Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 61 / XII / 2011

EINFACHE ANWENDUNGEN DER KITE AERIAL PHOTOGRAPHY IN DER ARCHÄOLOGIE [1]

Vorwort
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts setzte der französische Fotograf Arthur Batut erstmals Drachen als Kameraträger für die Luftbildfotografie ein [2]. Sir Henry Wellcome regte während seiner Ausgrabungen 1912/13 im Sudan die Verwendung des damals fortschrittlichen Systems zur systematischen Dokumentation einer archäologischen Ausgrabung an, die angefertigten Luftaufnahmen wurden allerdings erst 1949, nach seinem Tod, publiziert (Abb. 1) [3]. Unter der Leitung von Theodor Wiegand wurden im Rahmen der Mission des Deutsch-Türkischen Denkmalschutzkommandos anfangs sporadisch mit Drachen Luftbilder erstellt, nachdem jedoch die Unterstützung der Luftstreitkräfte für die Dokumentation archäologischer Stätten gewonnen werden konnte, schien ihre Anwendung nicht weiter verfolgenswert [4].
Persönlich begegnete mir die Anwendung der Kite Aerial Photography (KAP) in der Archäologie erstmals bei der Vorbereitung einer Seminararbeit über den Palazzo delle Colonne in Ptolemais, Libyen [5], und ohne Zugriff auf die Ressourcen der Luftwaffe schien mir ein Rückgriff auf das Konzept der KAP geeignet, um mit äußerst geringem finanziellen und technischen Aufwand Luftbilder zu erstellen. Um den vergleichsweise komplizierten Entwurf einer ferngesteuerten, drehbaren Kameraaufhängung und einer Bildübertragung zu einer Bodenstation zu vermeiden, war das vorrangige Ziel, zunächst Orthofotos einer Grabungsfläche zu erstellen. Anhaltspunkte boten neben der archäologischen Literatur [6] besonders Diskussionsforen im Internet, sodass Beiträge und Erfahrungsberichte der KAP Gemeinde in erheblichem Maße in die Konstruktion einflossen [7]. Eine erste Erprobung erfolgte im September 2011, während der von Prof. Dr. V. Gassner geleiteten Grabungen auf dem Höhenrücken von Velia. Ziel dieser Kampagne war die Untersuchung des Heiligtums der Zeusterrasse und des unmittelbar östlich angrenzenden Bereichs [8].

Konstruktion
Als Kamera bot sich aufgrund des geringen Gewichts eine bereits vorhanden Canon Ixus 70 Kompaktkamera an. Prinzipiell eignen sich auch andere Digitalkameras für diese Aufgabe, sie müssen allerdings über die Möglichkeit verfügen, eine unbegrenzte Anzahl an selbstauslösenden Aufnahmen anzufertigen. Im Falle von Canon Kameras wird dies mit Hilfe des CHD-Kit ermöglicht, das auf einer Speicherkarte installiert wird und eine weitreichende Fülle von ansonsten gesperrten Funktionen der Kamera freischaltet [9]. Insbesondere erlaubt es die Verwendung des für diesen Zweck erstellten "Windwatcher" Skripts die automatische Anfertigung einer beliebig bestimmbaren Anzahl an Aufnahmen im RAW Format mit wechselnden Zoom- und Belichtungsstufen [10]. Damit entfällt die Notwendigkeit eines mechanisch ferngesteuerten Auslösers. Aufgrund des ohne Fernkontrolle zu erwartenden hohen Ausschusses an Bildmaterial empfiehlt sich die Verwendung einer großzügig bemessenen Speicherkarte.
Montiert wurde die Kamera in einem simplen Rahmen aus einer Aluminiumleiste, welche auf die Größe der Kamera zurecht gebogen wurde. Beim Biegen des Rahmens musste darauf geachtet werden, dass der Rahmen die Bedienelemente der Kamera nicht verdeckt. Zur Vermeidung von Kratzern auf dem Gehäuse wurde der Rahmen zusätzlich mit Klebeband umwickelt. Eine Stativschraube fixiert die Kamera am Rahmen, zwei weitere Schrauben verbinden den inneren Rahmen mit einer äußeren Fassung, die von einer Picavet-Aufhängung gehalten wird (Abb. 2). Bei dem Picavet handelt es sich um zwei überkreuzte Aluminiumleisten, an deren Enden Haken befestigt werden. Durch diese wird eine Schnur geführt, die an ihrem Anfang und Ende mit je einem Ring an der Leine befestigt wird (Abb. 3) [11]. Diese Aufhängung gleicht den Steigwinkel sowie Bewegungen von Leine und Drachen aus, sodass die Kamera stets in Waage gehalten wird und in einem fixierten Winkel nach unten fotografiert. Ursprünglich verfügte die Konstruktion auch über seitlich befestigte Füße aus einer gebogenen Aluminiumstange, die sich besonders beim Starten als hilfreich erwiesen. Nach einer Beschädigung beim Transport auf die Grabungsfläche mussten sie aber abmontiert werden.

Die Wahl des zu verwendenden Drachens und seiner Größe hängt besonders von den Windbedingungen ab. Selbst bei sehr niedrigen Windgeschwindigkeiten einsetzbar und daher besonders geeignet sind die Typen Rokkaku und DoPeRo, die auch noch bei moderatem Wind über stabile Flugeigenschaften verfügen. Generell eignen sich aber alle Modelle die aufgrund ihrer stabilen Flugeigenschaften unter Drachensteigern als vergleichsweise langweilig gelten (Abb. 4) [12]. Farbige Markierungen der Leine ermöglichen ein relativ genaues Abschätzen der Flughöhe und damit des Bildausschnitts.
Insgesamt beliefen sich die Materialkosten, aufgrund bereits vorhandener Kamera und Drachen, auf nur ca. 20€ für die Konstruktion von Rahmen und Aufhängung. Für neuwertige, geeignete Drachenmodelle ist, abhängig von Größe und Verarbeitungsqualität, mit Kosten zwischen 50 und 150€ zu rechnen (inklusive Zubehör). Aufgrund des Absturzrisikos empfiehlt sich die Verwendung einer gebrauchten Digitalkamera.

Anwendung

Bei der praktischen Anwendung erwies sich die Böigkeit des Windes als größtes Problem. Vor allem während der Startphase und in niedrigen Flughöhen führte plötzliches Ausbleiben des Windes zu wiederholten Abstürzen. In diesen Fällen musste ein Helfer schnellstmöglich zum wahrscheinlichen Absturzort laufen um ein Aufschlagen der Kamera auf dem Boden zu verhindern, was meistens auch gelang. Ab dem Erreichen einer bestimmten Flughöhe verhielten sich die Drachen aber in der Regel mit zunehmenden stetigeren und höheren Windgeschwindigkeiten äußerst stabil (Abb. 5). Grundsätzlich war eine Bedienung des Drachens allein möglich, besonders das Starten, das Einholen des Drachens und das Zentrieren über einem Bildmotiv gingen mit mindestens einem Helfer aber wesentlich einfacher vonstatten (Abb. 6).

Je nach Windbedingungen und Lichtverhältnissen ergab sich beim Bildmaterial durch Unschärfe, ungünstige Bildausschnitte und Überbelichtung ein Ausschuss von ca. 60-80% (Abb. 7). Es ist daher nötig ein Minimum von fünf Aufnahmen abzuwarten, um ein bestimmtes Motiv sicher scharf zu fotografieren. Wie bei anderen Luftbildern ist eine Entzerrung über mit einer Totalstation eingemessene Referenzpunkte möglich (Abb. 8).

Ausblick
Das vorgestellte Konzept bietet sich mit seinen überschaubaren Materialkosten und geringem Umsetzungsaufwand als Einstieg in die Kite Aerial Photography an. In weiterer Folge wären insbesondere eine präzisere Steuerung des Drachen mittels einer zweiten Leine und eines Gegengewichts sowie die Steuerung der Kamera über eine Fernsteuerung und einen Servomechanismus wünschenswert. Ein wesentlicher Vorteil liegt, neben den geringen Kosten und der guten Transportfähigkeit, auch in der Ergänzung zu anderen Formen der lokalen Luftbildaufnahme, die durch Wind stark behindert werden (Miniatur-Helikopter, Teleskop-Fotostangen).

[1] Mein besonderer Dank gilt meinem Vater Karl Grammer, der das Konzept ausgiebig mit mir diskutierte und bei der Erstellung der Aufhängung maßgeblich mitwirkte, und Dieta Svoboda, die trotz Schmerzen und einem verstauchtem Fuß bei der Durchführung während der Grabungskampagne assistierte und viele hilfreiche Anregungen beisteuerte.
[2] http://becot.info/aerophoto/francais/&specialite.htm (17.11.2011).
[3] F. Addison, Jebel Moya. The Wellcome Excavations in the Sudan (London 1949). Zu diesem Zeitpunkt waren alle Teilnehmer der durch den ersten Weltkrieg unterbrochenen Ausgrabungen bereits verstorben, die Verwendung des Drachens wurde durch die fotografische Dokumentation rekonstruiert.
[4] C. Trümpler, Die Anfänge der Luftbildarchäologie, in: G. Gerster - C. Trümpler (Hrsg.), Flug in die Vergangenheit (München 2003) 10-12.
[5] M. Bogacki - W. Małkowski - K. Misiewicz, Kite Aerial Photography (KAP) as a tool for completing GIS models. Ptolemais (Libya) case study, in: W.R. Lasaponara - N. Massini (Hrsg.), Remote sensing for Archaeology and Cultural Heritage Management, Rome (2008) EARSel, 329-333, http://ptolemais.pl/index.php/en_EN/fotografia-latawcowa (17.11.2011).
[6] R.C. Anderson, Kite Aerial Photography for Archaeology: An Assessment and Short Guide, in: J. Herrin (Hrsg.), Mosaic. Festschrift for A.H.S. Megaw (London 2001).
[7] http://arch.ced.berkeley.edu/kap/kaptoc.html (17.11.2011), http://www.kaper.us/ (17.11.2011).
[8] V. Gassner, Velia 2008 - die Zeusterrasse, Forum Archaeologiae 49/XII/2008 (http://farch.net), V. Gassner - D. Svoboda, L'area sacra n. 8: la terrazza di Zeus, in: G. Tocco (Hrsg.), La cinta fortificata di Velia e le aree sacre. Relazione preliminare (Milano 2009), 130-134.
[9] http://chdk.wikia.com/wiki/CHDK (17.11.2011).
[10] http://chdk.setepontos.com/index.php?topic=472.msg3539 (17.11.2011).
[11] http://www.kaper.us/basics/BASICS_picavet.html (17.11.2011), http://www.gentles.info/KAP/PICAVET/experiment.htm (17.11.2011).
[12] Große, auf Zugkraft gebaute Drachen ("Lifter") sollten nicht ohne Erfahrung verwendet werden, da sie unter Umständen eine Verankerung benötigen und ab einer gewissen Flughöhe auch nicht mehr ohne mechanische Unterstützung eingeholt werden können. Bei ausreichend hoher Windstärke können diese (leichtere) Personen anheben und schwere Verletzungen verursachen. Aus diesen Gründen ist auch mit einfachen Modellen bei Windstärken ab 5 BFT und natürlich bei Gewittern aus Sicherheitsgründen Abstand vom Drachenfliegen zu nehmen.

© Benedikt Grammer
e-mail: benedikt.grammer@univie.ac.at


This article should be cited like this: B. Grammer, Einfache Anwendungen der Kite Aerial Photography in der Archäologie, Forum Archaeologiae 61/XII/2011 (http://farch.net).



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