Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 61 / XII / 2011

FUNDORT WIEN 14, 2011
Jahresbericht der Stadtarchäologie Wien

Forschungsstand und Forschungszukunft (?)
Zu Beginn des heurigen „Fundort Wien“ steht eine Präsentation des Status quo der stadtarchäologischen Forschung von Wien. Nach Epochen gegliedert (von der Urgeschichte bis in die Neuzeit) werden bisher erzielte Ergebnisse mit einer Auswahl entsprechender Publikationen dargestellt, derzeit diskutierte Fragen und Desiderate aufgezeigt sowie auf die mittlerweile immer komplexer werdenden Aufgabenbereiche einer Stadtarchäologie aufmerksam gemacht.
Dieser historische Abriss zeigt auch auf, dass es im Laufe der letzten 150 Jahre immer wieder Hochs und Tiefs in der Unterstützung und auch Wertschätzung historischer Wissenschaften von politischer und wirtschaftlicher Seite her gegeben hat. In sogenannten Krisenzeiten wurden und werden die Ressourcen in der Regel auf „profitablere“ Forschungszweige konzentriert und die Humanwissenschaften großteils ausgehungert. Die jüngsten Entwicklungen zeigen ganz klar einen erneuten Abwärtstrend an: Das Einstellen der Basisfinanzierung außeruniversitärer Forschungseinrichtungen, die Streichung sämtlicher Druckkostenzuschüsse für wissenschaftliche Bücher und Zeitschriften sowie ganz aktuell die massiven Sparmaßnahmen im Bereich der Akademie der Wissenschaften sprechen für sich.
Wie vielfältig die Erkenntnisse durch die – in unserem Fall – stadtarchäologische Forschung sein können und wie wichtig es ist, dass WissenschaftlerInnen unterschiedlichster Fachgebiete und Institutionen zusammenarbeiten, da sie alle voneinander profitieren, soll wieder einmal im Jahresbericht der Stadtarchäologie Wien aufgezeigt werden.

„Grenzbereiche“ des Legionslagers und der römischen Zivilstadt
Baustellenbedingte Notgrabungen (Abb. 1) bestimmen wie so oft Ort und Dauer einer archäologischen Untersuchung. Besonders schwierig gestalten sich diese im Innenstadtbereich: Die oftmals sehr kleinen Baugruben und die aus statischen Gründen einhergehenden Sicherheitsmaßnahmen beinträchtigen die Dokumentation und Auswertung in erheblichem Ausmaß. Denn das Begreifen dicht aufeinanderfolgender Kulturschichten, die noch dazu im Laufe der Zeit immer wieder gestört wurden, bedürfte einer eingehenderen Untersuchung.
Bisher nur punktuell dokumentiert werden konnte die Umfassungsmauer des römischen Legionslagers. Eine Chance, die Lagermauer (wiederum in einem sehr kleinen Ausschnitt) erstmals seit langem wieder zu erfassen, ergab sich mit einem Hausneubau in Wien 1, Kramergasse 13. Unter äußerst widrigen Umständen konnte ein Profil mit einer Bruchsteinlage dokumentiert werden, die – unter Einbeziehung der Altbefunde zur Lagermauer – als Ausriss der östlichen Umfassungsmauer des Legionslagers interpretiert werden kann (Abb. 2).
Viele offene Fragen gibt es etwa auch zur Ausdehnung der römischen Zivilsiedlung im heutigen 3. Wiener Gemeindebezirk. Hier bot sich mit dem Bauprojekt „Eurogate“ auf den ehemaligen Aspanggründen eine gute Gelegenheit, „an die Grenzen“ zu stoßen. Einer der wichtigsten Befunde der letztjährigen Grabungskampagne stellt eine einspurige Schotterstraße dar, die auf einer Gesamtlänge von 47 m verfolgt werden konnte (Abb. 3). Sie führte von der Limesstraße abzweigend Richtung Südwesten. Die Straße dürfte auch die äußerste östliche infrastrukturelle Einrichtung des römischen Siedlungsgebietes darstellen. Die eigentliche Stadtgrenze hingegen ist wohl weiter westlich zu lokalisieren, da sich an der zum Siedlungskern hin orientierten Seite der Straße Gräber inmitten eines locker strukturierten Gewerbegebietes befunden haben. Was die südliche Ausdehnung anbelangt, dürfte in diesem Abschnitt lediglich das Areal im Nahbereich der Limesstraße genutzt worden sein.

Fortifikatorische Anlagen – die frühneuzeitliche Stadtbefestigung und der Linienwall
Ein relativ junges Forschungsgebiet stellen die neuzeitlichen Befestigungswerke Wiens dar. Aufgrund zeitgenössischer Pläne ist die Lage der Befestigungswerke im Groben bekannt, die Details können meist jedoch erst durch die archäologischen Forschungen bekannt gemacht werden, da vieles entweder aus Gründen militärischer Geheimhaltung oder auch einfach wegen Lücken in der Dokumentation unklar ist. In den letzten Jahren hat sich vermehrt, wie so oft aufgrund von Bauprojekten, die Gelegenheit geboten, Teilabschnitte der Verteidigungsanlagen im Detail zu dokumentieren (Abb. 4). Im nun vorliegenden „Fundort Wien“ werden die Ergebnisse der Untersuchungen anlässlich des Baus einer Tiefgarage im Bereich Wien 1, Weihburggasse vorgestellt. Hier wurde zum einen der frühneuzeitliche Stadtgraben erfasst, der an dieser Stelle 58,50 m breit war und dessen Sohle ungefähr 10 m unter heutigem Straßenniveau gelegen sein dürfte. Er wurde in den Jahren 1862/1863 im Zuge der Stadterweiterung einplaniert. Die Auswertung des Fundmaterials (Abb. 5) aus der Verfüllung des Stadtgrabens zeigte, dass dieser bis an das Ende des 18. Jahrhunderts relativ strikt gewartet wurde. Abfall scheint sich erst mit dem 19. Jahrhundert an der Grabensohle angesammelt zu haben, dies ging wohl mit dem Verlust der fortifikatorischen Funktion der Anlage einher.
Zum anderen trat die äußere Grabenfuttermauer (Kontereskarpe) mit baulichen Überresten des einstigen Waffenplatzes zutage, deren Errichtungszeit zwischen 1710 und 1746 eingegrenzt werden kann. Letztlich wurden auch die Reste von acht Ziegelpfeilerpaaren dokumentiert, die zur 1817 eröffneten Fußgängerbrücke gehörten, die vom Karolinentor über den Graben zum Wasserglacis (heutiger Stadtpark) führte und bis zur Planierung des Grabens bestand.

So wie der Wiener Ring die Lage der ehemaligen Stadtbefestigung anzeigt, so veranschaulicht dies der Gürtel für eine weitere fortifikatorische Anlage, den sogenannten Linienwall. Der Linienwall wurde zu Beginn des 18. Jahrhunderts zum Schutz der Wiener Vororte errichtet, quasi als zweiter Befestigungsring. Er verlor zwar relativ bald an Bedeutung als militärische Einrichtung, behielt jedoch umso länger seine Funktion als Steuergrenze, zur Kontrolle der Hauptverkehrswege und des Warenflusses. Erst 1894, einige Jahre nachdem die Stadt mit ihren Vororten vereinigt worden war, begann man, den Wall abzutragen.
Reste des Linienwalls traten im Zuge von Umbauarbeiten immer wieder zutage, doch erst in den letzten Jahrzehnten wurden diese Bodendenkmale auch entsprechend dokumentiert. So etwa an zwei Stellen im 3. Wiener Gemeindebezirk, in der Dr.-Bohr-Gasse und am Wildgansplatz (Abb. 6). Es zeigte sich, dass der Wall ursprünglich ein reines Erdwerk mit vorgelagertem Graben war und erst nachträglich feldseitig mit einer geböschten Ziegelmauer auf unterschiedlicher Fundamentierung verstärkt wurde.

Vorratshaltung in Erdgruben – ein kulturhistorischer Abriss
Die Umgebung der Johanneskirche in Unterlaa ist mehr durch die hier entdeckte römerzeitliche Streusiedlung bekannt. Bei den langjährigen Forschungsgrabungen der Stadtarchäologie Wien kamen aber auch vereinzelt urgeschichtliche Funde zutage; so zum Beispiel eine urnenfelderzeitliche kegelstumpfförmige Grube. Durch ihre charakteristische Form kann sie als Speichergrube eingestuft werden, die im landwirtschaftlich genutzten Nahbereich einer Siedlung gelegen haben dürfte.
Der Autor nimmt diesen Befund zum Anlass, einen Überblick über die Vorratshaltung in Erdgruben – im Speziellen der von Getreide – zu geben, einer sehr alten Kulturtechnik, die vom Neolithikum bis ins 20. Jahrhundert praktiziert wurde. Es handelte sich meist um kegelstumpfförmige bis birnen- bzw. beutelförmige Gruben mit engem, zylindrischem Hals, eine ideale Form, um einerseits eine große Lagerkapazität zu erzielen und andererseits eine einfache und auch möglichst hermetische Verschließbarkeit zu erreichen. Der luftdichte Abschluss ist die unbedingte Voraussetzung für die Silo-Wirkungsweise. Der Vorteil an dieser Technik ist die längerfristige Lagermöglichkeit ohne Qualitätsverlust, nach dem Öffnen muss der Inhalt jedoch komplett entnommen werden. Erdgruben bzw. -keller wurden auch bzw. werden noch immer für die Aufbewahrung von Garten- oder Feldfrüchten genutzt. Unter diesen Umständen ist ein oftmaliger Zugriff mit Teilentnahmen möglich, bedingt jedoch eine weniger lang währende Haltbarkeit des Lagerguts. Ein genereller Nutzen derartiger Gruben lag auch in ihrer Feuersicherheit und nicht zuletzt im Tresor- bzw. Versteckcharakter.

Fundort Wien. Berichte zur Archäologie 14/2011
Aufsätze
– Sylvia Sakl-Oberthaler, Stadtarchäologische Forschungen in Wien – Der Status quo.
– Heike Krause, Der Stadtgraben und das Glacis der Festung Wien. Die Grabung Wien 1, Weihburggasse.
– Ingeborg Gaisbauer, Die Keramikfunde aus dem Festungsabschnitt der Grabung Wien 1, Weihburggasse.
– Kinga Tarcsay, Die Glasfunde aus dem Festungsabschnitt der Grabung Wien 1, Weihburggasse.
– Sigrid Czeika, Tierreste aus dem frühneuzeitlichen Stadtgraben im Bereich Weihburggasse, Wien 1.
– Ingrid Mader (mit einem Beitrag von Sabine Grupe), Der Wiener Linienwall aus historischer, topographischer und archäologischer Sicht.
– Martin Mosser, Befunde im Legionslager Vindobona. Teil VI: Die Lagermauer – Profildokumentation auf der Parzelle Wien 1, Kramergasse 13.
– Martin Penz, Vorratshaltung in Erdgruben: Von einer urnenfelderzeitlichen Speichergrube in Wien-Unterlaa zu den neuzeitlichen Getreidegruben in Mitteleuropa.

Tätigkeitsberichte
– Martin Mosser/Sabine Jäger-Wersonig/Kristina Adler-Wölfl, Zur Peripherie der römischen Zivilsiedlung von Vindobona. Vorbericht zu den Grabungen Wien 3, Aspanggründe (Rennweg 94–102/Ziakplatz/Aspangstraße 59–65).
– Michaela Kronberger/Silvia Radbauer, Siedlungschronologische Studien zu Vindobona. Die Terra-Sigillata-Funde aus dem Legionslager und der Lagervorstadt – Vorbericht zur Publikation.
– Wolfgang Börner/Susanne Uhlirz, „Tag der Stadtarchäologie“ 2010 im Wiener Rathaus.

Fundchronik – Grabungsberichte 2010
Wien 1, Augustinerstraße 3–5 – St. Augustin (M. Mosser)
Wien 3, Aspanggründe (W. Chmelar/S. Jäger-Wersonig/M. Mosser)
Wien 3, vor Landstraßer Gürtel 8 (M. Mosser)
Wien 3, Rennweg 93A (ehem. Rennwegkaserne) (I. Mader)
Wien 3, Rochusgasse 8 (Ch. Reisinger)
Wien 3, Wildgansplatz (I. Mader)
Wien 11, Schloss Neugebäude – Unterer Blumengarten (J. Groiß)
Wien 22, Aspern – ehemaliges Flugfeld (M. Penz)
Wien 22, Aspern – Verlängerung der U2 ins ehemalige Flugfeld (S. Sakl-Oberthaler)
Wien 23, Perchtoldsdorfer Straße 6/Haeckelstraße (Schlosspark Liesing) (H. Krause)

FWien 14/2011
Einzelpreis EUR 34,–. Abonnement-Preis EUR 25,60
ISBN 978-3-85161-059-8, ISSN 1561-4891
eBook (pdf-Format)
Gesamtpreis EUR 30,–. Einzelartikel EUR 2,40–11,60
ISBN 978-3-85161-060-4, ISSN 1561-4891
Schriftentausch per E-Mail: gertrud.gruber@stadtarchaeologie.at
Auslieferung/Vertrieb: Phoibos Verlag, Anzengrubergasse 16, A-1050 Wien, Austria, E-Mail: office@phoibos.at, Web: www.phoibos.at; www.mediahistoria.com

© Museen der Stadt Wien – Stadtarchäologie
e-mail: o@stadtarchaeologie.at


This article should be cited like this: Museen der Stadt Wien – Stadtarchäologie, Fundort Wien 14, 2011. Jahresbericht der Stadtarchäologie Wien, Forum Archaeologiae 61/XII/2011 (http://farch.net).



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