Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 85 / XII / 2017

NEUE UNTERSUCHUNGEN IN DER OSTSTADT VON VELIA. DIE GRABUNGEN IN DER ZONE QE 3000 IN DEN JAHREN 2016-2017

Einleitung
Das Stadtgebiet von Velia, einer phokäischen Gründung der 2. Hälfte des 6.Jhs. v.Chr., wird durch das Wassertal des Frittolo in eine westliche und eine östliche Hälfte geteilt (Abb. 1) [1]. Während die sog. Weststadt heute als archäologischer Park gestaltet ist, hat die außerhalb dieses Bereichs liegende Oststadt bisher weniger Beachtung erfahren, obwohl sie flächenmäßig mehr als die Hälfte des Stadtgebiets ausmachte [2].


Ein neues Projekt des Instituts für Klassische Archäologie der Universität Wien hat im Jahr 2015 die Forschungen in der Oststadt wieder aufgenommen und untersucht die Entwicklung und Funktion des südöstlichen Bereichs dieses Stadtviertels [3]. Die Arbeiten begannen im Herbst 2015 mit großflächigen geophysikalischen Prospektionen, die wesentliche neue Erkenntnisse zur urbanistischen Organisation dieses Stadtviertels erbrachten [4]. Demnach setzte sich das Straßensystem der westlichen Oststadt (QE 1000) nach Osten bis zu jenem Bereich fort, an dem die Einbuchtung des vallone del Vignale (QE 8000) endete. Die Bebauung der großen südöstlichen Terrasse richtet sich hingegen an der Orientierung der östlichen Stadtmauer (Stadtmauerzug C) aus, der auch heute noch die modernen Straße verpflichtet ist.
Die Grabungen der Jahre 2015-2016 hatten sich vor allem auf den Bereich nordöstlich der Thermen (QE 2000) konzentriert und hier zum einen Hinweise auf Metallproduktion und –verarbeitung gefunden, zum anderen überraschenderweise Hinweise auf eine spätantike Bebauung des Bereichs erbracht [5]. Bereits 2016 hatten wir auch begonnen, einen durch die Geomagnetik im Südosten der Thermen angezeigten großen Ofen zu ergraben. Seine Untersuchung konnte 2017 abgeschlossen werden (Grabungsflächen 1-3/17) und erbrachte wichtige Hinweise auf die Entwicklung des Bereichs in der römischen Kaiserzeit. Insgesamt fünf Schnitte entlang der Längsstraße QE-SE3 untersuchten die Zeitstellung der Bebauung der südöstlichen Terrasse (Grabungsfläche 4-8/17). Die Untersuchung dieser Schnitte lieferte vor allem Erkenntnisse zu den hellenistischen Bauphasen (Abb. 2).


Die hellenistische Bebauung
Die Schnitte entlang der Längsstraße QE-SE3 erbrachten ein sehr einheitliches Bild: Die in der geophysikalischen Prospektion erkennbaren Mauern, welche die Straße begleiteten, waren auf der Oberfläche des anstehenden Lehms bzw. von Lehmstraten, die nur wenige Funde enthielten, errichtet worden. Die Keramik aus diesen Straten umfasste den Zeitrahmen vom späten 4. bis in das 1. Drittel des 3.Jhs. v.Chr., sodass überraschenderweise von einer urbanistischen Erschließung dieses Teils der Oststadt erst zu Beginn des 3.Jhs. v.Chr. auszugehen ist, während die Grabungen der 1980er Jahre im westlichen Teil der Oststadt (QE 1000) einen Beginn der Besiedlung ab der 2. Hälfte des 5.Jhs. v.Chr. belegten. Die Mauern bestanden durchwegs aus Flyschsteinen (Abb. 3); in der Regel handelt es sich dabei um Fundamente, nur in wenigen Fällen haben sich auch Reste des aufgehenden Mauerwerks erhalten.


In keinem der Schnitte konnten Hinweise auf eine mögliche Pflasterung der Straße gefunden werden. Die Zerstörung dieser Bebauung kann anhand der Keramikfunde in das 2.Jh. v.Chr., möglicherweise sogar erst in dessen 2. Hälfte datiert werden [6]. Von der Oberfläche dieser Zerstörungsstraten aus wurde die Grube FQE 3028 eingetieft, die in Schnitt 6/17 zu etwa einem Viertel ergraben werden konnte. Die ergrabene Breite von ca. 2m und die Tiefe von einem Meter lassen auf relativ große Ausmaße Grube schließen. Ihre Verfüllung bestand zuunterst aus großen Flyschsteinblöcken, die ohne erkennbare Anordnung lagen; darüber folgte Lehm, der viele grob zerscherbte Keramikfragmente und Ziegel enthielt (Abb. 4). Möglicherweise war hier Zerstörungsschutt deponiert worden. Die Funde aus dieser Grube, darunter ein beinahe zur Gänze erhaltener Kochtopf mit Deckelfalz (Inv. 614/17-1), datieren meist in die 1. Hälfte des 2.Jhs. v.Chr. [7].

Eine hellenistische Bebauungsphase konnte auch im Bereich der Schnitte 1-3/17 festgestellt werden (Abb. 2). In Schnitt 1/17 fand sich – durch den Ofen FQE3003 geschnitten – die NNO-SSW orientierte Mauer FQE3032 aus Sand- und Flyschsteinen, die in ihrer Ausrichtung dem Straßensystem der westlichen Oststadt entsprach (Abb. 5–6). Obwohl im Bereich der Brennkammer des Ofens nur die unterste Lage der Mauer und das Fundament freigelegt wurde, kann aufgrund der noch in der Ofenwandung erhaltenen Teile eine Mindesthöhe von ca. 0,90m rekonstruiert werden. Die Mauer begrenzte nach Westen ein Bachbett, das seinen Ausgang im östlichsten Wassertal des Stadtgebiets hatte und im Bereich des Schnittes 1/17 durch einen sandigen Lehm mit vielen Flusskieseln charakterisiert wurde [8]. Die Funde erlauben eine Datierung der Mauer zwischen dem Ende des 3. und dem 2.Jh. v.Chr. Auch südöstlich in Grabungsfläche 1/17 SO konnte eine weitere Mauer (FQE3031) dieser frühen Bauphase zugeordnet werden, von der sich vor allem das aus Flyschsteinen bestehende Fundament erhalten hat. Ihre Orientierung entsprach allerdings nicht jener von FQE 3032 (Abb. 5).


Die spätrepublikanischen bis kaiserzeitlichen Phasen
In den Schnitten 4/17 bzw. 8/17 wurden die hellenistischen Mauern FQE 3021 und 3025 jeweils von einer Mauer geschnitten, von der sich nur mehr der Fundamentbereich erhalten hat (Abb. 2) [9]. Während das Fundament in den Grabungsflächen 4-5/17 (FQE 3026) vor allem aus Ziegeln bestand, setzte sich das Fundament (FQE 3029) in Grabungsfläche 8/17 vor allem aus Flysch- und Sandsteinen zusammen. Da sich zu diesen Strukturen kein Bauniveau erhalten hat, war ihre zeitliche Einordnung schwierig.
Hingegen lieferte in den Grabungsflächen 1/17 SO, 2/17 und 3/17 eine etwa 0,10–0,20m dicke Ascheschicht, die dem Vesuvausbruch 79 n.Chr. zuzurechnen ist, einen t.a.q. für die Datierung der posthellenistischen Bebauung in diesem Bereich. In Grabungsfläche 3/17 wurde eine Pflasterung aus großen Flyschsteinen freigelegt (Abb. 5), die im Süden direkt an der Grabungsgrenze in West-Ost-Richtung von großen Sandsteinblöcken begrenzt wurde, die gemeinsam mit ähnlichen, 2,40m nördlich folgenden Blöcken eine Art Fahrbahn angeben dürften [10]. Im Nordosten folgt eine Struktur aus Konglomeratsteinen sowie einem leicht erhöhten Sandsteinquader [11], welche die für den südöstlichen Teil der Oststadt charakteristische Ausrichtung aufnahmen. Da der größte Teil dieser Struktur außerhalb der Grabungsgrenze lag, blieb ihre Funktion ungeklärt. Sie wurde von einer 0,28m breiten Rinne eingefasst, deren Sinn ebenfalls nicht zu erkennen war. Der Pflasterung können weiters aufgrund ihres Niveaus und ihrer Lage zwei Sandsteinblöcke in Grabungsfläche 1/17 SO zugeordnet werden (Abb. 5). Sowohl die Pflasterung als auch die Sandsteinblöcke wurden von der Ascheschicht bedeckt.
Ebenso nach 79 n.Chr. zu datieren ist der etwa 0,70m breite Kanal FQE3022 (Abb. 7), der in Grabungsfläche 2/17 über eine Länge von 2,60m freigelegt wurde und direkt westlich des Ofens FQE3003 vorbeiführen würde [12]. Die Kanalsohle wurde aus kleineren Flyschsteinen sowie Ziegelfragmenten gebildet, die Abdeckung bestand aus Veliaziegeln. In der Kanalverfüllung wurde wiederum mit Vesuvasche versetzter Lehm vorgefunden, weshalb seine Anlage vor dem Vulkanausbruch angenommen werden kann.

Der Ofen FQE 3003
Der annähernd kreisrunde Ofen [13] (Abb. 5-6) reichte ab seinem Erhaltungsniveau von 22,31–22,00m abs. noch zwischen 1,70 und 2m in die Tiefe, wobei die Wandung im oberen Abschnitt aus einer ca. 0,30m dicken, stark verbrannten Lehmschicht gebildet wurde und leicht konisch nach unten verjüngend verlief. Innerhalb der Brennkammer wurde eine 0,40–0,55m breite Stufe [14] ergraben, die zur Mitte leicht geneigt war und den Übergang zu einer zweiten Kammer mit einem Durchmesser von ca. 2m bildete. Diese war im obere Bereich bis zu 0,30m mit stark verbrannten Lehmplatten ausgekleidet und lief im Westen in einer kanalähnlichen Struktur von etwa 1m Breite aus. Auf der Stufe zwischen den Kammern wurden insgesamt 10 Stapel von Ziegelplatten gefunden, die vermutlich eine letzte Brennladung darstellten und die Nutzung der Anlage als Ziegelbrennofen offenlegten (Abb. 6) [15].
Im Westen wurden zwei direkt übereinanderliegende Öffnungen mit einer Gesamthöhe von 1,20m [16] freigelegt (Abb. 8). Die Seitenwände der unteren Öffnung (FQE 3035) bildeten stark verbrannte Veliaziegel, sodass hier ein Präfurnium vermutet werden kann. Die obere Öffnung (FQE3034) wurde von großen, meist unverbrannten Sandsteinblöcken gebildet und könnte zum Beschicken des Ofens genutzt worden sein. Etwa auf halber Höhe der Ofenwand im Bereich eines älteren, durch den Ofen durchschlagenen Mörtelfußbodens wurden zwei Gefäße gefunden, die möglicherweise als Bauopfer in die Struktur eingebracht worden waren. Während im Süden nur noch Wandfragmente geborgen werden konnten, zeigte sich im Norden eine nahezu vollständig erhaltene Schüssel der Form Hayes 15, die den Bau in das 3.Jh. n.Chr. datieren würde [17].
Unklar ist der Zeitpunkt der Aufgabe, da die Verfüllung des Ofens keine eindeutigen Hinweise lieferte. Es handelte sich vor allem um Schuttmaterial aus Lehm mit großen Flyschsteinen sowie großen Fragmenten von Mörtel bzw. Cocciopesto. Die Datierung dieser Schichten zeigt eine große Bandbreite mit Stücken vom 4.Jh. v.Chr. bis ins 1.Jh. n.Chr., sodass von einer mehrfachen Verfüllung über einen langen Zeitraum hinweg auszugehen ist. Nur die obersten Verfüllungsschichten enthielten Funde der Spätantike.

[1] Vgl. allgemein zu Velia den Sammelband Velia. XLV Convegno di studi sulla Magna Grecia, Taranto 21-25 settembre 2005, Atti CMGr 45, 2005 (Taranto 2006) sowie zuletzt zusammenfassend auf Deutsch: V. Gassner, Die urbanistische Entwicklung von Elea in Grossgriechenland: Von den Anfängen bis zur Umgestaltung der Stadt im 5.Jh. v.Chr., in: N. Povahalev (Hrsg.), Phanagoreia und darüber hinaus… Festschrift für Vladimir Kuznetsov. Altertümer Phanagoreias 3 (Göttingen 2014) 419-460; auf englisch: V. Gassner, Velia. Fortifications and urban design. The development of the town from the late 6th to the 3rd c. BC, in: Empuries 56, 2009-2011 [2016], 75-100.
[2] Zu den ersten Grabungen im Jahr 1935 vgl. L. Cicala, Velia. Conoscenza e Ricerca. Il Novecento. Quaderni del Centro Studi Magna Grecia 14 (Pozzuoli 2012) 124-166; L. Vecchio, Velia, in BTCGI 21 (Pisa – Roma – Napoli 2012) 588-719; zu den österreichischen Grabungen der 1980er Jahre zusammenfassend F. Krinzinger – V. Gassner – J. Grabner – A. Sokolicek, Archäologische Forschungen in der Oststadt von Velia, Beibl. ÖJh 68, 1999, 53-100.
[3] Die Finanzierung erfolgt durch das FWF-Projekt P28156-G25 sowie durch Subventionen der Historisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien. Alle Grabungskampagnen wurden auch als Lehrgrabungen durchgeführt. Unser besonderer Dank geht an die privaten Grundstückbesitzer, Alberta Ianicelli und Pantaleo De Luca, die die Grabungen 2015-2017 auf ihren Parzellen gestatteten, sowie an Dr. Tommy Granese von der Soprintendenza Archeologia della Campania für die freundliche Kooperation, die unsere Arbeit erst möglich macht.
[4] Die geophysikalischen Prospektionen wurden von der Firma Posselt & Zickgraf, Marburg durchgeführt (T. Riese und U. Stephan), die geodätischen Einmessungen von G. Augustin, Innsbruck.
[5] Vgl. dazu A. d’Angiolillo – V. Gassner, Fornaci per ceramica, per laterizi e per la produzione di ferro a Velia (www.fastionline.org/docs/FOLDER-it-2017-376.pdf) sowie V. Gassner, Die kaiserzeitliche und spätantike Siedlungsentwicklung in der Oststadt von Velia, in: Akten des 16. Österreichischer Archäologentag in Wien, 25.-27. Februar 2016 (in Druck).
[6] Das späteste Fragment gehört zu einem Feinware-Becher mit Punktrelief (Inv. 607/17-11), welcher aufgrund des Dekors in die 2. Hälfte des 2.Jhs. v.Chr. datiert werden kann. Der Punktdekor tritt in Cosa auf Feinwaregefäßen ab dem 2.Jh. v.Chr. auf, findet aber erst ab der Mitte des 2.Jhs. v.Chr. größere Verbreitung, vgl. M.T. Marabini Moevs, The roman thin walled pottery from Cosa (1948–1954) (Rom 1973) 50; S.C. Stone, The hellenistic and roman fine pottery, Morgantina Studies Volume 6 (Princeton 2015) 297.
[7] Vgl. zum Kochtopftyp M. Trapichler – R. Sauer, The Coarse Wares of Velia. Fabrics and shapes, 13, Taf. 6, Cat.45, <http://facem.at/img/pdf/Coarse%20Ware_Trapichler_%202015%2017.6..pdf> (31.10.2017).
[8] Zur geologischen Situation vgl. M.R. Ruello, Geoarcheologia in aree costiere della Campania: i siti di Neapolis ed Elea-Velia. Tesi di Dottorato di ricerca, Università degli studi di Napoli Federico II, XX ciclo, 2007-2008, fig. 69.
[9] Unerwarteterweise folgen diese Mauern nicht den sonst in der Oststadt beobachteten Orientierungen, sondern der für die Insulae I-III sowie die Stadtmauer der Unterstadt verwendeten Richtung 3.
[10] Ob sich die Pflasterung auch südlich forstsetzt, konnte nicht festgestellt werden. Interessanterweise entspricht die Ausrichtung dieser Sandsteinblöcke jener der südlich davon festgestellten neuzeitlichen Terrassenmauern.
[11] Konglomeratsteine: US 311/17; US 312/17; Sandsteinquader: US 310/17 (0,70 x 0,50m).
[12] Das Verhältnis zwischen Ofen und Kanal konnte noch nicht geklärt werden, doch ist anzunehmen, dass der Kanal mit Anlage des Ofens zerstört wurde.
[13] Der Durchmesser ist mit etwa 4m festzulegen, allerdings weist seine West-Ost-Ausdehnung lediglich 3,50m auf, da die Struktur im Osten von der Nord-Süd orientierten Mauer FQE3001 begrenzt wurde.
[14] Sie war ebenfalls stark verziegelt und ursprünglich mit teilweise in situ vorgefundenen Flachziegeln abgedeckt.
[15] Es wurden je fünf Stapel im Norden und Süden freigelegt, wobei nur drei gut erhalten waren. Der Rest war stark verstürzt. Anhand der gut erhaltenen Stücke konnten die Maße der einzelnen Platten mit 0,45 x 0,35 x 0,08m festgestellt werden.
[16] Die obere Öffnung misst 0,60 x 0,70m, die untere 0,60 x 0,60m.
[17] Die Datierung der Form ist allerdings nicht unumstritten, vgl. hierzu: EAA (1981) 32, pl. XVI 9 s. v. Forma Lamboglia 3a = Hayes 14 A, NN. I, 4–5 (Carandini – Tortorella); zur Diskussion der Datierung vgl. M. Bonifay, Études sur la céramique romaine tardive d’Afrique, BARIntSer 1301 (Oxford 2004) 157-159 fig. 98, 9.

© Verena Gassner, Andreas Hochstoeger, Regina Klingraber
e-mail: Verena.Gassner@univie.ac.at, Andreas.Hochstoeger@univie.ac.at, Regina.Klingraber@univie.ac.at

This article should be cited like this: V. Gassner – A. Hochstöger – R. Klingraber, Neue Untersuchungen in der Oststadt von Velia. Die Grabungen in der Zone QE 3000 in den Jahren 2016-2017, Forum Archaeologiae 85/XII/2017 (http://farch.net).



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