Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 85 / XII / 2017

MOMENTAUFNAHMEN
Rezension zu Babett Forster (Hg.), Belichtete Vergangenheit. Archäologie und Fotografie,
Fotogeschichte. Beiträge zur Geschichte und Ästhetik der Fotografie, H. 144, 2017, Jg. 37

Seit über 150 Jahren bedient sich die archäologische Forschung der Fotografie, welche wiederum die Methode der archäologischen Dokumentation maßgeblich geprägt hat. Das von Babett Forster herausgegebene Heft 144 der Zeitschrift Fotogeschichte widmet sich in sechs Aufsätzen der gemeinsamen Vergangenheit des Mediums Fotografie und der Wissenschaft Archäologie.
Der Forschungsschwerpunkt der Herausgeberin liegt auf der Geschichte der Fotografie, und so gibt sie als Editorial unter dem Titel „Fotografie und Archäologie“ eine Zusammenfassung von bereits zum Thema erschienenen Arbeiten und führt den Leser an die im Themenheft vorgelegten Beiträge heran.


Der Lehrstuhl für Klassische Archäologie der Friedrich-Schiller-Universität Jena befindet sich im Besitz von fünf signierten, vor 1858 entstandenen Abzügen des britischen Fotografen James Robertson (1813-1888). Es handelt sich um Albumin-Abzüge, die von 1853/54 in Athen belichteten Negativen hergestellt wurden. Die Architekturaufnahmen des Parthenon, der Propyläen, des Hephaisteions, des Lysikrates-Monumentes und des Olympieions (Abb. 1) – jede einzelne detail- und kontrastreich, tiefenscharf und plastisch – werden vom Autorenduo Eva Winter und Klas Winter in „Mehr als ein Andenken. Das Antike Athen in den Fotografien von James Robertson“ ausführlich besprochen. Dabei wird nicht nur auf die fotografische Technik eingegangen, sondern auch auf die Bildkompositionen, den Umgang mit dem natürlichen Licht, die Signiergewohnheiten des Fotografen, nachträgliche Bildbearbeitungen sowie Unterscheidungen zu weiteren Abzügen von den verwendeten Negativen. In einem weiteren Schritt werden die Fotografien über ihren Wert als Dokumentationen des antiken Baubestandes hinaus durch ihren Erhaltungs- und Restaurierungszustand sowie durch wahrnehmbare Freilegungs- und Aufräumungsarbeiten in den Hintergründen in den direkten historischen Kontext ihrer Aufnahmezeit gesetzt. Die Lektüre regt an, die Aufnahmen Robertsons mit modernen Fotografien der Monumente zu vergleichen und sich selbst ein Bild über Veränderungen von 150 Jahren zu machen.

Die kommerzielle Fotografie und ihre Bedeutung für den Denkmalschutz im 19. und frühen 20. Jahrhundert thematisieren Almut Goldhahn und Matthias Gründig im Beitrag „Apulia Monumentale. Romualdo Moscioni und die Entdeckung des Südens“ am Beispiel des in Rom ansässigen Fotografen Romualdo Moscioni. Seine Kataloge richteten sich sowohl an die Wissenschaft als auch das Laienpublikum und sein Werk umfasste nicht nur Ansichten von Architektur, Denkmälern und Ausgrabungen, sondern auch von Kunst und Kleinkunst italienischer Provenienz. In Zusammenarbeit mit dem Archäologen Giacomo Boni – der die systematische Aufnahme italienischen Kulturerbes gezielt vorantrieb – fotografierte Moscioni 1891/92 für das Ministero della Publica Istruzione die Kulturdenkmäler Apuliens (Abb. 2). Diese Tätigkeit war nicht nur für die Kenntnis der Kulturgüter Süditaliens maßgeblich, die Fotografien wurden auch publikumswirksam unter dem Katalogtitel „Apulia Monumentale“ vermarktet. Bei seinem Tod im Jahr 1925 hinterließ Moscioni etwa 30.000 Negativplatten, von denen 15.077 die Basis der Fotothek der Vatikanischen Museen bildeten. Dass aber nicht nur die gewaltige Größe seiner Sammlung, sondern auch die Qualität seiner Fotografien die Bedeutung des in Österreich zu Unrecht unbekannten Fotografen ausmachten, illustrieren Goldhahn und Gründig mit mehreren ausgewählten Abbildungen.

Fotografie als Dokumentationsmedium nicht nur des Fundes sondern des Ausgrabungskontextes ist das Thema von Stefanie Klamm: „Die Darstellbarkeit des Befundes. Bildmedien auf Ausgrabungen im 19. Jahrhundert.“ Der Fotoapparat erreichte schnell einen hohen Stellenwert als Dokumentationsmedium in der jungen Wissenschaft der Archäologie. Er ermöglichte eine schnelle und detailreiche Abbildung einer Fundsituation, einer ergrabenen Struktur oder einer Bodenveränderung. Auch war die Fotografie im Gegensatz zu einer idealisierten, interpretativen Zeichnung erfreulich objektiv, wobei diese Objektivität gelegentlich durch die Präparation der zu fotografierenden Flächen – durch Festklopfen des Bodens oder Anzeichnen von Verfärbungen durch Ritzlinien – ad absurdum geführt wurde. Um die Mankos beider Dokumentationsmethoden auszugleichen, mussten sie parallel angewendet werden, fallweise wurden auch auf Einzelsituationen zugeschnittene Speziallösungen entwickelt. Anhand von Beispielen aus Olympia (Abb. 3), Haltern am See und Berlin-Buch zeigt die Autorin Möglichkeiten und Grenzen der Grabungsfotografie des 19. Jahrhunderts.

„Vom Versammeln und Archivieren. Konzepte archäologischer Fotosammlungen im Vergleich“ nennen Stefanie Klamm und Petra Wodtke jenen Beitrag, in dem sie die Fotothek des Lehrbereichs Klassische Archäologie des Winkelmann-Instituts der Humboldt Universität zu Berlin dem Fotobestand der Antikensammlung der Staatlichen Museen zu Berlin, Preußischer Kulturbesitz gegenüberstellen. Bei ersterer handelt es sich um eine klassische Fotothek, zweiterer ist hauptsächlich ein Fotoarchiv, eine ausführliche Begriffsdefinition wird von den Autorinnen angeführt. In beiden historisch gewachsenen Beständen sind analoge Fotografien versammelt, die auch für sich selbst – jenseits des abgebildeten Objektes – einen historischen Anspruch haben, ihre Bedeutung als Forschungsgrundlagen aber zunehmend verlieren. In der Musealisierung und in weiterer Folge auch Digitalisierung dieser und vergleichbarer Bestände sehen die Autorinnen eine Gelegenheit zur Verfolgung neuer Forschungsansätze, ohne über deren mögliche Ziele zu spekulieren.


Die Möglichkeiten digitaler 3D-Visualisierung für Forschung, Dokumentation und Vermittlung behandeln Nausikaä El-Mecky und Stefanie Samida unter dem Titel „Inexistent, Unsichtbar, Imaginiert. Digitale Rekonstruktion als Vermittlungsformate in der Archäologie am Beispiel von Palmyra.“ Die Autorinnen fassen die Entwicklung der vergangenen 20 Jahre zusammen, nicht ohne der vorgegaukelten Realität scheinbar perfekter virtueller Rekonstruktionen kritisch gegenüberzustehen. Als Fallbeispiel wird der 2015 gesprengte Baaltempel von Palmyra herangezogen, der bereits vor seiner Zerstörung als bedeutendes Bauwerk galt, aber seither zum Wahrzeichen der digitalen Auferstehung geworden ist. Als dreidimensionales Modell ist er überall und von jedem betret- und erlebbar. Auch der Rückweg in die reale Welt ist möglich – das aus 2D-Fotografien rekonstruierte Eingangsportal des Baaltempels wurde per 3D-Drucker in Originalgröße neu erzeugt. Aber eine erfolgreiche 3D-Rekonstruktion und deren Archivierung in der virtuellen Realität sehen El-Mecky und Samida nicht als der Weisheit letzten Schluss, sondern sie warnen vor den Risiken einer unrelativierten Rezeption und der zu erwartenden Herausforderung durch die begrenzte Lebensdauer von Software. Vervollständigt wird dieser Beitrag durch Überlegungen und Strategien zur zukünftigen verantwortungsbewussten und nachhaltigen Nutzung digitaler Visualisierungen.

Anhand zweier Fotografien aus dem Konzentrationslager Mauthausen stellen sich Gregor Reimann und Michael Wermke unter dem Titel „Archäologie einer Fotografie. Historische und fototheoretische Befunde zu einem Foto aus dem KZ Mauthausen“ der Aufgabe, die über Jahrzehnte angelagerten Schichten von (Be-)Deutungswandlungen von den Bildinhalten abzutragen und den ursprünglichen Kontext der Aufnahmen wieder herzustellen. Beim Nürnberger Kriegsverbrecherprozess 1946 als Beweismittel herangezogen und seit den 1960ern mehrfach in verschiedenen Medien abgebildet, hat besonders eines der Bilder durch unzureichende Kenntnis oder absichtliche Ignoranz der historischen Quellen mehrere inhaltliche Umdeutungen erfahren. Die Fotografie eines nach einem Fluchtversuch zur Hinrichtung geführten Häftlings wurde über die Jahre stellvertretend für verschiedene Opfergruppen des Nationalsozialismus abgebildet, auch wurde eine Entstehung der Aufnahme in Auschwitz insinuiert. Methodisch – wie sie es selbst nennen – „einer archäologischen Grabung ähnlich“ beleuchten die Autoren die Überlieferungsprozesse der Aufnahmen und der mit ihnen verknüpften historischen Zusammenhänge. Dabei zeigen sie auf, dass auch eine Fotografie kein unbestechlicher Zeuge der Vergangenheit ist, sondern dass durch die im Kommentar beigefügten Informationen das Verständnis des Rezipienten gesteuert werden kann.

In den sechs (gefühlt viel zu kurzen) Beiträgen werden vielfältig und detailreich Momentaufnahmen der Fotografiegeschichte im archäologischen Zusammenhang dargestellt, Quellenkunde wie auch Quellenkritik kommen nicht zu kurz. Die Texte sind gut lesbar, Kenntnisse der fotografischen Technik sind nicht notwendig, eine Vertrautheit mit der archäologischen Arbeitsweise ist hingegen nützlich. Anmerkungen und Quellenangaben sind in Endnoten ausgeführt, die Auswahl und Qualität der Abbildungen ist durchgehend exzellent. In einigen Fällen hätte man sich ein größeres Abbildungsformat der vorgestellten Fotografien gewünscht, sind sie doch Hauptträger und und nicht nur beiläufige Illustration der Texte.
Das Lichtbild als Übermittler von Bildinhalten wie auch als Träger eines eigenen historischen Kontextes ist auch aus Sicht der Archäologie ein relevantes Forschungsthema, das in Zukunft hoffentlich noch mehr Aufmerksamkeit erfahren wird.

Babett Forster (Hg.)
Belichtete Vergangenheit. Fotografie und Archäologie
Fotogeschichte 144/37, 2017
Jonas Verlag für Kunst und Literatur GmbH, Kromsdorf/Weimar
80 Seiten, zahlreiche Abbildungen
21×29,7 cm, Softcover
€ 20 (D; A zuzügl. Versandkosten)
ISSN 0720-5260
Bestellungen: http://www.fotogeschichte.info/index.php?id=834

© Johanna Kraschitzer
e-mail: johanna.kraschitzer@uni-graz.at

This article should be cited like this: J. Kraschitzer, Momentaufnahmen. Rezension zu Babett Forster (Hg.), Belichtete Vergangenheit, Forum Archaeologiae 85/XII/2017 (http://farch.net).



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