Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 77 / XII / 2015

FUNDORT WIEN 18, 2015 – DER JAHRESBERICHT DER STADTARCHÄOLOGIE WIEN

Ein Fundplatz für mehrere Epochen – die Ausgrabungen im 3. Bezirk, Rasumofskygasse 29–31
Die Ergebnisse der Ausgrabungen auf dem Postgelände (Abb. 1) sprengten den Rahmen der kühnsten Erwartungen. So wurden ein durch Gräben und Pfostenlöcher erfasstes frühneolithisches Langhaus und weitere Strukturen aufgedeckt, deren Funde der Linearbandkeramischen Kultur (Jüngere Stufe/Notenkopfkeramik) zuzuordnen sind. Damit liegt nun für Wiener Boden der älteste Nachweis einer Niederlassung vor.

Weitere aufgedeckte Siedlungsobjekte, Grubenhäuser, Brunnen, (Vorrats?-)Gruben, Latrinen und Werkstattbefunde, gehören der Spätlatènezeit an. Ein spektakulärer, jenen Zeitabschnitt auf dieser Grabung geradezu charakterisierender Umstand ist die Vergesellschaftung spätlatènezeitlicher Funde mit römischen Artefakten. Zum erwähnenswerten Fundspektrum dieser Epoche gehören Tüpfelplatten (Abb. 2) zur Herstellung von Münzschrötlingen, Schlacke, Reste fossiler Harze („Bernstein“) (Abb. 3) wohl lokaler Provenienz (Gablitz/Wienerwald) zur Produktion von Schmuckperlen, Stili aus Bein, Fibeln sowie Gussformen für die Metallverarbeitung.
Unter den mittelalterlichen Befunden ist der eindrucksvolle und mächtige Sohlgraben (20m breit und ca. 3m tief) hervorzuheben, der ab dem 15. bis zum 17. Jahrhundert das hier lokalisierte Dorf St. Niklas umgab und bisher nur urkundlich überliefert war.
Von dem barocken Palais Mesmer, das nach seinem vorübergehenden Besitzer, der illustren Persönlichkeit Franz Anton Mesmer benannt wurde, waren einige Mauern erhalten.

Die Ziegelstempel der Legionen Vindobonas
Aufgrund der beiden in den letzten drei Jahren im 17. Bezirk durchgeführten Ausgrabungen in der Steinergasse 16/Geblergasse 47 und Hernalser Hauptstraße 59–63 wurden nicht nur neue Erkenntnisse über das einst ca. 3 bis 4ha große Areal der Legionsziegelei von Vindobona gewonnen, sondern es konnte auch das Kontingent der bekannten Ziegelstempel der Legionsziegelei verdreifacht werden. Insgesamt wurde auf der Basis von 344 gestempelten Ziegeln eine neue, primär die Stempelform berücksichtigende Typologie erstellt, deren Ordnungsprinzip auf der Trennung nach Produzenten basiert und die über 200 Stempeltypen umfasst (Abb. 4).
Welcher Stellenwert der archäologischen Fundgattung der gestempelten Ziegel zukommt, wird durch das nicht seltene Auftreten der Legionsziegel in ganz Pannonien, Noricum, ja sogar in germanischen Gebieten ersichtlich, das als Indikator für die wirtschaftliche Bedeutung der Garnison aufzufassen ist. Ebenso aussagekräftig sind sie für die Truppengeschichte. Über ihre Verteilung geben sie Aufschlüsse, welche Legion an der Errichtung von Gebäuden oder infrastrukturellen Einrichtungen z.B. innerhalb des Legionslagers von Vindobona beteiligt war.

Mehrfachbestattungen und Beigaben auf Wiener Friedhöfen
Ein Themenschwerpunkt zu neuzeitlichen Friedhöfen ergab sich durch die Grabung in einem kleinen Teilbereich des ehemaligen katholischen Matzleinsdorfer Friedhofs (Abb. 5) und die Aufarbeitung der Beigaben (Abb. 6) des bereits publizierten, zum Militärspital in Gumpendorf gehörenden Soldatenfriedhofs in der Marchettigasse. Während Letzterer von 1769 bis 1784 bestand, wurde der Matzleinsdorfer Friedhof, einer der fünf neuen Kommunalfriedhöfe außerhalb der Linien, ab 1784 bis um 1874 belegt.
Beide Ausschnitte lassen vermuten, dass hier Gräber eher armer sozialer Schichten vorliegen. Es handelt sich vorwiegend um schlichte Mehrfachbestattungen, oft ohne Sarg, mit wenigen oder keinen Beigaben. Auch die anthropologischen Untersuchungen zeichneten ein ähnliches Bild an pathologischen Auffälligkeiten. Die Bestatteten beider Friedhöfe litten an Infektionskrankheiten sowie Mangelerscheinungen und betrieben zu Lebzeiten harte körperliche Tätigkeiten, entsprechend niedrig war auch das Sterbealter.

Schloss Liesing: Gutshof – Schloss – Versorgungsheim
Ein ausführlicher Beitrag ist den Ausgrabungen im Bereich des Schlosses Liesing gewidmet. Das Schloss Liesing, dessen älteste Bausubstanz aus dem 14. Jahrhundert stammt, besteht aus unterschiedlich datierenden Trakten, die um einen Innenhof gruppiert sind. Erhaltene Schriftquellen belegen die Entwicklung von einem „Hausgraben“ über einen Gutshof zu einem barocken Schloss. Ab 1876 kam das Gebäude in den Besitz der Gemeinde Wien, die dort lange Zeit ein Versorgungsheim für Arme, Alte und Kranke unterhielt und es zuletzt als Geriatriezentrum nutzte.
Durch die Grabungen konnten neben infrastrukturellen Einrichtungen aus der Zeit des Versorgungsheims drei unterschiedlich datierende Umfassungsmauern freigelegt werden (die älteste datiert in das Spätmittelalter, Abb. 7 Mitte), die den westlich von ihnen verlaufenden Wassergraben begleiteten. Die Keramik stammt hauptsächlich aus der Zeit entweder vor oder während der Nutzung des Schlosses als Versorgungsheim. Das wird auch durch ihren funktionalen Charakter – es handelt sich vorwiegend um Kücheninventar, Mineralwasserflaschen und eine Tintenflasche – unterstrichen; Prestigeobjekte eines gehobenen Lebensstandards sind selten in diesem Fundmaterial.

Die Wiedereröffnung der Virgilkapelle
1972/73 fanden Ausgrabungen im Bereich des auf das frühe 13. Jahrhundert zurückgehenden Untergeschoßes der ehemaligen Friedhofskapelle von St. Stephan statt. Die sogenannte Virgilkapelle wurde danach in die U-Bahn-Station Stephansplatz integriert und war als eine der Außenstellen des Wien Museums bis zu ihrer aus konservatorischen Gründen durchgeführten Schließung für Besucher zu besichtigen. Jetzt wurde die restaurierte, mit einer neuen Klimaregelung und einem innovativen Ausstellungskonzept bedachte Kapelle der Öffentlichkeit erneut zugänglich gemacht. Im Vorfeld dieses Ereignisses wurde eine bauhistorische Untersuchung beauftragt und eine Neuvermessung des Baubestandes mit 3D-Scan durchgeführt. Für unseren Jahresbericht wurde von den beiden Wissenschaftern ein erster Überblick über die spannende, durch zahlreiche Planwechsel charakterisierte Baugeschichte dieses bezüglich des Auftraggebers und ursprünglicher Bestimmung immer noch ungeklärten Baues zusammengestellt.

Fundort Wien. Berichte zur Archäologie 18/2015
Aufsätze
Kristina Adler-Wölfl/Martin Mosser, Archäologie am Rochusmarkt – Die Grabungen in Wien 3, Rasumofskygasse 29–31
Martin Mosser mit Beiträgen von Kristina Adler-Wölfl, Die Legionsziegelei von Vindobona im 17. Wiener Gemeindebezirk
Kinga Tarcsay, Ein Glasfund mit geometrischem Facettenschliff von den Grabungen innerhalb der römischen Legionsziegelei von Vindobona
Heike Krause mit einem Beitrag von Ingeborg Gaisbauer, Die Ausgrabung in Wien 23, Schloss Liesing
Christine Ranseder, Beigaben aus dem Soldatenfriedhof in der Marchettigasse in Wien
Michael Schulz, Archäologische Untersuchung auf dem ehemaligen Matzleinsdorfer Friedhof in Wien
Michaela Binder, Leben und Überleben im 19. Jahrhundert – Anthropologische Untersuchung der menschlichen Skelettreste aus dem ehemaligen Matzleinsdorfer Friedhof in Wien
Christine Ranseder, Beigaben und Sargreste aus Gräbern des ehemaligen katholischen Matzleinsdorfer Friedhofs in Wien
Ingeborg Gaisbauer, Blumentöpfe aus der Grabung am ehemaligen Matzleinsdorfer Friedhof in Wien

Tätigkeitsberichte
Ursula Eisenmenger, Ausgewählte spätrömische Keramikfunde aus Vindobona
Marina Kaltenegger/Patrick Schicht, Die „Virgilkapelle“ – bauhistorische Untersuchungen im Vorfeld der neuen musealen Präsentation

Fundchronik – Grabungsberichte 2014
Wien 1, Am Hof/Schulhof/Seitzergasse/Kurrentgasse/Steindlgasse/Tuchlauben (Künettengrabung) (M. Mosser)
Wien 1, Führichgasse 8–12 (M. Mosser)
Wien 1, Rabensteig 3 (C. Litschauer)
Wien 1, Seilerstätte/Singerstraße/Liebenberggasse (Künettengrabung) (M. Mosser)
Wien 3, Beatrixgasse 11 (M. Müller)
Wien 3, Rasumofskygasse 29–31 (K. Adler-Wölfl/M. Mosser)
Wien 3, Rennweg 31 (M. Müller)
Wien 4, Gußhausstraße 25 (ehem. K. K. Gußhaus) (I. Mader)
Wien 4, Karlsplatz 13 (Ch. Öllerer)
Wien 9, Thurngasse 4/Währinger Straße 22 (M. Mosser)
Wien 10, Favoritenstraße–Fontanastraße, U1-Süd-Verlängerung (S. Sakl-Oberthaler)
Wien 17, Hernalser Hauptstraße 59–63 (M. Mosser)
Wien 22, Seestadt Aspern (M. Penz)
Wien 23, Perchtoldsdorfer Straße 6 (Schloss Liesing) (H. Krause)

FWien 18/2015
Einzelpreis EUR 34,–. Abonnement-Preis EUR 25,60
ISBN 978-3-85161-144-1, ISSN 1561-4891
eBook (pdf-Format)
Gesamtpreis EUR 30,–. Einzelartikel EUR 2,00–10,80
ISBN 978-3-85161-145-8, ISSN 1561-4891
Schriftentausch: gertrud.mittermueller@stadtarchaeologie.at
Auslieferung/Vertrieb: Phoibos Verlag, Anzengrubergasse 16, 1050 Wien, Austria, E-Mail: office@phoibos.at, Web: www.phoibos.at

© Museen der Stadt Wien – Stadtarchäologie
e-mail: o@stadtarchaeologie.at

This article should be cited like this: Museen der Stadt Wien – Stadtarchäologie, Fundort Wien 18, 2015 – Der Jahresbericht der Stadtarchäologie Wien, Forum Archaeologiae 77/XII/2015 (http://farch.net).



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