen Fundzusammenhängen auf einem Areal der Zivilsiedlung mit typischer Streifenhausbebauung, das wohl von Handwerkern und Händlern zwischen dem letzten Viertel des 1. und der Mitte des 3. Jahrhunderts bewohnt wurde. Das Ende einer einfachen Flöte mit drei Grifflöchern, aus der Elle eines Gänse(?)geiers angefertigt, lässt sich gut mit anderen provinzialrömischen Funden sowohl militärischen als auch zivilen Hintergrunds vergleichen. Die vier weiteren Stücke weisen auffallende Gemeinsamkeiten auf: Die mit Längsbohrung versehenen Knochen von Huftieren sind auf der Drehbank zugerichtet und besitzen unterschiedlich gerillte und im Durchmesser variierende Oberflächenzonen. Eine spektralanalytische Untersuchung ergab, dass es sich bei den an manchen Enden anhaftenden braunroten Farbresten um ein Klebemittel aus einer Art Pflanzengummi handelt, das wahrscheinlich zum Zusammenfügen von Teilstücken eines Instrumentes diente. Die gedrechselten Tierknochenartefakte könnten folglich Teile von tubae (Trompeten), tibiae oder eines Dudelsackes (Rohrblattinstrumente) gewesen sein.

Fundort Wien. Berichte zur Archäologie 20/2017
Aufsätze
Kristina Adler-Wölfl mit einem Beitrag von Heike Krause, Die Grabungen in Wien 3, Rennweg 73 (2016)
Christine Ranseder, Eine Nadel vom Rennweg 73, Wien 3
Martin Mosser mit Beiträgen von Kristina Adler-Wölfl, Eleni Eleftheriadou, Ingeborg Gaisbauer und Sabine Jäger-Wersonig, Grabungen in der nordöstlichen praetentura des Legionslagers Vindobona im Areal des ehemaligen Lazen- und Dreifaltigkeitshofes
Martin Penz/Michaela Binder/Hannah Grabmayer, Zu den mittelalterlichen Bestattungen in der Johanneskirche in Wien-Unterlaa
Martin Penz/Zoja Benkovsky-Pivovarová, Bronzezeitliche Hügelgräber im Halterbachtal, Wien 14
Eleni Eleftheriadou, Rätische Glanztonware Drexel IIa in Vindobona – hochwertige importierte Gefäßkeramik
Sylvia Sakl-Oberthaler/Beate Maria Pomberger, Fragmente römischer Blasinstrumente aus der Zivilsiedlung von Vindobona

Tätigkeitsberichte
Bibliografisches Register: 20 Jahre Fundort Wien. Berichte zur Archäologie
Oliver Schmitsberger/Martin Penz, Zwei weitere prähistorische Radiolarit-Abbaustellen bzw. Schlagabfallhalden im Lainzer Tiergarten in Wien
Martin Mosser, Vorbericht zu den Grabungen in Wien 3, Rennweg 52

Fundchronik – Grabungsberichte 2016
Wien 1, Fleischmarkt 4–6, Bauernmarkt 19–21, Fischhof 1A–2 (Künette) (M. Mosser)
Wien 1, Herrengasse 1–21 (Künette) (Ch. Öllerer)
Wien 1, Hoher Markt (Lichtmastenfundamente) (S. Jäger-Wersonig/I. Gaisbauer/M. Mosser/K. Tarcsay)
Wien 1, Stephansplatz (S. Jäger-Wersonig)
Wien 2, Leopoldsgasse 18 (Ch. Öllerer)
Wien 3, Aspangstraße 57 (K. Adler-Wölfl)
Wien 3, Rennweg 52/Aspangstraße 27 (M. Mosser)
Wien 3, Rennweg 73 (K. Adler-Wölfl)
Wien 10, Grundäckergasse 14–20/Bauplatz 1 (M. Penz)
Wien 10, Grundäckergasse 14–20/Bauplatz 5 (M. Penz)
Wien 10, Klederinger Straße (Johanneskirche) (M. Penz)
Wien 13, Lainzer Tiergarten – Dorotheer Wald und Untere Wildpretwiese (O. Schmitsberger/M. Penz)
Wien 19, Hammerschmidtgasse 9 (Ch. Öllerer)
Wien 21, Pius-Parsch-Platz/Schloßhofer Straße (Ch. Öllerer)
Wien 22, Seestadt Aspern, Cluster Ost – Sonnenallee (M. Penz)
Wien 23, August-Greiml-Weg 40 (Ch. Öllerer)

FWien 20/2017
Einzelpreis EUR 34,–. Abonnement-Preis EUR 25,60
ISBN 978-3-85161-180-9, ISSN 1561-4891
E-Book (pdf-Format), Gesamtpreis EUR 30,–. Einzelartikel EUR 2,80–8,00
ISBN 978-3-85161-181-6, ISSN 1561-4891
Schriftentausch: gertrud.mittermueller@stadtarchaeologie.at
Auslieferung/Vertrieb: Phoibos Verlag, Anzengrubergasse 16, 1050 Wien, Austria, E-Mail: office@phoibos.at, Web: www.phoibos.at

© Museen der Stadt Wien – Stadtarchäologie
e-mail: o@stadtarchaeologie.at

This article should be cited like this: Museen der Stadt Wien – Stadtarchäologie, Fundort Wien 20, 2017 – Der Jahresbericht der Stadtarchäologie Wien, Forum Archaeologiae 85/XII/2017 (http://farch.net).



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