Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 77 / XII / 2015

PALMYRA GEHT UNS ALLE AN: DIE ZERSTÖRUNG UNSERES KULTURELLEN ERBES

Syrien ist eine der reichsten Kulturlandschaften der Welt. Archäologische Denkmäler und historische Quellen – von den frühen Hochkulturen Mesopotamiens über die blühenden Städte der Römerzeit bis hin zu den Kreuzfahrern und islamischen Dynastien – bilden dieses weltweit bedeutendste Kulturarchiv.
Seit über hundert Jahren arbeitet eine internationale und interdisziplinäre Forschergemeinschaft unter Einsatz enormer finanzieller, materieller und personeller Ressourcen an der Erschließung, Interpretation und Bewahrung dieses kulturellen Erbes. Schon dies zeigt im internationalen Vergleich die herausragende Bedeutung Syriens als Forschungsobjekt für die historischen Kulturwissenschaften.
2011 kam der Krieg mit seinen katastrophalen Folgen: dem Zusammenbruch der gesamten Infrastruktur und der Zerstörung der Lebensgrundlage der Bevölkerung. Die genauen Zahlen von Toten und Flüchtlingen sind unbekannt. Millionen sind auf der Flucht, die Zahlen steigen täglich, und ein Ende ist nicht abzusehen. Eine ungeheure Völkerwanderung von Flüchtlingen und Schutzsuchenden hat eingesetzt.
Dazu kommt der sog. Islamische Staat (IS), der sich als Ziel die Vernichtung der wichtigsten kulturellen Zeugnisse des Landes auf seine Fahnen geschrieben hat, und damit die Vernichtung unseres kulturellen Gedächtnisses. Dabei schreckt auch der IS nicht davor zurück, mit dem Raubgut auch Handel zu treiben.
Das politische Chaos und zugleich Vakuum hat seit Beginn des Krieges zu einem rasanten Anstieg an Zerstörung von Kulturdenkmälern, Raubgrabungen, Plünderungen, und den illegalen Handel mit gestohlenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern geführt. In der internationalen Kriminalstatistik steht das illegale Geschäft mit Kulturgütern mittlerweile an dritter Stelle nach dem Waffen- und Drogenhandel. Und inzwischen ist nachgewiesen, dass mit dem Geld aus diesem illegalen Kunsthandel Waffen auf allen Seiten im Syrischen Krieg finanziert werden.

Die katastrophalen Auswirkungen dieses Kriegs löschen nicht nur Teile der syrischen, sondern unserer eigenen ‚abendländischen‘ Identität aus, Teile unseres historischen Gedächtnisses. Denn Die Wurzeln unserer gemeinsamen Kultur lassen sich von der Küste bis ins Innere des Landes an wenigen Beispielen verfolgen: An der Küste sind es die Hinterlassenschaften der Phönizier (Abb. 1), auf die unsere Buchstabenschrift zurückgeht, bis hin zu den Kirchen und Burgen der Kreuzfahrer im Mittelalter (Abb. 2-3).

Weiter im Landesinneren liegt Apamea, die größte antike Stadt Syriens, mit der längsten Säulenstraße der Welt, durch die mittlerweile Panzer rollen. Raubgräber haben inzwischen das gesamte antike Stadtgebiet wie einen „schweizer Käse“ durchlöchert (Abb. 4): Um an die unter Mosaiken vermuteten Schätze zu gelangen, wurden mit bis zu 3 Metern tiefe Löcher gegraben. Der historische Kontext der antiken Stadt ist damit für immer verloren.

Zwischen Apamea und Aleppo liegen die sog. Toten Städte Nordsyriens: Hunderte von Siedlungen einer meist christlichen Bevölkerung aus dem 3.-6.Jh. n.Chr. Auch hier wurden die zahlreichen, gut erhaltenen Grabbauten von Schatzsuchern brutal zerstört.
Besonders schlimm betroffen ist die Großstadt Aleppo. Sowohl die dortige Umayadenmoschee, die nicht zuletzt wegen ihres ungewöhnlichen Minaretts auf quadratischem Grundriss und mit ihrer feinen und reichen ausgearbeiteten Architekturornamentik als einzigartig galt, wurde weitgehend verwüstet (Abb. 5), sondern auch der Suk (Basar), der wohl der best-erhaltene originale arabische Basar überhaupt, existiert praktisch nicht mehr.

Palmyra
Die Ruinen dieser einzigartigen Oasenstadt inmitten der syrischen Wüste haben schon die ersten europäischen Reisenden im 18. Jahrhundert besonders in ihren Bann gezogen. Sie ist die größte antike Ruinenlandschaft des Vorderen Orients. Auf den in der archäologischen Forschung zunehmend ausgewerteten Satellitenbildern sind neuerdings nun auch Raubgrabungen und Panzerstellungen auszumachen.
Jetzt haben die Schergen des IS nach der barbarischen Enthauptung von Khaled al-As’ad, dem langjährigen Antikendirektor von Palmyra, erst antike Statuen und muslimische Gräber zerstört, dann die sieben besterhaltenen Turmgräber. Zuvor hatten sie bereits erst den Baalshamintempel und den Beltempel in die Luft gesprengt.

Der Grundriss dieses Baus (Abb. 6), errichtet im 1.Jh. n.Chr., folgt in seinem Gesamtentwurf, was die Anordnung der Ringhallensäulen und deren Verhältnis zur Cella betrifft, dem griechischen System eines „Pseudodipteros“; mehr noch: Er ist diesbezüglich und in seinen Gesamtmaßen eine exakte und maßgetreue Kopie eines ganz bestimmten hellenistischen Tempels, nämlich des Artemis-Tempels von Magnesia am Mäander an der Westküste Kleinasiens, der um 200 v.Chr. von dem berühmten Architekten Hermogenes errichtet worden war (Abb. 6). Auch Details der Bauornamentik des Beltempels, wie die jonischen Halbsäulenkapitellen an den Außenwänden der Cella, sind getreu nach den Kapitellen eben dieses Artemis-Tempels von Magnesia kopiert. In Architektur und Bauornamentik können wir also hier den Transfer griechisch hellenistischer Formen nach Palmyra konkret und unmittelbar fassen. Dazu passt, dass uns in einer Inschrift der griechische Name eines (oder des) Architekten des Beltempels überliefert ist: Alexandros architekton tou belou.
Aber was hat der Architekt über diesem Grundriss errichtet?
Die Schmalseite des Baus (Abb. 6) evoziert mit Säulenumgang und Giebel einen griechisch-römischen Ringhallentempel. Andererseits stehen das flache Dach, dem die Giebel nur vorgeblendet sind, der Zinnenkranz über den Längsseiten, die Treppentürme, die das Dach begehbar machen, und der Eingang an der Längsseite des Baus in orientalischer Tradition. D.h. der Bau konnte gleichzeitig von unterschiedlichen Bevölkerungsschichten bzw. Kultanhängern als Sakralraum empfunden werden: Einerseits von denen, die einheimisch-orientalischem Kult anhingen, andererseits jenen, die griechisch-römische Kultformen gewohnt waren. Man stelle sich den Stephansdom in Wien oder der Kölner Dom mit Minaretten anstelle der Glockentüme vor.
Wie eng diese neue Symbiose unterschiedlicher Traditionen in Palmyra war, zeigt besonders schön der Fries über dem Gebälk: Typus und Motiv entsprechen stadtrömischen augusteischen Girlandenformen, die Ausführung ist aber einheimischen Steinmetzen zuzuschreiben: Die „Weintrauben“ haben die Form von Datteln (Abb. 7).
Auch die nachantike Geschichte des Bauwerks ist aufschlussreich: Zunächst Tempel des Bel, dann im 5. und 6.Jh. n.Chr. christliche Kirche mit byzantinischen Wandmalereien, dann bis 1929 Moschee und schließlich Tempel des Tourismus bis zum 21. August 2015.

Besonders gefährdet war und ist die einzigartige Nekropolenlandschaft rings um Palmyra, insbesondere die über 100 Turmgräber und unterirdischen Gräber mit Wandmalereien und reichem Skulpturenschmuck. Die besterhaltenen Turmgräber wurden bereits vom sog. IS gesprengt.
Auch schon vor der Einnahme Palmyras durch den sog. IS wurden massenweise Grabreliefs gestohlen (Abb. 8-10) und über den illegalen internationalen Kunsthandel verkauft, sodass solche Reliefs nun auch von renommierten Auktionshäusern katalogartig im Internet angeboten werden. Ohne Zweifel sind zahlreiche Objekte, die im Kunsthandel mit der Provenienzangabe „Palmyra“ gehandelt werden, nicht Bestände „aus altem Privatbesitz“, wie im Katalog angegeben wird, sondern illegales Raubgut.

Internationale Schritte zur Bewahrung unseres kulturellen Erbes
In internationaler Kooperation wird versucht, die Plünderungen, den systematischen Raub und die unwiederbringliche Zerstörungen von Kulturgut zu dokumentieren und listenmäßig digital zu erfassen. Mit all diesen Bemühungen kann man die katastrophale, schrittweise Vernichtung unseres kulturellen Gedächtnisses nicht aufhalten. Auch beschwichtigende Apelle seitens des Weltsicherheitsrates und der UNESCO werden die brisante und bedrohliche Situation nicht stoppen. Die politische Verantwortlichen von EU und Weltsicherheitsrat sind gefordert, aktiv werden. Es bleibt zu hoffen, dass diese Handlungsträger möglichst bald die richtigen geeigneten Schritte setzen und internationale Kooperationen nicht müde werden in dem Bemühen, unser aller kulturelles Erbe zu schützen und zu retten.

© Andreas Schmidt-Colinet
e-mail: andreas.schmidt-colinet@univie.ac.at

This article should be cited like this: A. Schmidt-Colinet, Palmyra geht uns alle an: Die Zerstörung unseres kulturellen Erbes, Forum Archaeologiae 77/XII/2015 (http://farch.net).



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