Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 73 / XII / 2014

MUSEUM VILLA RETZNEI
10 Jahre archäologische Arbeiten durch den Verein ASIST (2004–2014)

Am 31.05.2014 wurde in Retznei ein kleines Museum eröffnet, das der dortigen archäologischen Fundstelle gewidmet ist. An dieser Stelle soll dieses Museum, das vielleicht eher als Schauraum bezeichnet werden müsste, kurz beschrieben werden sowie ein knapper Überblick über die Arbeiten auf der archäologischen Fundstelle gegeben werden.


Der Name des Museums führt möglicherweise in die Irre, ist doch die Frage, ob es sich bei der kaiserzeitlichen Anlage tatsächlich um eine Villa handelt, noch nicht geklärt. Die ersten Ausgrabungen fanden im Jahr 1873 statt, als Friedrich Pichler für das Landesmuseum Joanneum erste Sondagen anlegte. Die Arbeiten wurden nach wenigen Wochen wieder beendet, jedoch erschien bald ein Bericht in den Mittheilungen der k. k. Central-Commission für Erforschung und Erhaltung der Kunst- und historischen Baudenkmale [1]. Erst im Jahr 2004 fand eine Fortsetzung statt, als sich die Frage nach der Lokalisierung der Altgrabung, aber auch nach Charakter und Zeitstellung der Villa stellte. In den Folgejahren konnten Untersuchungen durchgeführt werden, die durch den 2006 gegründeten Verein ASIST (Archäologisch-Soziale Initiative Steiermark) im Rahmen einer Arbeitsgemeinschaft mit der ST:WUK (Steirische Wissenschafts-, Umwelt- und KulturprojektträgergesmbH.) betrieben wurden [2].

Wurde zunächst die von Friedrich Pichler rudimentär beschriebene kaiserzeitliche Anlage wieder freigelegt und der Versuch unternommen, Zeitstellung, Bauphasen sowie Funktion der Gebäude zu klären, so rückten mit der Zeit auch Fragen zu den prähistorischen Vorgängerphasen ins Blickfeld. Eine kleinere mittelbronzezeitliche Siedlung lag auf dem Areal, auf dem in der ausgehenden Mittellatènezeit eine größere Anlage, die wir derzeit als Gehöftgruppe ansprechen, errichtet wurde [3].
Die latènezeitlichen Befunde kamen in einem großen Areal zu Tage. Aufgrund der kaiserzeitlichen Baumaßnahmen aber auch aufgrund späterer Eingriffe und Störungen war es bisher nicht möglich, die Struktur der betreffenden Siedlung genauer zu klären, die Arbeiten daran dauern aber an. Mehrere Grubenhütten lagen unter dem römischen Bau, Pfostenbauten sowie andere nicht klar zu interpretierende Befunde wurden dokumentiert und werden demnächst ausgewertet. Die zugehörigen Funde gehören in die Phasen Latène C2 sowie die darauf folgende Spätlatèneperiode, wobei der Versuch einer genaueren chronologischen Einordnung der keramischen Funde noch am Laufen ist.
Funde aus der frühaugusteischen Zeit lassen jedenfalls derzeit die Möglichkeit einer kontinuierlichen Nutzung bis in die frühe Kaiserzeit möglich erscheinen, was die Fundstelle zweifellos zu einem wichtigen Forschungsobjekt für die Frage nach Brüchen oder Kontinuitäten zwischen Spätlatèneperiode und der römischen Kaiserzeit macht. In der flavischen Epoche wurde der erste Steinbau errichtet, dem bald weitere Um- und Zubauten folgten. Eine größere Badeanlage gehört in das mittlere 2.Jh. n.Chr., ein weiteres größeres Gebäude, bei dem es sich ebenfalls um eine Badeanlage handelt, wurde im 3.Jh. erbaut [4]. Die Funktion der einzelnen Räume innerhalb der Badeanlagen ist großteils zu erschließen, nicht einfach ist die Klärung eines Traktes im Südosten, bei dem es sich um ein Nymphäum gehandelt haben könnte.
Auffallend ist, dass bis jetzt einfache Wohntrakte oder Nebengebäude nicht lokalisiert werden konnten. Ob das mit der Beschränkung der Grabungsfläche auf ein kleines Areal, auf dem eben nur das Hauptgebäude lag, erklärt werden muss, oder ob die römische Anlage doch eine andere 'halb-öffentliche' Funktion, die bis jetzt nicht klar benannt werden kann, innehatte, ist zu fragen.


Etliche wissenschaftliche Fragen sind derzeit noch offen, nach vielen Jahren feldarchäologischer Arbeit war jedoch auch die Perspektive einer musealen Präsentation wichtig. Ein altes denkmalgeschütztes Bauernhaus im Dorf Retznei, 200 m von der Fundstelle entfernt, konnte schließlich zu diesem Zweck saniert werden und wurde mittlerweile unter dem Namen Museum Villa Retznei eröffnet. Funde aus den letzten Grabungsjahren werden dort gezeigt, ferner ein zentrales Fundstück aus der Grabung Friedrich Pichlers, ein Altar für die Göttin Fortuna, der als Leihgabe des Landesmuseums Joanneum ausgestellt ist [5]. Der Ort Retznei ist auch als Fundstelle von Fossilien bekannt, die im Leithakalk, der heute in mehreren Steinbrüchen abgebaut wird, gefunden werden. Der Geologie und Ortsgeschichte ist ein Raum gewidmet, ein weiterer den archäologischen Fundstücken, deren Bedeutung auf Schautafeln erläutert wird. Ein Film über archäologische Entdeckung der Villa sowie anderer Fundstellen und die damit verbundene Problematik des Schutzes von Bodendenkmäler wird ebenfalls gezeigt. Führungen zur archäologischen Fundstelle sowie zu benachbarten Denkmälern werden angeboten.
Nach der Einrichtung des Museums, das mit der Eröffnung am 31.5.2014 seinen Betrieb aufnahm, rücken nun wieder die wissenschaftlichen Fragen ins Zentrum der Arbeiten von ASIST. Zu den vordringlichsten Aufgaben zählt in diesem Zusammenhang mit Sicherheit die Vorlage der bisherigen Befunde. Eine kurze Publikation und Zusammenschau der wichtigsten Ergebnisse erfolgte in einem Katalog, dem Blätterbuch Retznei (s. unten), die monografische Vorlage der archäologischen Funde und Befunde ist derzeit in Vorbereitung und ist für das Jahr 2016 geplant.

Museum Villa Retznei, Katalog Villa Retznei – Ein Blätterbuch
Funde aus den Ausgrabungen 2004-2012
100 Seiten, erschienen 2013
€ 7,70, zu beziehen bei ASIST (office@asist.at)

Museum Villa Retznei, Öffnungszeiten
1. Mai bis 31. Oktober
Freitag: 9.00-18.00
Samstag: 9.00-14.00
Für Gruppen gegen Voranmeldung auch außerhalb der regulären Öffnungszeiten.
Kontakt:
8461 Retznei 26
Archäologisch-Soziale Initiative Steiermark
office@asist.at
www.asist.at
Tel. 0699 – 12 76 07 24
[1] F. Pichler, Die römische Villa zu Reznei in Steiermark, Mittheilungen der k. k. Central-Commission für Erforschung und Erhaltung der Kunst- und historischen Baudenkmale 19, 1874, 3—13.
[2] Die Arbeiten finden im Rahmen eines gemeinnützigen Beschäftigungsprojektes mit arbeitsmarktpolitischer Zielsetzung statt, gefördert durch das Arbeitsmarktservice, das Land Steiermark, die Europäische Union, die Gemeinde Retznei sowie die Firma Lafarge Zementwerke. Mehr zum Projekt: www.asist.at/beschaeftigungsprojekt.htm.
[3] B. Schrettle und St. Tsironi, Die mittelbronzezeitliche Siedlung im Bereich der Villa Rustica von Retznei, in: G. Tiefengraber (Hrsg.), Studien zur Mittel- und Spätbronzezeit am Rande der Südostalpen, Universitätsforschungen zur Prähistorischen Archäologie 148 (Bonn 2007) 125-141; B. Schrettle, Vom spätlatènezeitlichen Gehöft zur kaiserzeitlichen Luxusvilla. Fragen zu Kontinuität und Diskontinuität anhand neuer Befunde in der Villa Retznei, in: Tagungsbericht zum Symposium „Die archäologische Erforschung römischer Villen im Ostalpenraum“ in Södingberg 2008, FÖ 48, 2009, 124-129.
[4] B. Schrettle, Retznei: Villa, Bad und Heiligtum? Zur Interpretation einer ländlichen Siedlung im sudöstlichen Noricum, in: S. Traxler – R. Kastler (Hrsg.), Colloquium Lentia 2010. Akten des Kolloquiums Römische Bäder in Raetien, Noricum und Pannonien in Linz 2010, Studien zur Kulturgeschichte von Oberösterreich 27 (Linz 2012) 97-106.
[5] CIL 03, 11729; RISt Nr. 226; für die Möglichkeit, den Stein als Leihgabe präsentieren zu können, ist dem Universalmuseum Joannneum und Herrn Mag. Karl Peitler vom Archäologiemuseum zu danken.

© Bernhard Schrettle
e-mail: bernhard.schrettle@asist.at

This article should be cited like this: B. Schrettle, Museum Villa Retznei. 10 Jahre archäologische Arbeiten durch den Verein ASIST (2004–2014), Forum Archaeologiae 73/XII/2014 (http://farch.net).



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