Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 85 / XII / 2017

DAS THEBANISCHE PAULOSKLOSTER (DEIR EL_BACHÎT). SAKRALTOPOGRAPHIE EINER KLOSTERLANDSCHAFT UND IHRE ENTWICKLUNG AUF DEM HÜGEL VON DRA' ABU EL-NAGA / OBERÄGYPTEN

Mit diesem Titel startete am 01.03.2017 ein österreichisch-deutsches Kooperationsprojekt zwischen dem Institut für Kulturgeschichte der Antike (IKAnt) an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und dem Deutschen Archäologischen Institut Kairo (DAIK), das durch den FWF und die DFG finanziert wird. Die Laufzeit der ersten Projektphase endet am 29.02.2020.

Sakraltopographie des Paulosklosters
Das Pauloskloster (Deir el-Bachît) erstreckt sich auf der Hügelkuppe von Dra’ Abu el-Naga auf der thebanischen Westseite in Oberägypten. Wie sich durch die Untersuchungen der letzten Jahre gezeigt hat, bezeichnet der Begriff Kloster in diesem Fall nicht nur die ummauerte Klosteranlage, die den modernen Namen Deir el-Bachît trägt, sondern eine kleinteilige Sakraltopographie, die sich zwischen dem 5. bis 10.Jh. n.Chr. entwickelt hat, den gesamten Hügel umfasst und in dieser Ausprägung bislang einzigartig ist. Diese Klosterlandschaft umfasst neben dem kompakten Hauptkloster die von Mönchen bewohnten Außenanlagen XXVI und XXVII – in pharaonische Gräber eingebaute Eremitagen und Funktionseinheiten – sowie ein verzweigtes antikes Wegesystem mit Zubringer zur überregionalen Karawanenstraße, der sog. Farshût Road (Abb. 1) [1].


Die einzelnen Anlagen auf dem Hügel von Dra’ Abu el-Naga waren hierarchisch strukturiert und standen über eine komplexe interne Organisation miteinander in Beziehung, was aus Papyrusurkunden, Ostraka und Graffiti hervorgeht. Durch die Auswertung zahlreicher koptischer Ostraka gelang schließlich auch die Identifizierung des Klosters als Pauloskloster [2].
Durch diese Identifizierung lassen sich nunmehr Informationen aus bereits bekannten Papyrusurkunden und Texten unmittelbar mit Deir el-Bachît verknüpfen [3]. Weitere aus Deir el-Bachît stammende Urkunden konnten inzwischen in verschiedenen Museen und Sammlungen (Wien, London, Kairo, Berlin, etc.) identifiziert werden [4].
Die Entdeckung dieser auf engem Raum angesiedelten Klosterlandschaft mit ihren untereinander vernetzten Anlagen bildet den Ausgangspunkt für neue, weiterführende Fragestellungen. Hierbei sind vor allem das chronologische und funktionale Verhältnis der Außenanlagen Nr. XXVI und XXVII zum Hauptkloster eingehend zu untersuchen.

Die drei größten monastischen Anlagen auf dem Hügel von Dra’ Abu el-Naga
Anlage XXVI
Anlage XXVI wurde bereits am Ende des 5.Jhs. n.Chr. als Wohnbehausung eines Anachoreten genutzt, so dass der Beginn der monastischen Besiedlung des ganzen Hügels in diese Zeit fällt. In diese frühe Eremitage wurde später eine christliche Kapelle eingebaut. In einer ihrer Altarsäulen war ein Münzhort mit 29 Goldmünzen versteckt, der in die Zeit um die Mitte des 6.Jhs. datiert werden kann (Abb. 2). Damit dürfte auch die Kapelle etwa um diese Zeit oder nur unwesentlich später errichtet worden sein [5]. Noch bis ins 10.-12. Jh. war der Ort ein Anziehungspunkt für Besucher, auch wenn die Kapelle selbst zu diesem Zeitpunkt möglicherweise schon zerstört war und nur noch als Erinnerungsort an den ersten Anachoreten fungierte. Dass sich am ehemaligen Wohnort eines Anachoreten offensichtlich ein christlicher Kultort entwickelte, zeigt die Bedeutung, die dem Bewohner dieser Eremitage zugekommen sein muss. Möglicherweise handelt es sich hierbei um den Heiligen Paulos, der dem Kloster den Namen gab und der in einer koptischen Felsinschrift in der Nähe der Wohnbehausung in einer Anrufung genannt wird.

Anlage XXVII
Die Anlage XXVII besteht ebenfalls aus mehreren unvollendeten pharaonischen Gräbern, die in der Spätantike von christlichen Eremiten nachgenutzt worden sind. Im Bereich dieser Anlage wurden überdurchschnittlich viele Amphorenscherben gefunden. Zugleich befindet sich diese Anlage unmittelbar am Zubringerweg, der eine direkte Verbindung zur Karawanenstraße herstellt. Die Vermutung liegt nahe, dass es sich demnach bei Anlage XXVII um überwiegend wirtschaftlich genutzte Funktionseinheiten handelte und dass Waren, die über die Karawanenstraße ans Kloster geliefert werden sollten, zunächst hier abgeladen wurden, bevor sie über die verschiedenen Wege auf dem Hügel an die anderen Anlagen und ans Hauptkloster verteilt wurden [6].

Hauptkloster
Bei dem sog. Hauptkloster handelt es sich um eine kompakte koinobitische Klosteranlage mit unregelmäßig vor- und zurückspringenden Außenmauern, die zugleich auch die größte Klosteranlage auf der thebanischen Westseite ist (Abb. 3) [7]. Keramik sowie die schriftlichen Belege zum Kloster, v.a. Papyrusurkunden und Ostraka, weisen auf eine Nutzung dieser Anlage in der Zeit zwischen dem späten 6./frühen 7.Jh und dem Beginn des 10.Jhs. hin, mithin also auf eine deutlich spätere Besiedlung als sie für die Anlage XXVI nachzuweisen ist.
Die großflächige archäologische Untersuchung des zentralen Klosterbereichs in den Jahren 2004-2009 erbrachte eine Fülle von Funden und Befunden, deren Auswertung zu weitreichenden Schlüssen über das alltägliche Leben und die wirtschaftlichen Grundlagen der Klostergemeinschaft geführt haben. So konnten das Refektorium, mehrere Mönchszellen, Arbeitsräume mit Webstuhlgruben, der zentrale Turm, verschiedene Vorratsspeicher und Stallungen freigelegt werden [8]. Diese Einrichtungen bieten Einblicke in das Leben der Mönchsgemeinschaft. Die Untersuchung ökonomischer Aspekte wie die Herstellung von Textilien und Flechtwaren, deren Verkauf und der Handel mit weiteren, am Kloster hergestellten Produkten (z.B. Keramik, Backwaren) ergaben Aufschlüsse über das wirtschaftliche Leben am Kloster.


Die Beziehung der drei Anlagen zueinander
Interessanterweise ist in den offiziellen Verwaltungstexten des Paulosklosters sehr häufig von drei Klostervorstehern die Rede [9]. Unter Berücksichtigung der vor Ort gegebenen Umstände ist es mehr als wahrscheinlich, dass diese „Dreiteilung“ ihre Ursache in der räumlichen Trennung der einzelnen Einheiten des Paulosklosters hat. Hier bietet sich ein einmaliger Blick in die Organisations- und Sozialstruktur eines spätantiken Klosters.
Auffällig ist auch die unterschiedliche Entwicklung der jeweiligen Anlagen: Während Anlage XXVI als Anachoretenzelle ihren Anfang nimmt und zu einer semianachoretischen Mönchsansiedlung expandiert, ist das Hauptkloster auf dem Hügel von Beginn an als koinobitisches Kloster angelegt. Damit einher geht vermutlich auch eine Entwicklung des monastischen Selbstverständnisses der in den Anlagen lebenden Mönche.

Hauptfragen des neu bewilligten Projekts
Eine der Hauptfragen des Projektes ist, welche Hierarchien und Sozialstrukturen sich in der monastischen Gemeinschaft erkennen lassen.
Verschiebt sich das Lebenszentrum der Mönche durch den Bau des Hauptklosters auf der Hügelkuppe oder bestehen die jeweiligen Anlagen gleichberechtigt nebeneinander? Bedingt durch den Wechsel der Organisationsform von einer anachoretischen Lebensweise in den Anlagen XXVI und XXVII hin zu einer koinobitischen Lebensweise im Hauptkloster – muss es aber auch zu einem Wandel der Sozialstrukturen innerhalb des Klosters und damit zwangsläufig zu einer Herausbildung von Hierarchien in der Gemeinschaft gekommen sein. Eine der Schwierigkeiten bei der Bestimmung der Rangfolge bzw. der Funktion des einzelnen Mönches in der Gemeinschaft ist allerdings, dass sich in der innerklösterlichen Korrespondenz keine Titel außer den üblichen eines „Apa“ oder „Abba“ finden. Eine klare Personenbestimmung und ihre soziale Rolle in der Gemeinschaft ist deshalb anhand der üblichen Ostraka-Textnotizen nicht oder nur sehr schlecht festzumachen und hat sich wenn, dann nur in der offiziellen Verwaltungskorrespondenz erhalten. Diese konnte bisher z.T. in den Archiven der lokalen Verwaltungszentren nachgewiesen werden . Allerdings finden sich in Deir el-Bachît selbst Hinweise auf den Rang, den Status der Einzelpersönlichkeiten und damit auch auf die soziale Struktur der monastischen Gemeinschaft und zwar in zwei sehr unterschiedlichen Arealen: in den Mönchszellen und in den Gräbern in der Nekropole. Grabungen in diesen beiden Arealen bildeten daher einen der Schwerpunkte in der Frühjahres- und Herbstkampage 2017.

Grabungen im Frühjahr und Herbst 2017
So wurden während der Grabungen im Frühjahr und Herbst 2017 drei Schnitte in einem der großen Mönchszellengebäude angelegt sowie ein Schnitt in der Nekropole des Klosters.


Bei den bisher ausgegrabenen Zellen zeigt sich eine bemerkenswerte Differenzierung in der Anzahl der Betten: so kamen bislang eine Einzel-Zelle sowie eine Zwei-, eine Drei- und eine Vier-Bettzelle zutage, die sich auch durch ihre Ausstattung, vor allem der Anzahl und Größe von Wandnischen und Schränken unterscheiden und Hinweise auf den Status und wohl auch die klösterliche Hierarchie ihrer Bewohner geben. So besaß die Einzelzelle einen ungewöhnlich großen Schrankeinbau, während die Zwei-, Drei- und Vierbettzellen sehr klein sind und entsprechend nur kleine Einbauten besaßen (Abb. 4). Die Einzelzelle besaß darüber hinaus die gleiche Größe wie die Zwei- und Dreibettzellen und war somit auch räumlich komfortabler als die Mehrbett-Zellen. Die derzeit durchgeführte Auswertung der großen Menge an Fundmaterial und der Texte aus den Zellen wird über den Status und die Hierarchie der Bewohner weitere Aufschlüsse erbringen.
Ähnliche Differenzierungen finden sich auch in der Nekropole. Die Gräber der Mönche sind in insgesamt zehn Grabreihen angeordnet, die durch Wege voneinander getrennt werden. Nur etwa ein Viertel des Friedhofes wurde bisher ausgegraben. Die mittlere Grabreihe V zeichnet sich durch drei größere, ehemals freistehende und mit einem dreistufigen Sockel versehene Kastengräber aus (Abb. 5), von denen eines sogar mit weißem Kalkverputz überzogen war. Die Vermutung liegt nahe, dass hier drei hochrangige Persönlichkeiten der Klosterhierarchie, vielleicht Klostervorsteher, bestattet waren. Darüber hinaus befinden sich im südlichen Friedhofsareal kunstvoll verschnürte mumifizierte Mönchsbestattungen, im Nordteil hingegen vollkommen unbekleidete, nicht mumifizierte Individuen. Es lassen sich demnach an den Grabformen und bei der Bestattungsweise sowohl die klösterlichen Hierarchien als auch der soziale Status der Klosterbewohner feststellen.

[1] D. Polz, U. Rummel, I. Eichner, T. Beckh, Topographical Archaeology in Dra’ Abu el-Naga. Three Thousand Years of Cultural History, Mitteilungen des Deutschen Archäologischen Instituts, Abteilung Kairo 68, 2012, 115-134, bes. 127-134 fig. 1.
[2] Als Adressaten von Briefen werden in einigen Ostraka die Äbte Papas und Zachrias (735 n.Chr.) genannt, die für das Pauloskloster Mitte des 8.Jhs. als Vorsteher belegt sind: Th. Beckh, I. Eichner, S. Hodak, Briefe aus der koptischen Vergangenheit. Zur Identifikation der Klosteranlage Deir el-Bachît in Theben-West, Mitteilungen des Deutschen Archäologischen Instituts Kairo, 67, 2011, 15-30. Die Auswertung der koptischen Ostraka wird im Rahmen des neu bewilligten Kooperationsprojektes fortgesetzt. Die Edition und Übersetzung der für das Klosterleben so wichtigen Texte werden in der eigens entwickelten Datenbank „Koptoo“ des Instituts für Ägyptologie und Koptologie der Ludwig-Maximilians-Universität München zugänglich gemacht und von S. Hodak publiziert: http://www.koptolys.gwi.uni-muenchen.de/splash.php.
[3] Vgl. W. Till, Erbrechtliche Untersuchungen auf Grund der koptischen Urkunden, Sitzungsberichte der phil.-hist. Klasse der ÖAW 229/2 (Wien 1954) 205-212. Zur Liste der Vorsteher des Paulosklosters vgl. W. Till, Datierung und Prosopographie der koptischen Urkunden aus Theben (Wien 1962) 236.
[4] S. Hodak in: Beckh, Eichner, Hodak, a.O. 20-26.
[5] Th. Beckh, I. Eichner, Das Pauloskloster (Deir el-Bachît) in Theben-West / Oberägypten: Die Entwicklung einer spätantiken Mönchsgemeinschaft im Wandel der Zeiten, in: R. Haensch, I. Jacobs, Ph. von Rummel (Hrsg.), Himmelwärts und erdverbunden? Religiöse und wirtschaftliche Aspekte spätantiker Lebensrealität (Bd. 1 Cluster 7, DAI) (im Druck).
[6] Vgl. T. Beckh in: Polz, Rummel, Eichner, Beckh, a.O. 133.
[7] Zur Größe des Klosters im Vergleich zu den anderen Klöstern in Theben-West: G. Burkard, M. Mackensen, D. Polz, Die spätantike / koptische Klosteranlage Deir el-Bachit in Dra‘ Abu el-Naga (Oberägypten). Erster Vorbericht, Mitteilungen des Deutschen Archäologischen Instituts Kairo 59, 2003, 41-65, bes. 42-44. 50.
[8] I. Eichner, U. Fauerbach, Die spätantike / koptische Klosteranlage Deir el-Bachit in Dra‘ Abu el-Naga (Oberägypten). Zweiter Vorbericht, Mitteilungen des Deutschen Archäologischen Instituts, Abteilung Kairo 61, 2005, 139-152.
[9] Beckh, Eichner, Hodak, a.O.; Polz, Rummel, Eichner, Beckh, a.O. 127-134.
[10] Vgl. hierzu A. Schiller, Ten Coptic legal texts edited with translation, commentary and indexes together with an introduction (New York 1932).

© Ina Eichner
e-mail: ina.eichner@oeaw.ac.at

This article should be cited like this: I. Eichner, Das thebanische Pauloskloster (Deir el-Bachît). Sakraltopographie einer Klosterlandschaft und ihre Entwicklung auf dem Hügel von Dra’ Abu el-Naga / Oberägypten, Forum Archaeologiae 85/XII/2017 (http://farch.net).



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