Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 65 / XII / 2012

FUNDORT WIEN 15, 2012 - JAHRESEBERICHT DER STADTARCHÄOLOGIE WIEN

Archäologie und Bauwirtschaft – die neuzeitliche Bastion
Das österreichische Denkmalschutzgesetz, das vor einer Zerstörung archäologischer Befunde durch Baumaßnahmen eine entsprechende archäologische Dokumentation der kulturellen Verlassenschaften vorschreibt, ist die wichtigste Basis für die Erforschung einer historisch gewachsenen städtischen Struktur, lässt aber gleichzeitig Archäologen und Bauträger scheinbar als „Kontrahenten“ zurück. Das Spannungsfeld zwischen wissenschaftlicher Forschung/archäologischer Dokumentation und Wirtschaftlichkeit ist groß und basiert meist auf der Unmöglichkeit, vorab Zeit und Kosten baubegleitender Untersuchungen – diese werden in der Regel vom Bauträger übernommen – realistisch einzuschätzen.
Die Stadtarchäologie Wien kann zwar auf eine jahrelange gute Zusammenarbeit mit Vertretern der Bauwirtschaft zurückblicken, an einer Optimierung wird aber dennoch laufend gearbeitet. Im diesjährigen Fundort Wien wird ein „archäologisches Frühwarnsystem für die Bauwirtschaft“ vorgestellt. Der Autor Martin Mosser hat die neuzeitlichen Wiener Befestigungsanlagen – auf Basis von z.T. bislang nicht berücksichtigten Plänen, Bohrprofilen und Grabungsbefunden der vergangenen Jahre – in ein GIS-Projekt einfließen lassen, das schon beim momentanen Bearbeitungsstand (mehr oder weniger) punktgenaue Abfragen zu Lagen und Tiefen der einzelnen Bauteile der Befestigung erlaubt (Abb. 1). Dies wird in Zukunft nicht nur die Planung der archäologischen Untersuchungen im Bereich der Wiener Ringstraße erleichtern, sondern auch dem jeweiligen Bauträger rasch Einblick geben in den Untergrund und Beeinträchtigungen des Baugeschehens durch massives Mauerwerk, Hohlräume, Gewölbe etc. vorhersehbar machen. Am Rande kann dies auch Anregung sein für eine kulturpolitisch wünschenswerte Herausforderung: eine Integration der an vielen Stellen gut erhaltenen und bis zu einer Tiefe von 10m reichenden Überreste der Wiener Stadtbefestigung in die Architektur geplanter Bauprojekte.

Mit der abschnittsweisen Freilegung der Befestigungsstrukturen war die Stadtarchäologie in den vergangenen Jahren schon mehrfach betraut (Bereich Wipplingerstraße, Neutorgasse, Etablissement Ronacher sowie Weihburggasse); vielfach nachzulesen in Fundort Wien. Zahlreich waren immer auch Tierknochenfunde, die Einblick geben in Fleischversorgung, Abfallbeseitigung aber auch in knochenverarbeitendes Handwerk. Während der Grabungen an der Bastion im Bereich der Wipplingerstraße kam u.a. der Schienbeinknochen eines Pferdes/Maultieres zum Vorschein, der von Sigrid Czeika auf Grund von Schliffspuren als frühneuzeitliche Knochenkufe identifiziert wurde. Sie nahm dies zum Anlass anhand eines kurzen kulturhistorischen Abrisses u.a. eine Form der Fortbewegung auf dem Eis, die mit dem Beinschlitten, wie sie heute nur noch regional und als Freizeitvergnügen – natürlich unter Verwendung anderer Materialien – betrieben wird, zu präsentieren (Abb. 2 und 3).

Legionslager Vindobona – Infrastruktur
Im vergangenen Jahr gelang es in einem Schacht im Bereich des Alten Rathauses in der Wipplingerstraße wesentliche Erkenntnisse zum Abwasserkanal der via praetoria des Legionslagers Vindobona zu gewinnen, und das obwohl in einer Gesamttiefe von über 4m im untersten Bereich lediglich eine Fläche von 1x1m zur Befundung zur Verfügung stand (Abb. 4). Das nur kurze dokumentierte Teilstück des Kanals lässt sich gut mit weiter nördlich gelegenen Befunden aus dem Jahr 1951 verbinden, liefert zudem aber nun auch einen Datierungsansatz, da, wie das Fundmaterial zeigt, seine Verfüllung spätestens in der zweiten Hälfte des 3. Jahrhunderts erfolgt sein muss. Interessant ist der geborgene Werkstattabfall, der auf eine Buntmetallverarbeitung in einer im näheren Umfeld zu lokalisierenden Werkstatt hindeutet.

Keramikproduktion in Pannonien
Ein Artikel widmet sich römischen Keramikgefäßen, deren Wandung mit schrägen Furchen versehen ist (Abb. 5 und 6). Die Zusammenstellung aller bislang publizierten Funde zeigt, dass es sich scheinbar um typisch pannonische Gefäße handelt, die ab dem 2. bis hinein in das 3. Jahrhundert vorwiegend lokal produziert wurden. Neben zahlreichen Exemplaren in Vindobona und Carnuntum liegen Beispiele u.a. aus Gerulata, Arrabona, Aquincum, Intercisa sowie Poetovio vor. Als Vorbilder können Glasgefäße in Betracht gezogen werden. Es handelt sich hier um die erste Zusammenschau dieser Keramik, die in erster Linie auf das Erwecken der Aufmerksamkeit von Fundbearbeitern abzielt, denn beim momentanen Publikationsstand lassen sich kaum allgemeingültige Aussagen z.B. bezüglich ihrer Verwendung treffen. Doch zeigt sich schon jetzt, dass eine große Zahl aus Grabzusammenhängen stammt, für manche Exemplare – weil kleiner dimensioniert – kann sogar vermutet werden, dass sie bewusst als Grabbeigaben gefertigt wurden. Einige Funde aus Carnuntum legen diesen Schluss nahe.

Baugeschichten – „Eine der ältesten Kirchen Wiens“
Die Entstehung der Kirche St. Peter (Abb. 7) im Ersten Wiener Gemeindebezirk ist mit einigen Meinungen zur Datierung verknüpft, deren Basis man als legendenhaft bezeichnen kann. Zum einen wird die Orientierung der Apsis des mittelalterlichen Baues im Süden, wie es durch mehrere Bildquellen belegt ist, immer wieder auf spätantike Strukturen zurückgeführt, dann wieder bemüht man das Patrozinium für eine Datierung ins 9. Jahrhundert, jedoch erstmals erwähnt ist die Kirche erst 1137. Ein Artikel widmet sich all jenen Daten, die mit der ersten Kirche und ihrem Umfeld in Verbindung stehen und bezieht auch den jüngsten Grabungsbefund mit ein. Auch wenn auf Basis der zusammengestellten Quellen bislang keine endgültige Klärung der Datierungsfrage möglich ist, so konnte doch in aller Kürze aufgezeigt werden, wo die Idealvorstellung von Alt-St.-Peter und der reale Kirchenbau voneinander abweichen.

Fundort Wien. Berichte zur Archäologie 15/2012
Aufsätze
– Martin Mosser, Ein „archäologisches Frühwarnsystem“ für das Bauwesen – das Wiener Bastionen-GIS
– Sigrid Czeika, Eine aus dem Schienbeinknochen eines Equiden hergestellte frühneuzeitliche Knochenkufe der Grabung Wien 1, Wipplingerstraße 35
– Ingeborg Gaisbauer, „Eine der ältesten Kirchen Wiens“. Anmerkungen zu einigen beliebten Argumenten für eine Frühdatierung von St. Peter
Sigrid Czeika, Tierreste aus einer neuzeitlichen Planierung im Bereich der ehemaligen Stadtmauer (Wien 1, Etablissement Ronacher)
– Martin Mosser/Kristina Adler-Wölfl/Sigrid Czeika/Ingeborg Gaisbauer/Silvia Radbauer/Helga Sedlmayer, Befunde im Legionslager Vindobona. Teil VII: Der Abwasserkanal der via praetoria – Wien 1, Wipplingerstraße 6 (Altes Rathaus)
– Eleni Eleftheriadou, Römische Keramik mit schrägen Furchen aus Pannonien

Tätigkeitsberichte
– Martin Penz/Violetta Reiter, Wiener Fundstücke in der Studiensammlung des Institutes für Ur- und Frühgeschichte der Universität Wien
– Michael Weißl/Jürgen Scheibz, Evaluierung kombinierter oberflächengeophysikalischer Messmethoden in der archäologischen Prospektion am Beispiel Wien-Unterlaa

Fundchronik – Grabungsberichte 2011
Wien 1, Habsburgergasse 14 (H. Krause/M. Mosser)
Wien 1, Kramergasse 13 (M. Mosser)
Wien 1, Wipplingerstraße 6 – Altes Rathaus (M. Mosser)
Wien 2, Taborstraße 66/Ecke Volkertstraße 2 (Ch. Öllerer/N. Piperakis)
Wien 3, Eslarngasse 12–16 (C. Litschauer/M. La Speranza)
Wien 3, Landstraßer Gürtel 8 (I. Mader)
Wien 6, Wallgasse 15–17 (M. Mosser)
Wien 7, Mondscheingasse 6 (N. Piperakis)
Wien 10, Gudrunstraße, gegenüber 63–115 (Projekt Hauptbahnhof) (M. Mosser)
Wien 10, Unterlaa – Am Johannesberg (M. Penz)

FWien 15/2012
Einzelpreis EUR 34,–. Abonnement-Preis EUR 25,60
ISBN 978-3-85161-085-7, ISSN 1561-4891
eBook (pdf-Format)
Gesamtpreis EUR 30,–. Einzelartikel EUR 2,80–10,–
ISBN 978-3-85161-086-4, ISSN 1561-4891
Schriftentausch per E-Mail: gertrud.gruber@stadtarchaeologie.at
Auslieferung/Vertrieb: Phoibos Verlag, Anzengrubergasse 16, A-1050 Wien, Austria, E-Mail: office@phoibos.at, Web: www.phoibos.at

© Museen der Stadt Wien – Stadtarchäologie
e-mail: o@stadtarchaeologie.at

This article should be cited like this: Museen der Stadt Wien – Stadtarchäologie, Fundort Wien 15, 2012 - Jahresbericht der Stadtarchäologie Wien, Forum Archaeologiae 65/XII/2012 (http://farch.net).



HOME