Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 65 / XII / 2012

KLEIDER MACHEN LEUTE
Buchbesprechung von Mittel der Macht. Textilien bei den Kelten von Johanna Banck-Burgess

Mittel der Macht. Textilien bei den Kelten / Instruments of Power. Celtic Textiles
2012, 176 Seiten mit 100 farbigen Abbildungen. Gebunden
Maße: 25,1 x 25,1 cm, Deutsch/Englisch. Übersetzung: Bettina von Stockfleth
ISBN 978-3-8062-2709-3. Konrad Theiss Verlag, Stuttgart
€ 39,95 [D], 41,10 [A]. Subkription bis 17.2.2013: 29,95/30,80 €

Am Ende des Keltenjahres 2012, das besonders in Baden-Württemberg in vielen Einzelveranstaltungen und mit der noch bis 17. Februar 2013 in Stuttgart laufenden Ausstellung ausgiebig gefeiert wurde, sei mit der folgenden Buchbesprechung auf einen Einzelaspekt der Keltenforschung eingegangen, auf die Textilarchäologie. Dieser junge Zweig der archäologischen Forschung (S. 124f.) hat nicht nur mit oft schlecht erhaltenen und rasch vergänglichen Quellen zu kämpfen sondern auch mit einer oft vorschnellen Theoriebildung, die an nur oberflächlich untersuchte Fundstücke anknüpft (S. 12 f.). Die Autorin Johanna Banck-Burgess ist für eine Einführung in dieses noch junge Thema hervorragend geeignet, ist sie doch die Inhaberin der einzigen Planstelle für Textilarchäologie in Deutschland.

Aufbau des Buches
Das zweisprachige (deutsch, englisch) Buch von Johanna Banck-Burgess (J.B.-B.) hat in erster Linie die sensationellen Textilien aus dem frühkeltischen Hügelgrab (Abb. 1) von Eberdingen-Hochdorf, Landkreis Ludwigsburg, aus dem ausgehenden 6. Jahrhundert zum Inhalt. Es beleuchtet darüber hinaus aber auch Grundsätzliches zum Thema archäologische Textilien, wie beispielsweise die Bereiche Materialkunde und Fertigungstechnik, Bergungstechnik und Restaurierungswissenschaften. Die konsequente Zweisprachigkeit erweitert natürlich den Leserkreis der Publikation – sicherlich verzichtet J.B.-B. dadurch allerdings auf ausführlichere Texte und weitere interessante Details.

Die einzelnen Themen werden in zwölf nicht nummerierten Kapiteln besprochen. Sie stehen im Prinzip auch nicht in einer unmittelbar aufeinander folgenden Reihenfolge. Das erlaubt dem Leser ein bis zu einem gewissen Grad nicht-chronologisches Lesen. Vielleicht ist es sogar für manchen Leser von Vorteil, beispielsweise mit dem Abschnitt „Textilhandwerk und experimentelle Archäologie“ zu beginnen, vor allem, wenn er sich zum ersten Mal intensiver mit Textilien auseinandersetzt.
Der Text wird zusätzlich durch Informationskästen aufgelockert. In diesen „Exkursen“ werden einzelne textile Fachbegriffe (z.B. „Was ist ein feines Gewebe?“, S. 51), ergänzendes Material (z.B. „Schatzkammer Archiv“, S. 81) oder relevante archäologische Termini (z.B. „Kugelkopfnadeln“, S. 127) kurz und prägnant erklärt. In weiteren Exkursen werden weitere, für die Textilproduktion relevante Fakten zur Sprache gebracht, z.B. „Faktor Zeit“ (S. 108).
Am Ende des Buches befinden sich nach dem Abschnitt mit Danksagungen ein Glossar und ein Literaturverzeichnis (leider ohne Hinweise auf die anderen Funde im Grab, obwohl J.B.-B. mehrfach auf die Kontextbezogenheit repliziert [S. 36] bzw. auf die Aussagekraft des unmittelbaren Umfeldes eingeht [S. 141]). Beides wurde offenbar absichtlich kurz gehalten, die alphabetische Reihung der Glossareinträge purzelte bedauerlicherweise ein wenig durcheinander. Gerade im Fall des Glossars ist die zweisprachige Ausgabe von großem Nutzen, nicht nur um sein eigenes Wissen auf dem Gebiet textiler Termini zu überprüfen bzw. zu erweitern sondern auch um als Nachschlagewerk beim Lesen vertiefender Literatur dienen zu können – sind solche Fachtermini in Wörterbüchern doch oft nur schwierig zu finden.
Ein gut aufgeschlüsseltes Register und das Abbildungsverzeichnis runden den organisatorischen Apparat des Buches ab. Leider gibt es zu den im Text beschriebenen Forschungsergbnissen namentlich angeführter Kollegen keine weiterführende Literaturangaben – offenbar um die oben angesprochene Kürze nicht zu verlieren. Die Nennung vollständiger Namen erleichtert allerdings dem interessierten Leser das Recherchieren weiterführender Lektüre.

Viele Abbildungen des Buches sind ein wirkliches Vergnügen. Selten bekommt man Gewebereste in so hervorragenden und illustrativen Bildern vor Augen geführt. Die bei etlichen Exemplaren ergänzenden Handzeichnungen, aus denen zumeist erst die Dimensionen des Textilfragments zu erkennen sind (Abb. 2), tragen darüber hinaus viel an Information bei. Dies gilt auch für die teilweise ausführlichen Bildunterschriften; sie sind oft eine gute Ergänzung des Bildmaterials. Der einzige Wermutstropfen dabei ist, dass die Bilder nicht nummeriert sind. Dieser zugegebenermaßen oft spröde Usus wissenschaftlicher Publikationen entbehrt aber natürlich auch nicht seiner Sinnhaftigkeit. Erst dadurch wird es möglich, eine Textpassage mit einer Abbildung zu verbinden, sodass eine Abbildung als perfekte Ergänzung des Textes (und auch umgekehrt) fungieren kann. Durch die nicht ausgewiesenen Bezüge zwischen Text und Bildern bleibt der Leser manchmal ein wenig ratlos zurück.

Inhalt des Buches
Das Buch gliedert sich in zwölf Kapitel. Die ersten beiden Kapitel, „Zur Bedeutung frühkeltischer Textilien“ (S. 9-14) und „Archäologische Textilien“ (S. 15-20), führen den Leser in die Thematik ein und machen ihn mit der Bearbeitung textiler Funde vertraut.
Das folgende Kapitel, „Das Fürstengrab von Eberdingen-Hochdorf“ (S. 21-42), erzählt die Forschungsgeschichte der Ausgrabung in Eberdingen-Hochdorf und würdigt ausführlich die Einsatzbereitschaft des Ausgräbers Jörg Biel. Seiner Initiative ist es zu verdanken, dass der Forschung so viel Material durch die am Ende der 70er-Jahre sensationelle Methode der Blockbergung erhalten geblieben ist. Der Bestattete ist ein auffallend großer Mann, der mit zahlreichen Beifunden am Ende des 6.Jhs. in einem Hügelgrab beigesetzt wurde. Dieser Umstand gab dem Grab auch seinen Spitznamen „Fürstengrab“. J.B.-B. macht durch die kurze Beschreibung der an der Aufarbeitung beteiligten Wissenschaftsdisziplinen die Wichtigkeit des interdiszipliären Arbeitens deutlich.
Im Kapitel „Meisterweke textiler Kunst“ (S. 43-72) werden einzelne Textilfragmente vorgestellt und deren Fertigungstechnik beschrieben. Außerdem geht J.B.-B. auf die Färbung und die Rohmaterialien ein. Sie beschreibt die komplizierten Muster, unter denen im Grab von Hochdorf die Swastika einen besonderen Stellenwert einnimmt. Schließlich vergleicht die Autorin die Hochdorfer Textilien mit den meist wesentlich bescheideneren Funden an anderen Orten: „Hochdorf und andere zeitgleiche Highlights“ (S. 73-88). Die genauen Untersuchungen vor allem auf dem Gebiet des Rohmaterials erlauben schließlich im Kapitel „Textilhandwerk im Aufbruch“ (S. 89-94) Überlegungen zur Entwicklung der Textilwirtschaft im Allgemeinen anzustellen, auf lokaler, überregionaler und internationaler Ebene. Im Grab von Hochdorf kamen nicht nur prunkvolle importierte sondern auch mit großem handwerklichen Geschick, lokal hergestellte Gewebe zum Einsatz, diese „Textiltraditionen“ (S. 95-100) trugen wahrscheinlich sogar unmittelbar zum Wohlstand des Verstorbenen bei. Die Muster fungierten wahrscheinlich zusätzlich als „textile Codierungen“ (S. 97), die die Herkunft einer Person an der Musterung ihrer Kleidung offenbaren.
Das Verstehen der oft stark fragmentierten Gewebe (Abb. 3) wird oft erst durch das Anfertigen von Nachbildungen möglich, wie im Kapitel „Textilhandwerk und experimentelle Archäologie“ (S. 101-122) ausgeführt wird. Auch wenn sich ein Gewebe im Rahmen der experimentellen Archäologie herstellen lässt, müssen Fragen zum Aussehen der tatsächlich Kleidung oft offen bleiben, deswegen steht die keltische „Kleiderforschung“ (S. 123-132) noch am Anfang.
Die beiden folgenen Kapitel „Textilien als Zeitzeugen der Lebenden“ (S. 133-138) und „Textilien als Zeitzeugen für das Jenseits“ (S. 139-150) beschäftigen sich mit Fragen nach der Bedeutung der Gewebe für die Zeitgenossen. Die prunkvollen Grabausstattungen von Hochdorf oder auch Hohmichele rufen uns allerdings auch den heute oft vernachlässigten Umstand in Erinnerung, dass Textilien für die Bekleidung nur einen kleinen Teil an der notwendigen Textilproduktion ausmachen. Im Grab von Hochdorf konnten Wandbehänge, Bodenbeläge, Matratzenstoff und vielseitig verwendbare Tücher identifiziert werden. Im Allgemeinen wird die Grabkammer „als Wohnstätte für das Jenseits verstanden“ (S. 82). Insofern spiegeln die Ausstattungen auch die Wohnumstände der Lebenden, wenn auch auf höchstem Niveau, wider.
Das Grab von Hochdorf und hier insbesondere auch die in ihm gefundenen Textilien sind ein wichtiger Meilenstein für die Erforschung keltischer Grabsitten (S. 141-146). Der schon früher mehrfach beobachtete Umstand, dass Grabbeigaben in Tücher eingeschlagen bzw. regelrecht umwickelt waren, kann hier bei allen Grabbeigaben eindeutig nachvollzogen werden. Auch der Leichnam ist mehrfach in Tücher eingeschlagen. Die sorgsame Verhüllung (Abb. 4) mit einfachen, ungefärbten Tüchern spielte offenbar eine wichtige Rolle im Totenritual; welche Glaubensvorstellungen diesem Brauch zu Grunde lagen, wird aber kaum je zu beantworten sein. Es scheint das Bestreben dahinter zu stehen, den Prunk (wie Metallbeigaben, Goldfibeln, kostbare Stoffe etc.) auf der Reise ins Jenseits zu kaschieren. Die genaue Beobachtung der Fundumstände lässt darüber hinaus große Eile bei der Belegung der Grabkammer erkennen – mögliche Gründe dafür führen aber ebenso in den Bereich der Spekulation.

Schließlich endet J.B.-B., indem sie „Textilien als heimliche Herrscher“ (S. 151-152) einstuft. Das ist vielleicht ein wenig plakativ formuliert, sicherlich trägt aber die Textilarchäologie dazu bei, eine weitere antike Quellengattung „lesbar zu machen“ (S. 10).

Fazit
Im Großen und Ganzen ist das äußerst interessante Buch ein Plädoyer für die „kulturhistorische Bedeutung der Kleidung als gesellschaftliches Ausdrucksmittel“ (S. 124) und erinnert gleichzeitig auch an die „Wohnqualität zu Lebzeiten“ – zumindest der „höher Gestellten“ (S. 133). Beides spiegelt sich hervorragend in den Textilien des hallstattzeitlichen Grabes von Hochdorf wider. Das Buch regt dazu an, sich zu fragen, welche Wege Angehörige anderer Kulturkreise in diesen Bereichen gingen.

© Elisabeth Trinkl
e-mail: elisabeth.trinkl@uni-graz.at

This article should be cited like this: E. Trinkl, Kleider machen Leute. Buchbesprechung von Mittel der Macht. Textilien bei den Kelten von Johanna Banck-Burgess, Forum Archaeologiae 65/XII/2012 (http://farch.net).



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